Altersvorsorge im Zinstief - der Handlungsdruck steigt

Wichtige Aspekte bei langfristigem Sparen und Altersvorsorge aus Verbrauchersicht (Angaben in Prozent, Mehrfachnennungen mögtlich) Quelle: VZBV/TNS Emnid, März 2016

Zum Weltverbrauchertag am 14. März haben die Verbraucherzentralen in diesem Jahr vor allem über die "Altersvorsorge im Zinstief" informiert. In diesem Kontext hat Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands e.V. (VZBV), Berlin, vier grundsätzliche Fragen aufgeworfen.

Da ist zum ersten die Frage, wie sich die Beratungsqualität zu Finanzanlagen sicherstellen lässt, die angesichts des sinkenden Rentenniveaus in der gesetzlichen Rentenversicherung bei gleichzeitigem Renditeschwund klassischer Spar- und Vorsorgeprodukte immer wichtiger wird.

Erwartungsgemäß kommt in diesem Kontext auch eine Reform der Beratung weg vom Provisionsvertrieb aufs Tapet. Darüber hinaus stellt Müller die Frage, ob ein Verbot von Provisionen, wie es Großbritannien und die Niederlande vorgemacht haben, wirklich ausreicht oder nicht vielmehr weitere Maßnahmen erforderlich sind. Denn klar ist: Jeder, der Beratung anbietet, muss in irgendeiner Weise auch daran Geld verdienen. Und daran, dass die klassischen Ertragsquellen von Banken und Sparkassen wegbrechen, ebenso wie die Geschäftsmodelle von Bausparkassen oder Versicherungen infrage gestellt werden, lassen auch Verbraucherschützer keinen Zweifel. Nur dürfe es eben nicht sein, dass letztlich den Verbraucher als den sprichwörtlichen Letzten die Hunde beißen - sprich, dass er allein für das die Zeche zahlen muss, was in der Vergangenheit in der Finanzwirtschaft, aber auch auf der Ebene der europäischen Staaten falsch gelaufen ist.

Genau das tut er schon heute: Nicht nur, weil er für sein Erspartes kaum noch Zinsen mehr erhält und deshalb einen realen Wertverlust hinnehmen muss, sondern auch weil die Lebensversicherung als immer noch am weitesten verbreitetes Vorsorgeprodukt in Deutschland immer weniger abwirft, sodass die tatsächlich gezahlte Rente damit weit hinter dem ursprünglich Prognostizierten zurückbleiben wird.

"Versprechen der Riester-Rente ist hinfällig"

Auch die staatliche Förderung der privaten Altersvorsorge ist aus Sicht der Verbraucherschützer schon lange kein optimales Konzept mehr. "Das Versprechen der Riester-Rente ist aus heutiger Sicht hinfällig", formuliert es Müller. Zu wenig genutzt, häufig zu teuer und zu wenig renditeträchtig, lauten die bekannten Vorwürfe. Dann stellt sich aber die zweite Frage: Muss man Riester für gescheitert erklären? Und wenn diese Frage bejaht wird - was wäre die Alternative? Könnte ein staatlich organisiertes, günstiges Basisprodukt wie die von Hessen in die Debatte geworfene Deutschlandrente ein Modell sein?

Drittens wird die Frage nach der Sicherheit von Vorsorgeprodukten gestellt. Sicherheit ist bekanntlich für einen Großteil der Verbraucher das Kriterium Nummer 1 für seine Entscheidungen. Immer wieder wird aber auch der Vorwurf erhoben, dass diese Sicherheit letztlich zum "Renditekiller" wird. Auch der VZBV stellt deshalb als drittes die Frage, ob man nicht einen ehrlichen Diskurs darüber führen müsse, welcher Nutzen oder Schaden von Garantien in der Altersvorsorge ausgeht, und ob Verbrauchern nicht eine Scheinsicherheit suggeriert wird, die sie am Ende mit einer unzureichenden Rendite in ihrer Altersvorsorge bezahlen. Auch dies zielt allen voran auf die Riester-Rente, aber auch auf die klassische Lebensversicherung.

Und es stimmt natürlich: Wo Anbieter zumindest die eingezahlten Beiträge garantieren müssen, da wird das Spektrum der Anlagemöglichkeiten kleiner und kann darum gerade aktuell auch weniger Rendite erzielt werden. Wenn allerdings 83 Prozent der Verbraucher ein möglichst geringes Verlustrisiko wünschen, werden Produkte, die stärker auf Rendite setzen, diesem Wunsch auch nicht voll gerecht. Ob also eine staatlich geförderte Vorsorge, bei der der Sparer ein Verlustrisiko trägt, auf deutlich höhere Akzeptanz stoßen würde als Riester, ist zumindest fraglich.

Kann Verbraucherbildung der sinkenden Sparneigung entgegenwirken?

Zum vierten fragt Müller nach den langfristigen Auswirkungen der Niedrigzinsphase auf die Sparbereitschaft. Kann Verbraucherbildung dem überhaupt noch entgegenwirken, wenn gleichzeitig klar wird, dass sogar die staatliche Rentenkasse und die Pflegeversicherung von Negativzinsen betroffen sind? Eine im März dieses Jahres im Auftrag des VZBV durchgeführte Verbraucherumfrage zum langfristigen Sparen und zur Altersvorsorge macht hier wenig Hoffnung: Fast genau so wichtig wie ein möglichst geringes Verlustrisiko ist den Verbrauchern die Möglichkeit, bei Bedarf schnell über die Ersparnisse verfügen zu können. Das widerspricht einerseits dem für die Altersvorsorge so wichtigen Langfristgedanken, zeigt aber andererseits in aller Deutlichkeit das geringe Vertrauen der Sparer in die Rahmenbedingungen, die ein solcher Langfristansatz braucht.

Dass in diesem Umfeld die Immobilie als Vorsorgemaßnahme stark in den Fokus rückt, schlägt sich längst in steigenden Marktpreisen nieder. Doch nicht einmal die Immobilie ist als Altersvorsorge schließlich so sicher, wie es den Anschein hat. Denn hier bergen die günstigen Konditionen die Gefahr, dass Finanzierungen zu knapp kalkuliert werden und Verbraucher in zehn oder 15 Jahren nach Auslaufen der Zinsbindung bei dann wieder höheren Zinsen in Schwierigkeiten geraten, die Restschuld zu finanzieren.

Verbraucherzentrale Hessen würdigt Vorschlag zur Deutschland-Rente

Die hessischen Ministerien für Wirtschaft, für Soziales und das hessische Finanzministerium haben zum Weltverbrauchertag einmal mehr ihren Vorschlag zur Deutschland-Rente erläutert. Die enorme Resonanz auf den erstmals im Dezember 2015 präsentierten Vorschlag zeige, dass man damit offenbar einen Nerv getroffen habe. Besonders engagiert sind die Verbraucherzentralen - sehen die Verbraucherschützer doch in diesem Ansatz eine Möglichkeit, Vorsorgesparern ein mit wenigen Kosten und im Vertrieb nicht mit einem Interessenskonflikt von Beratern belastetes Produkt anzubieten.

Die Verbraucherzentrale Hessen würdigt deshalb die Initiative der hessischen Minister Thomas Schäfer, Tarek Al-Wazir und Stefan Grüttner als wichtigen Beitrag zu einer überfälligen Reform der privaten Altersvorsorge. Bei einer Mitte März 2016 gestarteten Online-Umfrage der Verbraucherzentrale Hessen sprachen sich kurz nach Beginn (Stand 21. März) von 456 Teilnehmern allerdings nur 34 Prozent für ein einfaches, kostengünstiges, kapitalgedecktes und staatlich organisiertes Standardprodukt für die private Altersvorsorge aus, 19 Prozent wünschten keine Änderungen des Systems und 47 Prozent Verbesserungen bei der Riester-Rente.

Bereits im Jahr 2013 hatten die Verbraucherschützer in Hessen im Rahmen einer (nicht repräsentativen) Umfrage zum Thema Altersvorsorge auch nach einem staatlich verwalteten Bürgerfonds als Alternative zu den vielen geförderten Angeboten gefragt. Damals hatten 58 Prozent der Befragten ein solches Konzept befürwortet.

Wichtig bei einem solchen Bürgerfonds sind aus Sicht der Verbraucherschützer zum einen die Opt-out-Lösung, um die Wahlfreiheit der Verbraucher nicht einzuschränken und künftigen Begehrlichkeiten des Staates auf das angesammelte Vermögen einen Riegel vorzuschieben.

Als weiteren Aspekt hebt die Verbraucherzentrale Hessen die Frage der Entgeltumwandlung mit Sozialabgabenbefreiung hervor, weil dies zu einer geringeren gesetzlichen Rente führen kann. An dieser Stelle wird man aber vielleicht darüber diskutieren müssen, ob eine geringere gesetzliche Rente bei allen Unsicherheiten, die damit verbunden sind, aus Verbrauchersicht nicht zu verschmerzen ist, wenn dafür eine höhere Rente aus der Eigenvorsorge zu erwarten ist.

Dass die Entgeltumwandlung mit Sozialabgabenbefreiung natürlich auch das Umlagesystem schwächt, da dann für die derzeitig zu zahlenden Renten weniger Mittel zur Verfügung stehen, darf mit Blick auf die Sparer dabei sicher nicht die zentrale Rolle spielen. Sie wird es aber vermutlich dennoch, da eine entsprechende Entwicklung die Politik vor unattraktive Handlungsoptionen stellen würde. Entweder müssten die Mindereinnahmen durch einen höheren Steuerzuschuss ausgeglichen werden, was entweder zum Sparen an anderer Stelle zwingen würde oder Steuererhöhungen bedingen müsste. Oder der Beitrag zur Rentenversicherung müsste angehoben werden. Und damit würde die Sozialabgabenbefreiung bei der Entgeltumwandlung für die Beitragszahler im günstigsten Fall zum Nullsummenspiel, weil sie dann für eine niedrigere Rentenerwartung höhere Beiträge zu entrichten hätten. Bei ungünstigen Parametern allerdings befürchten Kritiker, ein "massenhaftes Opting-out wie in Italien. Dann wäre der Deutschlandfonds nur ein Konzept mehr, das von zu wenigen Arbeitnehmern genutzt wird und deswegen den großen Befreiungsschlag im Blick auf die drohende Altersarmut nicht liefern könnte.

Verunsicherung hält an

Das grundlegende Problem ist aber vielleicht ein anderes. In einem von Verunsicherung geprägten Umfeld tragen der hessische Vorstoß und die Diskussion darüber ganz sicher nicht dazu bei, den Bürgern Orientierung zu geben. Wer nicht weiß, wie die Politik in nächster Zukunft die Förderung von privater und betrieblicher Vorsorge regeln wird, der neigt dazu, erst einmal abzuwarten, bis die Rahmenbedingungen klar sind und sich abschätzen lässt, was sich für wen lohnt. Abwarten aber kann das Problem der Versorgungslücke nur vergrößern.

Heribert Karch, Geschäftsführer der Metallrente GmbH, Berlin, hat deshalb vermutlich recht, wenn er den hessischen Vorstoß im Licht der Koalitions-Periode als "Störer" bezeichnet, der all jenen in den Rücken fällt, die sich um einen noch in dieser Legislaturperiode umsetzbaren Weg bemühen. Schließlich werden schon im kommenden Jahr Debatten nur noch im Lichte der anstehenden Wahlen geführt. Wenn es also nicht bald gelingt, das Thema Vorsorge neu zu ordnen, wird weiter wertvolle Zeit verloren - zum Schaden aller Beteiligten. sb

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