Neue Argumentationshilfe für die Riester-Reform: Mehr Chancen bedeuten nur wenig mehr Risiko

Lange Zeit war es nahezu ein Tabu, an die Garantien in der Altersvorsorge zu rütteln. Das hat sich durch die Zins politik der Europäischen Zentralbank gründlich geändert. Denn längst geht es nicht mehr nur um die Frage, ob sich angesichts der Kosten für die Garantien noch eine attraktive Ren dite erwirtschaften lässt, sondern - viel grundsätzlicher - darum, dass sich die Garantie eines vollständigen Beitragserhalts wirtschaftlich überhaupt nicht mehr darstellen lässt. Ohne ein Ende dieser Vorgabe bei Riester droht das Ende dieser Produktkategorie. Das hat die Assekuranz inzwischen mehr als deutlich gemacht.

Den Kunden der deutschen Lebensversicherer werden die neuen Tarifgenerationen mit unterschiedlichen Garantieniveaus deutlich unterhalb der 100 Prozent mit den Chancen auf mehr Rendite schmackhaft gemacht. Selbst die genossenschaftliche R+V, die das Fähnchen der klassischen Garantie im vergangenen Jahr noch hochgehalten hat, ist inzwischen auf die so genannte "neue Klassik" umgeschwenkt - und begründet das mit der Kundennachfrage.

Nagelprobe für die Branche

Dass sich die Kunden nach mehr Rendite sehnen, ist angesichts eines Garantiezins von nur noch 0,25 Prozent ab dem kommenden Jahr nur zu verständlich. Und genau damit werben die Versicherer für ihre neuen Tarifmodelle. Das Umfeld für die Anlage am Kapitalmarkt war in den vergangenen Jahren auch mehr als günstig. Ob sie das Versprechen auf eine letztlich höhere Rentenzahlung in der Auszahlungsphase dank der neuen Tarifmodelle tatsächlich einlösen können, mussten und konnten die Versicherer jedoch bislang nicht unter Beweis stellen. Insofern ist die Nachfrage nach der "Neuen Klassik" zum Teil wohl dem Rückzug der Anbieter aus diesem Geschäft geschuldet, zum anderen Teil der Überzeugungskunst der Vertriebe zuzuschreiben.

Die Bewährungsprobe, die in Zukunft über den Markterfolg entscheiden wird, steht indes noch aus. Die Chancen dafür, dass die Branche diese Nagelprobe wird bestehen können, stehen allerdings gut. Darauf deutet eine im März veröffentlichte Studie des Instituts für Finanz- und Aktuarwissenschaften (ifa), hin, die im Auftrag von Union Investment durchgeführt wurde und bei der ermittelt werden sollte, welche Auswirkungen eine Absenkung der Garantie auf die Chancen und Risiken der häufigsten Altersvorsorgeprodukte aus Verbrauchersicht hat. Die aktuell maximal darstellbare Garantiehöhe wurde vom ifa bei 90 Prozent der Beiträge berechnet und als Basiswert gesetzt. Erstmals wurden dabei auch die Auswirkungen der Inflation berücksichtigt - für den Kunden letztlich der entscheidende Punkt. Schließlich geht es nicht allein darum, welcher Betrag im Alter letztlich zur Auszahlung kommt, sondern auch um die Frage nach der Kaufkraft.

Was vielen Verbrauchern immer noch nicht klar ist: Hohe Garantien reduzieren zwar das Risiko, das aus Schwankungen der Aktienmärkte resultiert. Sie erhöhen aber zugleich das Risiko, das aus der Inflation resultiert. Die risikoreduzierende Wirkung der Garantien fällt inflationsbereinigt allerdings geringer aus als bei einer rein nominalen Betrachtung. Sicherheit und Garantie ist eben nicht dasselbe. Hier muss ein Umdenken stattfinden und vermutlich noch einiges an Kommunikations- und Finanzbildungsarbeit geleistet werden.

Unter Berücksichtigung unterschiedlicher Laufzeiten und Inflationsraten zeigt die Ifa-Studie zweierlei: Erstens eine Absenkung der Garantie bei Altersvorsorgeprodukten verbessert die Renditechancen deutlich, ohne das Risiko signifikant zu erhöhen. In manchen Fällen steigt das Risiko sogar gar nicht an. Bei niedrigen Zinsen und hoher Volatilität an den Märkten ist der Effekt besonders stark ausgeprägt. Eine hohe Garantie kann unter Umständen also sogar zu einer Erhöhung des realen Risikos führen. Zweitens die Absenkung der Garantie sollte jedoch nicht beliebig erfolgen. Denn ausgehend vom höchsten betrachteten Garantieniveau (90 Prozent) erzeugt ein Absenken der Garantie zunächst sehr viel und dann, bei weiterem Absinken des Garantieniveaus, immer weniger zusätzliche Rendite chancen. Das Risiko nimmt hingegen immer stärker zu.

Die Schwelle liegt bei 70 Prozent

Bei eher hohen Kursschwankungen bedeutet das konkret: Bis zu einem Garantieniveau von. 70 Prozent steigt die reale Chance deutlich stärker an als das reale Risiko. Bei einer weiteren Absenkung des Garantieniveaus erhöht sich dann aber das Risiko ähnlich stark oder sogar noch stärker als die Chance. Bei einem Garantieniveau von 70 Prozent scheint somit die Schwelle zu liegen, die - zumindest für sicherheitsorientierte Kunden - nicht unterschritten werden sollte. Der Vergleich mit dem Zinsniveau von Ende 2014 zeigt weiter: Damals hätte ein Absenken der Garantie (ausgehend von 100 Prozent) die Chancen deutlich weniger und das Risiko deutlich stärker erhöht als heute (ausgehend von 90 Prozent). Aktuell, so Studienautor Prof. Ruß, wäre eine 100-prozentige Garantie selbst dann nicht sinnvoll darstellbar, wenn die Anbieter alle Kosten halbieren würden.

Mit einer Absenkung der Kosten - etwa durch einen Deckel der Abschlussprovisionen - lässt sich das Problem der geringen Rentierlichkeit klassischer Versicherungsprodukte bestenfalls mindern, nicht jedoch lösen. Auch Ruß stimmt deshalb in den stetig anschwellenden Chor derjenigen ein, die eine diesbezügliche Reform bei der staatlich geförderten Altersvorsorge fordern. Bei der nicht geförderten privaten Vorsorge und der bAV (mit dem Sozialpartnermodell) wurde der Wechsel ja bereits eingeleitet.

Spannend wird es, sollte das Zinsniveau während der Laufzeit der jetzigen neuen Verträge kräftig ansteigen. Dann gilt es neu zu bewerten, wie mit Garantien umzugehen ist. Nach den Erfahrungen im Niedrigzinsumfeld scheint eine Rückkehr zur 100-Prozent-Beitragsgarantie allerdings kaum noch vorstellbar.

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