Zukunft des Vertriebs

Verbraucherschütze r mit umfangreichem Regel-Katalog

Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner weiß nicht recht, was sie glauben soll. Noch am 27. November 2009 sprach sie in einem Interview von wachsender Einsicht der Banken und anderer Finanzakteure in die Tatsache, dass strikte Vorgaben von Vertriebszielen nicht sinnvoll sind. Nach der Mitte Dezember veröffentlichten Studie der Stiftung Warentest hingegen, wonach die Beratung der Banken "noch so schlecht wie ihr Ruf" ist, rudert sie in dieser Hinsicht ein wenig zurück. Eine Verschärfung der Haftung für Finanzprodukte ist aus Sicht der Bundesministerin für Verbraucherschutz jedenfalls unausweichlich. Auch höhere Anforderungen für Berater und Vermittler werden ihrer Einschätzung nach dringend gebraucht. Nicht zuletzt soll das auch von der Kreditwirtschaft begrüßte Produktinformationsblatt für Geldanlagen, das die Ministerin im Juli 2009 angeregt hatte, zum gesetzlichen Standard werden.

Überwachung der Beratungsqualität als Aufsichtsfunktion

Anregungen, wie der Verbraucherschutz rund um den Vertrieb von Finanzdienstleistungen verbessert werden kann, kommen von den Verbraucherschützern zuhauf. Namentlich der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) e. V., Berlin, hat im letzten Quartal 2009 einen umfangreichen Forderungskatalog vorgelegt.

Zum einen sieht man unter dem Aspekt der Finanzaufsicht noch eine Regulierungslücke im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Bei der Neuordnung der Finanzaufsicht müsse Verbraucherschutz ein gleichberechtigtes Anliegen werden und eine eigenständige Säule innerhalb der Finanzaufsicht sein.

Ganz konkret fordern die Verbraucherschützer ein formalisiertes Beschwerdeverfahren nach dem Modell Großbritanniens, die Etablierung einer effektiveren unabhängigen Streitschlichtung und einen Verbraucherbeirat aus Verbraucherschützern und Wissenschaftlern, der der Finanzaufsicht zur Seite gestellt werden soll, um an der permanenten Weiterentwicklung des Verbraucherschutzes in der Aufsicht zu arbeiten. Um Falsch- oder Fehlberatung vorzubeugen, sollte die Marktüberwachung auf die Qualität der Finanzberatung ausgedehnt werden. Dabei hätte die Finanzaufsicht auf Grundlage gesetzlicher Regeln die Beratungsqualität zu überwachen und Regelverstöße zu sanktionieren.

Für die Konzeption der Finanzberatung soll ein einheitlicher gesetzlicher Rahmen etabliert werden. Mit anderen Worten: Die Struktur des Beratungsgesprächs soll gesetzlich geregelt werden. Auch für das Berufsbild "Finanzberater" wünscht sich der VZBV einen gesetzlichen Rahmen mit formaler Überprüfung der jeweils geforderten Qualifikation.

Aktiven Vertrieb von Zertifikaten verbieten

Mit der Forderung nach einem kohärenten Rechtsrahmen für die Vermittlung von Finanzdienstleistungen, vermutlich nach dem Vorbild der Regelungen für die Versicherungsvermittlung, anstelle der bisher fragmentierten Regulierung stehen die Verbraucherschützer in Einklang mit Überlegungen aus der Politik wie auch den kreditwirtschaftlichen Verbänden. Die geforderte Zulassungspflicht für Finanzprodukte dagegen geht noch über den viel diskutierten "Finanz-TÜV" hinaus. Der aktive Vertrieb von hoch riskanten und komplexen Wertpapieren und Finanzprodukten, insbesondere von Zertifikaten oder geschlossenen Fonds, an Privatanleger soll verhindert werden. Nur auf aktive Nachfrage durch den Verbraucher sollen solche Produkte erhältlich sein, und auch dann nur unter Auflage besonderer Wohlverhaltens- und Aufklärungspflichten.

Unter dem Strich liefe dies alles auf eine zwar in hohem Maße überprüfbare, aber auch immer stärker standardisierte Beratung hinaus, bei der eine Differenzierung immer schwieriger würde und sich der Kunde letztlich nur noch anhand von Konditionenüberlegungen und emotionalen Aspekten zwischen den verschiedenen Anbietern zu entscheiden hätte. Die Frage der Haftung würde sich bei einer so strikten Regulierung wahrscheinlich von selbst erledigen. Regelverstöße im Beratungsprozess werden schließlich schon heute zunehmend durch standardisierte IT-Vorgaben minimiert. Und für in der Praxis doch noch zutage tretende Mängel explizit zugelassener Produkte müsste dann konsequenterweise die Aufsicht oder sonstige "Zulassungsstelle" haften.

Beweislast bei Falschberatung umkehren

Dennoch ist das Thema Falschberatung für die Verbraucherschützer ein wichtiges Thema. Die Verlängerung der Verjährungsfristen soll nach ihren Vorstellungen für alle Fälle gelten, die heute noch nicht verjährt sind, also auch für Beratungen vor dem 5. August 2009.

Der Forderung, die Beweislast bei Falschberatung umzukehren, basiert auf den ersten Erfahrungen mit der Dokumentationspflicht für Versicherungsvermittler. Auf Basis der in der Praxis eingesetzten Dokumentationsbögen seien die Empfehlungen der Berater nicht zweifelsfrei nachvollziehbar. Auch von der ab 1. Januar 2010 geltenden Dokumentationspflicht für die Anlageberatung erwarten die Verbaucherschützer einen Anreiz, eine Dokumentation zu verfassen, bei der die Risiken für den Berater minimal sind. Da es keine Mindeststandards für die Protokollierungspflicht gebe, sollten Berater verpflichtet werden nachzuweisen, dass ihre Empfehlungen optimal für den Ratsuchenden waren.

Fallpauschalen in der Honorarberatung?

Die Offenlegung von Provisionen hält der VZBV bislang noch für unzureichend. In seinem Forderungskatalog zur Neugestaltung der Finanzberatung gesteht er aber auch ein, dass der Verbraucher selbst bei einem vollständigen Ausweis nur wüsste, welches Entgelt der Anlageberater erhält. Ob sich die Empfehlung tatsächlich an den Zielen des Kunden orientiert, lässt sich daraus aber nicht ableiten. Provisionen in der Finanzberatung gehören daher dringend auf den Prüfstand, so die Schlussfolgerung. Ob Beratungshonorare für jeden Kunden eine lohnende Alternative sind, wird dagegen nicht beleuchtet. In einem Gutachten von Prof. Dr. Andreas Oehler von der Universität Bamberg im Auftrag des VZBV klingt diese Problematik (wenngleich bezogen auf das Thema Altersvorsorge) aber zumindest an. Für viele Anleger könne die absolute Höhe des Honorars eine kaum überwindbare Hürde darstellen, wird hier lapidar konstatiert.

Und: Auch der Honorarberater kann über ein pekuniäres Interesse verfügen, das sich in opportunistischem Verhalten niederschlägt, etwa indem Beratungsgespräche in die Länge gezogen werden oder zu oft beraten wird. Die daraus gefolgerte Forderung klingt ein wenig nach den "Fallpauschalen" der gesetzlichen Krankenkassen: Höhe und Häufigkeit des Honorars müssten standardisiert und kontrolliert werden. Hier eine Lösung zu finden, die den unterschiedlichen Kundenbedürfnissen gerecht wird und nicht zu dem Eindruck führt, auch vom Honorarberater nach "Schema F" abgefertigt zu werden, dürfte vermutlich nicht einfach sein. Vielleicht auch deshalb haben die Verbraucherschützer diesen Passus des Gutachtens in ihrer Öffentlichkeitsarbeit nicht weiter betont.

Verbraucherkreditrichtlinie nicht ausreichend

Auch im Kreditgeschäft reichen die bestehenden Regelungen nach Einschätzung der Verbraucherschützer noch nicht aus. Wichtig sei es, keine Kosten in den Modellen zu verstecken oder Verbraucher "wegen vorgeblicher Risiken" mit Mehrkosten zu belasten. Denn beides könne durch Überbelastung die Gefahr eines Ausfalles sogar mit verursachen.

Bei dieser impliziten Kritik an bonitätsabhängigen Konditionen und dem Vertrieb von Restschuldversicherungen fordern die Verbraucherschützer zwar keine neuen gesetzlichen Regelungen. Sie appellieren jedoch an die Unternehmen, mehr zu leisten, als das Gesetz vorgibt. Bei einigen Anbietern wird bereits Einsicht registriert.

Abschlusskosten bei Riester-Produkten begrenzen

Anfang Dezember 2009 hat sich die Verbraucherzentrale Bundesverband die Altersvorsorgeberatung vorgenommen (siehe auch bankassurance + allfinanz auf Seite 46). Auf diesem Feld wird die Politik gemahnt, auf Grundlage einer validen Datenerfassung zu überprüfen, inwieweit Verbraucher tatsächlich vorsorgen, ob sie dies im ausreichenden Maße tun und ob sie die erforderliche Vorsorge finanziell tragen können. In diesem Sinne soll Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen zur "Generalinspekteurin" für die Altersvorsorge werden.

Im Hinblick auf die angebotenen Produkte wird eine gesetzlich vorgegebene einheitliche Strukturierung der Produkt- und Kosteninformationen gefordert. Dies soll Verbrauchern helfen, Angebote auch produktgruppenübergreifend besser zu vergleichen. Einen entsprechenden Vorschlag hatte der VZBV bereits 2002/2003 vorgelegt. Damit die Kosten von Riester-Verträgen nicht die staatlichen Zulagen aufzehren, müssen die zulässigen Kosten nachhaltig gedeckelt und der Vermögensverlust, der durch Abschluss- und Vertriebskosten entsteht in seiner Höhe begrenzt werden. Bis zum Renteneintritt mit 67 dürfe die Gesamtkostenbelastung eines Riester-Vertrags nicht höher sein als 20 Prozent der staatlichen Zulagen - bei früherem Renteneintritt entsprechend weniger.

Da der Vertrieb von Riester-Produkten für die Finanzdienstleister damit nicht unbedingt an Attraktivität gewinnt, soll der Bund gleichzeitig ein besonders kostengünstiges Angebot in Form einer Non-Profit-Lösung prüfen. Vorgeschlagen wird beispielsweise ein Riester-Konto bei der Finanzagentur des Bundes. Nur so könne die Politik den Vorwurf entkräften, dass es bei der Riester-Rente mehr um die Förderung der Finanzdienstleister als um die effiziente Altersvorsorge der Bürger geht.

Was die Beratung zum Thema Altersvorsorge angeht, gelten die üblichen Forderungen: Stärkung der anbieterunabhängigen Beratung durch klare Rahmenbedingungen für die Honorarberatung, und Ausbau der Finanzberatung durch die Verbraucherzentralen; andererseits eine stärkere Regulierung des Beratungsprozesses in der anbieterabhängigen Beratung. In letzter Konsequenz sollte jeder Riester-Interessent bei gleicher Datenlage unabhängig vom Anbieter dasselbe Produkt mit einer vergleichbaren Ausstattung angeboten erhalten, um dann nach transparent offengelegten Kosten die Rendite-Risiko-Struktur sowie die Liquidität vergleichen zu können. Letzten Endes ginge es dann nur noch um einen Konditionenwettkampf.

Swantje Benkelberg , Chefredaktion, bank und markt, Cards Karten Cartes , Fritz Knapp Verlag
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