Alterssicherungsbericht zeigt Defizite

Einmal pro Legislaturperiode legt das Bundeskabinett einen Alterssicherungsbericht vor, der den jährlich veröffentlichten Rentenversicherungsbericht ergänzt. Das hat die Bundesregierung am 25. November 2020 für die laufende Legislaturperiode getan.

Dass das Fazit von Bundesarbeits- und Sozialminister Hubertus Heil erwartungsgemäß positiv ausfällt, ist nicht nur der Tatsache zu verdanken, dass in einem Jahr die nächste Bundestagswahl ansteht, sondern ist zum Teil auch darauf zurückzuführen, dass die wirtschaftliche Entwicklung bis zum Einbruch durch die Corona-Krise ausgesprochen positiv verlaufen ist.

Heutige Rentner gut versorgt

So betrugen die monatlichen Haushaltsnettoeinkommen aller Ehepaare und Alleinstehenden im Alter ab 65 Jahren 2019 im Durchschnitt 2 207 Euro und sind von 2015 bis 2019 um 14 Prozent gestiegen. Da die Preise für die Lebenshaltung im gleichen Zeitraum nur um 5,3 Prozent gestiegen sind, zeigt sich hier ein deutlicher realer Einkommenszuwachs, der in etwa dem Einkommenszuwachs in der Gesamtbevölkerung entspricht.

Das durchschnittliche Haushaltsnettoeinkommen von älteren Ehepaaren liegt bei monatlich 2 907 Euro, das von alleinstehenden Männern bei 1 816 Euro. Alleinstehende Frauen haben mit 1 607 Euro im Durchschnitt 206 Euro weniger zur Verfügung.

Die heutige Rentnergeneration, so das Fazit des Alterssicherungsberichts, ist überwiegend gut versorgt. Nur gut 3 Prozent der 65-Jährigen und Älteren nehmen Leistungen der Grundsicherung im Alter in Anspruch. Dabei ist der Anteil der Bezieher von Grundsicherung unter ehemals Selbstständigen mit 4,2 Prozent deutlich höher als unter ehemals abhängig Beschäftigten (2,5 Prozent). Hier zeigt sich ein erster Ansatzpunkt für eine Reform - aber auch für Finanzberater die Selbstständige stärker für die Notwendigkeit der Altersvorsorge sensibilisieren müssen, wenngleich das gerade bei Selbstständigen mit niedrigem Einkommen nicht immer einfach sein dürfte.

In der betrieblichen Altersvorsorge ist die Zahl der aktiven Anwartschaften bis Ende 2019 in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst auf 21 Millionen gestiegen. Knapp 54 Prozent der Arbeitnehmer verfügen über eine betriebliche Altersvorsorge. bAV und Riester zusammengenommen, verfügen insgesamt rund 66 Prozent der Beschäftigten über eine zusätzliche Altersvorsorge neben der gesetzlichen Rente. Allerdings zeigt sich auch, dass gut die Hälfte der Geringverdiener bisher nicht zusätzlich für das Alter vorsorgt.

Der Einkommensanteil der betrieblichen beziehungsweise privaten Vorsorge macht mit 8 beziehungsweise 7 Prozent einen eher kleinen Teil ihres Bruttoeinkommensvolumens aus. Dieser Anteil wird aber aufgrund der höheren Verbreitung der zusätzlichen Vorsorge bei den heute Beschäftigten in der Zukunft an Bedeutung gewinnen, so der Bericht.

bAV-Verbreitungsquote gesunken

Das setzt freilich voraus, dass es vor allem bei der Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge weiter vorangeht. Und danach sieht es derzeit nicht aus - zumindest nicht in dem Maße, wie es vermutlich erforderlich wäre.

Die Zahl der aktiven Anwartschaften auf eine betriebliche Altersversorgung ist zwar seit den Reformen im Jahr 2001 deutlich gestiegen - allerdings ist dieses Wachstum, ausgehend von 14,6 Millionen Anwartschaften, weitestgehend in den Jahren 2001 bis 2005 erfolgt und hat in den letzten Jahren deutlich an Dynamik verloren. Seit Ende 2015 bis Ende 2019 war nur noch ein Anstieg von 20,1 auf 21,0 Millionen laufende Verträge zu verzeichnen. Und selbst diese Anzahl ist noch zu relativieren. Denn da Personen mehrere bAV-Anwartschaften haben können, liegt die Anzahl der Beschäftigten mit aktiven Anwartschaften auf betriebliche Altersvorsorge bei rund 18,2 Millionen Beschäftigten.

Weil sich der Arbeitsmarkt in den letzten Jahren jedoch dynamischer entwickelt hat als das bAV-Geschehen, ist die Verbreitungsquote, das heißt der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit einer betrieblichen Vorsorge an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, von rund 56,2 Prozent im Jahr 2015 auf rund 53,9 Prozent im Jahr 2019 zurückgegangen. Dies führt der Alterssicherungsbericht zum einen darauf zurück, dass der Beschäftigungsaufbau überwiegend nicht in den Bereichen erfolgte, die eine hohe Verbreitung der bAV aufweisen. Zum anderen gehe die Aufnahme einer neuen Beschäftigung nicht unmittelbar mit der Teilnahme an einer bAV einher. Die Daten der Verdienststrukturerhebung des Statistischen Bundesamts zeigen einen klaren Zusammenhang zwischen der Verbreitung der Entgeltumwandlung und der Dauer der Unternehmenszugehörigkeit.

Nichtsdestotrotz sieht es nicht danach aus, als habe die große Koalition ihr Ziel, hier zu einer nachhaltigen Verbesserung der Versorgung zu kommen, nicht erreicht. Auch der Alterssicherungsbericht hält fest: Namentlich Geringverdiener sorgen noch immer zu wenig fürs Alter vor.

Corona bringt bAV ins Stocken

Das Jahr 2020 hat unter dem Eindruck der Corona-Pandemie die unter anderem vom Betriebsrentenstärkungsgesetz erhofften Impulse sicher nicht gebracht. Beispielsweise berichtet Frank Kettnaker, Vorstand der Alte Leipziger, dass viele bAV-Projekte im Corona-Jahr verschoben wurden. Auch das Neugeschäft sei ins Stocken geraten, da dieses Geschäft "vor Ort verkauft" werde, wie es Kettnaker formuliert. Auch wenn er davon ausgeht, dass diese Delle nach dem Ende der Pandemie wieder aufgeholt werden wird, bleibt der Handlungsdruck für die Politik weiterhin hoch.

In diesem Kontext war die diesjährige Empfehlung der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) an das Bundesfinanzministerium vermutlich kein Geschenk, das die Verantwortlichen gern entgegengenommen haben. Denn die Aktuare haben sich in diesem Jahr nicht auf eine Empfehlung in Sachen Höchstrechnungszins beschränkt, sondern eine grundlegende Neuausrichtung der Altersvorsorge empfohlen.

Abschaffung der 100-Prozent-Garantie bei bAV und Riester?

Der Höchstrechnungszins für Neuverträge in der Lebensversicherung, der seit 2017 bei 0,9 Prozent liegt, soll nach den Vorstellungen der DAV zum 1. Januar 2022 auf 0,25 Prozent gesenkt werden - eine Empfehlung, der die Politik vergleichsweise leicht folgen kann. Zudem plädiert die DAV jedoch auch dafür, zusammen mit der Absenkung des Höchstrechnungszinses auch den vollständigen Beitragserhalt bei der Riesterrente sowie der Beitragszusage mit Mindestleistung in der betrieblichen Altersversorgung (BZML) zu reformieren und die Garantien abzusenken. Diese Forderung ist an sich nicht neu. Damit bewegen sich die Versicherungsmathematiker in guter Gesellschaft. Allerdings setzen sie die Politik unter zeitlichen Druck. Denn damit eine geordnete Umsetzung zum Jahreswechsel 2021/2022 erfolgen könne, müsse der Gesetzgeber aufgrund der Komplexität des notwendigen Reformprojekts für die Unternehmen "unbedingt bereits im Laufe des 1. Quartals 2021" eine Entscheidung treffen.

Begründet wird dieser Zeitdruck damit, dass die mit einer solchen Reform verbundenen tiefgreifenden Veränderungen eine Neukalkulation der gesamten Produktpalette erfordern, die nun einmal Zeit braucht. In der Vergangenheit haben die Unternehmen allein für die Umstellung des Höchstrechnungszinses je nach Größe und Produktbreite 1 000 bis 5 000 Personentage investieren müssen, so der DAV-Vorstandsvorsitzende Dr. Guido Bader.

Erfahrungsgemäß folgt der Bundesfinanzminister bei der Empfehlung in Sachen Höchstrechnungszins nicht immer der Empfehlung der Deutschen Aktuarvereinigung. Von deren dringendem Plädoyer für eine grundlegende Reform bei Riester und bAV wird sich die Politik umso weniger unter Druck setzen lassen. Der Tatsache, dass die Stimmen, die eine Absenkung der hier geforderten Beitragsgarantien fordern, immer zahlreicher werden, wird man sich in Berlin allerdings auf Dauer nicht verschließen können.

Kein Schnellschuss

Ob man deshalb dort so schnell zu einer Entscheidung kommt, wie es sich die Aktuare vorstellen, darf allerdings bezweifelt werden - nicht nur wegen Corona. Denn natürlich müssen bei einer Abkehr von der Beitragsgarantie auch die möglichen Konsequenzen für die Vorsorgebereitschaft der Deutschen in den Blick genommen werden.

Gerade bei den Geringverdienern, um die es bei der Verbesserung der Versorgungslage im Alter vor allem geht, könnte eine Reform, wie sie nicht nur die Aktuare fordern, womöglich unerwünschte Nebeneffekte mit sich bringen: Denn wer sich nicht sicher sein kann, im Rentenalter wenigstens die eingezahlten Beiträge wieder herauszubekommen, der wird sich möglicherweise auch von dem Versprechen einer statistisch höheren Rendite nicht locken lassen. Das gilt vermutlich umso mehr bei jenen, bei denen das Geld ohnehin knapp ist und die Eigenbeiträge für die Altersvorsorge nur schwer zu leisten sind, und zwar für die Entgeltumwandlung ebenso wie für Riester.

Ohne die Abkehr vom hundertprozentigen Beitragserhalt wenigstens durch eine spürbar höhere staatliche Förderung der Zusatzvorsorge zu flankieren, wird eine solche Reform die Akzeptanz für Riester und die Vorsorgebereitschaft deshalb wohl nicht in dem Maße steigern, wie es erforderlich wäre, um dem wachsenden Problem der Versorgungslücke zu begegnen. Dann hätte man damit zwar vielleicht den Versicherern einen Gefallen getan, das Ziel der Reform jedoch trotzdem verfehlt.

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