Kurioses

Sparkasse Siegen außer Kontrolle?

Hartmut Glenk, Direktor, Institut für Genossenschaftswesen und Bankwirtschaft (IGB), Siegen/Berlin

Wenn der Gerichtsvollzieher kommt, ist das nicht immer unerfreulich. Noch wenig bekannt ist, dass ihm auch Privatpersonen und Institutionen Zustellungsaufträge erteilen können. Unverständlicherweise wählt die Mehrzahl der Kreditinstitute immer noch unsichere Versendungsweisen für wesentliche Schriftstücke und Willenserklärungen. Es ist fahrlässig, Vertragsdokumente, auch Konto- beziehungsweise Kreditkündigungen per einfachen Brief zu versenden. Die Fiktion, ein Brief sei drei Tage nach Aufgabe zur Post zugegangen, gilt entgegen anderslautenden Gerüchten nur für Behörden; der Staat sorgt für "die Seinen" und verkehrt die Beweislast des Versenders zulasten des Empfängers.

Im Privatschriftverkehr, den auch Banken und Sparkassen führen, gilt nach wie vor, dass der Absender den vollen Beweis für den Zugang seiner Willenserklärung erbringen muss, was vor allem bei Kündigungen besonderes Gewicht hat. Im Streitfall hat das Kreditinstitut dazulegen, dass die Willenserklärung in den "Herrschaftsbereich" des Empfängers gelangt ist. Außerdem ist es erforderlich, dass der Empfänger von dem Inhalt des Schriftstücks vor Ablauf einer Frist auch tatsächlich Kenntnis nehmen konnte. Kann der Zugang nicht bewiesen werden, tritt Fristversäumnis ein. Insofern eignet sich der einfache Brief nicht zur Zustellung wichtiger Willenserklärungen und Dokumente.

Das "Einwurf-Einschreiben" spiegelt eine Scheinsicherheit vor: Es gibt kein Empfangsbekenntnis. Auch bei einem "Einschreiben mit Rückschein" fehlt eventuell der Nachweis, was sich in dem Umschlag befunden hat. Die Überraschung ist groß, wenn sich der Empfänger darüber beschwert, dass die Bank das aktuelle Aldi-Angebot "fristwahrend" versandt hat. Es soll gewiefte Rechtsberater von Bankvorständen geben, die dieser Verblüffung bei Kündigungs- oder Suspendierungspost durch den Aufsichtsrat Ausdruck gegeben haben.

Die sicherste Art ist die Zustellung per Gerichtsvollzieher, der den Inhalt der Sendung amtlich beglaubigt und ein Zustellungsprotokoll aufnimmt. Die Kosten von zirka 17,50 bis zirka 25,00 Euro bei Eil- und Samstagszustellung fällt gegenüber einer Fristversäumnis in bedeutender Sache wohl kaum ins Gewicht. Eine Prüf- und Ablehnungsbefugnis sieht das Gesetz (ZPO) nicht vor.

Deshalb dürfte der Vorstand der Sparkasse Siegen nicht schlecht gestaunt haben, als der Obergerichtsvollzieher R. kürzlich auf der Vorzimmerschwelle stand. Er hatte sich von einem Bankhistoriker die DVD's "Banken außer Kontrolle" ausgeliehen; über den Anlass darf spekuliert werden. Dass die DVD trotz höflichen Erinnerungen und Mahnungen nicht zurückgegeben wurde, kann daran liegen, dass das Siegerländer Kreditinstitut die Materie für höchst interessant gehalten hat. Die persönliche Intervention des Diplomkaufmanns, er benötige die in Fachkreisen als Rarität gehandelten Scheiben für seine Dissertation zurück, führte jahrelang zu keiner Reaktion. Die Patentlösung hatte der Rechtsberater des Doktoranden: Er schickte der Sparkasse Siegen die Herausgabeaufforderung per Gerichtsvollzieher mit Fristsetzung und Vermerk: "persönlich, nicht an Poststelle oder Postbevollmächtigten", und kündigte bei Zuwiderhandlung strafrechtliche Schritte an, insbesondere wegen Unterschlagung und Betrug.

Nach eineinhalb Jahren fand die DVD dann innerhalb eines Tages den Weg zu ihrem rechtmäßigen Eigentümer zurück. Die offizielle Nachfrage der Sparkasse Siegen nach dem Eingang des guten Stücks war durchaus berechtigt, denn die Rücksendung erfolgte "per Einschreiben". Jetzt darf sich der Vorstand mit dem Kostenersatz befassen. Aus diesem Fallbeispiel lassen sich gleich zwei Lehren ziehen: Auch große Institute können in kleinen Dingen den Überblick verlieren, insbesondere, wenn sie durch fortwährende Fusionen eventuell überfordert sind.

Nach der Übernahme der Sparkasse Freudenberg wünscht sich die Sparkasse Siegen höhere Ziele, Bilanzvolumen und Gehälter: Sie strebt die Fusion mit der kerngesunden Sparkasse Hilchenbach an. Ob man ihrem Vorstand bei der Befassung mit diesen bedeutenden Aufgaben dann noch kleine, beliebte Gegenstände anvertrauen sollte, ist eine Frage der Organisation und schlichtweg des Anstands. Vor allem im Jubiläumsjahr des 175-jährigen Bestehens darf man gutes Gelingen und das Siegerländer "Glück auf!" wünschen.

Hartmut Glenk, Direktor, Institut für Genossenschaftswesen und Bankwirtschaft (IGB), Siegen/Berlin

Hartmut Glenk , Direktor, Institut für Genossenschaftswesen und Bankwirtschaft (IGB), Siegen/Berlin
Noch keine Bewertungen vorhanden


X