REGULIERUNG

Eine Branche reguliert sich selbst

Dr. Klaus Möller, Foto: DEFINO

Die DIN-Norm 77230 "Basis-Finanzanalyse für Privathaushalte" ist nicht unumstritten. Die Kritik, die Norm führe zu einer unzulässigen Vereinfachung der analysierten Bedarfe des Kunden, weist Klaus Möller jedoch zurück. Die Norm sorge vielmehr dafür, dass die anschließende Beratung nicht am Kundenbedarf vorbeigehen kann. Durch ihren "gesetzesergänzenden" Charakter reduziert sie zudem Haftungsrisiken für die Branche - dies aber nur, wenn sie vollständig umgesetzt und dies auch zertifiziert wird. Red.

Seit dem 18. Januar gibt es die DIN-Norm 77230 "Basis-Finanzanalyse für Privathaushalte". Sie ist ein Beispiel dafür, dass eine Selbstregulierung besser sein kann als Fremdregulierung.

Die Erleichterung war groß, als am 23. November die 28 Mitglieder des Arbeitsausschusses für die DIN-Norm 77230 "Basis-Finanzanalyse für Privathaushalte" das Ergebnis ihrer vierjährigen Arbeit ohne Gegenstimme verabschiedeten. Nach vier Jahren und rund 2 500 Manntagen intensiver Arbeit hatte das Gremium etwas erreicht, was die Finanzbranche und die Öffentlichkeit ihr nicht zugetraut hatten: Die Entwicklung eines allgemein anerkannten Standards für die finanzielle Bedarfsermittlung beim Kunden. Das Ergebnis ist umso beachtlicher, als der denkbar inhomogen zusammengesetzte Ausschuss die Norm im notwendigen Konsens verabschiedete - saßen doch am Tisch Vertreter des Verbraucherschutzes, der Finanzwissenschaft, von Verbänden und Versicherungen, Banken und Vertrieben.

Um das Ergebnis kurz zusammenzufassen: Im Sinne des Verbraucherschutzes beschreibt die Norm ein festes Verfahren zur Bestandsaufnahme der wichtigsten Daten eines Haushaltes. Weiter beschreibt sie, wie daraus die individuellen finanziellen Risiken und Notwendigkeiten des Haushalts identifiziert und in einer dreistufigen Rangfolge priorisiert werden. Die darauf aufsetzende Beratung kann dann in diesem gesetzten Rahmen frei gestaltet werden.

Ein Werkzeug von Praktikern für Praktiker

Die Norm kann als eine Art Selbstregulierung verstanden werden. Da in großer Zahl auch Profis des Vertriebs mit am Tisch saßen und auch der Autor über rund 30 Jahre Beratungs- und Vertriebserfahrung verfügt, ist die Norm jedoch vor allem ein Regelwerk von Praktikern für Praktiker. Sie ist mehr ein Instrument, ein Werkzeug denn eine Vorschrift. Ein Werkzeug für einen Vorgang, zu dem Berater ohnehin verpflichtet sind.

Mancherorts kommt aus der Finanzbranche die Kritik, die Norm führe zu einer unzulässigen Vereinfachung und Vereinheitlichung der analysierten Bedarfe der Kunden. Das Gegenteil ist der Fall. Denn tatsächlich standardisiert die Norm ja den Prozess und nicht die Ergebnisse: Das verdeutlicht ein Beispiel aus der Medizin: Das Blutbild jedes einzelnen Menschen ist individuell; ermittelt wird es allerdings durch ein standardisiertes Verfahren. Dieses Verfahren ist der Garant für die Individualität aller Ergebnisse und zugleich für ihre Vergleichbarkeit, das heißt für die Möglichkeit des Abgleichs an Sollgrößen. Ebenso ist auch die Finanzanalyse nach Norm 77230 nur ein normiertes Verfahren zur Feststellung individueller Ergebnisse.

Welche konkrete Therapie ein Arzt aufgrund eines festgestellten Blutbildes oder einer ermittelten Diagnose einleitet, ist weiter ihm beziehungsweise der ganz persönlichen Abstimmung zwischen ihm und dem Patienten überlassen. Allerdings kann er nach sorgfältig durchgeführter Diagnose kaum eine Grippe-Therapie verordnen, wenn der Patient unter Arthrose leidet. Und der Bankberater kann zwar weiter seine Altersvorsorgekonzepte abrufen, allerdings nur dann, wenn nicht dringlichere Probleme wie die Absicherung von Haftungsproblemen oder möglichen Arbeitskraftverlustes vorrangig zu behandeln sind. Nein, dieses genormte Verfahren hat mit Vereinheitlichung nichts zu tun. Die individuelle Bedarfsanalyse erhält alle Möglichkeiten der individuellen Beratung.

Die Anwendung der Norm reduziert Haftungsrisiken

Die Basis-Finanzanalyse für Privathaushalte sorgt lediglich dafür, dass die anschließende Finanzberatung nicht am tatsächlichen Bedarf des Kunden vorbeigehen kann. Und das ist auch im Interesse der Finanzbranche, die noch immer mit Reputationsdefiziten zu kämpfen hat. Da ist es doch besser, sie regelt einen für die Finanzberatung so wichtigen Punkt wie die Finanzanalyse selbst, als dass dies der Gesetzgeber mit allen zu erwartenden Unzulänglichkeiten tut.

Wichtig ist für Finanzdienstleister auch, dass im Falle eines Rechtsstreites die Norm "gesetzesergänzenden Charakter" hat. Ihre Anwendung reduziert also Haftungsrisiken. Und das ist beileibe nicht der einzige Vorteil: Finanzdienstleister, die bereits auf Basis des Vorläufer-Standards der Norm, der DIN SPEC 77222, beraten hatten, berichten allesamt von niedrigeren Stornoquoten, von einer höheren Vertragsdichte pro Haushalt und mehr Effizienz in den Beratungsprozessen.

Nur ein Zertifikat sorgt für Glaubwürdigkeit

Der Erfolg der Norm hängt maßgeblich vom redlichen Umgang mit ihr ab. Sich je nach Unternehmensausrichtung die Rosinen aus den in der Norm benannten Finanzthemen herauszupicken und sie damit "auszugsweise" umzusetzen, also weichzuspülen, ist wettbewerbsrechtlich äußerst bedenklich.

Wer keine Lust hat, die Norm korrekt und vollständig umzusetzen, der darf das getrost lassen. Niemand ist zur Umsetzung einer Norm verpflichtet. Ja es gibt sogar viele gute Gründe, wie Einladungen zu feierlichen Anlässen, ein anderes als das alltägliche Standardformat zu nutzen. Aber dann darf man eben auch nicht DIN A 4 draufschreiben. Und so darf sich auch derjenige, der die 77230 nicht vollständig umsetzt, nicht auf sie berufen und nicht mit ihr werben. Verbraucherschützer Hermann-Josef Tenhagen sagte gegenüber dem Deutschlandfunk über die DIN-Norm 77230 verkürzt: Daran werden wir künftig erkennen, wer gute Finanzberatung macht und wer nicht.

Glaubwürdig und damit werbewirksam wird die Norm deshalb am ehesten durch ein entsprechendes Zertifikat, vergleichbar mit der TÜV-Plakette. Ein gutes Zertifikat ist Ausweis für eine genaue Prüfung der zertifizierten Software oder der zertifizierten Spezialisten für die private Finanzanalyse nach DIN 77230 durch einen glaubwürdigen Dritten. Gerade wegen der zweifelhaften Reputation unserer Branche lohnt sich der Aufwand.

Dr. Klaus Möller, Vorstand, DEFINO Institut für Finanznorm AG, Heidelberg, und Obmann des DIN-Ausschusses zur DIN-Norm 77230
Dr. Klaus Möller , Vorstand , DEFINO Institut für Finanznorm AG, Heidelberg

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