MARKTFORSCHUNG

"Geschönte" Insolvenzzahlen zum Jahresausklang

Alljährlich im Dezember veröffentlicht die Creditreform Wirtschaftsforschung ihren Bericht über das Insolvenzgeschehen des zu Ende gehenden Jahres. Im Krisenjahr 2020 hatte dieser Bericht einen tröstlichen Jahresausklang zu bieten - wenngleich klar ist, dass dies in Sachen Insolvenzen erst einmal das letzte gute Jahr gewesen sein dürfte.

Trotz des massiven Konjunktureinbruchs sind die Insolvenzen in Deutschland weiter signifikant gesunken: Im Jahr 2020 nahm die Zahl der Unternehmensinsolvenzen deutlich um 13,4 Prozent auf 16 300 Fälle (2019: 18 830) ab. Das ist der niedrigste Stand seit der Einführung der Insolvenzordnung (InsO) im Jahr 1999. Insbesondere bei Kleinbetrieben gab es spürbar weniger Insolvenzmeldungen. Ein deutlicher Anstieg der Insolvenzen war dagegen bei größeren Unternehmen zu verzeichnen. So stieg die Zahl der Insolvenzverfahren in den Umsatzgrößenklassen 5,0 bis 25,0 Millionen Euro (plus 26,4 Prozent) und 25,0 bis 50,0 Millionen Euro (plus 36,4 Prozent) deutlich an. Bei Unternehmen mit mehr als 50 Millionen Euro Jahresumsatz verdoppelten sich die Fallzahlen sogar.

Das Paradoxon, dass die Wirtschaft unter den Folgen der Pandemie leidet, gleichzeitig jedoch die Insolvenzzahlen auf einen Rekord-Tiefststand gefallen sind, ist in erster Linie den Hilfs- und Stützungsmaßnahmen zu verdanken, die die Bundesregierung zur Abfederung der Folgen der Corona-Pandemie beschlossen hatte, nicht zuletzt auch der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht über mehrere Monate hinweg. Damit "hat sich das Insolvenzgeschehen als Seismograf für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung vom wirklichen Zustand der deutschen Unternehmen entkoppelt", wie es Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform formuliert. Man könnte auch sagen: Die Zahlen sind durch die politischen Eingriffe "geschönt". Denn es ist davon auszugehen, dass eben dadurch viele Unternehmen künstlich am Leben erhalten werden, die auch ohne die Corona-Krise kaum noch überlebensfähig waren. Insofern verstärkt die Pandemie vermutlich noch den schon zuvor immer wieder beklagten Trend zur "Zombifizierung" der Wirtschaft.

Auch für Kreditgeber ist der deutliche Rückgang bei den Insolvenzzahlen insofern nur sehr bedingt als positive Nachricht zu sehen, so gerne man sie auch hören mag. Nachdem die Insolvenzanzeigepflicht bei Zahlungsunfähigkeit (nicht aber Überschuldung) seit Oktober wieder in Kraft ist, dürften die Auswirkungen der Wirtschaftskrise und ein Ende der Eindämmungsmaßnahmen die Insolvenzen im kommenden Jahr insgesamt wieder steigen lassen.

Auch bei den privaten Verbrauchern war ein merklicher Rückgang der Insolvenzen zu verzeichnen. Ihre Anzahl verringerte sich im Jahr 2020 um 27,1 Prozent auf 45 800. Dies führt Creditreform primär auf die Pläne der Bundesregierung zur Reform des Insolvenzrechts zurück, die unter anderem eine Verkürzung der "Wohlverhaltensperiode" bis zur Restschuldbefreiung von sechs auf drei Jahre vorsehen. Aufgrund der geplanten Änderungen geht Creditreform von einer Art Aufschiebeeffekt aus. Bei der hohen Zahl an überschuldeten Verbrauchern und dem seit einigen Jahren beobachteten Trend zu "unwirtschaftlicher Haushaltsführung" wird allerdings auch bei den Privatinsolvenzen künftig wieder mit steigenden Fallzahlen gerechnet - insbesondere dann, wenn die Wirtschaftskrise anhält oder sich weiter verschärfen sollte. Denn dann dürften die Arbeitslosenzahlen wieder an steigen - traditionell einer der Hauptauslöser für die private Insolvenz überschuldeter Haushalte. Dass während des Lockdowns im Frühjahr und zum Jahresende 2020 auch die Arbeit der Schuldnerberatungsstellen zumindest beeinträchtigt war beziehungsweise noch ist, macht das gewiss nicht besser. Im Gegenzug könnte die Schließung von Restaurants, Hotels und Freizeiteinrichtungen sowie der massive Rückgang im Tourismusbereich allerdings auch manchen Verbrauchern helfen, aus der Überschuldung herauszukommen - und sei es nur, dass der Mangel an Gelegenheiten, sein Geld auszugeben, zu einer verstärkten Begleichung von Schulden genutzt wird. Red.

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