Sachversicherung - neue Chancen durch die Digitalisierung

Die Sachversicherung befindet sich seit geraumer Zeit in einem tiefgreifenden Wandel - beim Abschlussverhalten, beim Schadenmanagement und beim Produktabschluss. 8 Prozent der Lebensversicherungen werden mittlerweile online verkauft (Prämien), bei den Sachversicherungen sind es bereits 10 Prozent. Und während in der Leben sparte der Online Anteil einer Bain Prognose zufolge auf 15 Prozent steigen wird, dürfte er in der Sachversicherung auf 23 Prozent des Prämienaufkommens anwachsen.

Die Assekuranz ist darauf nach Einschätzungen von Bain nur unzureichend vorbereitet. Fast die Hälfte der Unternehmen verfügt demnach über keinen realistischen Plan für den digitalen Wandel. So fehlen etwa 60 Prozent von ihnen wesentliche Elemente wie ein klares digitales Zielbild oder Compliance und Risikoprozesse.

Kfz Branche als Testfall

Und doch hat die Assekuranz die Herausforderung angenommen. Die Kfz Versicherung dient dabei in mancher Hinsicht als Testfall - zum einen deshalb, weil sie vergleichsweise gut standardisierbar ist, zum anderen jedoch aufgrund des gerade in dieser Sparte enormen Preiswettbewerbs, der die Branche dazu zwingt, Effizienzpotenziale zu heben.

Analog zum Ratenkredit bei den Bankprodukten ist die Kfz Versicherung dasjenige Produkt, bei dem Online Abschlussstrecken zuerst zum Quasi Standard wurden und bei dem die Online Abschlussquoten bis heute am höchsten sind.

Vorreiter war die Sparte auch bei der Individualisierung der Tarife, die in der Sachversicherung sehr viel leichter umzusetzen ist als bei der Personenversicherung, wo das Diskriminierungsverbot enge Grenzen setzt. Die so genannten Telematik-Tarife, die das Nutzungsverhalten berücksichtigen, haben sich zwar noch nicht in der Breite durchgesetzt. Das könnte sich aber rasch durchsetzen, wenn vernetzte Fahrzeuge automatisch Daten an die Versicherer melden können.

Auch über die Telematik-Tarife hinaus sieht die Assekuranz im vernetzten Fahrzeug Potenziale zur Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle in der Schaden und Unfallversicherung - vor allem mit Blick auf das Schadenmanagement. Hier gehen die Möglichkeiten weit über die Online Schadenmeldung und das Verfolgen des Bearbeitungsstatus hinaus.

Schadenmanagement im Fokus: Agieren statt reagieren

Das Schadenmanagement steht deshalb im Fokus, weil etwa 80 Prozent der Kosten der Kompositversicherer auf den Schadenaufwand und die Schadenregulierung entfallen und gleich zeitig keine andere Leistung einen so großen Einfluss auf die Kundenloyalität hat wie die Unterstützung im Schadenfall. Es geht also darum, gleichzeitig Kosten zu senken und die Kundenzufriedenheit zu erhöhen.

In der Kfz Sparte kann das etwa so aussehen, dass das (vernetzte) Fahrzeug nach einem Unfall automatisch das Servicecenter des Versicherers alarmiert, das dann unaufgefordert Hilfe anbieten und zum Beispiel den Abschleppwagen und die Reparatur organisieren kann. Analog könnte die Waschmaschine einen Ausfall melden und so eine Schadenregulierung anstoßen, die etwa den Besuch eines Servicetechnikers in die Wege leitet. Agieren statt reagieren lautet also das Zauberwort für die Sachversicherer.

Wandel vom Produkt zum Lösungsanbieter

Solche Szenarien gehen noch deutlich über das hinaus, was in der Unfallversicherung schon seit einigen Jahren beworben wird: eine Schadenregulierung in Verbindung mit einem Assistance Service, also dem Organisieren einer auf den konkreten Schadenfall abgestimmten Hilfeleistung.

In erster Linie dient das dem Ziel, die Kundenzufriedenheit zu steigern. Verträge mit entsprechenden Dienstleistern, die den Assistance Service übernehmen, haben darüber hinaus jedoch auch das Potenzial, die Kosten zu senken, wenn Rabatte ausgehandelt werden können. Immerhin kommt laut Bain bei rund der Hälfte der Versicherungsfälle ein externes Unternehmen zum Einsatz, sei es eine Kfz Werkstatt, ein Gutachter oder ein Handwerksbetrieb. Der Studie zufolge lassen sich durch konsequente Schadensteuerung die Preise der beteiligten Dienstleister um bis zu 30 Prozent senken und die Produktivität im Schadenmanagement um 15 Prozent verbessern.

Neue Reputationsrisiken - auch für Bankpartner

Mit einer solchen Weiterentwicklung vom reinen Schadenregulierer zum Lösungsanbieter sind die Versicherer der Plattformökonomie schon ein Stück weit näher als die Bankenbranche. Damit kommen allerdings auch neue Herausforderungen auf die Branche zu. Schließlich ist es nicht damit getan, den preiswertesten Partner für Servicedienstleistungen in Verbindung mit der Schadenregulierung auszuwählen.

Fällt die Wahl auf den falschen Partner, der die Versicherten nicht zufriedenstellt, überträgt sich diese Unzufriedenheit auf den Versicherer. Anstatt die Kundenloyalität zu stärken und dem Ziel näher zu kommen, eine größere Rolle im Leben der Kundschaft zu spielen, drohen dann Reputationsrisiken. Wenn die Versicherung dann auch noch über eine Bank oder Sparkasse abgeschlossen wurde - ganz gleich, ob online oder beim Berater - dann kann eine schlechte Partnerwahl sogar negativ auf den entsprechenden Bankpartner "abfärben".

Dennoch ist es auf Dauer vermutlich keine Option, einfach beim Tradierten zu bleiben, auf Schadenmeldungen zu warten und dann den entsprechenden Betrag zu überweisen. Denn im digitalen Zeitalter entwickeln sich pro aktives Schadenmanagement und Serviceleistungen zunehmend vom Mehrwert zu etwas, das der Kunde erwartet. Im Rahmen einer Bain Studie zur Kundenloyalität, an der mehr als 10 000 deutsche und 4 000 Schweizer Versicherte teilgenommen haben, begrüßte nicht nur jeder Zweite ein erweitertes Leistungsspektrum seines Anbieters. In der Kfz Sparte erklärt sogar jeder zweite Kunde in Deutschland, dass er seine Versicherung für neue Services wechseln würde, die über das klassische Leistungsspektrum hinausgehen.

Neue Chance für die Bankassurance?

Damit sitzen Versicherer im gleichen Boot wie die Kreditwirtschaft. Für beide geht es bei der Entwicklung der Plattformökonomie darum, im Leben der Kunden eine stärkere Rolle zu spielen und sich häufiger als bisher ins Bewusstsein zu rücken. Beide brauchen dafür Dienstleistungen, die über das angestammte Geschäft hinausgehen. Denn weder Versicherungsgeschäft noch Bankgeschäft - vom Zahlungsverkehr einmal abgesehen - ist für die Kunden von (nahezu) täglicher Relevanz. Und Relevanz ist nun einmal das Zauberwort der digitalen Welt.

Hier könnte eine neue Chance für die Bankassurance liegen: Gemeinsam haben Banken und Versicherer die Chance, sich als für die Kunden relevante Plattformen zu etablieren und Dienstleistungen zu bündeln. Produkte wie "Mitglieder Plus" von der genossenschaftlichen R+V (siehe Seite 4) oder auch Ausschnittsdeckungen wie die zeitlich begrenzte Absicherung neu erworbener Produkte können Beispiele dafür sein.

Annexprodukte neu gedacht

Verknüpften Annexprodukte bisher vor allem Bank mit Versicherungsprodukten, kann künftig verstärkt der Zahlungsverkehr zum Anknüpfungspunkt werden, der neue Ertragschancen bietet, weil er Produkte und Dienstleistungen des täglichen Lebens mit Versicherungen verbindet.

Ausschnittsdeckungen, die - oftmals zeitlich begrenzt - nur einen Teil einer klassischen Kfz , Hausrat oder Unfallpolice ab decken und mit wenigen Klicks mobil abgeschlossen werden können, haben das Zeug dazu, hier zum Ausgangspunkt zu werden. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Ganz ohne Big Data wird die Transformation allerdings eher nicht gelingen.

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