REGULIERUNG

Bankenregulierung - der lange Weg zurück in die Normalität

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Standpunkte aus den Bundestagsfraktionen

Wie gelingt nach den Corona-bedingten regulatorischen Lockerungen die Rückkehr in die normale Bankenregulierung? Das hat die Redaktion die finanzpolitischen Sprecher der Fraktionen im deutschen Bundestag gefragt. Antje Tillmann betont, dass es kein echtes Zurück geben kann, weil die Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle weiter gehen und regulatorisch begleitet werden muss. Lothar Binding warnt davor, unter dem Eindruck der Belastungen durch die Corona-Krise eine Deregulierung zu fordern. Dr. Florian Toncar plädiert dafür, den Trend zu regulatorischen Verschärfungen fort zuschreiben. Und Jörg Cezanne bezeichnet die Verschiebung regulatorischer Vorhaben als Fehler und möchte die Regulierung auf das Leitbild kleinerer Banken ausgerichtet sehen. Einigkeit herrscht darin, dass sich die nach der Finanzkrise eingeführten regulatorischen Maßnahmen derzeit bezahlt machen. Red.

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Banken sicher durch Corona und in die Zukunft führen

Antje Tillmann , Foto: Michael Voigt

Die Covid-19-Pandemie traf unsere global vernetzen Volkswirtschaften ohne Vorwarnung und führte zu einem weltweiten Wachstumseinbruch. In Deutschland und Europa haben wir schnell und besonnen reagiert. Wir haben unsere Wirtschaft gestützt und die Spielräume im regulatorischen Rahmen der Banken genutzt, um zu verhindern, dass die Wirtschaftskrise zu einer Finanzkrise wird. Die Maßnahmen, die wir im Nachgang der letzten Finanzkrise ergriffen hatten, um den Finanzsektor insgesamt krisenfester und stabiler zu machen, haben ihre erste ernsthafte Bewährungsprobe bisher bestanden. Die Corona-Krise zeigt aber nicht nur, ob das Finanzsystem über die nötigen Instrumente verfügt, um Krisen abzufedern. Sie kann darüber hinaus dabei helfen, besser zu verstehen, wo unser Finanzsystem noch weiter gestärkt werden muss, um für die Zukunft gerüstet zu sein.

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Aus Sorge vor einer Destabilisierung des Finanzsektors wurden zusätzlich umfassende Maßnahmen ergriffen, um die Kreditwirtschaft gezielt zu unterstützen. Hier haben wir aus der letzten Finanzkrise gelernt und schnell reagiert, damit Banken ihre wichtige Aufgabe bei der Versorgung der Wirtschaft mit Kapital und Liquidität uneingeschränkt fortsetzen können. Die Stabilität des Finanzsystems ist unter allen Umständen zu gewährleisten und krisenverstärkende, prozyklische Effekte müssen unterbunden werden. Die wichtigste Rolle hat hierbei die Aufsicht.

Die Kapitalausstattung deutscher Kreditinstitute hatte sich nach der Finanzkrise derart positiv entwickelt, dass die Aufsicht diese jetzt dazu anhalten konnte, Spielräume beim Kapitalerhaltungspuffer, beim antizyklischen Kapitalpuffer sowie beim Liquiditätspuffer in Form der Mindestliquiditätsreserve auszuschöpfen. Die Aufsicht reagierte außerdem mit krisenbedingten Kapitalerleichterungen. Den antizyklischen Kapitalpuffer setzte die BaFin von 0,25 auf 0 Prozent herab. Darüber hinaus wurden Liquiditätsanforderungen verringert, insbesondere im Rahmen der staatlichen Förderprogramme.

Weitere Sicherheit war nötig, wenn es darum ging, prozyklische Effekte aus der Bilanzierung und Bewertung von Kreditrisiken zu vermeiden. Mit Blick auf die Anwendung von IFRS 9 musste dafür Sorge getragen werden, dass eine Kaskade aus massiven Wertberichtigungen und sprunghafter Erhöhung der Risikovorsorge vermieden wird. Auch Erleichterungen der Aufsicht bei der Kreditvergabe haben Banken dabei unterstützt, dass nicht zuletzt die in Form von Krediten ausgestalteten Förderprogramme der KfW die Unternehmen erreichen konnten.

Regulatorische Maßnahmen zurückgestellt

Einig waren sich Aufsicht und Gesetzgeber am Punkt, weitere regulatorische Maßnahmen einstweilen zurückzustellen, damit sich die Kreditwirtschaft mit ganzer Kraft auf ihre krisenbedingten Aufgaben konzentrieren konnte. Hierzu zählen die Verschiebung der Umsetzung der Vorschriften zur Finalisierung von Basel III um ein Jahr auf den 1. Januar 2023 sowie aufsichtliche Erleichterungen bei Meldepflichten, die Verschiebung von Stresstests oder Flexibilisierungen bei der Einhaltung von Fristen.

Die ergriffenen Maßnahmen in ihrer Gesamtschau lassen es zu, dass wir für den Finanzsektor ein vorsichtiges Zwischenfazit ziehen dürfen: Bislang konnte verhindert werden, dass sich die pandemiebedingte Wirtschaftskrise zu einer Finanzkrise ausweitet. Damit haben sich die regulatorischen Maßnahmen, die wir als Lehre aus der Finanzkrise ergriffen haben, in ihrem ersten realen Stresstest bislang bewährt. Das dürfen wir bei aller berechtigten Sorge mit Blick auf die Zukunft positiv feststellen. Konjunkturelle Schwankungen stellen in einer wettbewerblichen Wirtschaft keine Abweichung eines Normalzustands dar, sondern markieren den normalen wirtschaftlichen Verlauf. Daher ist in der Bankenregulierung ein flexibler Rahmen notwendig, damit der Finanzsektor bei konjunkturellen Schwankungen die erforderlichen Anpassungen schnell vornehmen kann. An dieser Stelle zeigt sich der große Vorteil einer starken Aufsicht.

Natürlich ist es zu früh, um aus Sicht der Banken bereits ein endgültiges Resümee dieser Corona-Krise zu ziehen. Es muss weiterhin sehr sorgfältig beobachtet werden, ob es nicht in einzelnen Bereichen zu verstärkten Kreditausfällen und damit einhergehendem Kapitalbedarf kommt. Denn klar ist, dass die staatlichen Maßnahmen zwar einen schockartigen Wirtschaftseinbruch verhindern konnten. Irgendwann muss unsere Volkswirtschaft aber die pandemiebedingten Folgen verarbeiten. Deshalb ist es richtig, dass die Insolvenzantragspflicht ab dem 1. Oktober 2020 - beziehungsweise bei reiner Überschuldung ab dem 1. Januar 2021 - wieder gilt.

Wenn die marktwirtschaftlichen Kräfte schrittweise wieder ihre volle Wirkung entfalten, werden auch die Banken zeigen müssen, ob sie ausreichend Puffer haben, um diesen Prozess bis zum nächsten Aufschwung abzufangen. Auf diesen dürfen wir nach den Prognosen der Wirtschaftsweisen hoffen.

Weitere Stabilisierung durch Common Backstop

Bei den Anstrengungen zur Stabilisierung des Finanzsektors dürfen wir nicht nachlassen. Auch das lehrt die Corona-Krise. Es ist daher als großer Erfolg zu werten, dass sich die Eurogruppe am 30. November 2020 auf die Reform des ESM mit einem auf 2022 vorgezogenen Common Backstop für den europäischen Bankenabwicklungsfonds (SRF) geeinigt hat.

Der Common Backstop steht am Ende einer mehrgliedrigen Kette von Sicherungsmechanismen, die vor einem erneuten Bail-out mit Steuermitteln schützt. Den besten Schutz bietet dabei die Prävention. Es ist deshalb wichtig, beim Risikoabbau hart zu bleiben und insbesondere dafür zu sorgen, dass die Bestände an notleidenden Krediten (NPL) konsequent weiter abgebaut werden. Kommt es zum Abwicklungsfall, bilden Bail-in-fähige Kapitalbestandteile (MREL) die erste Schutzmauer. Beim Aufbau dieser Bail-in-Puffer haben die Institute gute Fortschritte erzielt. Uns war es wichtig, eine verbindliche Quote von 8 Prozent MREL vorzusehen, damit im Abwicklungsfall der Bail in funktionieren kann. Der ESM wird daher im Rahmen des Common Backstop erst dann Kredite an den europäischen Bankenabwicklungsfonds vergeben müssen, wenn sowohl Bail-in-Puffer als auch die Mittel aus dem SRF im Abwicklungsfall nicht ausreichen. Die Einigung der Eurogruppe sieht vor, dass der Common Backstop 2022 in Kraft treten soll. Dies wird zusätzliches Vertrauen in die Stabilität des Finanzsystems schaffen. Wir hoffen deshalb, dass nach der Einigung der Euro Finanzminister der Ratifikationsprozess in den Mitgliedstaaten reibungslos abgeschlossen werden kann.

Durch einen flexiblen Rahmen mit schnellen Entscheidungsprozessen hat das Wirtschafts- und Finanzsystem die Chance, mit der Pandemieentwicklung Schritt zu halten. Wir sollten daher die Zeit nutzen, um zu lernen, wie unsere Volkswirtschaft noch besser auf dynamische konjunkturelle Entwicklungenreagieren kann. Die möglicherweise durch die Corona-Krise deutlich beschleunigten Veränderungsprozesse werden auch die Banken spüren. Hier ist es wichtig, die Digitalisierung mit voller Kraft voran zu treiben und bei den Geschäftsmodellen noch innovativer zu werden, insbesondere nachhaltige Strukturen stärker zu integrieren.

Innerhalb kurzer Zeit hat die Covid-19-Pandemie den Zahlungsverkehr grundlegend verändert. Wer bis vor kurzem bei seinem Bäcker schief angeschaut wurde, wenn er die Brötchentüte für 4,20 Euro mit seiner Girocard bezahlen wollte, wurde plötzlich sogar dazu aufgefordert, auf Bargeldzahlungen zu verzichten. Man muss das Bargeld nicht abschaffen, um Innovationen im Zahlungsverkehr zu ermöglichen. Gerade hier sind Technologieunternehmen als Konkurrenz der Banken auf den Plan getreten und haben durch ihren von vornherein vollständig digitalen Ansatz die Entwicklungen vorangetrieben.

Digitalisierung des Finanzsektors durch Regulierung begleiten

Es ist dringend erforderlich, dass die Kreditwirtschaft die Digitalisierung noch konsequenter und schneller voranbringt, um auch in Zukunft in vielen klassischen Bankbereichen nicht ins Hintertreffen zu geraten. Der Aufbau von Systemen, die auf der Distributed-Ledger Technologie basieren, wird sich in Zukunft noch weiter beschleunigen. Im Wertpapierbereich werden die Weichen bereits durch die Gesetzgebung in Richtung Zukunft gestellt.

Für die CDU/CSU-Fraktion steht fest, dass Innovation nur die eine Seite der Medaille darstellt und die Regulierung diesen Prozess ebenfalls mitgehen muss. Regulierung kann dabei helfen, Entwicklungen zu fördern, weil sie einen klaren Rechtsrahmen vorgibt, in dem sich Wettbewerb bewegen kann. Ein Beispiel hierfür ist das Kryptoverwahrgeschäft, das mit dem Gesetz zur Umsetzung der Änderungsrichtlinie zur vierten EU-Geldwäscherichtlinie vor Kurzem eine regulatorische Einbettung erfahren hat. Wenn Marktverzerrungen auftreten, beispielsweise weil Techenologieunternehmen in direkter Konkurrenz zu Banken treten, ohne für ihre Dienstleistungen vergleichbaren regulatorischen Anforderungen zu unterliegen, sind diese Schieflagen zu beseitigen. An dieser Stelle können Hinweise aus der Aufsichtspraxis an die Verantwortlichen in der Politik helfen, damit der Gesetzgeber schnell reagieren kann.

Damit Banken gestärkt und zukunftsfest aus der Corona-Krise hervortreten, müssen diese ihre Geschäftsmodelle weiter anpassen. Der Klimawandel hat sich durch die Corona-Krise nicht erledigt, er ist nur einstweilen aus dem unmittelbaren Fokus getreten. Das wird sich ändern, da wir die Folgen des Klimawandels immer mehr zu spüren bekommen werden. In Zukunft wird es deshalb mehr und mehr von Vorteil sein, wenn man sein Geschäftsmodell konsequent auf Nachhaltigkeit ausrichtet. Das gilt in gleicher Weise auch für den Finanzsektor. Defizite an dieser Stelle werden zu einem immer stärker werdenden unternehmerischen Risiko werden.

Schon aus eigenem Interesse müssten Banken Finanzierungen auf ihre Nachhaltigkeit beurteilen und mit einem entsprechenden Risiko gewichten. Auch bei der Gestaltung von Produkten bieten sich Möglichkeiten, um am Ende im Nachhaltigkeitswettbewerb die Nase vorn zu haben. Wenn die Zeichen der Zeit jetzt erkannt und die Weichen richtig gestellt werden, dann werden unsere Banken und Sparkassen gestärkt aus dieser Krise hervorgehen. Die CSU/ CSU-Fraktion ist an dieser Stelle bereit zu helfen!

Antje Tillmann, MdB, Finanzpolitische Sprecherin, CDU/CSU Bundestagsfraktion, Berlin

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Die Belastung der Banken darf nicht dazu führen, Forderungen nach Deregulierung zu erheben

Lothar Binding, Foto: SPD (Susie Knoll)

Die Covid-19-Pandemie bestimmt derzeit unser Leben. Sie wirkt in vielen verschiedenen Sektoren: in der Gesundheit, der privaten Freizeitgestaltung, am Arbeitsplatz und in den Unternehmen, in der Gastronomie, der Kultur, dem Tourismus. Viele Wirtschaftszweige wurden ordnungspolitisch geschlossen - Umsatz von 100 auf null. Lieferketten funktionieren nur eingeschränkt, Angestellte werden krank oder befinden sich in Quarantäne, das Gesundheitssystem kommt zunehmend unter Druck.

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In einer solchen Krise sollte der Staat helfen: den Arbeitnehmern, Unternehmen und Unternehmern, auch den Soloselbstständigen, Künstlern und gemeinnützigen Vereinen - und genau das tut der Staat auch. Diese Hilfe zu unterlassen wäre sehr unklug und teuer. Denn nichts ist teurer als im falschen Moment zu sparen. Deshalb wird der Gesundheitssektor gestärkt. Mithilfe des Kurzarbeitergeldes, eines von Olaf Scholz in der Bankenkrise entwickelten und krisenerprobten Instruments, werden viele Arbeitsplätze gerettet. Kreditbürgschaften, Zuschüsse, Anrechnung der Verlustrückträge auf Steuervorauszahlungen aus dem Vorjahr, verbesserte Abschreibungen und Steuerstundungen helfen Unternehmen bei der Bewältigung der Krisenfolgen. Der Staat sichert also die Bekämpfung der Pandemie ab und verhindert viele Entlassungen und Insolvenzen. Zudem wurde ein umfangreiches Konjunkturprogramm in Gang gesetzt, das die Binnennachfrage stimuliert, Investitionen anreizt und dabei gleichzeitig den digitalen und ökologischen Wandel, die große sozial ökologische Transformation, voranbringt.

Zum Glück ist der deutsche Staat zu diesem finanziellen Kraftakt in der Lage, weil die auf nachhaltige Finanzpolitik bedachten Politiker dem jahrelang vorgetragenen Mantra von Steuersenkungen für Unternehmer und Unternehmen nicht gefolgt sind. Aber auch, weil in vergangenen Jahren gut gewirtschaftet wurde und nicht zuletzt, weil die Zinsen im historischen Vergleich sehr niedrig sind.

"Finanzieller Kraftakt" bedeutet Neuverschuldung. Sie ist möglich, weil die Schuldentragfähigkeit des Staates sehr hoch und das Zinsänderungsrisiko gering ist. So kann sich der Fiskus derzeit zu Null- oder sogar Negativzinsen verschulden. Dabei ist es klug, nicht nur die Schulden in den Blick zu nehmen - den Schulden stehen Vermögenstitel gegenüber. Deshalb ist auch der Satz von den "Enkeln, die unsere Schulden bezahlen müssen", falsch. Staatsschulden sind Lastenverschiebungen innerhalb einer Generation. Und sie sind eine sichere Anlageklasse für alle einzelnen Individuen.

Foto: Deutscher Bundestag (Henning Schacht)

Ende 2019 betrugen die Staatsschulden etwa 1 900 Milliarden Euro, durch die Corona-Krise kommen etwa 200 Milliarden hinzu. Normalerweise werden Staatschulden durch Wirtschaftswachstum marginalisiert (das BIP steigt, der Schuldenbetrag bleibt konstant). Durch Aussetzung der Schuldenbremse infolge der Pandemie gibt es für einen Teil der pandemiebedingten neuen Schulden einen Tilgungsplan. Unglücklicherweise wurde diese Tilgung auf einen Zeitraum von nur 20 Jahren festgelegt. Daraus erwachsen fiskalische Zwänge, die wahrscheinlich zusätzliche Einnahmen notwendig machen. Anders als in Nordrhein-Westfalen haben die Bundes-CDU und die CSU eine Prolongierung dieser Tilgungsverpflichtung nicht mitgetragen. So rückt die Überlegung näher, von Bürgern, die über sehr hohe Einkommen und sehr hohe Vermögen verfügen, eine Beteiligung an dieser Tilgungsaufgabe zu verlangen. Abgesehen davon ist dies auch eine Frage der Gerechtigkeit.

Banken müssen während und nach der Krise stabil sein

Es ist also aus verschiedenen Gründen wichtig, die deutsche Wirtschaft schnell wieder auf den Wachstumspfad zurückzubringen. Deshalb lohnt sich auch die staatliche Anstrengung. Dabei kommt auch den Banken, zur Sicherstellung von Liquidität in unserem Geldkreislauf und bei der Finanzierung der Realwirtschaft eine bedeutende Rolle zu. Banken spielen darüber hinaus als Kreditgeber und Intermediär zwischen dem Staat beziehungsweise der KfW und der Realwirtschaft beziehungsweise Privatpersonen eine wichtige Rolle.

Das gesamte Finanzsystem muss dabei sowohl während als auch nach der Krise stabil sein. Dabei geht es um mehr als um einzelne Entitäten, aber neben Versicherungen haben Banken dabei eine besondere Bedeutung. Sie dürfen zum Beispiel keine prozyklischen Effekte auf die Wirtschaft auslösen und damit krisenverschärfend Treiber des Abschwungs sein.

Es kann sein, dass nicht alle Betriebe wohlbehalten durch die Krise kommen. Auch bei Privatpersonen kann es zu Einkommensverlusten kommen. Das wird schon jetzt deutlich: 40 Prozent der Arbeitnehmer geben an, dass ihr Einkommen zurückgegangen ist. Auch wenn dies zu Kreditausfällen führen kann, die sich natürlich in den Bilanzen der Banken niederschlagen, ist dies keine Rechtfertigung für Dispozinsen in einer nicht akzeptablen Größenordnung. Diese wurden auch schon vor der Krise verlangt.

Regulierung macht sich bezahlt

Die deutschen Kreditinstitute zeigen sich in der Corona-Krise robust - eine gute Entwicklung, die auf eine deutlich verbesserte Regulierung nach der Finanzmarktkrise ab 2007 zurückgeht. Heute besitzen die Banken in Deutschland größere und stabilere Ressourcen bei Kapital und Liquidität als damals. Vor dem Beginn der aktuellen Covid-19-Pandemie (im 1. Quartal 2020) hat die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (European Banking Authority, kurz EBA) den Banken gute Werte bescheinigt: Die harte Kernkapitalquote (Common Tier 1 CET 1) lag im Durchschnitt bei 14,2 Prozent. Bei der Liquiditätsdeckung (Liquidity Coverage Ratio-LCR) wurden 140,5 Prozent erreicht (Zielwert 100 Prozent) und die notleidenden Kredite (Non-Performing Loans, kurz NPL) hatten einen Anteil von 1,2 Prozent an allen Forderungen.

Die Regulierung nach der Bankenkrise ist so angelegt, dass die Banken für Krisenzeiten vorsorgen müssen. Nun haben wir eine Krise und diese Vorsorge macht sich bezahlt. Die angelegten Puffer können in der Corona-Krise für die Kreditvergabe an Unternehmen und Privatpersonen verwendet werden. Das hat die Aufsicht erklärt.

Kapitalpuffer im Blick behalten

Allerdings muss eine Unterschreitung der Puffer der Aufsicht mitgeteilt werden und sinnvollerweise sind dann auch Dividenden- und Bonuszahlungen eingeschränkt. Dies ist schon der Stabilisierung der Verlustabsorption einerseits, aber auch der Kreditvergabefähigkeit andererseits geschuldet. Mit dem Risikoreduzierungsgesetz haben wir im November 2020 die Kapital-und Liquiditätsanforderungen erneut gestärkt, um die Widerstandsfähigkeit der Banken in Stressphasen weiter zu erhöhen. Denn in der Krise lassen sich nur die Puffer aktivieren, die man auch hat.

Um die Stabilität des Systems nicht zu gefährden, müssen die Mindestkapitalanforderungen natürlich weiter eingehalten werden. Ausnahme: Lockerung der Anforderung für Marktpreisrisiken.

Flexibilität innerhalb bestehender Regeln

Darüber hinaus ist es bei einer Krise solchen Ausmaßes sinnvoll, innerhalb der bestehenden Regeln flexibleres Handeln für die Banken zu ermöglichen, um sie dabei zu unterstützen, die Wirtschaft mit Krediten ausstatten zu können. Das zeichnet gutes regulatorisches Handeln aus. Dies entspricht auch der gegenwärtigen Praxis.

Die Aufsichtsbehörden haben die Anforderungen an die Banken stellenweise gesenkt. Der antizyklische Kapitalpuffer wurde von der BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) zum 1. April 2020 von 0,25 Prozent auf 0 Prozent gesenkt. So wird sichergestellt, dass das frei werdende Kapital von den Banken direkt zur Kreditvergabe eingesetzt werden kann. Des Weiteren hat die Aufsicht ihre Flexibilität bei den internen Modellen der Banken genutzt. Wenn Banken die Eigenkapitalanforderungen für Marktpreisrisiken mit internen Modellen bestimmen, haben sie hier künftig mehr Spielraum. Damit wird das Ziel verfolgt, der hohen Marktvolatilität seit dem Beginn der Covid-19-Pandemie und somit einem deutlichen Anstieg der Eigenkapitalanforderungen entgegenzuwirken.

Foto: Deutscher Bundestag (Meldepress/Michael Ebner)

Ein bedeutender Teil der großen Hilfspakete für die deutsche Wirtschaft sind Liquiditätshilfen für Unternehmen im Rahmen von KfW-Sonderprogrammen. Hierfür übernimmt der Bund beziehungsweise die KfW hohe Garantien. Dazu kommt ein KfW-Schnellkredit mit voller Haftungsfreistellung für Startups und ein weiteres Programm für gemeinnützige Organisationen. Damit die operative Kreditvergabe im Rahmen der Programme erleichtert wird, unterstützt die Aufsicht die Banken durch Erleichterungen bei der Antragstellung. So können Unternehmen einfach den letzten verfügbaren Jahresabschluss einreichen.

Bei der Kreditvergabe wurde die organisatorische Trennung der Bereiche Markt (Kundenkontakt, zum Beispiel im Vertrieb) und Marktfolge (kein Kundenkontakt, zum Beispiel in der Kreditanalyse) gelockert. Hier hat die Aufsicht normalerweise eine strikte Trennung vorgegeben, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Durch die Anpassung kann ein Kredit nun auch dann gewährt werden, wenn die Kapitaldienstfähigkeit des Kreditnehmers durch die Corona-Krise vorübergehend nicht gegeben ist. Gleichzeitig muss die Bank aber zu der Prognose kommen, dass das Unternehmen die Krise überstehen und wieder Gewinne machen wird.

Zu diesen Erweiterungen der Flexibilität kommen weitere regulatorische Entlastungen für Banken. Die Aufsicht hat sich dafür entschieden, die "Finalisierung von Basel III" ein Jahr später, zum 1. Januar 2023, umzusetzen. Von der Aufsicht verordnete Stresstests werden ebenfalls um ein Jahr verschoben. Die Europäische Kommission hat darüber hinaus zusätzliche Änderungen angeregt. Die Eigenkapitalverordnung wurde mit einem "Quick Fix" justiert. Dazu zählt zum Beispiel eine Erweiterung und Verlängerung der Übergangsregelungen für die Bestimmung der Risikovorsorge nach IFRS 9.

Die nächste Krise kommt bestimmt

Diese Betrachtung zeigt mehrere Dinge. Unser Staat hilft Menschen und Wirtschaft in dieser schweren Krise auf breiter Front. Hier zahlt sich die umsichtige Finanzpolitik aus, die zu hohen Rücklagen und einer sehr guten Bonität geführt hat. Den Banken kommt mit der Finanzierung der Realwirtschaft und als Kreditgeber für private Haushalte eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der Krise zu. Allerdings wird uns aus der Bürgerschaft auch mitgeteilt, dass einige Banken bei der Haftungsübernahme etwas zögerlich agieren, obwohl der Bund 80, 90 oder gar 100 Prozent Haftungsfreistellung garantiert. Hier ist mehr Aktivität beziehungsweise Unterstützung wünschenswert, bei gleichzeitig angemessenem Risikomanagement.

Außerdem zeigt sich, dass die Regulierungsmaßnahmen der letzten Jahre wichtig und wirkungsvoll waren. Sie sollten die Banken in der Krise robust machen und in der Corona-Krise hat sich gezeigt, dass dieses Ziel erreicht wurde. Die zusätzlichen Ressourcen bei Kapital und Liquidität können für die benötigte Bereitstellung von Krediten genutzt werden. Auch bei den Möglichkeiten der Flexibilität innerhalb der Regulierungsvorschriften zeigt sich die kluge Ausgestaltung der Regulierung. Die zweifelsfrei hohe Belastung der Banken in der Corona-Krise darf allerdings nicht dazu führen, nun Forderungen nach einer Deregulierung zu erheben. Denn gerade in der Krise hat sich die Stärke der Regulierung gezeigt. Und die nächste Krise kommt bestimmt.

Lothar Binding, MdB, Finanzpolitischer Sprecher, SPD-Bundestagsfraktion, Berlin

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Die Regulierung insgesamt muss auf den Prüfstand

Dr. Florian Toncar, Foto: FDP

Der Corona-Krise, die seit Ende 2019/Anfang 2020 die Welt im Griff hat, folgen beispiellose Auswirkungen in allen Lebensbereichen. Sie übertrifft in vielfacher Hinsicht die Finanzkrise von 2008. Die Staaten stellen Gelder in bislang kaum gekannter Höhe zur Krisenbekämpfung bereit, doch der Gesundheitssektor und die Privatwirtschaft sind so stark unter Druck, dass Hilfsmaßnahmen nur die schwersten Symptome mildern können. Kanzleramtschef Helge Braun warnte bereits: "Der Staat ist nicht unbegrenzt handlungsfähig."

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Wie bereits bei den vergangenen Krisen ist der Bankenbereich aufs Neue schwer getroffen. Die derzeitige Krise könnte für die Finanzinstitute eine ungeahnte Belastung werden, die mittel- und langfristigen Wirkungen sind noch nicht abzusehen. Logischerweise trifft die Krise das Kreditgeschäft besonders hart. Corona wird zu Kreditausfällen führen, wie hoch lässt sich derzeit noch schwer abschätzen, da ein Ende der Pandemie und damit eine Normalisierung der Wirtschaft noch nicht in Sicht sind. Die BaFin warnte daher bereits, die Banken seien "tiefenentspannt" und müssten stärkere Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz treffen, bis hin zu "allergrößter Zurückhaltung" bei den Boni. Die EZB sprach gar einen faktischen Dividendenstopp aus und erneuerte kürzlich den Ruf nach staatlicher Unterstützung beim Abbau fauler Kredite.

Die Branche braucht mehr systemische Unterstützung

Problematisch werden die prozyklischen Wirkungen einiger Punkte der Bankenregulierung sein. Zunehmende Kreditausfälle, wie sie bei einer Rezession typisch sind, wirken unmittelbar auf die Eigenmittel- und Liquiditätsanforderungen und die Bilanzen. In einem bereits seit längerem bestehenden schwierigen Umfeld aus Niedrigzinsen, Marktdruck, schleppender Digitalisierung und Zurückfallen hinter die Konkurrenz aus Übersee könnte nun das Kreditproblem eine zusätzliche schwere Kostenbelastung darstellen. Eine solche Überbelastung kann die Ausreichung von Krediten verlangsamen - und die Realwirtschaft in weitere Geldnot bringen.

Neben auch öffentlichkeitswirksam diskutierten, eher symbolischen Maßnahmen wie eben der Boni-Frage braucht die Branche daher viel mehr systemische Unterstützung: Die Regulierung insgesamt muss auf den Prüfstand - und viele Handlungsfelder bestanden bereits vor Corona.

Trend zu Verschärfung kann angehalten werden

In der Vergangenheit kannte die Regulierung nur eine Bewegung: Wachstum in Richtung höherer Dichte. Seit der Baseler Ausschuss gegründet wurde, wurden die Banken nach und nach immer stärker kontrolliert und reguliert, nicht zuletzt als Konsequenz unzureichender Regulierung des Sektors vor der Finanzkrise. Das betrifft insbesondere auch die Eigenkapitalrichtlinien und endete jüngst mit dem Vorschlag für den sogenannten Output-Floor unter Basel III/IV. Bei der Bilanzierung ist mittlerweile IFRS 9 der gültige Standard. Hier handelt es sich jeweils um das bislang schärfste Regelwerk, welchem die Banken unterworfen werden.

Nun befindet sich Bankenregulierung stets im Spannungsfeld zwischen dem Ziel eines widerstandsfähigen Bankensektors und einer gut laufenden Kreditvergabe für Unternehmen. Einerseits wird Regulierung von den betroffenen Instituten oftmals als Belastung empfunden beziehungsweise stellt in der Realität eine Belastung dar. Andererseits gab es oftmals gute Gründe dafür, dass Regulierungen eingeführt oder nachgeschärft wurden. Eine dialektische Beschäftigung mit dem Thema lässt gar keine andere Meinung zu - beide Seiten der Medaille erkennen sowohl die Regulatoren als auch die Regulierten an. Es sollte jedoch die Frage gestellt werden, ob die Richtung der Regulierung und wen sie reguliert, weiter wie bisher durchgehalten werden sollte.

In der Tat haben die Aufsichtsbehörden im Zuge der Krise sehr schnell reagiert und eine ganze Reihe an Maßnahmen getroffen, um der Kreditwirtschaft Luft zu verschaffen: Die Umsetzung der Finalisierung des neuen Basler Regelwerks wurde auf 2023 verschoben, die EBA verschob den EU weiten Stresstest und avisierte Flexibilität bei der Umsetzung der Leitlinien zum Management notleidender und gestundeter Risikopositionen, die ESMA hat die nationale Aufsichtsbehörden aufgefordert, verspätete Finanzberichterstattung nicht zu verfolgen, das SRB hat Erleichterungen bei der Abwicklungsplanung kommuniziert und die BaFin hat sich zu zahlreichen Fragen der Auslegung einzelner Erleichterungen sehr klar geäußert und etwa die Reduktion des antizyklischen Kapitalpuffers (zunächst befristet) erlaubt. Auch die Europäische Union hat mit der Verordnung (EU) 2020/873 schnell reagiert, und unter anderem die Anwendung von IFRS 9 aufgeweicht.

Alles in allem sieht man, dass die Behörden schnell signifikante Erleichterungen durchsetzen können, wenn es die Umstände erfordern. Hier geht es keineswegs darum, dass Regeln, die Krisen im europäischen Bankensektor verhindern sollen, dann abgeschafft werden, sobald eine solche Krise droht. Wir befinden uns in einer akuten Krisensituation. Gleichwohl hat Corona die Möglichkeit aufgezeigt, dass der Trend zur immer weiteren Verschärfung der bankenaufsichtlichen Regulierung angehalten werden kann.

Rückkehr zur "Normalität" überhaupt wünschenswert?

Der Weg zurück in die Normalität wird lang - für uns Bürger, die sich das Ende der Pandemie herbeiwünschen, aber auch für die Politik, denn die Nachwirkungen der Krise werden lange zu spüren sein. Es steht zu befürchten, dass der Bankensektor mithin am Längsten an den Folgen arbeiten muss, denn die Abschreibung ausgefallener Kredite und der harte (Konsolidierungs-)Wettbewerb, insbesondere in Deutschland, werden andauern. Insofern ist die Frage zu stellen, ob eine Normalität im Sinne einer Rückkehr zu einer Bankenregulierung "vor Corona" überhaupt wünschenswert ist.

Ganz sicher sollten einige der aktuellen Maßnahmen keinesfalls verstetigt werden. Man denke etwa an das Aufweichen der Regulierung bei Forderungen gegenüber Staaten: Bereits seit langem ist die Regelung, dass Staatsanleihen in der Landeswährung nicht risikogewichtet werden, problematisch und hoch umstritten, führt sie doch zum vertrackten Staaten-Banken-Nexus - eine Ursache der krisenhaften Entwicklung in der Eurozone und Grundlage hoher öffentlicher Verschuldung. Nun werden auch Anleihen in Drittwährungen zeitweise nicht berücksichtigt und es gelten weitere Privilegien etwa bei Verlusten und Verschuldungsquote. Angesichts des systemischen Problems, welches diese Privilegierung von Anfang an darstellte, ist hier zumindest eine Rückkehr zum Status quo ante, besser noch eine tiefgreifende Reform wünschenswert. Auf anderen Feldern sollten wir jedoch gründlich darüber nachdenken, ob die alte Normalität der Regulierung für die Zukunft tragfähig ist.

Foto: Deutscher Bundestag (Julia Kummerow)

Die EBA geht nach ihren eigenen Erhebungen davon aus, dass die Mindestkapitalanforderungen der europäischen Banken durch die Vollumsetzung der Basel-III-Reform durchschnittlich um 23,6 Prozent steigen werden Zur Erfüllung dieser künftigen regulatorischen Mindestanforderungen würden den europäischen Banken derzeit rund 124,8 Milliarden Euro an Eigenkapital fehlen. Für die deutschen Banken würden die Mindestkapitalanforderungen nach den Berechnungen der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde durchschnittlich um etwa 35 Prozent ansteigen. Demnach könnten den heimischen Banken bis 2027 wohl etwa 40 Milliarden Euro an Eigenkapital fehlen. Die EBA belegt mit Nachdruck, dass die mit der Finalisierung der Basel-III-Reform getroffenen Regelungen signifikante Auswirkungen auf europäische Banken aller Größenklassen haben.

Der Bankensektor muss gestärkt werden - das gilt nach der Krise umso mehr. Regulierung muss die Kreditversorgung der europäischen und deutschen Unternehmen und Bürger erhalten, um eine Kreditklemme für die Realwirtschaft oder im Privatbereich zu vermeiden. In eine Situation, in der dies nicht mehr vollumfänglich gesichert ist, dürfen wir nach Corona keinesfalls kommen. Andererseits dürfen die Institute natürlich nicht aus ihrer Pflicht entlassen werden, ausreichend Risikopuffer vorzuhalten, um die von ihnen eingegangenen Risiken selbst tragen zu können.

Es gilt, einen adäquaten Ausgleich herzustellen zwischen der umfassenden Umsetzung von Basel III und weiterer Regulierung einerseits und der Zusage, andererseits die Kapitalanforderungen für Banken nicht signifikant ansteigen zu lassen. Dabei muss konsequent und proaktiv auf die Entlastung kleinerer und mittlerer Banken gesetzt werden. Es kann nicht sein, dass die Sparkasse oder Volksbank um die Ecke genauso reguliert wird, wie ein Weltkonzern. Gleiches gilt für die kleine Spezialbank, aber auch Fintechs müssen ein Regulierungsumfeld vorfinden, in dem sie sich problemlos behaupten können - über die Stichworte Größenklassen und Small Banking Box ist zu diskutieren. Darüber hinaus müssen die Finanzierungsmöglichkeiten, auch alternative, für die Realwirtschaft insbesondere durch eine substanzielle Stärkung der Kapitalmarktunion weiter verbessert werden.

Auf Goldplating verzichten

Neue Regulierung sollte zunächst einmal einem verpflichtenden Proportionalitätscheck unterzogen werden, um die Regulierungslast zu mindern. Bei der Umsetzung von Maßnahmen auf nationaler Ebene wäre schon viel gewonnen, würde die Bundesregierung auf ständiges Goldplating verzichten.

Eine unabhängige Evaluation der Auswirkungen der gegenwärtigen Regulierung inklusive Output-Floor, MiDIF-II, MiFIR, PRIIP, et cetera sollte auf den Weg gebracht werden, um deren für die Zukunft nicht hilfreichen und übermäßig bürokratischen Auswirkungen zu identifizieren und zu korrigieren.

Bevor wir nach der Krise also zur "Normalität" in der Regulierung zurückkehren, sollten wir die Gelegenheit nutzen, Europa und Deutschland im Bankensektor mit frischen und passenden Regeln auszustatten, damit unser Finanzplatz endlich wieder vorne angreifen kann. Das wäre mehr als nur "raus aus der Krise".

Dr. Florian Toncar, MdB, Finanzpolitischer Sprecher, FDP-Bundestagsfraktion, Berlin

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Nicht die Regulierung muss zur Bank passen, sondern die Bank zur Regulierung

Jörg Cezanne , Foto: Die LINKE

Die Corona-Pandemie trifft den Finanzsektor in einer Situation, in der sich die Banken - insbesondere in Südeuropa - nur eingeschränkt von der globalen Finanzkrise ab 2007/2008 erholt haben. Zwar hat sich die Eigenkapitalausstattung der meisten Banken seitdem verbessert, aber selbst die aus unserer Sicht viel zu bescheidenen existierenden Regulierungen für Eigenkapital und Governance sehen beziehungsweise sahen für die kommenden Jahre noch weitere Verschärfungen vor, die mit Hinweis auf die Corona-Pandemie verschoben oder ausgesetzt wurden. Grundsätzlich ist es sinnvoll, Regulierungen so auszugestalten, dass sie nicht prozyklisch wirken. Insofern wäre eine Verschärfung der Eigenkapitalanforderungen unter Pandemie-Bedingungen sicher kein Beitrag dazu, die Kreditversorgung der Unternehmen zu erleichtern.

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Verschiebung von Regulierungsvorhaben ein Fehler

Es gab also plausible Gründe, den antizyklischen Kapitalpuffer ab 1. Juli 2020 mit Verweis auf die Pandemie auf 0 Prozent zu senken, nachdem er 2019 erstmalig auf Empfehlung des Ausschuss für Finanzstabilität auf plus 0,25 Prozent angehoben worden war. Da dieser Kapitalpuffer aber in der Regel zwischen 0 und 2,5 Prozent liegen soll und bei 0 Prozent das untere Ende der antizyklischen Fahnenstange bereits erreicht ist, wäre es zu diesem Zeitpunkt bedenkenswert gewesen, mit der Absenkung solange zu warten, bis eine Häufung von Insolvenzen tatsächlich zu erwarten war. Als die BaFin die Pufferabsenkung Ende März ankündigte, war das Gesetz zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (damals zunächst bis zum 30. September, später dann verlängert bis 31. Dezember 2020) jedenfalls bereits beschlossen.

Der größte Teil der mit Hinweis auf die Corona-Pandemie gewährten Regulierungserleichterungen für den Finanzsektor betrafen - anders als der antizyklische Kapitalpuffer - Regeln, die nicht zur flexiblen Anpassung unter Krisenbedingungen vorgesehen waren, sondern deren bevorstehendes Inkrafttreten verschoben oder ausgesetzt wurde. So wurde mit der Basel-III-Finalisierung auch die Einführung der Leverage Ratio um ein Jahr verschoben. Diese Leverage Ratio sollte aber nie antizyklisch flexibel ausgestaltet werden, sondern anderen, stärker ermessensbezogenen und konjunkturabhängigen "weicheren" Grenzwerten (insbesondere bei der Anwendung interner Risikomodelle) eine harte Grenze setzen. Auch wenn die Verschiebung als antizyklische Maßnahme begründet wurde, droht sie eine Abkehr von der Einsicht zu werden, dass neben vertretbaren Ermessensspielräumen im Bankgeschäft auch glasklare Grenzen gesetzt werden müssen.

Bei der Verschiebung der Einführung der IFRS-9-Regeln für zu erwartende Kreditausfälle und Rückstellungen um zwei Jahre sind ebenfalls Fragen angebraucht, auch wenn dies Deutschland weniger betrifft. Die in IFRS 9 deutlich klarer gefassten Regeln zur Einstufung von Krediten als ausfallgefährdet waren den betroffenen Banken schon lange vor der Pandemie ein Dorn im Auge, denn dadurch müssen sie weitgehend wertlos gewordene Kreditportfolios endlich abschreiben. Die betroffenen Banken werden aber in der Pandemie ohnehin kaum einen relevanten Beitrag zur Kreditversorgung der Realwirtschaft leisten können sollten nicht durch Neugeschäft weiter "künstlich" am Leben gehalten werden.

Die Kreditversorgung in den südlichen Ländern der Eurozone war schon lange vor der Krise trotz des billigen Geldes der EZB massiv gestört, während sie in Deutschland relativ gut funktionierte. Daran hatte die unterschiedlich gute Eigenmittelausstattung der Banken sicher einen Anteil, aber im Wesentlichen - und das war eine der Hauptlehren der letzten großen Finanzkrise - liegt die besondere Leistungsfähigkeit des deutschen Bankenwesens in seiner Struktur und einer mittelständisch geprägten Wirtschaftsstruktur. In Verbindung mit dem immer noch deutlich ausgeprägten Hausbankensystem sind es Sparkassen und Genossenschaftsbanken, die die Kreditversorgung der kleinen und mittelständischen Unternehmen gewährleisten. Im Gegenzug sind sie hinreichend ertragreich, um den steigenden Eigenmittelanforderungen zu genügen.

Die sich jüngst mehrenden Warnungen aus Finanzbehörden und Wissenschaft, dass die Banken in der Corona-Krise unzureichende Risikorück lagen bilden, sind fast durchweg auf private Geschäftsbanken (nicht nur aus Deutschland) gemünzt, die aufgrund ihrer Größe und Relevanz der EZB Aufsicht unterliegen. Diese haben im Vergleich zu Sparkassen und Genossenschaftsbanken vor allem aufgrund der angewandten internen Risikomodelle deutlich dünnere Eigenkapitaldecken und müssten daher ihre ohnehin bescheidenen Gewinne einbehalten, um das Eigenkapital zu stärken. Um aber für neue Eigenkapitalgeber nicht völlig unattraktiv zu werden, wehren sich gerade die privaten Geschäftsbanken besonders vehement dagegen, auf Dividendenausschüttungen und Aktienrückkäufe zu verzichten. Es ist eine der Hauptschwächen der Corona-bedingten Regulierungserleichterungen, dass keine verbindlichen Ausschüttungsverbote beschlossen, sondern nur Appelle ausgesprochen wurden.

Ein Problem der privaten Banken

Antizyklische Elemente in der Bankenregulierung sind vernünftig, aber nur unter der Bedingung, dass unter Normalbedingungen (und dazu gehört inzwischen auch ein sehr niedriges Zinsniveau) sehr große Eigenkapitalpuffer anlegt, die dann in einer Krise begrenzt auf große Eigenkapitalpuffer abgeschmolzen werden dürfen. Heute aber werden mit Zustimmung der Finanzaufsicht viel zu bescheidene Eigenmittelausstattungen der privaten Geschäftsbanken aus vermeintlich antizyklischen Motiven noch weiter abgesenkt. Sparkassen und Genossenschaften sind auf diese Regulierungserleichterungen kaum angewiesen, um trotzdem ihre Rolle als Rückgrat der Unternehmensfinanzierung in Deutschland fortzuführen. Wenn also die privaten Geschäftsbanken derzeit wenig zur Finanzierung der Realwirtschaft beitragen können, stellt sich die Frage der Überkapazitäten im deutschen Bankenwesen umso dringlicher.

Die klarste Erkenntnis, die schon jetzt aus der Corona-Pandemie für die Finanzregulierung zu ziehen ist, betrifft die internen Risikomodelle. Die einzige Rechtfertigung für Banken, von einem allgemein gültigen Risikobewertungsansatz ("Standardansatz") abweichen zu dürfen, kann nur darin bestehen, dass diese internen Modelle potenzielle Risiken besser erkennen und daher (trotz niedrigerer Eigenkapitalpuffer) bessere Vorsorge und Stabilität ermöglichen. Heute, wie auch schon im Vorfeld der globalen Finanzkrise 2007/ 2008 stehen genau die Banken mit weniger Eigenmitteln da, die mit internen Modellen rechnen, nämlich die großen "systemrelevanten" Banken unter der Aufsichtshoheit der EZB. Genau diese sind es aber auch, die im Zweifelsfall als Erste mit Hinweis auf ihre Systemrelevanz den Staat zur Hilfe rufen werden.

Interne Risikomodelle abschaffen

Wenn wir uns in der jüngeren Vergangenheit und auch in der Zukunft umfassenden Krisen gegenübersehen, dann sollten interne Risikomodelle abgeschafft oder - was auf das Gleiche hinausläuft - der Output-Floor auf 95 Prozent angehoben werden.

Die Schlüsselfunktionen des Bankensektors, nämlich den Zahlungsverkehr und die Finanzierung von Investitionen der Realwirtschaft zu gewährleisten, muss ein Staat im Interesse seiner ökonomischen Entwicklung gerade in Krisenzeiten sicherstellen. Dies kann mit erheblichen Kosten verbunden sein, wenn die Banken unzureichende Eigenkapitalpuffer haben oder der Staat die Schuldner der Banken retten muss. Mit Blick auf die Beschäftigungseffekte sollte dabei die Rettung von Unternehmen der Realwirtschaft Vorrang vor der Rettung von Banken haben.

Regulierung auf Leitbild kleinerer Banken ausrichten

Banken, deren Geschäftsmodell nur unter Schönwetterbedingungen ausreicht, um die Begehrlichkeiten ihrer Aktionäre zu befriedigen und dabei immer noch zu wenig verdienen, um die oben genannten "sehr großen Eigenkapitalpuffer" aufzubauen, sind als nicht verkehrssicher für den Finanzmarkt einzuschätzen. Es gibt - außer der Drohung einer systemischen Krise des Finanzsektors - keinen Grund, solchen Banken regulierungstechnisch - auch in Krisenzeiten - über ein vernünftiges Maß an antizyklischen Maßnahmen hinaus entgegenzukommen. Über die bestehenden Erleichterungen hinaus darf es keine weiteren Aussetzungen oder Verschiebungen von Finanzregulierungen geben.

Mittelfristig schwebt uns daher - wie schon im Zuge der globalen Finanzkrise 2007/2008 - eine Konsolidierung des europäischen Bankensystems vor. Ohne die öffentlich-rechtlichen Sparkassen und die Genossenschaftsbanken überhöhen zu wollen, scheint uns in ihren Strukturen und Geschäftsmodellen am ehesten eine tragfähige Zukunft des europäischen Bankensektors zu liegen. Dazu ist vor allem die bislang vorherrschende Brille der europäischen Bankenregulierung zu hinterfragen.

Finanzmarktgesetzgebung wird in Brüssel grundsätzlich in der Annahme angepackt, es gelte einen Markt von börsennotierten Großbanken zu regulieren. Zum Glück ist die Finanzlandschaft in Europa bunter. Die Regulierung sollte daher vom Leitbild auf kleinere Banken mit weniger Kapitalmarkt-orientierten Geschäftsmodellen ausgerichtet sein, statt diese als Ausnahme von der Regel zu behandeln. Wenn wir ein krisenfesteres, stärker auf die Realwirtschaft orientierteres und vor Ort leistungsfähigeres Bankensystem in Europa haben wollen, dann muss die Regulierung als Norm auf eine Vielzahl von im Detail unterschiedlich ausgeprägten öffentlichen, öffentlich-rechtlichen und genossenschaftlichen Banken passen.

Private Geschäftsbank als Auslaufmodell betrachten

Die Situationen börsennotierter Großbanken müssen durch zusätzliche Regulierungen berücksichtigt werden, aber im Zweifelsfall muss die (Groß-) Bank für die Regulierung passend gemacht werden und nicht umgekehrt.

In diesem veränderten Blick liegt nach unserer Auffassung auch die Chance zur Lösung der "Too big to fail Problematik". Großbanken müssen eine größere Krise aus eigener Kraft bestehen oder ohne Schäden für das Gemeinwohl vom Markt verschwinden zu können. Wenn das - wie wir vermuten - aus der Logik der Kapitalmarktorientierung und der Aktionärsinteressen kaum möglich ist, muss das Modell gewinnorientierte, private Geschäftsbank ein Auslaufmodell werden. Um das so zu sehen, muss man übrigens kein Fan von öffentlicher Daseinsvorsorge, Verstaatlichung oder Dirigismus sein. Auch eine streng marktwirtschaftliche Sichtweise mit Vorrang für Eigenverantwortlichkeit und das Recht, im Marktgeschehen scheitern zu dürfen, ist mit derartigen Anforderungen sehr wohl vereinbar.

Die verbleibenden öffentlichen, öffentlich-rechtlichen und genossenschaftlichen Bankenstrukturen müssen gleichzeitig der Gesamtgesellschaft gegenüber transparenter werden und neue Formen der gesellschaftlichen Mitwirkung erproben, um im unvermeidbar bevorstehenden sozialen und ökologischen Umbau unseres Gemeinwesens eine möglichst zuträgliche Rolle spielen können.

Jörg Cezanne, MdB, Bundestagsfraktion DIE LINKE, Mitglied des Finanz- und des Verkehrsausschusses, Berlin

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Jörg Cezanne , MdB, Bundestagsfraktion DIE LINKE, Mitglied des Finanz- und des Verkehrsausschusses, Berlin

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