Geldanlage

Die Anlagedisposition wird schwieriger

Jochen Ramakers, Mitglied des Vorstands, Sparda-Bank Hannover eG, Hannover

Der Anlegertypus des konservativen Sparers ist von der "kalten Enteignung" durch die Financial Repression besonders betroffen. Die Zinspolitik droht aber zum abstumpfenden Schwert zu werden, meint Jochen Ramakers. Damit wird die Anlagedisposition schwieriger. Denn die Performance an den Aktienmärkten in den letzten Jahren wird sich nicht fortschreiben lassen. Diversifikation und eine Value-orientierte Anlagestrategie wird deshalb noch wichtiger. Red.

Das gegenwärtig bestehende Niedrigzinsumfeld ist untrennbar mit den wirtschaftlichen beziehungsweise wirtschaftspolitischen Problemen verknüpft, die vor rund einem Jahrzehnt den Globus erschütterten: Die Subprime-Krise, die von den USA ausging, hatte sich seinerzeit rasch zu einer handfesten Finanzkrise entwickelt, in deren Gefolge im Herbst 2008 die Bank Lehman Brothers kollabierte. Im weiteren Verlauf wuchs sich das Geschehen zu einer massiven Banken- und Finanzkrise mit weltweiten Auswirkungen aus. Das Jahr 2009 wies sowohl in den USA als auch in Europa und anderen Ländern einen scharfen Einbruch der Wirtschaftsleistung aus. Um eine regelrechte "Kernschmelze" an den Finanzmärkten und eine wirtschaftliche Dauerdepression mit unabsehbaren Folgen zu verhindern, wurden in wichtigen Wirtschaftsräumen, darunter Nordamerika und Europa, staatliche Interventionen umgesetzt.

Diese gezielten Staatseingriffe beinhalteten unter anderem die Definition sogenannter systemrelevanter Banken sowie entsprechende Rettungsmaßnahmen und die Installation von "Schutzschirmen". Insbesondere zur Rettung von in Schieflage geratenen Banken wurde vielfach die Wirtschaftspolitik - vereinfacht ausgedrückt - auf den Modus einer regelrechten Geldflutung umgestellt. Diese wirtschaftspolitischen Eingriffe konnten zwar eine weitere Verschärfung der Krise verhindern, waren aber selbstverständlich nicht frei von Nebeneffekten, unter denen insbesondere eine weltweit angestiegene Verschuldung vor allem im öffentlichen, aber auch privatwirtschaftlichen Bereich zu nennen ist.

"Financial Repression" als zinspolitisches Paradigma

Der seinerzeit eingeschlagene wirtschaftspolitische Weg prägt das Zinsumfeld bis heute und lässt sich ganz wesentlich anhand des Begriffs der sogenannte "Financial Repression" kennzeichnen. Diese Repressionsstrategie lässt sich nach Analysen unter anderem der renommierten amerikanischen Ökonomin Carmen Reinhart dadurch charakterisieren, dass die Nachfrage nach primär öffentlichen Anleihen durch mehr oder minder subtilen staatlichen Druck aufrechterhalten wird und derartige Anleihebestände vor allem von Banken, aber beispielsweise auch Versicherungen erworben und gehalten werden sollen. Financial Repression geht überdies mit einer zunehmenden Reglementierung von Kapitaltransfers und teils auch mit einer gewissen Benachteiligung von Assetklassen außerhalb von Zinstiteln einher.

Alles in allem zielt die Strategie darauf ab, den sogenannten Realzins möglichst weit zu senken beziehungsweise in einen Negativbereich zu drücken. Bei einem Marktzins unterhalb der Inflationsrate kann dann ein tatsächlicher Abbau von Schulden einsetzen. Gemessen an den normativen Vorgaben freier beziehungsweise möglichst nicht überregulierter Märkte und einer liberalen Wirtschaftsordnung ist Financial Repression sicherlich kritisch zu betrachten. In der wirtschaftshistorischen Betrachtung lässt sich allerdings zeigen, dass ein solch interventionistischer Ansatz im Hinblick auf Haushalts- und Schuldensanierungen durchaus erfolgreich sein kann (Beispiel der Rückführung der kriegsbedingt hohen Staatsverschuldung in den USA und Großbritannien nach 1945).

Kritiker der finanziellen Repressionsstrategie brachten vor, dass hieraus langfristig auch eine überbordende Inflationierung resultieren könne. In der Gesamtbetrachtung des Zeitraums 2008 bis 2018 war ein solcher Inflationseffekt allerdings nicht erkennbar - im Gegenteil, zeitweise wurde, namentlich in der EU, mehr über die Risiken einer Deflationsspirale als über Inflation diskutiert.

Asset Inflation in Teilsegmenten

Allerdings darf nicht verkannt werden, dass in wirtschaftlichen Teilsegmenten eine regelrechte "Asset Inflation" stattgefunden hat.

- Beginnend an den Tiefpunkten im frühen Jahr 2009, haben sich beispielsweise die Aktienmarktbewertungen in bedeutenden Wirtschaftsräumen seitdem vervielfacht. Der deutsche Leitindex, der zudem ein Performanceindex ist, legte von März 2008 bis heute beispielsweise von etwa 3 700 Punkten auf über 12000 Punkte zu, während sich der US-Dow-Jones-Standardindex, der noch dazu lediglich einen Kursindex darstellt, von zirka 6 600 bis heute auf weit über 24000 Punkte steigerte. Sowohl Dax als auch Dow Jones markierten darüber hinaus unlängst Allzeithöchststände.

- Auch im Teilsegment Immobilien, in dem die beschriebene Finanzkrise einst ihren Anfang nahm, wurden sowohl in Deutschland als auch in den USA und anderen Ländern in den zurückliegenden Jahren beeindruckende Preissteigerungen erzielt.

Zweifellos trifft es zu, dass diese Segmententwicklungen auf die nach der Finanzkrise angestoßene "Geldflutung" und das stetig abgesenkte Zinslevel zurückzuführen waren. Das gleichsam immer billiger werdende Geld strömte in die Aktien- und Immobilienmärkte, ohne dass es im gleichen Zuge zu einer breiten Preissteigerung gekommen wäre (sieht man einmal von Sondersegmenten wie etwa dem Kunstmarkt und "Exoten-Assets" ab, wo sich seit 2009 ebenfalls teils extreme Preissteigerungen vollzogen).

Die breite Inflation, die von einigen Kritikern des Financial Repression-Ansatzes befürchtet wurde, entfaltete sich nicht, da offenbar die in Fülle zu Niedrig- und Niedrigstzinssätzen zur Verfügung stehenden Mitteln für unternehmerisch-realwirtschaftliche Tätigkeiten und Investitionen schlichtweg nicht abgerufen wurden. Über weite Strecken der zurückliegenden zehn Jahre lag insoweit eine lediglich verhaltene Konjunktur vor.

Erst in jüngerer Zeit scheint sich eine gewisse konjunkturelle Dynamik zu entfalten. Die deutsche Wirtschaft zeigt sich jedenfalls in brauchbarer Verfassung: 2017 konnte nach aktuellen Daten in Deutschland ein Wachstum um 2,2 Prozent erzielt werden. In Bezug auf die USA ist für das Jahr 2017 von einem Wirtschaftswachstum in ähnlicher Größenordnung auszugehen. Für die Weltwirtschaft (gesamt) sind Wachstumsraten (2017) von zumindest 3 Prozent zu konstatieren, was auch darauf zurückzuführen ist, dass sich die wirtschaftliche Situation in mehreren Emerging Markets merklich stabilisiert hat. Grundsätzlich ist auch für die Jahre 2018/19 eine Fortsetzung der positiven Wirtschaftsentwicklung in den genannten Räumen und global anzunehmen. Welthandelsorganisation und Internationaler Währungsfonds haben für die globale Konjunkturentwicklung sogar Zuwachsraten für 2018/19 von bis zu 4 Prozent prognostiziert

Kalte Enteignung konservativer Sparer

Viele - vermeintlich - konservative und sicherheitsorientierte Sparer, die unter den geschilderten Zinsbedingungen seit 2008 beträchtliche Mittel in Festgeldanlagen und dergleichen gehalten hatten, konnten von den Entwicklungen an den Aktienmärkten nicht profitieren.

Eine gewisse Kompensation mag man noch darin erkennen, dass dieser Anlegertypus womöglich Kursgewinne bei gehaltenen Anleihen oder Rentenfonds sowie bei möglicherweise vorhandenem Immobilienvermögen erzielen konnte. Vielfach wird jedoch der Anlegertypus nicht einmal realisiert haben, dass hier im Zuge von Financial Repression eine geradezu kalte Enteignung zu seinen Ungunsten erfolgt ist (und in deren Gefolge zum Beispiel auch die stark auf Anleihen setzenden, hierzulande vormals bei eben jenem - nach eigener Wahrnehmung - sicherheitsorientierten Typus recht beliebten Kapitallebensversicherungen in trübes Fahrwasser geraten mussten)1) .

Ein abstumpfendes finanzpolitisches Instrument?

Aktuell stellt sich allerdings die Frage, ob Financial Repression nicht allmählich zu einem abstumpfenden finanzpolitischen Instrument wird und inwieweit ein Niedrigzinsumfeld verharren kann. Vor allem mit Blick auf die USA wird eine deutliche Umkehr der Zinspolitik attribuiert beziehungsweise werden zukünftig forcierte Zinsanhebungen erwartet. Teils wird diese Perspektive, angelehnt an frühere Erfahrungen mit den Auswirkungen von Zinsanhebungen Mitte der neunziger Jahre, auch mit (scheinbar unvermeidlichen) Einbrüchen an den Aktienmärkten in Verbindung gebracht - vereinfacht gesprochen, drückt sich hier die Erwartung aus, dass umso mehr Geld aus dem Aktienmarkt abgezogen, um in Zinspapiere zu fließen je höher erzielbare Zinsen auch mit Schuldtiteln von als solide geltenden Emittenten sind.

Diese Art von "Allokationshydraulik" mag frühere Bärenmärkte und auch regelrechte Crash-Phänomene im Aktienmarkt teils brauchbar erklären, fraglich ist allerdings, ob eine solche Erklärung aktuell und prognostisch angemessen ist. Denn andere Stimmen weisen darauf hin, dass ein scharfer finanzpolitischer Paradigmenwechsel weder in den USA und erst recht nicht in der EU wahrscheinlich sein soll.

Nach diesen Stimmen könnten ein Niedrigzinsumfeld und eine sanft akkommodierende oder eher "laxe" Geldpolitik bedeutender Notenbanken noch länger andauern. Selbst in den USA wurde gemäß einer solchen Auffassung in den zurückliegenden ein bis zwei Jahren noch gar keine wirklich durchgreifende "Zinswende" vollzogen. Dass die behutsamen Zinsanpassungen in den USA angesichts der insgesamt ordentlich laufenden Konjunktur dort tatsächlich mittelfristig auf ein drastisch höheres Zinsniveau hinleiten, ist nicht unbedingt zu erwarten.

Deutliche Zinsanhebungen in der Eurozone erscheinen ohnehin bis auf weiteres, auch angesichts der aus Sicht der EZB zu niedrigen Inflationsraten, wenig realistisch. Zwar wurde seitens der EZB ein zinspolitisches "Tapering" kommuniziert, gleichwohl dürfte die EZB-Geldpolitik auch künftig expansiv geprägt sein und weiterhin einen interventionistischen Anleihenaufkauf beinhalten.

Ob das Aufkaufprogramm tatsächlich im Herbst 2018 auslaufen wird, bleibt kritisch abzuwarten und steht zudem unter dem Vorbehalt eines weiter anhaltenden Wirtschaftsaufschwungs in der Eurozone. Nicht zuletzt die gespannte Situation im Bankensektor Italiens und die politisch fragile Konstellation dieses Landes könnten die EZB dazu bringen, womöglich doch noch längerfristig in beträchtlichem Umfang insbesondere staatliche Schuldpapiere Italiens aufzukaufen.

Auf der anderen Seite wird ein Ultraniedrigzinslevel namentlich in der Eurozone natürlich nicht "endlos" fortbestehen. Die Frage ist vielmehr, wann und in welchem Ausmaß eine Anhebung der Leitzinsen erfolgen kann. Eine abrupte oder durchgreifende Zinserhöhung seitens der EZB dürfte unwahrscheinlich sein, da bei einem solchen Szenario nicht nur Versicherungen, Pensionskassen und andere Vorsorgewerke beträchtliche Summen ihrer Anleihebestände abschreiben müssten, sondern vor allem hoch verschuldete Staaten der Euro-Südzone wie beispielsweise Italien in eine hochproblematische Lage kommen würden. Ein Aufschwung von Euro-Exit-Populisten in diesen Ländern wäre wohl die Folge.

Anlagedisposition wird schwieriger

Im Vergleich zur Situation noch vor einigen Jahren mag es heute schwieriger erscheinen, angemessene Anlagedispositionen zu treffen und ein zukunftsweisendes Vermögensmanagement zu gestalten. Die an den Aktienmärkten in der Vergangenheit erreichte, durchaus beeindruckende Performance kann keineswegs in dieser Form einfach in die Zukunft fortgeschrieben werden.

Es sollte zu denken geben, wenn ein erfahrener und zugleich sehr erfolgreicher Investor wie Jeremy Grantham in jüngerer Zeit die Position vertritt, dass auf Sicht der nächsten beiden Jahrzehnte als Folge einer letztlich doch - teils auch erzwungenermaßen - moderaten Zinspolitik, aber auch infolge alternder Bevölkerungen in vielen Ländern, selbst im breiten Aktiensegment etablierter beziehungsweise. "klassischer" Wirtschaftsregionen wie Nordamerika, EU, aber auch Japan real kaum mehr als 2 bis 3 Prozent Rendite pro Jahr zu erwirtschaften sein könnten.

Aber auch die hiesigen und internationalen Anleihen, deren - nur zeitweilig unterbrochene - Aufwärtsbewegung um das Jahr 1981 einsetzte, dürften ihre besten Zeiten bereits hinter sich gebracht haben. Es spricht langfristig mehr für zumindest tendenziell steigende denn auf sehr niedrigem Level verharrende Zinssätze. In Teilbereichen des Rentenmarktes ist auch eine zwischenzeitlich erfolgte "Bubble"-Bildung, die nach einer Bereinigung verlangt, nicht auszuschließen.

Auf der anderen Seite werden die Notenbanken in bedeutenden Wirtschaftsräumen wie den USA und der EU viel dafür tun, merklich höhere Zinssätze zu vermeiden, da ansonsten die Finanzierung der kumulierten Haushaltsdefizite in arge Bedrängnis käme. Alles in Allem könnte insbesondere der Aktienmarkt mit einem mittel- bis längerfristig maßvollem Zinsanstieg durchaus "leben".

Diversifikation ist Trumpf

Eine Fokussierung von Panik- und Crash-Szenarien macht vor diesem Hintergrund wenig Sinn. Vielmehr sollten Anlagedispositionen mit Voraussicht, ruhiger Hand und vor allem mit langfristiger Orientierung erfolgen. Hier lediglich dem breiten Markt zu folgen, mag jedoch, wie zuvor umrissen, selbst in einer langfristigen Perspektive eher enttäuschende Resultate erbringen. Als sicherlich sinnvoll dürften sich vielmehr die konsequente Beachtung des Diversifizierungsgedankens und eine hinreichende Berücksichtigung von gezielt auszuwählenden Substanzanlagen aus dem Aktien- und Immobiliensegment erweisen (aktives Asset Management).

Bei Anlagedispositionen kann sich in vielen Fällen auch zukünftig eine Realisierung des Value-Prinzips bewähren, also eine qualifizierte Fundamentalanalyse und Identifikation unterbewerteter Assets, namentlich im Aktienbereich. Gerade ein solcher Valueorientierter Investmentstil, der von der Verfolgung kurzfristiger Trends oder von "Modethemen" absieht, verlangt allerdings nach entsprechender Anlagedisziplin.

Fußnote

1) Den zwar pointierten, aber keineswegs deplatzierten Begriff der kalten Enteignung hatte Walter Krämer, Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der Technischen Universität Dortmund, bereits vor rund 5 Jahren geprägt.

Zum Autor Jochen Ramakers, Stellvertretender Vorsitzender des Vorstands, Sparda-Bank Hannover eG, Hannover
Jochen Ramakers , Stellvertretender ­Vorsitzender des Vorstands , Sparda-Bank Hannover eG, Hannover
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