Digitalisierung

Begrenztes Ertragspotenzial

Priorität von Initiativen, um zusätzlichen Ertrag zu generieren. (Skala von 1 geringe Priorität bis 6 = hohe Priorität) Quelle: Roland Berger Retail Banking Report Germany

Bis zu 30 Prozent ihrer Erträge könnten Retailbanken an digitale Wettbewerber verlieren, wenn sie die eigene Digitalisierung nicht vorantreiben. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie "Executive Retail Banking Survey: Digital Transformation" von Roland Berger, basierend auf einer Umfrage unter 65 europäischen Banken, darunter neun deutschen Finanzinstitute. Wenn es um Kontoeröffnungen oder Kreditkartenanträge über Online- oder Mobile-Kanäle geht, haben deutsche Banken zwar bereits ein besseres Leistungsspektrum als europäische Banken, meint Studienleiter Wolfgang Hach. Allerdings erschweren hohe regulatorische Anforderungen, manuelle Prozesse und veraltete Systeme eine schnelle Abwicklung oder den Abschluss von komplexeren Finanzgeschäften, wie Versicherungsabschlüsse oder Kreditverträge. Auch hier erwarten Kunden jedoch die gleiche schnelle, flexible und zuverlässige Abwicklung ihrer Geschäfte wie bei Online-Händlern.

Nicht als Umsatztreiber gesehen

In der ersten Welle der Digitalisierung haben sich deutsche Banken vor allem auf einfache Produkte fokussiert. Die daraus gesammelten Kundendaten werden allerdings nur unzureichend genutzt, um Produkte oder Services weiter zu verbessern. So analysieren nur rund 45 Prozent der deutschen Banken permanent das Online-Verhalten ihrer Kunden. Wechselt ein Kunde von der Filiale zum Online-Banking, werden seine historischen Daten kaum weiterverwendet. Wenn es darum geht, vorhandene Kundendaten systematisch auszuwerten und die Organisation für neue, digitale Produkte fit zu machen, ist der Nachholbedarf somit groß.

Um die Digitalisierung dennoch voranzutreiben, gründen Banken digitale Innovationszentren oder beteiligen sich an Unternehmen mit digitalen Geschäftsmodellen. Deutsche Banken sind allerdings im Vergleich zu anderen europäischen Banken zurückhaltender und haben erst spät mit solchen Initiativen begonnen. Sie können daher noch nicht einschätzen, ob sich solche Investitionen wirklich lohnen.

Ein Drittel der befragten Banken investiert derzeit bis zu 20 Prozent ihres IT-Budgets in Digitalisierung. Verglichen mit anderen Branchen ist der Anteil noch gering. Dies liegt auch an den steigenden regulatorischen Anforderungen, die hohe Investitionen in bestehende oder neue IT-Systeme erforderlich machen. Zudem sehen die Studienteilnehmer in der Digitalisierung weniger einen zusätzlichen Umsatztreiber als vielmehr eine Ergänzung zum traditionellen Geschäft. Die Vorteile der Digitalisierung verorten sie primär auf der Ertragsseite. Denn im derzeitigen Niedrigzinsumfeld mit sinkenden Margen können durch Digitalisierung der Prozesse Kosten gesenkt und somit die Cost Income Ratio verbessert werden.

Ein Drittel der befragten deutschen Banken rechnet mit Umsatzzuwächsen von weniger als zwei Prozent - europaweit sind es nur 18 Prozent. Mit dieser zurückhaltenden Einschätzung liegen die Deutschen vielleicht gar nicht so falsch. Auch Roland Berger spricht von einem wachsenden Realismus hinsichtlich des begrenzten Ertragspotenzials der Digitalisierung.

Denn Kunden mit innovativen Angeboten so zu überzeugen, dass sich darüber Neukunden gewinnen oder das Potenzial von Bestandskunden besser ausschöpfen lässt, dürfte eine gewaltige Herausforderung sein. Viel wahrscheinlicher werden neue digitale Angebote lediglich dazu beitragen, die Kundenzufriedenheit zu erhöhen und so die Abwanderung zu neuen Wettbewerbern bremsen. Das globale Investitionsvolumen in Fintech-Unternehmen lag Ende 2014 bei über 10 Milliarden US-Dollar und hat sich damit innerhalb eines Jahres fast verdreifacht. Und durch die digitalen Geschäftsmodelle der neuen Wettbewerber könnten europäische Banken zwischen 20 bis 30 Prozent ihrer Erträge sowie den Zugang zu online-affinen Kunden verlieren, wenn sie nicht reagieren.

Sieben Empfehlungen für eine erfolgreiche Transformation

Angesichts der Herausforderung, die Geschäftsmodelle schnell anzupassen, gibt die Studie 7 Empfehlungen für eine erfolgreiche Transformation.

1. Gezieltere Kundenansprache: Durch Auswertung des Kundenverhaltens über alle Kanäle (online, mobil, Filiale) können Kundenbedürfnisse besser gefiltert und so der ideale Zeitpunkt für eine individuelle Kundenansprache identifiziert werden. Denn 56 Prozent der befragten deutschen Kreditinstitute (europaweit 41 Prozent) unterbreiten ihren Kunden weniger als 3 personalisierte Angebote im Jahr.

2. Entwicklung alternativer Wege zur Kundengewinnung: Die Neukundengewinnung ist in den letzten Jahren sehr schwierig geworden. Banken müssen daher innovative Ideen entwickeln, um Neukunden mit einfachen und digitalisierten Produkten zu überzeugen.

3. Identifikation neuer Umsatzquellen: Es reicht nicht aus, Geschäftsmodelle zu optimieren. Banken müssen auch ihr Wachstum vorantreiben und neue Geschäftsfelder erschließen.

4. Aufbau eines digitalen Ökosystems: Durch Kooperationen mit branchenfremden digitalen Playern oder Fintech-Unternehmen bekommen Banken direkten Zugang zu innovativen Ideen und lernen die Denkweise der "Digital Natives".

5. Fehler als Chance begreifen: Fehler müssen erlaubt sein, denn nur so können sich Organisationen in dem sich ständig ändernden digitalen Umfeld weiterentwickeln.

6. Neudefinition des Kundenservice: Digitalisierung ermöglicht eine neue Art des Kundenservice. Um diese Chancen nutzen zu können, muss ein radikaler Kulturwandel in den Banken stattfinden.

7. Digitalisierung aller Prozesse: Die Digitalisierung muss entlang der gesamten Wertschöpfungskette bis hin zum Back Office stattfinden, damit auch komplexe Finanzprodukte schnell und zuverlässig abgewickelt werden können.

Das alles ist zweifellos richtig und wichtig. Dennoch bleiben am Schluss Zweifel, ob es Banken wirklich gelingen kann, durch die Digitalisierung ihre Erträge zu steigern. Bei allem Bemühen um Kooperation mit Fintechs und durch Anpassung an deren Arbeitsweise (Stichwort "agiles Arbeiten") dürften die neuen Wettbewerber fast immer die Nase vorn haben - weil sie meist keine großen Organisationen sind, die erst an die neuen Gegebenheiten angepasst werden müssen, und weil sie - politisch gewollt - weit weniger regulatorische Vorgaben einhalten müssen, als dies Banken und Sparkassen vorgegeben ist. Denn wie dringlich Fortschritte bei der Digitalisierung auch sein mögen: Compliance hat nun einmal Vorrang und bindet Ressourcen. Zudem stehen Kreditinstitute weit mehr im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit als viele der neuen Technik-Kreativschmieden. Wenn sie also beispielsweise Kundendaten besser auswerten wollen, um die daraus gewonnenen Erkenntnisse für innovative Services mit Mehrwert für den Kunden nutzen zu können, dann müssen sie in besonderer Weise prüfen, ob und welche Einwendungen Datenschützer dagegen erheben können.

Erhalten des Status quo realistischer

Mag sein, dass die Branche aufgrund von Erfahrungen aus der Vergangenheit hier eher zu viele als zu wenige Skrupel hat und diese vielleicht teilweise ad acta legen müsste. Es wird aber eine Gratwanderung sein, abzuwägen, wie weit man an dieser Stelle gehen kann, ohne die positiven Effekte durch negative Imageeffekte zunichte zu machen, die sich aus medienwirksamer Kritik von Daten- oder Verbraucherschutzorganisationen ergeben könnten.

Das alles heißt: So sehr Kreditinstitute versuchen werden, sich die Arbeits- und Denkweise der Fintechs zu eigen zu machen, so kreativ und schnell sie in Sachen innovativer Angebote auch werden mögen: Die Entwicklung solcher Innovationen, die in großem Stil Neukunden anziehen oder für die Kunden sogar bereit sein werden, etwas zu bezahlen, wird ihnen nur in den wenigsten Fällen gelingen. Mit der Digitalisierung tatsächlich Geld zu verdienen, mag das Ziel sein. In der Praxis jedoch werden viele Institute froh sein, wenn es gelingt, die von Roland Berger prognostizierten Ertragseinbrüche durch die Geschäftsverlagerung zu neuen Wettbewerbern einzudämmen. sb

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