Plattformökonomie

Dr. Claudia Klausegger

Quelle: privat

Die Plattformökonomie ("Platform Economics") gehört zu den stark diskutierten Themen in Wirtschaft und Wissenschaft. Der Grund dafür ist, dass immer mehr digitale Produkte auf den Markt kommen, die auf immateriellen Plattformen aufbauen. Einige der wertvollsten Unternehmen der Welt sind digitale Plattformen.

Ursprungsform Messe

Das Geschäftsmodell einer Plattform besteht darin, zwei oder mehrere Gruppen von Nutzern miteinander zu verbinden und direkte Transaktionen oder andere Formen der Interaktion zwischen ihnen zu ermöglichen. Die Marktfunktion von Plattformen und die Plattformökonomie sind nichts Neues. Neu ist, dass sich durch die Möglichkeiten der Informationstechnologie die Notwendigkeit von eigenen physischen Ressourcen für den Marktplatzbetreiber stark reduziert hat.

Eine Plattform verbindet Anbieter (meist Unternehmen) und Nachfrager (im B2C-Markt Konsumenten). Die ursprünglichen Plattform-Geschäftsmodelle beziehen ihre Einnahmen zur Ausgestaltung der Plattform entweder von den Anbietern oder von den Nachfragern oder von beiden.

Eines der ältesten Plattformgeschäfte sind Messen respektive Messegesellschaften - Messen als reale Marktplätze gab es lange vor den virtuellen Marktplatzangeboten. Reale Marktplätze, wie zum Beispiel die Automesse unterliegen einer Raum-Zeit-Restriktion, das heißt einer örtlichen (zum Beispiel Teilnahme an der Messe) und zeitlichen Restriktion (Öffnungszeiten). Die Einnahmen einer Messegesellschaft kommen üblicherweise von beiden Parteien, das heißt sowohl von den Ausstellern als auch von den Besuchern. So zahlt beispielweise der Besucher einer Automesse und potenzielle Autokäufer für sein Eintrittsticket und der Autohersteller und potenzielle Autoverkäufer bezahlt eine Standmiete. Diese Form des Plattformgeschäfts funktioniert auch heute noch, anderenfalls würde es Messeangebote in dieser Form nicht mehr geben.

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor jeder Messe ist, dass ihre Inanspruchnahme durch beide Kundengruppen erfolgt. Bei einer Messe locken einerseits viele Autohersteller auf einer Messe viele interessierte Messebesucher an, andererseits führen hohe Besucherzahlen dazu, dass viele Autohersteller als Aussteller auf der Messe präsent sind.

Damit eine Plattform auf einem zweiseitigen Markt erfolgreich sein kann, müssen beide Kundengruppen der Plattform parallel entwickelt werden - vor allem dann, wenn das Geschäftsmodell darauf aufbaut, dass beide Seiten für ihre erhaltene Leistung bezahlen müssen.

Beide Kundengruppen parallel entwickeln

Die Berücksichtigung beider Seiten ist aber auch dann notwendig, wenn nur eine Kundengruppe auf dem zweiseitigen Markt zahlen muss. Als exemplarisches Beispiel können Adventmärkte angeführt werden. In diesem Fall zahlen nur die Anbieter, das heißt die Standbesitzer an den Betreiber des Adventmarkts (die Plattform), ein Entgelt. Die Marktbesucher selbst zahlen für ihren Besuch im Regelfall nicht. Obwohl in diesem Fall nur von einer Seite bezahlt wird, müssen beide Märkte entwickelt werden. Die Marktkaufleute werden nur dann wieder einen Stand buchen, wenn es ausreichend (konsumfreudige) Besucher gibt. Andererseits werden die Besucher nur dann wiederkommen, wenn es ausreichend Marktstände gibt.

Ein zentrales Marketingproblem für eine Plattform ist die Lösung dieses Henne-Ei-Problems. Ohne Teilnehmer der einen Kundengruppe wird es keine Teilnehmer der anderen Kundengruppe geben. Die Lösung erfolgt in der Regel durch eine Sukzessivpolitik, wobei versucht wird, beide Kundengruppen Schritt für Schritt - die First Mover an der Spitze - hochzufahren. Für eine längerfristige Expansion/Bindung muss ein Gleichgewicht zwischen beiden Kundengruppen hergestellt werden.

Beispiel Zahlungsverkehr

Im Bankgeschäft gibt es eine Reihe von zweiseitigen Märkten, bei denen eine Plattform eingeschaltet ist. Der bedeutendste derartige Markt ist der komplexe Zahlungsmarkt. Auf der einen Seite ist die kartenausgebende Bank (Issuer) und auf der anderen die händlerabrechnende Bank (Acquirer). Dazwischen steht ein Zahlungssystem, meist Mastercard oder Visa, als Plattform.

Der Issuer gibt Karten eines Zahlungssystems aus, die im weltweiten Netz der Plattform eingesetzt werden können und rechnet dessen Transaktionen ab. Erhält dafür im einseitigen Markt mit seinem Kunden, dem Karteninhaber, ein Entgelt. Der Acquirer wirbt Händler für ein Schema und rechnet dessen Transaktionen (gegen ein Entgelt im einseitigen Markt mit seinem Kunden, dem Händler) mit Karteninhabern dieses Schemas ab. Die Plattform, die diese Transaktionen ermöglicht, erhält von Issuern und von Acquirern ein Entgelt. Sie wird umso erfolgreicher sein, je erfolgreicher die ihr zuarbeitenden Issuer und Acquirer sind.

Ähnlich ist es beim Bargeldbezug an Geldautomaten. Die Standortbank erbringt die Dienstleistung "Bargeldauszahlung" an ihrem Geldautomaten bankübergreifend typischerweise über eine Plattform für den Issuer. Sowohl auf dem Zahlungs- als auch auf dem Geldautomatenmarkt gilt: Je mehr Karten ausgegeben wurden und je mehr Händler/Geldautomaten diese Karten akzeptieren, desto mehr Transaktionen wird es geben.

Durch die Digitalisierung neu definiert

Die Digitalisierung hat die Plattform-Ökonomie neu definiert und revolutioniert. Die Anzahl der Plattformen ist stark gewachsen und wird in den nächsten Jahren noch größer werden.

Eine der ersten weltweit erfolgreichen Plattformen war Ebay. Auf Ebay konnte jeder, der im Internet etwas verkaufen wollte, seine Produkte anbieten. Die Plattform wurde rasch ein Erfolg und existiert bis heute. Nahezu alles was man kaufen will, kann dort gekauft werden. Es handelt sich dabei um einen einseitigen Markt auf dem der Händler an seinen Kunden verkauft. Diese Plattform wird (ähnlich wie der Adventmarkt) nur vom Händler finanziert. Parallel zur Entwicklung des digitalen Plattformgeschäfts hat Ebay eine - fast - perfekte Zahlungsform für das E-Business (Paypal) entwickelt. Paypal wurde zwischenzeitlich abgespalten und ist heute eine der - wenn nicht die erfolgreichste - Zahlungsform im Internet.

Die bekannteste und größte digitale Plattform im Internet ist Amazon. Ursprünglich hat Amazon über seine aufgebaute Plattform nur Bücher verkauft (einseitiger Markt). Aufgrund des großen Erfolgs dieser Verkaufsform sind immer mehr andere Produkte dazugekommen.

In weiterer Folge ergänzte Amazon seine Produktpalette um zahlreiche weitere Produkte unterschiedlichster Produktkategorien. Aber nicht mehr auf einem einseitigen (eigenen) Markt, sondern über eine modifizierte eigene Plattform. Auf einem zweiseitigen Markt können selbstständige Händler die bestehende Plattform von Amazon nutzen, um ihre Produkte oder Dienstleistungen anzubieten. Für die Nutzung der Plattform wird von den Händlern eine Gebühr an Amazon bezahlt.

Neben dieser umfassenden Produktplattform hat sich eine große Zahl von Spezialplattformen entwickelt, sowohl für Produkte, die einen physischen Versand nach sich ziehen, als auch für Plattformen, wo die Dienstleistung virtuell zur Verfügung gestellt wird (zum Beispiel eine Software, ein Gutschein, eine Reservierung oder eine Buchung). Derartige Plattformen sind beispielsweise Uber, ein Vermittler von "Taxi"fahrten, Airbnb, ein Vermittler von Privatunterkünften oder booking.com, ein Vermittler von Hotelzimmern. Entgelt für die Plattformnutzung zahlen bei diesen Beispielen nur die Unternehmen, die die entsprechende Dienstleistung erbringen.

Plattformen können aber nicht nur zwei, sondern auch mehr Kundengruppen zusammenbringen. Facebook bringt zum Beispiel durch seine Plattform vier Gruppen zusammen: User von sozialen Netzwerken, Werbetreibende, App-Entwickler und Anbieter von Nachrichten und anderen Inhalten. Die Plattform wird durch wechselseitige Netzwerkeffekte unterstützt (unterschiedliche Kundengruppen werden voneinander angezogen) - ähnliches gilt für die Plattform von Google.

Bankdienstleistungen über Amazon?

Was Bankprodukte/-dienstleistungen betrifft, so können diese auch über digitale Plattformen angeboten und nachgefragt werden. Was auf der Homepage einer Bank virtuell "verkauft" wird, kann auch über Plattformen von Dritten angeboten werden. Dies ist unter Beachtung gesetzlicher und regulatorischer Bestimmungen für Kreditkarten, die Zahlungsakzeptanz, Einlagen in Form von Tages- oder Festgeld oder Kredite problemlos realisierbar.

Amazon würde vermutlich genug Banken finden, die ihre Produkte über die Amazon-Plattform anbieten. In Folge könnte der potentielle Kunde ähnlich wie zum Beispiel bei Elektronikgeräten aus einer Vielzahl von Anbietern wählen, die unterschiedlichen Angebote vergleichen und das auswählen, was seinen Wünschen am besten entspricht.

Vertriebskanal im Privat- und Firmenkundengeschäft

Da die digitale Transformation stark voranschreitet, müssen sich Banken (ähnliches gilt auch für Versicherungen) auf die neuen Formen der digitalen Plattformökonomie einstellen und überlegen, ob sie ihre Produkte auf einer oder mehreren Plattformen, die entweder Bankprodukte zusammen mit anderen Produkten anbieten (Universalplattformen) oder die nur Bankprodukte unterschiedlicher Banken anbieten (Banking-Plattformen) zum Kauf anbieten wollen oder nicht. Der Erlös aus dem Verkauf der Produkte geht an die anbietende Bank, der Plattform ist jedoch ein Entgelt für die Vermittlung (und für Abhandlung von Regularien) zu bezahlen.

Dieses Geschäftsmodell ist vergleichbar mit Amazon. Für den Erfolg dieser digitalen Plattformen gilt, dass die Produkte klar und verständlich präsentiert werden müssen und die zugehörigen Prozesse einfach genutzt werden können. Die Nutzung der Plattformen als Vertriebskanal kann im Privatkundengeschäft, aber auch für ausgewählte Produkten bei Geschäftskunden genutzt werden.

Dr. Ewald Judt ist Honorarprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien, ewald.judt[at]wu.ac[dot]at

Dr. Claudia Klausegger ist Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien, claudia.klausegger[at]wu.ac[dot]at

Dr. Claudia Klausegger , Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien
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