Öffentliche Versicherer

Datenanalyse und KI - das Zeitalter der Kundenversteher

Dr. Stephan Spieleder, Mitglied des Vorstands, Versicherungskammer Bayern, München
Quelle: Versicherungskammer Bayern

Das Zeitalter der Digitalisierung ist das Zeitalter des Kundenservice, so Dr. Stephan Spieleder. Die Versicherungskammer Bayern setzt dafür Data Analytics ein, testet neue Geschäftsmodelle aus oder arbeitet mit Startups. Dabei geht es dem Konzern vor allem darum, sich schnell auf die Technologien der Zukunft einzustellen und diese für die Kunden zu nutzen. Darüber hinaus stellen die Bayern ihre Data-Analytics-Fähigkeiten auch anderen öffentlichen Versicherern und Sparkassen in einem Dienstleistungsmodell zur Verfügung. Red.

Ein Hotelzimmer buchen, ein neues Smartphone kaufen oder eben seine Versicherungsgeschäfte tätigen: Das erledigen Kunden heute ganz selbstverständlich und bequem online - überall und zu jeder Zeit. Im Zeitalter der Digitalisierung erwartet der Kunde einen bestimmten Service - unabhängig von der Branche. Und dieser geht weit über klassische Geschäfte wie Online-Bestellungen, -Buchungen und -Abschlüsse hinaus. Kunden wollen maßgeschneiderte Angebote von einem Unternehmen, das ihre Bedürfnisse kennt, sie versteht und unterstützt.

Den Kunden in den Mittelpunkt rücken - das ist der Ausgangspunkt für Innovationen im Konzern Versicherungskammer. Mit dem Wort "Kunde" sind dabei nicht nur Versicherungsnehmer gemeint, auch Vertriebspartner und Mitarbeiter profitieren von neuen digitalen Möglichkeiten, die ihnen ihre tägliche Arbeit erleichtern. An den Bedürfnissen aller Kunden ausgerichtet, werden neue technische Methoden eingesetzt und erforscht: Von Robotics bis hin zu künstlicher Intelligenz und Data-Analytics.

Individuell und in Echtzeit: Kundenservice mit Data Analytics

Mit wohl kaum einem anderen Instrument lassen sich ganz individuelle Paramater aus einer großen Menge an Kundendaten besser herausfiltern als mit Data Analytics. Wo bislang nur sauber strukturiertes Datenmaterial sequenziell ausgewertet wurde, können nun unsortierte Informationen in logische Zusammenhänge gebracht werden. Indem sie ihre Fülle an Daten auswerten, erfahren Unternehmen mehr über die eigenen Kunden und darüber, wie sie ihre Produkte und Leistungen nutzen.

Bei einem großen Kundenstamm überblicken Menschen nicht mehr, was genau jeder Einzelne braucht. Data Analytics kann es. Und das sogar ziemlich unmittelbar, denn die Maschinen reagieren in Echtzeit auf Dateneingaben.

Vielfältige Anwendungsmöglichkeiten in der Assekuranz

Die Versicherungsbranche besitzt aus der Historie heraus sehr viele Daten - beispielsweise von Schadensereignissen. Daher lässt sich Data Analytics gut in Versicherungsunternehmen einsetzen. Ihnen kann die Technologie nicht nur beim Ausbau des Kundenservice helfen, sondern auch dabei, frühzeitig Risiken besser zu prognostizieren. Was auf den ersten Blick nach trockener Statistik klingt, bekommt in den Anwendungsfällen, den "Use Cases", im Konzern Versicherungskammer einen konkreten und nützlichen Charakter.

Gemeinsam mit anderen öffentlichen Versicherern entwickelte der Konzern ein Machine-Learning-Modell zur Schadenprognose. Auf Basis von aktuellen Wettervorhersagen und historischen Wetterdaten können dabei Gebäudeschäden bei Bestandskunden prognostiziert werden. Das ermöglicht es, die Kapazitäten im Kundenservice besser zu steuern, den Kunden schneller zu helfen und gleichzeitig die Kosten zu optimieren.

Auch in der Kraftfahrtversicherung der weiteren Konzernunternehmen wird Data Analytics eingesetzt und mit Machine-Learning-Verfahren gearbeitet. Die leistungsfähige Hard- und Software hilft dabei, rechenintensive Verfahren mit enormen Datenmengen durchzuführen. Diese sollen dabei helfen, das Risiko besser zu ermitteln und die Tarifierung unterstützen.

Im Use Case Schadensteuerung wird mit Analytics-Programmen gearbeitet, die Erfahrungswerte von Schadenfällen auswerten. Aus diesen Mustern lassen sich die bestmöglichen Lösungen zur Bearbeitung spezifischer Fälle ableiten. Diese unterstützen in Folge den Mitarbeiter bei der Bearbeitung eines konkreten Schadenfalls.

Die Qualität und Zielgenauigkeit von Gesundheitsfragen in den Anträgen der Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung werden mit dem Use Case Underwriting Leben untersucht. Dabei wird mit bestehenden anonymisierten Daten gearbeitet. Als Ergebnis können Rückschlüsse über die sinnvolle Ausgestaltung von Gesundheitsfragen gezogen werden.

In der Krankenversicherung erprobt der Konzern Versicherungskammer mit Data Analytics, wie Krankheiten, aber auch Betrugsmuster prognostiziert werden können. Je selbstständiger, also weniger überwacht, ein Algorithmus Daten auf Muster untersucht, umso interessanter werden die Ergebnisse sein, zum Beispiel ob die Wahrscheinlichkeit steigt, Muster zu finden, die bisher noch unbekannt waren.

Data-Analytics-Services für Sparkassen anderer öffentliche Versicherer

Die Grundlage aller Use Cases ist eine Data-Analytics-Plattform, die Live-Berechnungen durchführen kann. Sie ist sogar Teil eines neuen Geschäftsmodells, denn der Konzern Versicherungskammer bietet seine Data-Analytics-Fähigkeiten auch als Service an. Unternehmen der Sparkassen-Finanzgruppe, darunter auch andere öffentliche Versicherer, können Rechenkapazitäten auf der Plattform mieten. Das Data-Insights-Businessmodell geht dabei aber über dieses Angebot hinaus. Denn auch Know-how und Unterstützung können angefragt werden.

Dass der Konzern Versicherungskammer mit seinem Einsatz von Data Analytics auf dem richtigen Weg ist, zeigt auch die internationale Aufmerksamkeit. Denn die Anwendung wurde in London mit dem Transformer Award - Insurance Technology Department of the Year ausgezeichnet und war bei den Gartner Eye on Innovation Awards in Barcelona in der Kategorie "Most Innovative Digital Business Model" und für den Digital Insurer's European Insurance Innovation Award nominiert. Auch über das Data-Insights-Businessmodell arbeitet der Konzern Versicherungskammer mit den Sparkassen und Genossenschaftsbanken digital zusammen. Dabei geht es um die Integration der Beratermodule in die Kernbanksysteme.

Künstliche Intelligenz als kluge Unterstützung

Durch die Auswertung der Datenmengen via Data Analytics entstehen neue Erkenntnisse, auf die künstliche Intelligenz (KI) aufbauen kann. Die Grundlage für künstliche Intelligenz sind schlicht gesagt Erkenntnisse, die aus riesigen Datenmengen generiert werden. Sie entstehen durch identifizierte Muster, aus welchen automatisiert Antworten generiert werden. Das Auslesen geschieht mit spezifischen Analysewerkzeugen.

Der Konzern Versicherungskammer setzt die IBM-Software Watson ein, die auf künstlicher Intelligenz basiert. Damit ist der Konzern der einzige Versicherer, der Watson mittlerweile in seinem regulären Betrieb integriert hat. Bereits bei der Vorstudie zu Watson zeigte sich die Vorreiterrolle des Konzerns. Sie wurde mit dem von der Süddeutschen Zeitung und Google ausgelobten Sonderpreis "Digitaler Vordenker der Versicherungswirtschaft" ausgezeichnet.

Angebotswünsche oder Unmut automatisch erkennen

Die tägliche Anwendung von Watson im Betrieb besteht darin, aus etwa 20000 Kundenanschreiben Angebotswünsche oder Unmutsäußerungen herauszufiltern. Dabei kann das kognitive System auch Wünsche erkennen, die nur unterschwellig formuliert werden und beispielsweise in ironischen Bemerkungen stecken. Das hilft dem Konzern dabei, schneller auf die Bedürfnisse seiner Kunden zu reagieren.

- Bei Unmutsäußerungen wird umgehend der Kontakt mit dem Kunden gesucht oder das Problem direkt behoben.

- Erkennt die Software, dass der Kunde Versicherungsbedarf hat, spricht ihn ein Vertriebsmitarbeiter kurzfristig an und unterbreitet ihm ein individuelles Angebot.

Auch das unterstützt einen guten Kundenservice. Die Kundenanliegen können nicht nur besser verstanden werden, sondern auch zügiger und genauer bearbeitet. Das steigert die Kundenzufriedenheit.

Die Möglichkeiten der KI sind vielfaltig. Die Herausforderung ist es, herauszufinden, wo diese Technologie am besten genutzt werden kann. Denn KI soll vor allem eines sein: Eine intelligente Unterstützung.

Innovationen brauchen neue Formen der Zusammenarbeit

Neue Technologien bieten viele Chancen, Know-how aufzubauen. Das gleiche gilt auch für andere unterstützende Tools, wie Robotics, die es dem Unternehmen ermöglichen Expertenzeit bei den Mitarbeitern freizuspielen und diese in den Kundenservice zu investieren. Sie verändern die zugrunde liegenden IT-Systeme nicht und lassen sich von Mitarbeitern ohne Programmierkenntnisse einstellen. Chatbots, mit welchen sich der Konzern Versicherungskammer beschäftigt, bieten ebenso die Möglichkeit neues Wissen aufzubauen.

Durch neue Technologien entstehen auch neue Kooperationen und Modelle der Zusammenarbeit. Es hat eine Weile gebraucht, bis Versicherungsunternehmen und Insurtechs, Fintechs und Start-ups allgemein erkannt haben, dass sie keine Konkurrenten sind, sondern voneinander profitieren können.

Während die Start-ups agil, unkonventionell und kreativ Ideen für das digitale Zeitalter hervorbringen, besitzen Versicherungskonzerne einen aus der Historie gewachsenen Erfahrungsschatz, einen großen Kundenstamm und sie haben sich auf dem Markt einen Namen gemacht. Aus dieser Symbiose heraus können Innovationen schnell für viele zugänglich gemacht werden.

Der Konzern Versicherungskammer hat Interesse daran, Innovationen zu fördern und ist daher gemeinsam mit anderen Unternehmen Partner des Insurtech Hub Munich. In dem von der Bundesregierung ernannten de:hub können Start-ups aus dem Versicherungsumfeld ihre Konzepte ausreifen lassen und austesten. Er bietet Insurtechs und Versicherungsunternehmen gleichzeitig eine Plattform zum Austausch von Know-how und zum Networking, in der sie voneinander lernen können.

So entstehen Kooperationen, wie beispielsweise im Konzern Versicherungskammer, der bereits mit Start-ups zusammenarbeitet, die er über das Accelerator-Programm gefördert hat. Durch eine Partnerschaft mit dem globalen Start-up-Ökosystem Plug and Play, das seinen Stammsitz im Silicon Valley hat, hat der Insurtech Hub Munich seit März 2018 einen internationalen Expansionskurs eingeschlagen.

Die Digitalisierung im Unternehmen ist ein ständiger Prozess der Transformation. Daher müssen auch innerhalb von Unternehmen neue Wege gegangen werden, um innovative Ideen und Techniken zu etablieren. Auch wenn die digitale Transformation zunächst nach viel Technik klingt, ist es vor allem eine menschengetriebene Weiterentwicklung. Und diese verlangt nach neuen Arbeitsweisen.

Viele Zweifel werden sich nicht bewahrheiten

Denn nicht nur Start-ups können mit agilen Methoden schnell kreative Ergebnisse generieren. Auch in großen Unternehmen lässt sich mit Open-Space-Konzepten arbeiten und lassen sich digitale Innovationen in Sprints entwickeln.

Dabei können ganz neue Teammodelle entstehen - beispielsweise die crossfunktionale Zusammenarbeit. Hierbei begreifen sich Experten aus unterschiedlichen Organisationseinheiten über Abteilungsgrenzen und Hierarchieebenen hinweg als Team. Neue technische Plattformen - etwa Social Collaboration Tools - ermöglichen zudem auch digital ein vernetztes Zusammenarbeiten.

Unternehmen müssen auf die Digitalisierung setzen, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein. Vor allem, weil die Technologien die Möglichkeit bieten, Kunden besser zu verstehen. Der Kunde wünscht sich diesen individuellen Service. Spätestens in zehn Jahren werden wir alle feststellen, dass sich aus der Transformation heraus riesengroße Chancen ergeben haben und sich viele Zweifel, die so mancher hegte, nicht bewahrheitet haben.

Zum Autor Dr. Stephan Spieleder, Mitglied des Vorstands, Versicherungskammer Bayern, München
Data Analytics und KI: die wichtigsten Begriffe Big Data: Bezeichnet eine große, unstrukturierte und ständig wachsende Masse an Daten und teilweise auch deren Verwendung.Data Analytics/Big Data Analytics: Methode, die aus unstrukturierten Daten Informationen herauszieht und sie weiterverarbeitet.Descriptive Analytics: Ein Teil von Data Analytics. Mit dieser Methode lässt sich analysieren, inwieweit die Vergangenheit Auswirkungen auf die Gegenwart hat, und so Zusammenhänge erklären.Machine Learning: Oder deutsch: maschinelles Lernen. Dabei baut ein künstliches System Wissen auf, indem es Muster erkennt. Dieses kann das System auch auf ihm noch unbekannte Dateneingaben übertragen.Predictive und Cognitive Analytics: Ein Teil von Data Analytics. Hierbei lassen sich mittels der ausgewerteten Daten Aussagen über die Zukunft auf Basis der Mustererkennung treffen.
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