NACHHALTIGKEIT

Sinnfrage bezüglich der EU-Taxonomie

Spätestens mit den Ankündigungen der EU-Kommission, Atomkraft und Gaskraftwerke als "grün" einzustufen, hat sich gezeigt: Das Modell der Taxonomie, mit dem festgelegt werden soll, welche Investitionen nachhaltig sind und welche nicht, stößt sehr schnell an seine Grenzen, weil es eben keine allgemeingültige Definition dazu gibt und die Meinungen weit auseinandergehen.

Der Krieg in der Ukraine hat das gesamte Konzept nun endgültig ad absurdum geführt: Plötzlich sind Rüstungsinvestitionen wieder "gut", weil nur sie es ermöglichen, unsere Lebensweise und Überzeugungen zu verteidigen. Und auf der Suche nach Alternativen zum russischen Gas sind auch die Atomkraft oder das mit dem umstrittenen Fracking gewonnene US-amerikanische Flüssiggas vielleicht gar nicht mehr so schlimm, wie bislang angenommen.

Thomas Mang, der Präsident des Sparkassenverbands Niedersachsen, bringt es auf den Punkt, wenn er, wie auf dem Jahrespressegespräch des Verbands, die Unterscheidung in Gut und Böse, die zum Beispiel über die Taxonomie erzeugt wird, als "kompletten Unsinn" bezeichnet, wie man aktuell sehen könne. Wenn man versuche "Nachhaltigkeit über die Stigmatisierung durch NGO's und über Regulierungsbehörden zu erzwingen", dann werde die bürokratische Umsetzung zumeist durch die Realität eingeholt, erweise sich oftmals als kontraproduktiv und setze die falschen Akzente.

Auch Stefan G. Reuß, Geschäftsführender Präsident des Sparkassen- und Giroverbandes Hessen-Thüringen, fürchtet genau deshalb auf dem Feld der Nachhaltigkeit eine neue regulatorische Großfront, die den Geschäftsbetrieb von Banken und Sparkassen zu lähmen droht. Auf der einen Seite, so Reuß, kann sich die Politik im europäischen Kontext nicht auf ein gemeinsames Grundverständnis einigen, was künftig nachhaltig sein soll und was nicht, sodass die EU-Taxonomie "ein bisschen wie das Leipziger Allerlei" wirke. Irgendwie sei dann doch fast alles erlaubt, einschließlich Atomenergie und Gas. Gleichzeitig schreibe die Taxonomie-Verordnung den Banken und Sparkassen auf der praktischen Ebene aber mit einer bemerkenswerten Granularität vor, was sie künftig noch finanzieren dürfen.

"Im Mittelalter hat sich die scholastische Philosophie mit der Frage beschäftigt, wie viele Engel auf eine Nadelspitze passen. Heute erlebt die Scholastik in der Nachhaltigkeits-Regulatorik ein ungeahntes Comeback", sagte Reuß am 8. März auf der Bilanzpressekonferenz des SGVHT. So werde künftig die Finanzierung einer Eigentumswohnung nur dann taxonomiekonform sein, wenn Wasserhähne und Duschköpfe einen maximalen Wasserdurchlass von sechs bis acht Litern pro Minute erlauben und noch viele andere Bedingungen erfüllt seien. Wenn man die oft zitierte deutsche Gründlichkeit zum Maßstab macht, so seine Befürchtung, werde sich auch in diesem Feld ein ganz neues Expertentum von Fachleuten herausbilden, die ausschließlich überprüfen und überwachen, ob die neuen Vorgaben auch tatsächlich eingehalten werden - mit entsprechenden Auswirkungen auf die Investitionskosten.

Das mag sich wie ein Horrorszenario anhören. Die Erfahrung mit dem deutschen Hang zum "Gold Plating" lässt allerdings befürchten, dass zumindest die deutsche Umsetzung der EU-Vorgaben es genau so weit kommen lässt. Dass die Regulatoren das Thema Taxonomie erst einmal ruhen lassen, bis sich ein gemeinsames Verständnis herausbildet - oder vielleicht sogar einen besseren Weg finden, die Transformation der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit voranzutreiben, ist indessen wohl nicht zu erwarten. Red.

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