REGULIERUNG

Virtuelle HV als Testfall

In mancher Hinsicht steckt der Gesetzgeber in der Corona-Krise in der Zwickmühle. Das gilt auch für das Abhalten von Hauptversammlungen bei Aktiengesellschaften. Einerseits können Hauptversammlungen aus aktienrechtlicher Perspektive nicht einfach abgesagt werden. Andererseits können sie wegen des Versammlungsverbots auch nicht in gewohnter Form stattfinden. In Zeiten der Digitalisierung heißt der Ausweg: Online-Hauptversammlung.

Dafür macht der Gesetzgeber den Weg frei. Mit dem am 23. März von der Bundesregierung verabschiedeten Gesetzesentwurf werden erstmals virtuelle Hauptversammlungen möglich. Auch dabei soll es eine Fragemöglichkeit für die Aktionäre geben - an sich durchaus nachvollziehbar. Technisch dürfte das aber an Grenzen stoßen. Schließlich sind die Unternehmen ebensowenig auf Online-Hauptversammlungen vorbereitet wie die Schulen auf digitales Lernen. Es fehlt schlicht die erforderliche Infrastruktur.

Lösungen, wie sie beispielsweise für Online-Pressekonferenzen eingesetzt werden, lassen sich nicht automatisch beliebig skalieren. Was etwa für die Mitgliederversammlung einer kleineren Genossenschaftsbank funktioniert, kann bei Publikumsgesellschaften, an deren Hauptversammlung mehrere Tausend Aktionäre teilnehmen, durchaus an Grenzen stoßen - und sei es nur durch Überlastung der Server. Die Forderung des Deutschen Aktieninstituts, dass es dem Ermessen des Vorstands überlassen sein sollte, welche Form der Fragemöglichkeit er anbietet, scheint deshalb berechtigt.

Gleiches gilt für die Forderung, die Frist, innerhalb derer Fragen für die Hauptversammlung einzureichen sind, von zwei auf vier Tage zu verlängern. Schließlich müssen diese Fragen im Zweifelsfall von einem krankheitsbedingt reduzierten Team im Homeoffice gesichtet und geordnet werden. Auch deshalb ist es wichtig, die Anforderungen an virtuelle Hauptversammlungen nicht höher zu schrauben als unbedingt erforderlich.

Gut möglich, dass nicht alle Hauptversammlungen, die zum ersten Mal virtuell organisiert werden, optimal und zur Zufriedenheit aller Beteiligten ablaufen werden. Insofern ist es gut, dass der Gesetzgeber die Regelungen zunächst auf das Jahr 2020 beschränkt, sofern sie nicht durch das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz auf 2021 verlängert werden. Das gibt allen Beteiligten Zeit zu diskutieren, ob Hauptversammlungen ohne Präsenzpflicht auch in Zukunft möglich sein sollen und welche Regelungen dafür möglicherweise wie anzupassen sind. Vielleicht wäre ja für die Zukunft ein Sowohl-als-auch denkbar. So manchem Aktionär, der zwar gerne teilnehmen, dafür aber nicht quer durch die Republik reisen möchte, käme das vielleicht entgegen.

Für Genossenschaften ist die Lage ein wenig einfacher: Sie sind nicht gezwungen, "virtuelle" Versammlungen durchzuführen, sondern können auch warten, bis die Ausbreitung der Infektionen abgeklungen ist und die Beschränkungen der Versammlungsmöglichkeiten aufgehoben wurden. Die Versäumung der Sechsmonatsfrist des § 48 Absatz 1 Satz 3 GenG hat dann keine Sanktionen zur Folge und die Fristeinhaltung kann auch nicht durch ein Zwangsgeld nach § 160 GenG erzwungen werden. Im Rahmen der genossenschaftlichen Pflichtprüfung hätte ein Aufschieben der Mitgliederversammlung auch nicht zur Folge, dass die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung in Zweifel gezogen werden könnte. Daher bedarf es anders als bei § 175 Absatz 1 Satz 2 Aktiengesetz für Genossenschaftsbanken keiner Verlängerung der Frist. Red.

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