Alterssicherungspolitik - Gefahr im Verzug

Seit dem Frühjahr steht gefühlt alles Tun im Zeichen der Corona-Krise. Reaktionen auf die Pandemie haben Priorität, vieles andere bleibt unerledigt. Wenn es sich dabei um Angelegenheiten handelt, um die man sich längst hätte kümmern sollen, ist das umso schlimmer.

Ein solches Thema ist im politischen Berlin die Rentenpolitik. Darauf verweist das Deutsche Institut für Altersvorsorge (DIA) und richtet an Bundesregierung und Gesetzgeber die Mahnung, unerledigte Rentenprojekte nicht aus den Augen zu verlieren. Denn der Koalitionsvertrag enthält zwar noch eine Reihe offener Punkte zur Alterssicherung. In der gegenwärtigen politischen Diskussion spielen sie jedoch kaum noch eine Rolle.

Warten auf Gesetzesentwürfe

Als Beispiel nennt das DIA den geplanten Schutz jener Selbstständigen, die nicht bereits anderweitig obligatorisch abgesichert sind, zum Beispiel über berufsständische Versorgungswerke. Für sie sieht der Koalitionsvertrag die Einführung einer Vorsorgepflicht mit der Wahlmöglichkeit zwischen gesetzlicher Rentenversicherung und anderen geeigneten insolvenzsicheren Vorsorgearten vor. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hatte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales nach bereits mehrmaligen Verschiebungen für das erste Halbjahr 2020 angekündigt. Daraus geworden ist bislang nichts.

Punkt zwei ist die Reform der Riester-Rente. Die Verbände der Finanzwirtschaft haben der Bundesregierung schon vor Monaten einen Vorschlag hierzu unterbreitet. Mit Blick auf einen Gesetzesentwurf gilt allerdings auch hier: Fehlanzeige. Wenn die Reform noch in der laufenden Legislaturperiode gelingen soll, müsse dieser jedoch bis spätestens Dezember 2020 vorliegen und ohne Verzögerung im Frühjahr 2021 verabschiedet werden, meint DIA-Sprecher Klaus Morgenstern. Das scheint aktuell aber wenig realistisch.

Weitere offene Punkt des Koalitionsvertrags in Sachen Rentenpolitik sind die Nachschärfung der Flexi-Rente, damit verbesserte Anreize zum längeren freiwilligen Arbeiten gesetzt werden, sowie die Einrichtung eines Fonds, mit dem Härtefälle abgefedert werden sollen, die im Zuge der Überleitung von Ostrenten entstanden sind. Das alles noch vor der nächsten Wahl umsetzen zu wollen, ist wohl aussichtslos.

"Ausrede" Corona

Mit der Corona-Pandemie und all dem, was in diesem Kontext Vorrang hatte, hat die Politik zwar aktuell eine gute Begründung für diese Versäumnisse an der Hand. Das ändert allerdings nichts daran, dass die Legislaturperiode in Sachen Alterssicherungspolitik - wieder einmal - kaum genutzt wurde. Denn hätte man sich der Thematik früher angenommen, anstatt erst einmal eine überlang beratende "Rentenkommission" einzusetzen, dann hätte vieles schon vor der Verbreitung von Covid-19 in trockenen Tüchern sein, sprich in einen gesetzlichen Rahmen gegossen sein können. Letztlich war es also nicht die Pandemie, die die im Koalitionsvertrag aus gutem Grund vorgesehenen Rentenprojekte "torpediert" hat, sondern vermutlich eher das Zaudern der Politik, sich einer Thematik anzunehmen, die zwar dringend ist, aber fast unvermeidlich auch mit unpopulären Entscheidungen verbunden sein wird und bei der jeder Fehler deutliche Folgen haben wird.

So verständlich dies auch ist. Durch die seit Jahren praktizierte Verzögerungstaktik in Berlin wird nichts besser. Schließlich besteht die Problematik der wachsenden Versorgungslücke im Alter angesichts tendenziell steigender Lebenserwartung und der demografischen Entwicklung unverändert fort. Die Tatsache, dass das Niedrigzinsumfeld uns auch wegen Corona wohl noch lange erhalten bleiben wird, verschärft die Dringlichkeit, Vorsorgekonzepte beziehungsweise die Rahmenbedingungen dafür anzupassen eher noch mehr.

Nicht mehr als eine Atempause

Natürlich haben viele Menschen in der derzeit eher unsicheren Lage ihre Altersvorsorge nicht ganz oben auf ihrer privaten Agenda - auch, weil das "Social Distancing" die persönliche Beratung erschwert, die oftmals den entscheidenden Impuls setzt. Gleiches gilt in einer Situation, in der es für viele Unternehmen um den Fortbestand geht, für die bAV.

Das ändert allerdings nichts am Handlungsbedarf für die Politik. Allenfalls wird das Zeitfenster für das politische Handeln ein Weilchen länger offen gehalten. Mehr als eine kurze Atempause ist das aber nicht. Sobald die Zeit der Unsicherheit vorbei ist und die Menschen sich finanziellen Angelegenheiten wie der Altersvorsorge wieder zuwenden, sollten die politischen Rahmenbedingungen festgezurrt sein. Schließlich haben die vergangenen Jahre - gerade bei Riester - nur zu deutlich gezeigt, dass die Abschlussbereitschaft schwindet, wenn immer nur über Mängel des bisherigen Systems gesprochen wird, aber weiterhin unklar ist, wohin die Reise stattdessen gehen soll.

So gesehen, könnte man beinahe sagen: Jede politische Weichenstellung ist besser als gar keine - wenngleich das Ringen der Politik um die bestmöglichen Entscheidungen natürlich aller Ehren wert ist. Mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz allein kann die Altersvorsorge in Deutschland jedoch nicht auf sichere Füße gestellt werden.

Das hat auch das Deutsche Aktieninstitut (DAI) einmal mehr angemahnt und dazu auf eine Studie der Unternehmensberatung Mercer zu internationalen Rentensystemen verwiesen, in der Deutschland nicht nur lediglich im Mittelfeld rangiert, sondern sich in der langfristigen Leistungssicherheit gegenüber dem Vorjahr sogar weiter verschlechtert hat. Wie das DAI empfiehlt auch die Mercer-Studie Deutschland die Ergänzung des umlagefinanzierten Systems mit kapitalgedeckten Modellen, um die langfristige Leistungssicherheit des deutschen Rentensystems mit Blick auf demografische Veränderungen zu steigern. Dazu muss sich die Politik aber irgendwann einmal durchringen - mit oder ohne Corona. Solange sie das nicht tut, bleibt Beratern nur, zu betonen, dass keine Entscheidung in Sachen Vorsorge so schlecht sein kann wie die, erst einmal gar nichts zu tun.

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