Callcenter

Seit dem Aufkommen des Marketings in den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts rückt die Kundenorientierung immer mehr in den Fokus. War es in der Anfangsphase oft nur ein Lippenbekenntnis, wurde sie mit zunehmendem Wettbewerb immer öfter und immer ernster umzusetzen versucht. Der Grund dafür ist die Erkenntnis, dass der Kunde der wichtigste Faktor für das Wohlergehen und den Fortbestand des Unternehmens ist.

Mit wachsender Kundenorientierung wurde das Relationship Marketing, das auf eine längerfristige Geschäftsbeziehung setzt - wie es bei den meisten Finanzdienstleistern der Fall ist - anstelle des Transaction Marketing, das auf den Produktverkauf setzt, zentral für alle Marketingaktivitäten.

Maßnahme für bessere Kundenbeziehungen

Das Callcenter wurde als geeignete Maßnahme gesehen, um zu besseren Kundenbeziehungen zu kommen. Es sollte insbesondere bei Unternehmen mit einer großen Anzahl von Kunden und vielen Transaktionen die Bearbeitung von Anfragen und Anliegen nicht - wie bisher - dezentral durch die Mitarbeiter der einzelnen Abteilungen, sondern zentral durch eine speziell geschaffene Einheit - das Callcenter - ermöglichen. Die konkreten Ziele waren

- bessere Erreichbarkeit,

- prompte Erledigung von einfachen Geschäftsfällen und

- rasche Weiterleitung an die Fachabteilung bei komplizierteren Geschäftsfällen.

Die Kommunikation mit den Kunden umfasst dabei ein breites Spektrum. Sie reicht von Serviceangelegenheiten, Produktinformationen, Kundenbeschwerden bis hin zu Auftragsentgegennahmen. Zu Beginn waren Callcenter spezielle Abteilungen im jeweiligen Unternehmen. Im Laufe der Zeit wurde diese Funktion allerdings oft in spezielle Serviceunternehmen (oft im Ausland agierend) ausgelagert.

Inbound- und Outbound-Aktivitäten

Den Inbound-Callcentern folgten bald Outbound-Callcenter, bei denen Bestandskunden und potenzielle Kunden gezielt angerufen werden. Hierbei geht es in der Regel um Telefonmarketing, das darauf abzielt, dass Kunden erstmals oder erneut kaufen.

Weitere Aktivität eines Outbound-Callcenters kann Marktforschung sein, um zum Beispiel den zu erwartenden Bedarf zu ermitteln, die Kundenzufriedenheit festzustellen, die Aktualisierung von Daten oder die Eruierung von Ansprechpartnern. Die weiterführenden Ausführungen beziehen sich ausschließlich auf die Inbound-Callcenters.

Die wesentlichen Komponenten, die für die Güte eines Callcenters maßgeblich sind, sind die Mitarbeiter und die Technik. Die Mitarbeiter in Callcentern - Callcenter Agents genannt - vermitteln den ersten Eindruck beim Kunden und sind für das kundenorientierte Erledigen der anfallenden Arbeiten verantwortlich. Sie arbeiten meist in einem Großraumbüro mit akustisch geschützten Arbeitsplätzen mit Headsets an Bildschirmarbeitsplätzen. Ihre Auswahl ist von besonderer Bedeutung, da sie besonderer Stressbelastung ausgesetzt sind. Callcenter Agents sind extern durch die Technik gesteuert, gefordert immer freundlich zu sein, oft einer hohen Monotonie ausgesetzt und müssen bei Problemfällen rasch und richtig reagieren. Wenn bei der Personalauswahl die Stressresistenz nicht ausreichend berücksichtigt wird, muss mit einer hohen Fluktuation gerechnet werden.

Die Erledigung der Aufgaben der Callcenter Agents erfolgt in der Regel auf einem hohen technischen Niveau. Das gilt sowohl für die Telekommunikationslösung als auch für die Customer-Relationship-Management-Software.

- Während die Telekommunikationslösung die Anbindung des Kunden und das Erreichen eines Callcenter-Mitarbeiters effizient gestalten soll,

- ist es die Aufgabe der CRM-Software, den Callcenter-Mitarbeiter über den anrufenden Kunden zu informieren, um ihm die optimale Erledigung der Kundenanfrage zu ermöglichen.

Waren Callcenter ursprünglich ausschließlich mit der Befassung von tele fonischen Anfragen befasst, so werden sie jetzt zunehmend auch für andere Kommunikationskanäle eingesetzt, womit sie sich zu breitgefächerten Customer Service Centers entwickeln.

Kundenorientierung nur selten entfaltet

Das primäre Ziel der Callcenter, im Zuge der Kundenorientierung von Unternehmen mit Mengengeschäft, durch professionelle Erledigung von Kundenanfragen Kundennähe, Kundenzufriedenheit und Kundenbindung zu erreichen, wurde nur zum Teil erreicht.

Nur wenigen Unternehmen ist es gelungen, Callcenter zu etablieren, die die in sie gesetzten Ziele auch tatsächlich erreichen. Oft sind die Erreichbarkeit, Erledigung und Weiterleitung unbefriedigend. Häufig wird bei Callcenter Kundenorientierung nur vorgetäuscht, aber nicht wirklich entfaltet. Wer Erfahrung mit Callcenter-Kontakten hat, kennt derartige Unternehmen. Dem Kunden stellt sich eine Reihe von Hürden, um zur gewünschten Problemlösung zu kommen.

- Dies beginnt mit der Erreichbarkeit. Oft dauert die Warteschleife zumindest in der Wahrnehmung sehr lange und es kommt den Kunden endlos vor, bis ein Kontakt zustande kommt. Bis zum tatsächlichen Kontakt läuft ein Endlosband mit Musik, das meist nicht den Geschmack des Kunden trifft, oder es läuft ein Band mit der banalen Information, dass der Kunde warten muss, bis ein Callcenter-Agent frei ist.

- Eine zusätzliche Erschwernis bildet das Sprachdialogsystem IVR (Interactive Voice Response), mit dem automatisierten Hinweis, wenn ein Kunde X will, muss er 1 wählen, wenn er Y will, ist die 2 zu wählen, und so weiter. Diese standardisierten Systeme funktionieren nicht bei Anfragen, die sich nicht so einfach in ein Schema pressen lassen.

- Zur Verärgerung von Kunden kann es auch kommen, wenn ihm mitgeteilt wird, wie lange er (auf seine Kosten) voraussichtlich noch am Telefon ausharren muss, bis er sein Anliegen vorbringen kann.

- Hinzu kommt, dass der Kunde, sobald ein Kontakt hergestellt wurde, um seine gewünschte Anfrage vorzubringen, meist nach einer Nummer gefragt wird, die ihm irgendwann vom Unternehmen mitgeteilt wurde, die er aber zum Zeitpunkt des Telefonats mit dem Callcenter nicht parat hat. Selbst wenn alle Schritte geklappt haben, ist es nicht sicher, ob das Kundenanliegen durch den Callcenter Agent auch wirklich kunden orientiert, das heißt in der Kundenwahrnehmung positiv erledigt werden kann.

Ohne Qualitätsmanagement drohen Imageschäden

Wenn ein Unternehmen an einem kundenorientierten Callcenter Interesse hat, was im Zeitalter des Relationship Marketing selbstverständlich sein sollte, ist ein geeignetes Qualitätsmanagement notwendig. Dabei ist laufend die Telefonwartezeit der Kunden im Auge zu behalten und sofern diese zu lange ist, durch Änderungen im Callcenter zu reduzieren.

Darüber hinaus ist die (finale) Erledigung von einfachen Geschäftsfällen durch die Callcenter-Mitarbeiter zu kontrollieren, wofür möglicherweise personelle und organisatorische Probleme zu beseitigen sind. Die Vorgangsweise, wie bei nichterledigten Vorgängen vorgegangen wird, ist zu überprüfen und im Bedarfsfall zu ändern.Funktioniert ein Callcenter nicht so, wie es im Zeitalter der Kundenorientierung sein sollte, kann das zu einem nicht leicht wiedergutzumachenden Imageschaden des Unternehmens führen.

Dr. Ewald Judt ist Honorarprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien; ewald.judt[at]wu.ac[dot]at; Dr. Claudia Klausegger ist Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien; claudia.klausegger[at]wu.ac[dot]at.

Dr. Ewald Judt , Honorarprofessor , Wirtschaftsuniversität Wien
Dr. Claudia Klausegger , Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien
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