BANKING OHNE ZINSEN

Alternativen zum Zinsertrag - ein Weckruf an europäische Banken

Saskia Schäfer, Foto: Saskia Schäfer

50 Jahre lang haben sich europäische Banken in ihrem auf Zinserträge ausgerichteten Geschäftsmodell gemütlich eingerichtet und dabei unterschätzt, wie neue Technologien und sozioökonomische Entwicklungen das Kundenverhalten verändert haben, sagt Saskia Schäfer. Aus diesem "Winterschlaf" müssen sie nun endlich erwachen und mit neuen Konzepten über das sehr eng gefasste Bankgeschäft hinausgehen. In allen Geschäftsfeldern sieht die Autorin Platz für innovative und disruptive Services, die hochmargige und beständige Serviceumsätze versprechen. Mit ihnen könnten sich Banken mittelfristig von der Zinspolitik abkoppeln. Die Weichen dafür, so die Mahnung, müssen in den frühen zwanziger Jahren gestellt werden. Red.

XDie leise Hoffnung auf eine veränderte Zinspolitik ist mit dem Amtsantritt von EZB-Präsidentin Christine Lagarde schnell verflogen. Die Empörung bei Sparern wie den Bankmanagern nimmt zwar stetig zu - sie wird aber kein Gehör finden. Bedeutet nun ein "weiter so!" in der Zinspolitik zwangsläufig auch ein "weiter so!" bei den Bankgewinnen? Setzt sich der fatale Abwärtstrend fort? Der Ausblick stimmt nicht nur Bankmanager, sondern zum Teil auch Politiker pessimistisch - manche sogar beinahe panisch.

Nur warum ist das so? Die Banken haben sich über Jahrzehnte in ihrem Geschäftsmodell des Zinsmonopols gemütlich eingerichtet und Beratungsunternehmen haben immer wieder Kosteneffizienz gepredigt. Dabei haben die "sicheren" Zinserträge und die Scheingewinne während der Finanzkrise eine tiefgreifende Schwäche der Branche überdeckt: Die Banken haben während dieses fast 50-jährigen Winterschlafs ihre Koordinaten verloren.

Bankgeschäft ist nicht nur Effizienzverbesserung

Generationen von Bankmanagern und Beratern sind dem Irrglauben aufgesessen, das Bankgeschäft bestehe ausschließlich aus Effizienzverbesserung. Dabei scheinen sie vergessen zu haben, dass die Kostenquote die Kosten ins Verhältnis zu den Erträgen setzt und somit sowohl durch niedrigere Kosten als auch umgekehrt auch durch steigende Erträge positiv beeinflusst werden kann.

Insbesondere der letzte Punkt, die Steigerung der Erträge, ist - mit Ausnahme der Scheinerträge vor der Finanzkrise - nicht in der DNA von europäischen Banken angelegt. So wird lieber weiter über die x-te Restrukturierung und x-te Effizienzsteigerung nachgedacht, als das Wachstum der Erträge zu beschleunigen. Neue Ideen und alternative Serviceansätze werden stiefmütterlich vernachlässigt.

Ertragsseite endlich in den Fokus rücken

Die zerschlagene Hoffnung auf eine Zinswende macht es jedoch zunehmend unausweichlich, endlich die Ertragsseite in den Fokus zu rücken.

Banken sind B2B- und B2C-Dienstleister zugleich. Ihre Aufgabe sollte es primär sein, die Marke(n) weiterzuentwickeln und - wie andere Dienstleister auch - neue Produkte und Services für ihre Kunden zu erschaffen, diese zu testen und dann auszurollen. Dabei sollten sie sich von dem Paradigma lösen, ausschließlich Geld bereitzustellen, zu vermitteln oder zu verwalten. Finanzinstitute müssen sich verstärkt gesellschaftlichen Megatrends zuwenden, um in einem bereits besetzten Markt das Wachstum (neu) anzukurbeln.

Veränderungen des Geschäfts unterschätzt

Die Banken haben unterschätzt, wie neue Technologien und sozioökonomische Entwicklungen das Kundenverhalten im B2B- und B2C- Geschäft in den letzten Jahrzehnten nachhaltig verändert haben.

Zum Beispiel ist die Bereitschaft gestiegen, Daten zu teilen, wenn Kunden hiervon durch individualisierte Angebote oder neue Lösungen profitieren, die ihr Leben oder Geschäft einfacher gestalten, oder die Sharing-, Schnittstellen- und Plattform-Economy hat Veränderungen initiiert, wie Kunden heute Dienstleistungen erleben wollen. Die Kundenloyalität ist gesunken und das Verständnis von Marken hat sich hierdurch stark verändert, wodurch Banken gezwungen sind, Lock-in-Effekte zu generieren, die darauf abzielen, dass sie sich mit ihrem Angebot tiefer in den Alltag und die Wertschöpfungskette ihrer Kunden einbringen.

Aus der gewachsenen Komfortzone ausbrechen

Hierfür müssen Banken neue Konzepte und Services entwickeln, die weit über das aktuell sehr eng gefasste Bankgeschäft hinausgehen und dem Banken-Kernauftrag als Finanzlotse wieder gerecht werden. Der Anspruch dabei muss es sein, sich bei Kunden als Ausgangspunkt und erster Ansprechpartner für alle Fragen rund um das Thema Finanzmanagement zu etablieren und die kundenzentrierte Entwicklung von Services und Produkten ins Zentrum zu stellen. Hierfür bedarf es - auf die jeweilige Kundengruppe zugeschnittener - innovativer digitaler Lösungen und mehr Kooperationen mit anderen Servicedienstleistern, wie beispielsweise Softwareherstellern oder Steuerberatern.

So könnten Banken zum Beispiel kleinen und mittelgroßen Unternehmen anbieten, Zahlungsströme automatisch aufzubereiten, um vor Finanzierungsengpässen zu warnen oder gleich flexibel und automatisiert Liquidität bereitzustellen beziehungsweise überschüssige Liquidität entsprechend dem Geschäftsmodell anzulegen.

Durch Kooperationen mit Steuerberatungsunternehmen und Softwareanbietern wäre für Privatpersonen und kleine sowie mittelgroße Unternehmen eine vereinfachte, automatisierte und digitale Steuerklärung samt Optimierungsvorschlägen ein attraktiver Mehrwert.

Durch Serviceumsätze vom Zinsgeschäft abkoppeln

Immobilienbesitzer könnten ihre Immobilie auf der Plattform hinterlegen und kostenlose Wertgutachten erhalten. Banken könnten als Vermittler von digitalaffinen Maklern auftreten und beim Verkauf der Immobilie behilflich sein.

Dies sind nur drei Beispiele, wie Banken aus ihrer historisch gewachsene "Komfortzone" ausbrechen und ihre Potenziale nutzen können.

Vom Investmentbanking über das Wealth Management bis zum hin Corporate und Retail Banking gibt es Platz für innovative und disruptive Services, die aussichtsreiche, stabile Umsätze abseits des klassischen Bankgeschäfts versprechen. Die Zeit ist reif, dass Banken diese erkennen und sich tiefer in den Alltag und in die Wertschöpfungskette ihrer Kunden einbringen - insbesondere, bevor Plattformanbieter aus den USA das Feld unter sich aufteilen und die etablierten Banken zukünftig zu reinen Produktzuliefern degradieren.

Das Geschäftspotenzial ist gewaltig und könnte Banken mittelfristig durch hochmargige, beständige Serviceumsätze von der Zinspolitik abkoppeln. Die frühen zwanziger Jahre werden darüber entscheiden, ob die Banken aus ihrem Winterschlaf erwachen und sich neu erfinden können.

Saskia Schäfer, Principal Consultant, Capco - The Capital Markets Company, Frankfurt am Main
Saskia Schäfer , Principal Consultant, Capco - The Capital Markets Company, Frankfurt am Main

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