Bargeldzukunft

Dr. Claudia Klausegger

Quelle: privat

Mit dem Buchgeld begann die Entmaterialisierung des Geldes. Das Geld wurde abstrakt - eine Buchungszeile. Der Erfolg des Buchgelds und des damit möglichen bargeldlosen Zahlungsverkehrs durch papierbehaftete Buchgeldtransaktionen zulasten eines Girokontos und zugunsten eines anderen Kontos zeigte sich bald. Der Durchbruch des Buchgelds kam allerdings erst durch dessen Elektronifizierung. Mit dem Transfer des Buchgeldes durch Überweisungen, Lastschriften oder Kartentransaktionen1) von einem Bankkonto auf ein anderes - wurde der bargeldlose Massenzahlungsverkehr möglich. Damit wurde auch die Bewegung des Geldes abstrakt.

Unter Berücksichtigung all dieser unbaren Zahlungsformen sind bereits weit mehr als 90 Prozent aller Zahlungen bargeldlos. Wir leben bereits in einer Less Cash Society. Lediglich bei Zahlungen am PoS2) ist das Vordringen des bargeldlosen Zahlens relativ langsam. Hier sind im deutschen Sprachraum3) noch etwa 75 Prozent aller Transaktionen Bartransaktionen, die rund 50 Prozent des PoS-Umsatzes ausmachen. Was die Diskussion zu Pro und Contra einer bargeldlosen Gesellschaft betrifft, gibt es unterschiedliche Definitionen. Zum einen gilt eine Gesellschaft als "cashless", in der das Zahlen bargeldlos ist; zum anderen, wenn das Bargeld abgeschafft ist. Basierend auf diesen zwei Ansätzen gibt es unterschiedliche Entwicklungsperspektiven.

Freiwillige Entwicklung in Richtung einer Gesellschaft ohne Barzahlung

Hier wird die Cashless Society als eine Gesellschaft definiert, in der (fast) alle Zahlungsvorgänge bargeldlos erfolgen. Dieses Szenario geht davon aus, dass die Zahlungspflichtigen und die Zahlungsempfänger sich freiwillig für eine bargeldlose Zahlung entschlossen haben. Demzufolge hat sich der Zahlungspflichtige vorweg ein bargeldloses Zahlungsmittel zugelegt und der Zahlungsempfänger für die Akzeptanz bargeldloser Zahlungsmittel gesorgt. Mit dieser Vorgangsweise wurde der heutige Stand der Less Cash Society erreicht. Geld als Bargeld gab und gibt es in diesem Szenario weiter als Residuum beim Zahlen und es behält seine Wertaufbewahrungsfunktion.

Für dieses Entwicklungsszenario spricht die "natürliche" Weiterentwicklung des Geldes. Schon bisher haben Innovationen die Befriedigung der Zahlungsbedürfnisse verbessert und für deren Durchbruch gesorgt. So steigt derzeit mit dem bereits voll im Rollout befindlichen kontaktlosen Zahlens auf NFC-Basis der Anteil der bargeldlosen Zahlungen am PoS weiter an. Dazu trägt auch die NFC-basierte "tap and go"-Zahlung ohne PIN-Eingabe bei, mit der die Convenience und die Geschwindigkeit beim Zahlen erhöht werden konnte. Damit können auch Klein- und Kleinstbeträge bequem gezahlt werden, die bisher eine Domäne des Bargelds waren. Auch M-Payments, die sich noch nicht auf breiter Basis durchgesetzt haben, werden Barzahlungen ersetzen. Ihre Ausgangssituation ist sehr gut, da mit der Ausstattung des PoS mit NFC-fähigen Terminals die technologische Basis für die Akzeptanz bereits gegeben ist. Weitere Innovationen auf dem Weg zur Absorbierung von Bargeldzahlungen sind in der Pipeline. Der Anstieg des bargeldlosen Zahlens am PoS ist auch auf die zunehmende Nutzeraffinität der Konsumenten zurückzuführen. Nachrückende elektronikaffine Jahrgänge werden das Smartphone und die mit ihm verbundenen Zahlungsmöglichkeiten als Selbstverständlichkeit wahrnehmen sowie Neuentwicklungen ähnlich positiv sehen und nutzen.

Auch Veränderungen der Bankenstruktur durch die Schließung von Bankfilialen oder deren Weiterführung als SB-Einheiten sowie der damit einhergehenden Ausdünnung der Geldver- und -entsorgung werden dazu beitragen, dass bargeldlose Zahlungen zunehmen. Diese Reduktion der Bargeldbezugs- und Bargeldeinlieferungsfazilitäten ist für die Banken auch ein Schritt zur Verringerung der Bargeldkriminalität. Demgegenüber sind die Risiken des bargeldlosen Zahlens geringer als die des Bargelds. Als Contra zur Cashless Society wird vielfach die Gefährdung der Bestandsdaten bei den Zahlungsverkehrsdienstleistern und die Authentizität der Transaktionen durch Computerkriminalität angeführt.

Eine Konsequenz des bargeldlosen Zahlens ist der Wegfall der Anonymität. Gegen diese Entwicklung, die zu weitgehender finanzieller Transparenz führt, wird vielfach Stellung bezogen, da dies zu einer möglichen Totalüberwachung bei allen persönlichen Angelegenheiten führen könnte. Offen ist, ob eine derartige finanzielle Transparenz die heutige Bevölkerung und insbesondere die Digital Natives stört. Festnetz- und Handy-Überwachung, SMS- und E-Mail-Überwachung durch die Behörden stoßen kaum auf Widerstand. Diejenigen, die sich daran stören, bleibt bei dieser Variante der Cashless Society die Option, bar zu zahlen.

Auf Zwang beruhende Entwicklung zu einer Gesellschaft ohne Bargeld

Ein ganz anderer Zutritt zur Cashless Society - nicht im Sinne einer Gesellschaft der bargeldlosen Zahlung, sondern im Sinne einer Gesellschaft ohne Bargeld - kommt nicht von den Zahlungskontrahenten, dem Zahler und dem Zahlungsempfänger, sondern von supranationalen/nationalen Institutionen und verschiedenen Ökonomen. Bei dieser Definition der Cashless Society wird das Bargeld abgeschafft. Dabei fällt nicht nur dessen Funktion als Zahlungsmittel weg, sondern auch die Funktion des Bargeldes als Wertaufbewahrungsmittel. Geld wird zur Gänze virtuell: als Zahlungsmittel und als Wertaufbewahrungsmedium. Bei diesem Szenario ist es keine freiwillige Entscheidung der Marktteilnehmer wie bei einer Cashless Society beim Zahlen, sondern eine Entscheidung, die per Gesetz eines Staates oder einer Staatenunion umgesetzt wird. Die Gründe, die hierfür angeführt werden, sind mannigfaltig.

Ein oft von staatlicher Seite kommender Ansatzpunkt, der für die Reduktion/Abschaffung des Bargelds genannt wird, ist die Bekämpfung von Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft. Dabei geht es den Staaten darum, nicht nur mehr Steuergerechtigkeit für die steuerzahlenden Unternehmen und Privaten zu erreichen, sondern insbesondere auch mehr Steuereinnahmen zu lukrieren. In diese Richtung gehen Maßnahmen der EU in Bezug auf die Anmeldung von Barmitteln ab 10 000 Euro bei der Ein- oder Ausreise und Maßnahmen diverser Länder, den Höchstbetrag für Bartransaktionen zu begrenzen. Derartige Limits können die Schwarzarbeit/Schattenwirtschaft zwar reduzieren, aber nicht eliminieren. Ähnliches gilt für die Abschaffung von Banknoten mit höherer Denomination.

Ein anderes von Ökonomen oft genanntes Argument für eine Gesellschaft ohne Bargeld ist die Anregung der Wirtschaftstätigkeit. Dazu gehören insbesondere die Überlegungen von Kenneth Rogoff. Rogoff, 2001 bis 2003 Chefökonom des IWF und nunmehr Professor an der Harvard University, geht davon aus, dass die Zentralbanken in einer Welt ohne Bargeld leichter Negativzinsen durchsetzen können, um so die Wirtschaft anzukurbeln.

Eine Realisierung der Bargeldabschaffung kann entsprechend den Vorstellungen der Proponenten nur nach Schaffung der nötigen Voraussetzungen und in Schritten erfolgen. Das wären einerseits die Vollausstattung aller Personen mit Bankkonten sowie der entsprechenden bargeldlosen Zahlungsmittel und andererseits die Vollausstattung aller Zahlungsempfänger mit entsprechenden PoS-Terminals. Darüber hinaus wäre angesichts der völligen Abhängigkeit einer bargeldlosen Gesellschaft vom technischen Funktionieren der Akzeptanz angesichts der Bedeutung des Zahlens in einer Volkswirtschaft die Schaffung einer Offline-Fallback-Lösung oder etwas Äquivalentem eine Notwendigkeit.

Wenn es zur Abschaffung des Bargelds kommt, ist jede Zahlung und jede Geldanlage bargeldlos. Bei entsprechender gesetzlicher Grundlage kann es zu einem Wegfall der Anonymität kommen. Diese völlige Transparenz dürfte angesichts der möglichen Totalüberwachung der Menschen bei allen persönlichen Angelegenheiten, die mit Geld verbunden sind, zu einem Widerstand der Bevölkerung führen. Das hat sich in der Presseberichterstattung über die Pläne zur Abschaffung des Bargelds gezeigt. Als Grundproblem der Bargeldabschaffung dürfte sich aber das mangelnde Vertrauen in das dann nur noch elektronisch vorhandene Geld herausstellen. Da eine derartige bargeldlose Gesellschaft ohne Bargeld per Gesetz geschaffen werden müsste, liegt es an der Bevölkerung, die die Gesetzgeber direkt und die Regierungen indirekt wählt, dies zu verhindern.

Cashless Society beim Zahlen? Cashless Society ohne Bargeld?

Beim Zahlen geht der Weg offenbar in Richtung einer Cashless Society, wenngleich die geäußerten Meinungen kontrovers sind. Die einen gehen davon aus, dass es Geld in Form von Münzen und Banknoten immer geben wird. Die anderen sehen den Wegfall des Bargeldes in absehbarer Zukunft. Die Unentschlossenen sind der Meinung, dass es die bargeldlose Gesellschaft zwar irgendwann, aber nicht mehr zu ihrer Lebenszeit geben wird.

Es stellt sich daher die Frage, wie die Zukunft des Bargelds zu sehen ist: als Residuum beim Zahlen oder Ende des Geldes in materialisierter Form? Wie es ausschaut, ist eine Cashless Society beim Zahlen absehbar, aber noch in der Ferne. Es kann vermutet werden, dass es wie in den letzten Jahren, auch in den nächsten Jahren zu einer größeren Nutzung bargeldloser Zahlungen kommen wird, die je nach Annahme um drei Prozent liegen könnte. Das heißt, dass es je nach Betrachtung von Zahlungstransaktionen oder Zahlungsumsatz noch an die 15 bis 25 Jahre dauern wird, bis Bargeld beim Zahlen ein geringfügiges Residuum wird.

So wie die Cashless Society beim Zahlen sich mehr und mehr einer Realisierung nähert, so ungewiss ist eine Cashless Society ohne Bargeld. Eine derartige Radikalumstellung des Geldes bedarf einer gesetzlichen Regelung, die wohl politisch die Zustimmung der Wähler erforderlich macht. Die Wähler zu übergehen, könnte angesichts der Stimmung der Bevölkerung zur Abwahl der dafür eintretenden Parteien führen. Derzeit könnte für diesen Ansatz in der EU und in der Euro-Zone vermutlich keine Mehrheit erzielt werden. Von einer Cashless Society ohne Bargeld ist daher in absehbarer Zukunft nicht auszugehen.4)

Fußnoten

1) Hier sind auch alle Transaktionen mit einer virtuellen (Karten) Nummer allerdings in einem anderen Medium als Karten wie zum Beispiel Smartphone, Smartwatch, Smartkeychains, Smartimplants, etc. gemeint.

2) Zum PoS sind hier nicht nur die Lokalitäten von Handels- und Dienstleistungsunternehmen zu verstehen, sondern alle Plätze in der realen Welt, wo noch mit Bargeld gezahlt wird. Dazu zählen zum Beispiel auch Zahlungen an Kiosken aller Art, an Zeitungsverkäufer, an Bettler oder die Kollekten in Kirchen.

3) DACH-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz)

4) Mehr zur Bargeldzukunft siehe Judt, E., Zur Dematerialisation von Geld und zur Marginalisierung von Bargeld, Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen 11/2018

Dr. Ewald Judt ist Honorarprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien; ewald.judt[at]wu.ac[dot]at; Dr. Claudia Klausegger ist Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien; claudia.klausegger[at]wu.ac[dot]at.

Dr. Claudia Klausegger , Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien
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