EUROPA

Abschied vom Ibor - die Zeit drängt

Oliver Schlicht, Foto: Baringa

Nur noch bis Ende 2021 können die bisherigen Referenzzinssätze Ibor verwendet werden. Das Risiko durch die Ablösung der Interbank Offered Rates sollten Banken nicht unterschätzen, warnt Oliver Schlicht. Denn alle Verträge mit einer Laufzeit über den Stichtag hinaus müssen dafür neu verhandelt werden - ansonsten droht im schlimmsten Fall eine Rückabwicklung. Bei Privatkunden und mittelständischen Firmenkunden ist hierfür genug Zeit einzuplanen. Auch Prozesse und die IT müssen rechtzeitig angepasst werden. Red.

Am 31. Dezember 2021 endet für Banken nicht nur ein Kalenderjahr. An Silvester schlägt für die Geldinstitute in Sachen Referenzzinssätze die Stunde null - denn nur noch bis zu diesem Tag können die bisher weltweit wichtigsten Referenzzinssätze Interbank Offered Rates (Ibor) verwendet werden.

Ab dem 1. Januar 2022 ist die Nutzung der alten, auf Einmeldung der Banken basierenden Zinssätze nämlich nicht mehr möglich. Stattdessen müssen Zinssätze verwendet werden, die auf real getätigten Transaktionen beruhen. Das hat die Europäische Union per Verordnung durch die europäische Benchmark-Reform bereits im Juni 2016 festgelegt. Auslöser dieser Reform waren zahlreiche Betrugs- und Manipulationsfälle. Die Absicht der Behörden: Mit der Neuerung sollen kriminelle Machenschaften unterbunden werden.

Als Folge müssen Verträge, die noch die alten Zinssätze enthalten und über den Stichtag hinaus laufen, neu verhandelt werden. Betroffen sind die eurobasierten Zinssätze Euribor (European Interbank Offered Rates) und Eonia (European Overnight Index Average) sowie der auf US-Dollar, Pfund Sterling, Schweizer Franken und Yen basierende Libor (London Interbank Offered Rate). Aktuell sind Verträge im Wert von insgesamt mehreren Billiarden US-Dollar von der Neuregelung betroffen.

"Repapering" für bestehende Verträge

Und das Problem verschärft sich noch, denn die ab 2022 nicht mehr regulationskonformen Interbank Offered Rates werden nach wie vor in Neuverträgen verwendet. Allein über den Euribor wurden beispielsweise im vierten Quartal 2018 Verträge für rund 5 Billionen Euro gehandelt - und der weitaus größte Teil hat Laufzeiten über den 1. Januar 2022 hinaus. Um gegenüber ihren Kunden nicht vertragsbrüchig zu werden, müssen Banken bis dahin beim Abschluss von Neuverträgen auf die Verwendung der regulationskonformen Zinssätze umstellen.

Noch gravierender dürfte aber sein, dass alle über den Stichtag hinaus laufenden Verträge, die auf Einmeldung basierende Zinssätze beinhalten, entsprechend vorher neu verhandelt und dokumentiert werden müssen.

Im schlimmsten Fall droht Rückabwicklung

Bei diesem sogenannten Repapering ist eine automatische Ablösung der alten Zinssätze durch neue, regulationskonforme nicht möglich, da es sich rechtlich um eine Vertragsänderung handelt, die von beiden Vertragsparteien ratifiziert werden muss.

Das erschwert die Lage für die Banken zusätzlich. Können sie sich im Rahmen des Repaperings nicht rechtzeitig mit ihren Kunden auf die neuen Konditionen einigen, droht im schlimmsten Fall sogar eine Rückabwicklung der Verträge. Abgesehen vom Imageverlust besteht somit auch das Risiko, dass Kunden Schadensersatzansprüche geltend machen. Die Notwendigkeit schnellen Handelns liegt damit auf der Hand.

Dennoch ist nach wie vor die größte Gefahr bei der Ablösung der Interbank Offered Rates: Viele Banken unterschätzen den für sie entstehenden Aufwand. Dabei sollten sie eigentlich vorgewarnt sein. Aufgrund der Komplexität der Umstellung und des großen Aufwandes für die Banken hat die EU den ursprünglichen Termin für die Umstellung bereits um zwei Jahre nach hinten verschoben - eigentlich sollte diese nämlich ab dem 1. Januar 2020 gelten.

Gründliche Bestandsaufnahmen durchführen

Um die von der EU zusätzlich gewährte Zeit so effektiv wie möglich zu nutzen, sollten Banken strategisch vorgehen. Sinnvoll ist es hier, die Umstellung auf die neuen Referenzzinssätze als Projekt mit verschiedenen Teilprojekten anzulegen. Von Beginn an muss dafür feststehen, wo die Federführung liegt - je nach interner Struktur und Ausrichtung einer Bank können hier ganz unterschiedliche Lösungen sinnvoll sein. Sowohl das Treasury Department, als auch Legal oder Compliance kommen für diese Rolle infrage.

Zum Start des Projektes ist eine detaillierte Bestandsaufnahme der Ist-Situation unerlässlich. Über ein Monitoring müssen Banken dafür eine Analyse ihres Transaktionsportfolios durchführen.

Zu klären ist dabei, welche Verträge von den anstehenden Änderungen betroffen sind und wie hoch das jeweilige Volumen ist.

Auch die Frage, in welchen Währungen die Verträge der Bank geschlossen sind, spielt eine Rolle bei der Auswahl geeigneter Alternativen. Im Euroraum steht seit Oktober der EuroSTER als regulationskonforme Alternative zum Eonia bereit.

Hier müssen Verträge gegebenenfalls neu verhandelt werden. Auch bei Verträgen, die den Euribor enthalten, müssen Banken die Notwendigkeit von Neuverhandlungen prüfen, denn dieser wird nach jetziger Planung gegen Ende 2019 neu berechnet. Dank einer hybriden Berechnungsmethode, die vom European Money Market Institute erarbeitet wurde, erfüllt er dann alle regulatorischen Vorgaben der EU. Möglich wird dies, indem die Berechnung auf Basis realer Transaktionen erfolgt und notfalls alternative Marktdaten mit einbezieht.

Neuverträge mit regulationskonformen Zinssätzen

Nach Abschluss des Monitorings kann die Bank nicht nur den Aufwand des Repaperings einschätzen, sondern sich auch überlegen, welche Optionen sich für die Umstellung aus dem Portfolio ergeben und nötige Ressourcen entsprechend einplanen. Für den Euroraum stehen mit dem EuroSTER und dem Euribor in seiner neu berechneten Form regulationskonforme Referenzzinssätze bereit. Für die dem Libor zugrunde liegenden Währungen gibt es diese sogar schon länger.

Bereits im April 2018 entstand mit der Secured Overnight Financing Rate (SOFR) eine Alternative für Verträge, die in US-Dollar abgeschlossen wurden. Das heißt: Die SOFR wird nicht durch Einmeldungen mit theoretischen Zahlen festgesetzt, sondern auf der Basis realer Transaktionen errechnet.

Auch für das britische Pfund Sterling und den japanischen Yen gibt es bereits Zinssätze auf der Basis von realen Transaktionen. Vorreiter ist seit August 2009 die Schweiz: Die Swiss Average Rate Overnight (Saron) wird schon seit über zehn Jahren mit Daten aus realen Transaktionen ermittelt. Für die Banken besteht damit nicht nur die Möglichkeit, für Neuverträge regulationskonforme Zinssätze zu verwenden und sich damit ein späteres Repapering zu ersparen. Sie können auch bereits mit dem Repapering beginnen und die alten Verträge auf Ibor-Basis durch Verträge auf Basis eines regulationskonformen Zinssatzes ablösen.

Damit dies geschehen kann, müssen Banken aber zunächst intern ihre Hausaufgaben erledigen und sich entsprechend auf die Umstellung vorbereiten. Das bringt einigen Aufwand mit sich, ist aber letztendlich wesentlich besser, als weiter mit der Umstellung zu warten. Dies würde nämlich heißen, weitere Verträge abzuschließen, die dann später über ein Repapering wieder nachverhandelt werden müssten. Kein Institut kann Interesse daran haben, sich länger als nötig diese zusätzliche Arbeit aufzuhalsen.

Prozesse und Produkte anpassen

Für die Umstellung auf die neuen Referenzzinssätze innerhalb der Institute gibt es kein Patentrezept, da sich diese in Struktur und Ausrichtung stark voneinander unterscheiden. In jedem Fall müssen Banken sich ihr Portfolio genau ansehen und auf Grundlage der neuen Referenzzinsätze gegebenenfalls nicht nur Anpassungen vornehmen, sondern auch neue Produkte entwickeln. Davon sind nicht nur Geld- und Kapitalmarktprodukte betroffen, sondern auch Darlehen und Finanzierungen. Diese Veränderungen sind damit nicht nur für Firmenkunden, sondern auch für Privatkunden relevant.

Um sie alle auch künftig optimal zu beraten, müssen die Mitarbeiter der Bank entsprechend auf den Wechsel vorbereitet und wenn nötig auch geschult werden, damit sie beispielsweise, wenn nötig, auch das Repapering in Angriff nehmen können.

Ein weiterer wichtiger Punkt bei der Umstellung auf die neuen Referenzzinssätze ist die Anpassung von Prozessen und Anwendungen durch die IT. Hier gilt es, viele Details zu beachten. Eine wesentliche Änderung betrifft beispielsweise den Zeitpunkt, an dem der jeweilige Zinssatz feststeht. Bisher nämlich melden in Deutschland zwei Dutzend Benchmark-Banken täglich ihre voraussichtlichen Zinssätze. Daraus wird noch am selben Tag der Euribor errechnet.

Die neuen regulatorischen Vorgaben schreiben jedoch vor, dass die Werte aus den tatsächlich getätigten Transaktionen eines Tages ermittelt werden - womit der Zinssatz erst am Morgen des nächsten Kalendertages feststeht. Dies muss entsprechend in den Prozessen « berücksichtigt werden. Erst wenn intern alles auf die Verwendung der neuen Referenzzinssätze umgestellt wurde, können Banken mit neuen, regulationskonformen Produkten auf ihre Kunden zugehen und parallel dazu mit dem Repapering beginnen.

Absehbar ist, dass Vertragsneuverhandlungen mit anderen Banken und Großunternehmen eher zügig abgewickelt werden können, da diese mit dem Thema vertraut sind und vielfach bereits Vorkehrungen getroffen haben. Anders sieht es voraussichtlich bei mittelständischen Betrieben und Privatkunden aus, da diese oft noch nicht wissen, was auf sie zukommt. Entsprechend muss für diese Kundengruppen ein höherer Aufwand für die Neuverhandlung und den Abschluss der Verträge eingeplant werden.

Empfehlenswert ist die Aufstellung eines zeitlichen Fahrplans, der die verschiedenen Teilprojekte wie IT-Lösungen, Mitarbeiterschulungen, Portfolioanpassungen und natürlich Repapering ausreichend berücksichtigt. Durch Zwischenreportings und klar definierte Teilziele können Banken dafür sorgen, dass das Projekt in den vorgesehenen Bahnen verläuft. Da die Umstellungen auf die neuen Zinssätze und die dafür erforderlichen Prozesse für die Banken alternativlos sind, ist schnelles Handeln das Gebot der Stunde. Das Projekt-Setup sollte daher so bald wie möglich in Angriff genommen und die notwendigen Umstellungen eingeleitet werden.

Oliver Schlicht, Partner, Baringa Partners LLP, Düsseldorf
Oliver Schlicht , Partner, Baringa Partners LLP, Düsseldorf
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