Versicherungsberatung muss hybrider werden

Eigentlich ist es kaum zu glauben: Noch immer ist es keine Selbstverständlichkeit, auf den Websites von Banken und Sparkassen Versicherungsprodukte online abschließen zu können. Selbst dort, wo im Sachversicherungsbereich ein Online-Abschluss möglich ist, endet die Digitalisierung häufig, sobald es an die Altersvorsorge geht. "Angebot anfordern" heißt es dann beispielsweise lapidar. Oder auch freundlicher "Gern beraten wir Sie persönlich" oder so ähnlich, mit Angabe einer Telefonnummer zur Vereinbarung eines Beratungstermins. Die Möglichkeit, sich erst einmal unverbindlich zu informieren, wird Kunden damit genommen.

Auf Nachfrage wird das Fehlen entsprechender Tools gerne mit Verweis auf die Regulatorik begründet, sieht doch die Versicherungsvertriebsrichtlinie eine Pflicht zur Beratung vor. Das passt wunderbar zur Philosophie der Filialbanken, sich mit Beratung gegenüber dem Wettbewerb zu differenzieren - und geht doch zunehmend am Bedarf des Kunden vorbei.

Hohe Akzeptanz für KI-gestützte Altersvorsorgeberatung

Das belegt beispielsweise eine Umfrage im Auftrag des Digitalverbands Bitkom, für den Bitkom Research 1 003 Personen in Deutschland, repräsentativ für die Bevölkerung ab 18 Jahren, telefonisch mit folgender Fragestellung befragt hat: "Würden Sie eine automatisierte Beratung zu Ihrer persönlichen Vorsorge durch eine Künstliche Intelligenz nutzen, die auf Ihrer persönlichen Lebenssituation wie Kinder, Gehalt et cetera basiert?" Das Ergebnis zeigt, wie weit die Erwartung der Digitalisierung auch in diesem klassischen Beratungsgeschäft Einzug gehalten hat. Denn eine Mehrheit von 54 Prozent gab an, sich gerne von einer Künstlichen Intelligenz, die automatisch und regelmäßig die persönliche Lebenssituation analysiert, beraten lassen zu wollen.

Das bedeutet nicht das Ende der klassischen Beratung. Sondern auch hier will ein Großteil der Befragten ein hybrides Angebot: sowohl digital als auch persönlich. 48 Prozent wollen eine KI-Beratung nur ergänzend zu einer klassischen Beratung in Anspruch nehmen, bislang nur 6 Prozent würden bei einem KI-Einsatz aber ganz auf die tradierte Beratung verzichten. Vor allem bei den Jüngeren von 18 bis 29 Jahren ist das Vertrauen in eine KI-Beratung hoch: 10 Prozent von ihnen würde dann auf Gespräche mit klassischen Beratern ganz verzichten. Doch auch unter den Jüngeren würden eine Mehrheit von 53 Prozent die KI gerne ergänzend zu Rate ziehen.

Nicht hinter der Regulatorik verstecken

Diese Zahlen zeigen den Handlungsbedarf für eine Digitalisierung der Bankassurance. Denn sicher wird nicht jeder Kunde, der sich eine KI-gestützte Beratung oder auch nur ein Online-Rechentool samt Online-Abschlussstrecke wünscht, gleich zum Wettbewerb wechseln, wenn dergleichen nicht verfügbar ist. Einen gewissen Anteil der digital-affinen Kunden wird man auf diese Weise jedoch verlieren.

Banken und Sparkassen sollten sich deshalb nicht länger hinter der Regulatorik verstecken, um die Digitalisierung des Beratungsangebots hinauszuzögern. Denn die regulatorischen Vorgaben verlangen lediglich eine Beratung - darüber, dass diese ausschließlich persönlich zu erfolgen hat, sagen sie nichts. Auch Online-Tools und Abschlussstrecken lassen sich Regu latorik-konform umsetzen, wenn man es denn will.

An der Tatsache, dass Altersvorsorge ein Beratungsthema ist und bis auf Weiteres wohl auch bleibt, ändert die Digitalisierung nichts. Denn der Hauptgrund für den Wunsch nach Beratung - sei es nun KI-gestützt oder persönlich - ist das Bedürfnis, bei einem so wichtigen Thema wie der Altersvorsorge nichts falsch zu machen, um im Alter keine unliebsame Überraschung zu erleben. Unter den 18- bis 64-Jährigen haben 80 Prozent diese Sorge. Und selbst unter denjenigen, die 65 Jahre und älter sind und die sich mit ihrer Altersvorsorge beschäftigt haben müssen, haben 45 Prozent weiterhin die Befürchtung, nicht alles richtig zu machen.

Solange die Alterssicherungssysteme in Deutschland nicht auf sicheren Füßen stehen, wofür es keine Anzeichen gibt, könnte der Beratungsbedarf somit eher steigen als sinken. Nur die Form, in der Beratung angeboten wird, muss sich wandeln.

Bis KI-gestützte Prozesse flächendeckend in die Risikobewertung, die Festsetzung von Versicherungsprämien, das Underwriting und die Leistungsprüfung Einzug halten, wird es indessen wohl noch ein Weilchen dauern. Denn im Europäischen Parlament wird zwar weiter an der KI-Thematik gearbeitet. Allerdings werden im Kompromissvorschlag des Rates der Europäischen Union zur KI-Verordnung die vielfältigen KI-Anwendungen im Versicherungsbereich pauschal als "hochriskant" eingestuft, wie der Branchenverband GDV kritisiert. Dies hätte nicht nur für die Versicherer zusätzliche Belastungen und Hindernisse zur Folge, sondern würde ohne Not auch innovative Anwendungen zum Nutzen der Kunden erschweren.

Natürlich müssten sich auch KI-gestützte Verfahren im Rahmen der sonstigen gesetzlichen Regelungen bewegen. Wenn also beispielsweise gemäß § 138 Abs. 2 VAG Prämien und Leistungen in der Lebensversicherung bei gleichen Voraussetzungen nur nach gleichen Grundsätzen bemessen werden dürfen, dann ist eine Benachteiligung von Kunden auf Basis von KI-gestützten Analysen per se schon ausgeschlossen. Ein Verbot würde allerdings im schlimmsten Fall bewirken, dass Verbraucher auch nicht auf einen eventuellen Anpassungsbedarf ihrer Vorsorge hingewiesen werden dürften, selbst wenn sie der Analyse ihrer Daten zugestimmt hätten. Bleibt zu hoffen, dass es dazu nicht kommt. Dass Banken und Sparkassen sowie Versicherer vor diesem Hintergrund noch vorsichtig mit dem Thema KI umgehen, lässt sich leicht nachvollziehen. Was unbedenklich möglich ist, sollten sie allerdings auch umsetzen.

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