BETRIEBLICHE ALTERSVORSOGE

Niedrigzinsen verlangen nach regulatorischen Eingriffen

"Corona wird die betrieblichen Versorgungssysteme kurz- und mittelfristig zwar belasten, ihre Funktionsfähigkeit aber insgesamt nicht gefährden. Die langfristigen Wirkungen sind gravierender. Denn alles spricht dafür, dass Corona die Niedrigzinsen auf unabsehbare Zeit zementiert. Vor allem dagegen müssen die Systeme der betrieblichen Altersversorgung gestärkt werden." Zu dieser Einschätzung kommt Dr. Friedemann Lucius, Vorstandsvorsitzender des Instituts der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung e.V. (IVS), Zweigverein der Deutschen Aktuarvereinigung e.V. (DAV).

Die Corona-bedingten Todesfälle sind nach Auffassung des IVS statistisch nicht signifikant genug, um sich auf den langfristigen Trend zur Verlängerung der Lebenserwartung aller Versorgungsberechtigten auszuwirken. Auch die Volatilität an den Kapitalmärkten und mögliche Dividendenausfälle seien zwar schmerzlich, könnten als vorübergehende Effekte jedoch verkraftet werden. Sorge bereiten den Aktuaren dagegen die langfristigen Wirkungen eines Umfelds, in dem die tiefen Zinsen "auf unabsehbare Zeit zementiert werden", wie es Lucius formuliert.

Insolvenzsicherung durch Corona teurer

Den Trägerunternehmen empfiehlt das IVS daher, ihre Versorgungseinrichtungen mit zusätzlichen Eigenmitteln oder Garantieerklärungen auszustatten. Ansonsten drohten weitere Sanierungsfälle, die das Bild der bAV nachhaltig beschädigen könnten. Im Corona-Umfeld wird das vielen Unternehmen aber wohl nicht leichtfallen, zumal es Anzeichen dafür gibt, dass die bAV hinsichtlich der gesetzlichen Insolvenzsicherung durch die Corona-Krise spürbar teurer wird. Der Pensions-Sicherungs-Verein VVaG (PSVaG) als gesetzlicher Träger der Insolvenzsicherung geht für das Jahr 2020 von einem Beitragssatz von 4 bis 5 Promille auf die jeweilige Beitragsbemessungsgrundlage aus. 2019 lag dieser Satz bei 3,1 Promille, 2016 sogar bei 0 Promille.

Zinsmoratorium für HGB-Rechnungszins?

Das IVS und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) haben deshalb die Bundesregierung aufgefordert, den HGB-Rechnungszins für Pensionsverpflichtungen bis Ende 2022 einzufrieren und diese Zeit für eine grundlegende Überarbeitung des Ansatzes zu nutzen. Die gesetzliche Vorgabe, Pensionsrückstellungen für Direktzusagen mit einem durchschnittlichen marktwertnahen Zinssatz auf Basis der vergangenen zehn Geschäftsjahre, dem sogenannten HGB-Rechnungszins, abzuzinsen, so die Begründung, führt aufgrund des Niedrigzinstrends seit Jahren zu erheblichem Nachdotierungsaufwand für die Unternehmen. Allein bis Ende 2022 entstünden der deutschen Wirtschaft aus dem Absinken des HGB-Rechnungszinses ergebniswirksame Zusatzbelastungen von rund 80 Milliarden Euro.

Die Arbeitgeber brauchen in der aktuellen wirtschaftlichen Krise jedoch dringend wirtschaftliche Entlastung, so Stefan Oecking, der Stellvertretende Vorstandsvorsitzende des IVS. Noch wichtiger sei es jedoch, dass sie ihre Verpflichtungen mit einem sachgerechten Zins bewerten könnten, der allgemeinen handelsrechtlichen Grundsätzen entspricht. Das IVS kritisiert, dass die Bewertung der Pensionsverpflichtungen an die zum Teil erratische und volkswirtschaftlich kaum noch vernünftig nachvollziehbare Entwicklung der Kapitalmärkte geknüpft wird, ohne dass diese Kapitalmarktentwicklungen zu den erteilten Zusagen oder zur Geschäftstätigkeit der Unternehmen in irgendeiner Beziehung stünden.

Um eine sachgerechte und dauerhaft tragfähige Lösung für die Bewertung von Pensionsrückstellungen zu finden, fordern IVS und BDA, den HGB-Rechnungszins bis Ende 2022 als Option für die Unternehmen auf dem Niveau des 31. Dezember 2019 einzufrieren. Das Zinsmoratorium müsse genutzt werden, um gemeinsam mit den Sachverständigen, der Politik, der Finanzaufsicht, den Wirtschaftsprüfern und den Arbeitgeberverbänden einen neuen Ansatz für den HGB-Rechnungszins zu finden.

Garantieniveaus unterhalb des Beitragserhalts

Daneben sehen die Aktuare aber auch regulatorischen Handlungsbedarf, um die bAV-Systeme generationengerecht auszubalancieren. Durch die Niedrigzinsen, so die Begründung, kommt es zu erheblichen Mittelverschiebungen zwischen den unterschiedlichen Generationen von Versorgungsberechtigten. Der ständig steigende Finanzbedarf für alte Zusagen mit hohen Leistungsversprechen und hohen (Zins-)Garantien muss aus Überschüssen und zusätzlichen Mitteln gedeckt werden, die den jüngeren Generationen dann nicht mehr zur Verfügung stehen. Um dauerhafte Benachteiligungen der jüngeren Generationen zu vermeiden, brauche es deshalb mehr Flexibilität im Arbeits- und Aufsichtsrecht, beispielsweise wenn es darum geht, notleidende Bestände zu sanieren, ohne gleich die ganze Pensionskasse in den Abgrund zu ziehen. Auch die Frage nach der Höhe von Mindestleistungen müsse in diesem Zusammenhang gestellt werden.

Vorstellen können sich die IVS-Aktuare in der bAV Garantieniveaus deutlich unterhalb des Beitragserhalts. Nur dann sei es möglich, nennenswerte Teile des Beitrags risikoreicher, dafür aber mit Aussicht auf mehr Leistung anzulegen. Den Beschäftigten diesen Zusammenhang glaubhaft zu vermitteln, ist zwar eine gewaltige Herausforderung. Das gesteht Lucius ein. Es gehe aber darum, dem Gedanken zum Durchbruch zu verhelfen, dass weniger Garantie auch Aussicht auf mehr Leistung bedeuten kann.

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