Versicherungen

Überregulation bedroht Allfinanz-Konzept

Deutsche Privatkunden haben ein originäres und wachsendes Bedürfnis nach Vorsorge. So sehen rund 70 Prozent der Bundesbürger die Notwendigkeit, für den Ruhestand zu sparen. Doch die Niedrigzinspolitik der EZB lässt die Menschen an den Früchten ihrer finanziellen Vorsorge zweifeln. Finanzdienstleister wie die Wüstenrot & Württembergische AG (W&W) mit ihrem Verständnis als Vorsorge-Spezialist, deren Kern das Angebot langfristiger und verlässlicher Vermögensbildungs- und Absicherungsprodukte ist, fühlen sich herausgefordert. Gleichzeitige Überregulierung kann allerdings auch durchaus solide Geschäftsmodell gefährden. Das ist problematisch, denn das Konzept der Allfinanz kann für Kunden, Anteilseigner und die Gesellschaft große Werte schaffen.

Allfinanz-Vorteile

Die W&W-Gruppe richtet ihre ganze Strategie an dem originären Bedürfnis der Kunden nach Vorsorge aus. Der Konzern ist damit keine Allfinanz-Gruppe im umfassenden Sinn, sondern hat den Anspruch, Vorsorge-Spezialist zu sein. Der Vorteil dieser Aufstellung ist die Konzentration des Unternehmens auf einen aus Kundensicht verbundenen Produkt- und Vertriebs-Mix von Wohneigentum, Vermögensbildung, Zukunftssicherung und Risikoschutz. Ein Mix, der darüber hinaus Synergiepotenziale bietet sowie die Diversifikation von Risikoparametern und Einkommensquellen für die Vertriebe. Gleichwohl sollte die Vertriebssicht differenziert betrachtet werden. Versicherer sind keine Banken. Bank- und Versicherungsprodukte verfügen per se nicht über ein identisches Cross-Selling-Potenzial. So stehen viele Anbieter dem Ansatz, Bankprodukte über Versicherungsagenturen zu vertreiben, zurückhaltend gegenüber.

Tatsächlich gibt es weltweit keinen Markt, in dem die Durchdringung von Versicherungsvertrieben mit klassischen Bankprodukten im Durchschnitt höher als zwei bis drei Prozent ist. Dennoch hat die W&W-Gruppe für den Ausschließlichkeitsvertrieb ihrer Versicherung, der Württembergischen, Erfolgshebel gefunden, die hier zu einer deutlich über dem Vergleichsdurchschnitt liegenden ergänzenden Vermittlung von Bausparen, Baufinanzierungen und vielleicht auch von Bankeinlagen führen.

Keine identischen Cross-Selling-Potenziale

Anders sieht es aus beim Vertrieb von Versicherungsprodukten über Bankfilialen oder gebundene Finanzvertriebe wie etwa Bausparvertriebe. Der Anteil dieser Vertriebswege am Absatz von Lebensversicherungen in Deutschland liegt bei über 35 Prozent - damit rund fünf Punkte höher als vor zehn Jahren. In anderen Ländern wie Frankreich, Italien oder Spanien liegen die Durchdringungsraten bei über 60 Prozent, teilweise 70 Prozent und höher. Auch der Erfolg des Ansatzes, Schaden- und Unfallversicherungen über Bankvertriebe abzusetzen, wird von den Anbietern unterschiedlich bewertet. Vor sieben Jahren begründete Oswald Grübel als Chef der Credit Suisse den Verkauf der Winterthur damit, dass "Banken sich grundsätzlich nicht für den Absatz von Sach- und Unfallversicherungen eignen". Nicht nur die Erfahrungen des Vorsorge-Spezialisten W&W zeigen, dass dies nicht uneingeschränkt gültig ist. Der Anteil des Absatzes von Schaden- und Unfallversicherungen über Bankfilialen oder gebundene Finanzvertriebe wie etwa Bausparvertriebe in Deutschland liegt bei über zehn Prozent. Länder wie Großbritannien oder Frankreich haben vergleichbare oder sogar höhere Durchdringungsraten.

Wie stabil und robust klare Geschäftsmodelle sind, die auf Allfinanz gründen, haben die letzten Krisenjahre gezeigt. In Deutschland hat keine klar strukturierte Allfinanz-Gruppe staatliche Stützungsmaßnahmen in Anspruch nehmen müssen. Das mag im Ausland anders gewesen sein: Man denke an ING, Fortis, KBC und andere. Auslöser für Instabilität war jedoch nie der Allfinanz-Kern, sondern vielmehr überdimensionierte Bankbilanzen mit zu hohen Markt-, Kredit- und Liquiditätsrisiken. Nach Analyse der W&W-Gruppe haben die Allfinanz-Geschäftsbereiche in akuten Krisenfällen vielmehr stabilisierend gewirkt und dramatischere Entwicklungen verhindert.

Krisenfeste Modelle

Natürlich haben die Krisenjahre auch ihre Spuren in der GuV der W&W-Gruppe hinterlassen - etwa durch höhere Ausfallrisiken bei Bank- und Staatsanleihen. Der Ergebnisausblick wird ein Stück weit getrübt durch das künstlich niedrig gehaltene Zinsniveau, aber in Summe haben alle Geschäftsfelder den strategischen Kurs erfolgreich fortsetzen können und ihre Marktposition verbessert. Der steigende Kapitalbedarf wurde ohne Zuhilfenahme der Aktionäre finanziert und gleichzeitig in jedem Jahr eine gleich hohe Dividende ausgeschüttet.

Die Allfinanz eröffnet zudem auch Chancen auf Risikodiversifizierung und Kostensynergien. So profitiert die W&W-Gruppe von ihrem Geschäftsmix: 2012 hat das Schaden- und Unfallgeschäft 42 Prozent zum IFRS-Ergebnis der Gruppe beigesteuert. 23 Prozent entfielen auf Bausparen und Bank sowie 20 Prozent auf Leben- und Krankenversicherungen. Betrachtet man die Risikoarten, so entfallen 40 Prozent der Risiken der Gruppe auf Marktpreisrisiken, 44 Prozent auf Kreditrisiken und zehn Prozent auf klassische Versicherungsrisiken. Das Gesamtrisiko der Gruppe ist geringer als die Summe der Risiken der Einzelunternehmen.

Chance auf Risikodiversifizierung und Kostensynergien

Vorteile durch Kostensynergien können vor allem bei den Gemeinkosten sowie bei internen Servicefunktionen - vom Gebäudemanagement bis zum Einkauf - realisiert werden. Bei den marktnahen Prozessen ist es vorteilhafter, konsequent Spezialisierungsvorteile umzusetzen.

Grundsätzlich gilt aber: Vorteile durch Diversifikation oder Kostensynergien können Schwächen in den einzelnen Sparten nicht ausgleichen. Wer Allfinanz als Strategie sucht, um strukturelle Nachteile im Bank- oder Versicherungsgeschäft zu kompensieren, wird enttäuscht werden.

Warum aber entsteht bei manchen der Eindruck, dass es eine strukturelle Abkehr von Allfinanz-Ansätzen gibt? Es scheint, dass hier aus spezifischen Einzelfällen unzulässig verallgemeinert wird. Die niederländische ING zieht sich unter EU-Auflagen notgedrungen aus dem Versicherungsgeschäft zurück. Die Allianz hat mit dem Verkauf der Dresdner Bank und der Beendigung der Allianz Bank sicher strategische Veränderungen vollzogen. Es ist aber nicht zu erkennen, dass die Allianz damit den Wert von Bankvertrieben grundsätzlich anders bewertet.

Die Erfolge der DZ-Bank-Gruppe und des genossenschaftlichen Verbundes in Allfinanz für sich genommen sprechen auch klar für eine Fortsetzung des Konzepts. Die belgische KBC, die wie andere Milliardenstaatshilfen erhielt, hat zwar viele Beteiligungen veräußert, hält im Kern aber an ihrem integrierten Bank- und Versicherungskonzept fest. Genauso französische Banken wie Crédit Agricole oder BNP Paribas.

Das scheint auch Wirkung auf den Kapitalmarkt zu haben. Die aktuelle Bewertung von BNP Paribas, die durchaus Belastungen aus Engagements in Südeuropa zu bewältigen hat, ist attraktiver als die von Banken, die ihre Ertragschancen im globalen Kapitalmarktgeschäft suchen.

Der Allfinanz-Ansatz hat Zukunft

Es ist also nicht erkennbar, dass der Allfinanz-Ansatz grundsätzlich am Ende ist. Zumindest Allfinanz so wie die W&W-Gruppe sie lebt: als der Vorsorge-Spezialist. Das Bedürfnis von Kunden nach Vorsorge ist höher denn je. Klare Positionierung, Solidität und fairer Umgang mit Kunden eröffnen Chancen auf Differenzierung gegenüber dem Wettbewerb. Und grundsätzlich: Banken werden verstärkt auf den Vertrieb von Versicherungsprodukten setzen.

Nach Berechnungen der Boston Consulting Group werden in 2015 die Ertragspotenziale für Banken im Privatkundengeschäft ohne Versicherungsprodukte um 28 Prozent unter dem Niveau von 2008 liegen. Das ist eine erhebliche Kontraktion von Ertragspotenzialen, die Banken vor umfassende Anpassungsnotwendigkeiten stellt. Gleichzeitig werden die Ertragspotenziale für Banken durch den Vertrieb von Versicherungsprodukten um 15 Prozent höher sein.

Allerdings: Überregulierung droht Konzernen wie der W&W-Gruppe zunehmend die Luft abzuschnüren - und das, obwohl sich entsprechende Allfinanz-Geschäftsmodelle in der Krise bewährt haben und nachweislich großen Wert für Kunden, Gesellschaft und Aktionäre schaffen.

Die W&W-Gruppe vereinigt Unternehmen der Banken- und der Versicherungsbranche unter einem Dach. Diese unterliegen jeweils auf Solo-Ebene der Banken- beziehungsweise der Versicherungsaufsicht. Durch die gesellschaftsrechtliche Struktur des Konzerns bilden sich sowohl im Banken- als auch im Versicherungsbereich sektorale Gruppen, die der jeweiligen Gruppenaufsicht unterliegen. Die Unternehmen im Bankenbereich stellen eine gemischte Finanzholding-Gruppe dar. Die Unternehmen im Versicherungsbereich sind dagegen eine Versicherungsgruppe. Auf dritter Ebene bilden die Unternehmen und die sektoralen Gruppen ein Finanzkonglomerat. Die regulatorischen Konsolidierungskreise sind nicht überschneidungsfrei. Dieser Umstand verursacht nicht zuletzt erhebliche zusätzliche Reporting-Anforderungen sowie wechselseitige Begrenzungen und Widersprüche in den jeweiligen Vorschriften.

Regulierung schwächt das Geschäftsmodell

Ein Beispiele hierfür: Beteiligungen und Forderungen von Banken gegenüber Unternehmen, die demselben Finanzkonglomerat angehören und damit auch derselben konsolidierten Aufsicht unterliegen, sind nach den Entwürfen der künftigen Großkreditüberwachung zusätzlichen Einschränkungen unterworfen. Damit werden Sachverhalte, die bereits auf der übergeordneten Finanzkonglomerats-Ebene mit Eigenkapital unterlegt sind, auf der Unterebene nochmals zusätzlich reguliert und begrenzt. Es kommt also zu einer doppelten Begrenzung: zum einen durch die Eigenkapital-Unterlegung im Finanzkonglomerat und zum anderen durch die Großkreditbegrenzungen im Bankenteil. Da diese Regelung in der Versicherungsaufsicht keine Entsprechung findet, wird zudem ein und derselbe Sachverhalt im gleichen Finanzkonglomerat unterschiedlich behandelt - je nachdem, ob das Ursprungsunternehmen in die Banken- oder in die Versicherungsaufsicht fällt.

Die Regulation bewirkt zusätzliche Komplexität bei einem von sich aus schon recht komplexen Geschäftsmodell. Die Umsetzung von neuen regulatorischen Anforderungen, die mehrdimensional und nicht überschneidungsfrei sind, bindet in der W&W-Gruppe mittlerweile nahezu die Hälfte der Investitionen in neue IT-Anwendungen und -Systeme. Mittel, die eigentlich dringend benötigt werden, um Produkte, Geschäftsprozesse und Systeme an die Marktbedingungen anzupassen, wie sie sich zum Beispiel aus dem künstlich verzerrten Zinsumfeld ergeben.

Es unterminiert die gesunde Substanz eines Konzerns, wenn knappe Ressourcen in die Umsetzung von aufsichtsrechtlichen Vorschriften gesteckt werden müssen, die keinen Mehrwert im Sinne einer nachhaltigen Stabilität haben. Die W&W-Gruppe unterstützt nachdrücklich sinnvolle zusätzliche Regulierungsmaßnahmen und erkennt nach den Erfahrungen der Banken- und Staatsschuldenkrise den Bedarf an - aber Angemessenheit und Zweckmäßigkeit dürfen nicht verloren gehen.

Gefahr der Fehlallokation von Ressourcen

Gibt es ein zu geringes Bewusstsein und Verständnis für die besondere Situation von spezialisierten, erfolgreichen und stabilen Allfinanz-Gruppen? Widersprüchliche und unangemessene Regulierung von Sachverhalten muss unterbleiben, sonst würden marktattraktive, wirtschaftlich erfolgreiche und krisenstabile Allfinanz-Geschäftsmodelle ausgerechnet durch die Regulatorik beschädigt. Der Appell lautet also, bei der Regulierung von Finanzkonzernen wie der W&W-Gruppe, auf Sinn, Zweck und Maß zu achten. Dann kann das Allfinanz-Geschäftsmodell auch in Zukunft erfolgreich umgesetzt werden.

Alexander Erdland , Senior Advisor, Ardian Germany, Frankfurt am Main
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