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Decentralized Finance und die Zukunft der Banken

Rivo Uibo, Foto: Tuum

Ursprünglich wurde Decentralized Finance (DeFi) entwickelt, um Banken zu umgehen. Dennoch sieht Rivo Uibo hier ein großes Potenzial für Banken, von diesem eigentlich disruptiven, infrastrukturellen Wandel in der Branche zu profitieren und als vertrauenswürdige Mittler eine wichtige Rolle zu spielen, so der Autor. Gerade hier können sie von dem Vertrauen profitieren, das ihnen die Kunden entgegenbringen. In Sachen IT sind dafür allerdings noch einige Hausaufgaben zu erledigen, um Kernbankensysteme mit der Blockchain kompatibel zu gestalten. Red.

Das Interesse an Decentralized Finance (DeFi) ist in den letzten Jahren enorm gestiegen. Eine aktuelle Umfrage, die von Coinbase in Auftrag gegeben wurde, zeigt, dass sich die starke Volatilität des Kryptomarktes nicht auf seine Beliebtheit auswirkt. Zwischen 2019 und 2021 sind 60 Prozent der deutschen Befragten, die in Krypto anlegen, zum ersten Mal in den Markt eingestiegen. 51 Prozent der befragten Kryptoanleger planen im kommenden Jahr ihre Kryptobestände zu erhöhen. In Deutschland besitzen Angaben zufolge derzeit über 2,1 Millionen Menschen, das heißt. 2,62 Prozent der Gesamtbevölkerung, eine Form von Kryptowährung.

Decentralized Finance wurde im Wesentlichen entwickelt, um völlig unabhängig von traditionellem Finanzdienstleistern wie Banken, Börsen und Brokern zu sein. Doch die wachsende Nachfrage von Verbrauchern nach Kryptowährungen hat nun auch das Interesse von Banken angezogen. Immer mehr von ihnen suchen nach Möglichkeiten, sich daran zu beteiligen. Beispiele dafür sind Revolut, die schon seit 2017 den Kryptohandel ermöglicht, und die spanische BBVA, die erst kürzlich den Bitcoin-Handel und die Verwaltung eingeführt hat.

Ein übergeordneter Begriff

Decentralized Finance ist der übergeordnete Begriff für Peer-to-Peer-Finanzdienstleistungen auf Basis der öffentlichen Blockchain oder anderer dezentraler Ledger-Technologien. Im Wesentlichen ermöglicht DeFi den Nutzern zu investieren, Zinsen zu verdienen, Geld zu (ver-)leihen, Versicherungen zu kaufen sowie Derivate und andere Vermögenswerte zu handeln - und das ohne langwierigen Verwaltungsaufwand, den Umweg über Dritte oder ein zentralisiertes System.

DeFi umfasst zwei verschiedene Arten von Token: Austauschbare (fungible) Tokens, die gegen andere Kryptowährungen desselben Werts getauscht werden können, und nicht austauschbare Tokens ("non-fungible tokens", abgekürzt: NFT). Das sind Vermögenswerte, die einen einzigartigen Wert haben und nicht gegen andere NFTs getauscht werden können - weil sie niemals genau denselben Wert haben können. NFTs erfreuen sich zunehmender Beliebtheit, da sie eine Möglichkeit bieten, einen Vermögenswert wie Kunst (digital oder physisch), Diamanten oder sogar Wein ganz oder auch nur teilweise zu besitzen. Dadurch können Vermögenswerte für eine größere Anzahl von Menschen erschwinglich werden. Dabei liefert die Blockchain - die Technologie hinter NFTs - einen Eigentumsnachweis, der weder gefälscht noch verfälscht werden kann.

Banken in guter Ausgangslage

Eingeführt wurde DeFi, um Banken zu umgehen. Warum also beginnen Banken jetzt, sich daran zu beteiligen? DeFi entwickelt sich zunehmend weg vom dezentralen System und mehr in die Richtung des traditionellen Bankwesens. Gleichzeitig sind nicht nur Verbraucher, sondern auch Banken selbst im Zuge ihrer digitalen Transformation bereit, neue Wege für die Kreditvergabe und die Geldanlage zu erkunden - dazu zählt auch DeFi. Als etablierte Experten für Handel, Investitionen und Finanzen sind Banken in einer ausgezeichneten Lage, um selbst von dieser neuen Finanzwelt zu profitieren und so das weitere Wachstum und die Entwicklung von DeFi zu fördern.

Da es sich um ein nicht reguliertes Umfeld handelt - in dem die Kursentwicklungen vollständig vom Markt bestimmt werden und in dem weder die Identität noch die Kreditwürdigkeit überprüft wird - ist es für Banken natürlich alles andere als einfach, DeFi in ihr bestehendes Portfolio aufzunehmen. Die Regulierung, die definiert, was Banken in dem Bereich machen dürfen, muss erst noch geschrieben werden. Doch es gibt zunehmend eine Bewegung, die eine staatliche Regulierung und Aufsicht über Kryptowährungen erwartet. Das schafft für Banken einen Anreiz, den Bereich tiefer zu erkunden, sobald konkretere Leitplanken definiert worden sind.

Nicht nur das: Viele Zentralbanken entwickeln derzeit sogar Strategien für eine eigene digitale Währung, wie zum Beispiel der digitale Euro der Europäischen Zentralbank. Die Tatsache, dass sogar Zentralbanken digitale Währungen in Erwägung ziehen, zeigt, welche Akzeptanz Kryptowährungen erreicht haben. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass unser zukünftiges Finanzwesen sich sowohl aus Fiatgeld als auch aus digitalen Währungen zusammensetzt.

Banken als vertrauenswürdige Mittler

Mehr noch, Verbraucher wünschen sich sogar, dass Banken sich bei DeFi beteiligen. Eine Umfrage aus Großbritannien unter Verbrauchern zwischen 18 und 40 Jahren, die in ein oder mehrere hochriskante Anlageprodukte investierten, zeigte, dass ein beträchtlicher Anteil sich der Risiken von Investitionen in DeFi nicht bewusst war. So glaubte fälschlicherweise die Mehrheit der Personen, die in Kryptowährungen investiert hatten, dass diese Anlage reguliert ist und über einen Anlegerschutz verfügt. In ähnlicher Weise ergab eine 2021 durchgeführte Umfrage des New Yorker Kryptowährungsdienstleisters NYDIG, dass 81 Prozent der 46 Millionen Amerikaner, die Bitcoins besitzen, diese bei ihrer Bank lagern würden, wenn sie könnten.

Als vertrauensvolle Mittler sind Banken in einer guten Position, um über die mit DeFi verbundenen Risiken aufzuklären. Das hat auch Visa erkannt und in der Folge im Dezember eine globale Beratung für Kryptowährungen eingerichtet, um Finanzinstitute dabei zu unterstützen, durch Kryptoangebote neue Kunden zu gewinnen beziehungsweise bestehende zu halten.

Eine Reihe von Möglichkeiten

Für Banken gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, sich zu beteiligen, denn DeFi deckt eine breite Palette von Dienstleistungen wie Handel, Versicherungen, Peer-to-Peer-Kredite und Investitionen ab.

So legen Banken zunehmend börsengehandelte DeFi-ETFs auf und erweitern ihr Angebot um klassische Anlageprodukte, die auf dem Kryptomarkt basieren. Diese ETFs sind zwar kein rein kryptobasiertes Angebot, ihre Einführung gibt jedoch die Richtung an, in die sich der Markt bewegt. Interessant sind hier auch die jüngsten Partnerschaften zwischen Banken und Fintechs, wie die zwischen der Kryptobörse Bitstamp und dem estnischen Finanzdienstleister LHV. Diese Partnerschaft ermöglicht es LHV-Kunden über Bitstamp mit Kryptowährungen zu handeln.

- Banken können hier auch ihre Erfahrung mit Börsengängen einbringen, um ihren Geschäftskunden bei der Finanzierung durch Non-Fungible Tokens (NFTs) zu helfen.

- Auf einem niedrigen Level ist auch zu beobachten, dass Banken Wallets anbieten, in denen Kunden ihre Kryptovermögenswerte aufbewahren können.

Oft fehlt größeren Banken aber die Risikobereitschaft, sich in etwas so Volatiles wie Kryptowährungen zu wagen. Die Sparkassen scheinen hier eine Ausnahme zu sein. Gerüchten zufolge arbeiten sie an einer Funktion, um ihren 50 Millionen Kunden noch in diesem Jahr den Handel mit Bitcoins anzu bieten. Damit versucht selbst eine der traditionellsten Bankengruppen, aus dem Interesse an DeFi Kapital zu schlagen - der Handel mit Krypto währungen scheint dafür ein erster logischer Schritt zu sein.

Die britische Challenger-Bank Revolut bietet ihren Kunden seit 2017 an, mit Kryptowährungen zu handeln. In Summe halten die rund 15 Millionen Kunden mehr als eine halbe Milliarde Pfund in Kryptowährungen. Mit dem Angebot hat das Unternehmen im vergangenen Geschäftsjahr 39 Millionen Pfund verdient - und erhöhte damit die Gesamteinnahmen um 34 Prozent. Berichten zufolge erwägt Revolut aufgrund des Erfolgs mit DeFi gar die Gründung einer eigenen Kryptobörse. Damit ist Revolut ein gutes Beispiel für eine Bank, die sich in das DeFi-Geschäft vorwagt und davon schon früh profitiert, während sie sich weiterhin auf ihr Kerngeschäft konzentriert.

Herkömmliche Kernbanksysteme nicht kompatibel

DeFi läuft auf Blockchain-Plattformen wie Ethereum, die eine Transaktionsverarbeitung in Echtzeit ermöglichen. Herkömmliche Core-Banking-Plattformen sind nicht mit Blockchain kompatibel. Daher müssen Banken, die noch über alte Technologien verfügen, ihre Technik aktualisieren, sofern sie mit DeFi arbeiten wollen.

Banken benötigen eine hochmoderne Grundtechnologie, die automatische Echtzeittransaktionen und vollständig digitale Prozesse - wie digitale Risikobewertung, Kreditwürdigkeitsprüfung und Echtzeittarife - ermöglicht. Außerdem brauchen sie eine Plattform mit einer modularen Architektur, die es ihnen erlaubt, Dienste zu entwickeln, die wiederum Blockchain-Abläufe mit ihrem bestehenden Kerngeschäft verbinden. Auf diese Weise können DeFi-Bankdienste innerhalb der Blockchain mit "Off-Chain"-Bankleistungen und -Technologie kommunizieren.

Eine aktive Rolle spielen

Es ist noch zu früh, um vorherzusagen, inwieweit sich Banken für Decentralized Finance einsetzen werden. Wie bei vielen aktuellen Trends im Finanzbereich könnte das, was heute noch als nebensächliches Thema betrachtet wird, morgen schon eine entscheidende Chance sein.

Angesichts der Schwachstellen von De-Fi - wie die fehlende Regulierung und Sicherheit, die das Handeln in dieser Branche kompliziert und mühsam machen, sowie ein hohes Betrugsrisiko und eine unübersichtliche Benutzeroberfläche von Kryptohandelsplatt formen - sind es schließlich Banken, die Vertrauen von den Verbrauchern genießen und über die nötige Erfahrung verfügen, um einige dieser Hemmnisse zu überwinden.

Banken haben damit das Potenzial, das Wachstum von DeFi zu fördern. Die Herausforderung liegt für sie darin, ein gewisses Maß an Kontrolle in diesen nicht regulierten Bereich zu bringen. Gleichzeitig müssen sie auch eine neue Haltung sowie Herangehensweise entwickeln, um aus diesem disruptiven, infrastrukturellen Wandel in der Branche Kapital zu schlagen und so eine aktive, gewinnbringende Rolle bei der Einführung einer neuen Zukunft zu spielen.

Rivo Uibo , Chief Business Officer , MT Modular Technologies GmbH, Berlin

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