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Die Deutsche Bank und das "digitale Ökosystem"

Dr. Markus Pertlwieser, Mitglied des Vorstands, Deutsche Bank Privat- und Geschäftskunden AG und Chief Digital Officer (CDO) für den Unternehmensbereich Private, Wealth and Commercial Clients (PW&CC), Frankfurt am Main

Lange Zeit hatte es den Anschein, als falle die Deutsche Bank in Sachen Digitalisierung hinter dem Wettbewerb zurück. Damit soll jetzt Schluss sein, wie die Bank im April vortrug. Mit neuen Arbeitsformen und Kooperationen will der Branchenprimus die Vorreiterrolle zurückerobern. Eine Reihe von Neuheiten wurde bereits vorgestellt. Und die Pipeline sei weiterhin voll. Red.

Am 19. April hat der Bankenverband offiziell den Startschuss für die institutionalisierte Zusammenarbeit mit Fintechs gegeben und dazu in Berlin das "Kommunikationsforum Digital Banking" gegründet, das Fintech-Gründer mit Bankern und Mitarbeitern des Verbands zusammenbringen soll. Knapp 30 Fintechs haben bereits die kostenpflichtige Mitgliedschaft erworben, mit der der Bankenverband erstmals die Zusammenarbeit mit den Start-ups aus der Finanzszene institutionalisiert - wenn auch zunächst nur für ein Jahr.

Am gleichen Tag hat die Deutsche Bank in Frankfurt vor Journalisten ausführlich ihre Strategie in Sachen Digitalisierung vorgestellt. Der Termin war nicht bewusst mit Blick in den Bankenverband gewählt. Er zeigt aber: Die Kooperation mit den Startups im Finanzbereich ist eben nicht nur ein Verbandsthema, sondern auch in den Banken selbst gelebte Realität, wenn es um Digitalisierung geht. "Wir können das nicht allein schaffen. Kooperationen sind Kern unseres Geschäftsmodells" so Vorstandsmitglied Christian Sewing.

Die Deutsche Bank hat sich hier einiges vorgenommen. Dazu gehört vor allem, das Tempo zu steigern. Schließlich ist es das erklärte Ziel, wenigstens in einigen Produkten Vorreiter zu sein. Und davon ist die Bank derzeit noch weit entfernt. Erst seit einigen Monaten hat es den Anschein, als habe die Aufholjagd gegenüber dem Wettbewerb begonnen.

"Noch nicht überall Vorreiter"

In vielen Themen sieht Markus Pertlwieser, Chief Digital Officer des Unternehmensbereichs PW & CC (für Private, Wealth and Corporate Clients), die Bank mittlerweile "auf Augenhöhe", aber "noch nicht überall Vorreiter". Im Sinne der Vorreiterstrategie will sie nun erklärtermaßen aufs Tempo drücken. Denn in der Digitalisierung sieht man signifikantes Wachstumspotenzial durch die Gewinnung von Marktanteilen und die Erschließung neuer Ertragsquellen auch jenseits des eigentlichen Bankgeschäfts. Gleichzeitig sollen Kanalmix und Prozessexzellenz signifikante Effizienzpotenziale liefern.

Insgesamt will die Deutsche Bank in ihrem Unternehmensbereich Private, Wealth and Commercial Clients bis 2020 rund 750 Millionen Euro in die Digitalisierung investieren, davon rund 200 Millionen Euro in diesem Jahr. Innerhalb der nächsten 12 bis 18 Monate könne man dann "liefern". Die Pipeline an Projekten sei voll, so hieß es immer wieder.

Die Pipeline ist voll

Bereits seit Oktober 2015 bietet die Bank individuell konfigurierbare Info-Services an, mit denen sich Kunden beispielsweise darüber informieren lassen können, wenn ihr Kontostand eine bestimmte Untergrenze erreicht, das Depot die festgelegte Risikoklasse überschreitet oder die Sollzinsbindung einer Baufinanzierung demnächst auslaufen wird. 160 000 Kunden haben solche Info-Dienste bereits abonniert.

Bereits im Dezember 2015 live gegangen ist der Finanzcheck als ganzheitliches Beratungstool für Kunden und Berater, das einheitlich online, mobil oder in der Filiale genutzt werden kann. Hier kann der Kunde in 10 bis 15 Minuten seinen Versorgungsgrad mit Finanzdienstleistungen in den Bereichen Sparen und Finanzieren, Absichern und Vorsorge, Bauen und Wohnen, Investieren und Anlegen sowie Konto und Banking-Services überprüfen. Im vierten Quartal 2016 soll die Integration ins Online-Banking erfolgen inklusive einer kundeninitiierten Vorbefüllung der Daten.

Ebenfalls im Dezember 2015 gestartet wurden der Anlagefinder im Bereich Robo Advisor sowie seine neue Brokerage App. Im März 2016 hat Maxblue mit dem sim-Vestor eine Art Börsenspiel live gestartet, mit dem sich die Wertpapieranlage spielerisch erfahren lässt.

Für die kommenden zwölf Monate wurde ein detaillierter Fahrplan entwickelt, der die Einführung zahlreicher weiterer digitaler Innovationen vorsieht.

Neue App gestartet

Am 26. April ist die neue Banking-App live gegangen - allerdings zuerst nur als iOS-Version; eine Android-Version soll erst im September folgen. Zumindest in Deutschland heißt das, dass sich die Mehrheit der Kunden wohl noch gedulden muss. Schließlich sind Android-basierte Endgeräte hierzulande deutlich verbreiteter als Apple. Dass die Deutsche Bank noch immer zuerst mit einer Version fürs i-Phone beginnt und Android erst im Nachgang nachschiebt, ist insofern möglicherweise dem globalen Ansatz geschuldet. Bisher wurde die (alte) App 1,5 Millionen Mal heruntergeladen.

Zu den Neuheiten der neuen Version gehört unter anderem die Überweisung an Freunde - wobei auch der Telekommunikationsanbieter oder Stromversorger als "Freund" angelegt werden kann, um die Begleichung ihrer Rechnungen künftig zu vereinfachen.

Eine im Bank-Jargon "Donut" genannte Grafik zeigt die gesamte Liquidität, wie sie sich auf die einzelnen Konten verteilt. Der Nutzer kann sich auch die Historie des Kontostands der jeweiligen Konten grafisch anzeigen lassen beziehungsweise die einzelnen Transaktionen einsehen.

Finanzielle Heimat

Weitere Funktionen sind noch für das laufende Jahr angekündigt. Insofern lohnt sich für Nutzer von Android-basierten Endgeräten vielleicht das Warten. Sie werden dann möglicherweise bereits von Anfang an die App mit dem vollen Funktionsumfang nutzen können.

Zu den geplanten Ergänzungen, die im Lauf des Jahres noch folgen sollen, gehört zum einen das kontaktlose Bezahlen. Und ab Herbst 2016 soll in Zusammenarbeit mit der Figo GmbH, Hamburg, eine Multi-Bank-Aggregation hinzukommen, mit der Kunden ihr Gesamtvermögen, Liquidität, Umsätze und Kredite bei verschiedenen Anbietern über das Online- und Mobile-Banking der Deutschen Bank verwalten können. Dieses Thema ist der Deutschen Bank besonders wichtig, weil es dabei um die "finanzielle Heimat" des Kunden geht. Ein hoher Anteil der Kunden würde einer Umfrage zufolge solche Services nutzen - aber der Kunde aggregiert nur einmal. Das heißt: Es geht darum, schnell einen solchen Service an den Markt zu bringen, ehe er - befördert durch die PSD2, die entsprechende Schnittstellen verbindlich vorsieht - zum Standard wird.

Noch ist die Deutsche Bank nach Angaben von Michael Koch, der für die neue App verantwortlich zeichnet, an dieser Stelle jedoch in Gesprächen mit der BaFin. Ganz so einfach ist eine Multi-Bank-Aggregation Stand heute also offenbar doch nicht zu realisieren.

Weitere Kooperationen mit Fintechs

Limitierender Faktor, wenn es darum geht, die mit der Digitalisierung verbundenen Vorteile zu erschließen, sind digitale Kompetenz und Fähigkeiten, so Markus Pertlwieser. Schließlich hätten sich Banken viele Jahre lang mit der Backend-Technik beschäftigt und das Frontend, an dem sich das Kundenerlebnis abspielt, außer Acht gelassen.

Kernbestandteil der Digitalisierungsstrategie sind deshalb Kooperationen mit Fintechs, die vielfach eben hier ihre Stärke haben. Natürlich könnte die Bank vieles von dem, was nun in Kooperation mit Fintechs umgesetzt wird, auch selbst programmieren. Doch der Vorteil der Kooperationen liegt in der Schnelligkeit der Umsetzung. Und das ist für die Deutsche Bank, die bislang eben nicht als Vorreiter in Sachen Digitalisierung bekannt ist, vielleicht sogar noch wichtiger als für andere Kreditinstitute.

Um die Vorreiterrolle wenigstens an der einen oder anderen Stelle übernehmen zu können, ist die Suche nach Kooperationspartnern die Strategie der Wahl. So heißt es von Figo, dass eine Bank etwa ein bis zwei Jahre benötigen würde, um die Schnittstellen zu programmieren, die für die Aggregation der verschiedenen Konten auch bei andern Anbietern gebraucht werden - wohingegen die bloße Implementierung allenfalls ein bis zwei Monate dauere.

Die Deutsche Bank will deshalb die Kooperation mit Fintechs für die weitere Digitalisierung ihres Kerngeschäfts und ihrer Prozesse noch intensivieren und nennt einige Beispiele.

- Mit der Schweizer DSwiss AG, Zürich, will sie Ende 2016 das Dokumentenmanagement-System "eSafe" starten - einen "digitalen Tresor", in dem persönliche Dokumente, Rechnungen und Passwörter sicher archiviert werden können.

- Ebenfalls noch 2016 soll die fallabschließende Kontoeröffnung im Internet kommen, wobei die WebID Solutions GmbH, Berlin, das System für die eindeutige Legitimation und die elektronische Signatur des Kunden liefert. Das Konto soll noch am gleichen Tag für den Kunden funktionsfähig sein.

- In Zusammenarbeit mit der Deposit Solutions GmbH, Hamburg, die bereits die Plattform Zinspilot betreibt, will man den eigenen Kunden auch Termingelder von Drittanbietern zugänglich machen. Hier will man einen Marktplatz schaffen, auf dem Kunden über ihr Deutsche-Bank-Konto europaweit unter attraktiven Fest- und Tagesgeldangeboten auswählen beziehungsweise auf Basis einer Treuhand-Nutzungsvereinbarung mit der Deutschen Bank auch abschließen können. Dabei sollen Kunden davon profitieren können, ihre Geldanlagen auf unterschiedliche Anbieter zu verteilen, ohne dazu jedes Mal einen Kontoeröffnungsprozess zu durchlaufen. Die Anlagebank wiederum spart sich den Betrieb einer eigenen Vertriebsplattform sowie Marketingkosten. Dafür zahlt sie der Deutschen Bank ein Entgelt für die Nutzung der Plattform - ausdrücklich keine Provision, sodass mit der Integration der Drittanbieter keine Transparenzpflichten hinsichtlich der Höhe der Vergütung verbunden sein sollen.

- Schließlich soll der im Dezember 2015 eingeführte Robo Advisor im Laufe des Jahres 2016 in Kooperation mit der fincite GmbH, Mülheim an der Ruhr, um eine automatisierte Vermögensverwaltung erweitert werden, die ab 2017 auch die Berater in den Filialen unterstützen soll.

Sechs strategische "Digi-Initiativen"

Insgesamt hat die Bank sechs strategische Digital-Initiativen ausgemacht:

1. Digitales Marketing und Smart Data.

2. Digitales Banking, bei dem es um Einfachheit und Bequemlichkeit geht und wozu etwa der Finanzplaner, Fingerprint-Login oder Photo-TAN gehören.

3. und 4. Das digitale Wertpapiergeschäft sowie das Business Banking - beides Bereiche, in denen die Differenzierung vom Wettbewerb und die Kompetenz im Vordergrund stehen. Als Innovationen der vergangenen 12 Monate werden hier genannt: der Anlagefinder und der Finanzcheck sowie der Finanzplaner Business und das Unternehmerportal.

5. Digitale Zugangswege. Hierhin gehört ein Pilot zur Videoberatung.

6. Digitale Prozesse, bei denen es um das Kundenerlebnis in Sachen Effizienz und Schnelligkeit geht - sei es nun im Bereich des Self-Service oder auch der "papierlosen Filiale".

Beispiel Online-Lastschriftrückgabe

Denn die Digitalisierung, da ist sich die Deutsche Bank sicher, entscheidet über den geschäftlichen Erfolg - und das aus zweierlei Gründen. Zum einen geht es darum, Neukunden zu überzeugen beziehungsweise bestehende Kunden durch ein gutes Kundenerlebnis und attraktive Services zu halten, zum anderen gilt es, die Effizienz zu steigern und so die zu hohe Cost Income Ratio zu senken, wenn Abläufe vollständig elektronisch abgewickelt werden können. Wenn etwa der Kunde künftig die 30 häufigsten Schaltervorfälle, die heute noch in der Filiale vorkommen, selbst erledigen kann, lassen sich einerseits im Interesse des Kunden die Prozesse beschleunigen, andererseits erhebliche Kosten sparen. Als Beispiel hierfür wird die Online-Rückgabe von Lastschriften genannt.

Als weiteres Beispiel führt Sewing die Baufinanzierung an, die immer noch viel zu papierlastig sei. Spätestens in ein bis zwei Jahren werde der Kunde die Zusage und Auszahlung innerhalb von ein bis zwei Tagen erwarten - derzeit sind es noch fünf bis sechs Tage.

Aus diesen Beispielen wird deutlich: Kernbereich vieler digitaler Innovationen ist das Privatkundengeschäft. Allerdings sei vieles, was für das Retailgeschäft entwickelt wurde, auch auf andere Bereiche wie das Wealth Management und das Firmenkundengeschäft übertragbar und insofern als "Einmalinvestition" zu verstehen.

Innovationslabore und Digitalfabrik

Insgesamt sieht die Deutsche Bank die Digitalisierung primär als Chance. Um diese zu nutzen, muss sich freilich auch die Arbeitsweise ändern. Hier wird der Wechsel von der "Wasserfallmethode", bei der zunächst ein Fachkonzept entwickelt, dann programmiert und hinterher getestet wird, hin zu einer "agilen Methode" mit kurzen Umsetzungssprints und Tests zwischendurch beschrieben.

Drei Innovation Labs hat die Deutsche Bank mittlerweile eröffnet: in Berlin und London im November 2015, im April 2016 in Palo Alto im Silicon Valley, ebenfalls noch 2016 soll New York folgen. Aufgabe dieser Innovationslabore ist es, neue und relevante Technologien zu identifizieren. Etwa 500 Ideen pro Jahr sollen sie dabei scannen, 100 davon evaluieren und 10 adaptieren. Auf der Suche nach der besten technologischen Lösung nutzen diese Labore unter anderem Partnerschaften zum Beispiel mit Technologieunternehmen, akademische Partnerschaften, aber auch geschäftliche Kontakte der Bank mit Start-ups. Allein in Berlin habe man Kontakte zu 1000 Start-ups.

Für das Experimentieren mit neuen Technologien werden Veranstaltungsformen wie Pitch-Days mit Existenzgründern, Appathons zur App-Programmierung oder auch sogenannte "Crowdstorms" genutzt, worunter die Bank eine Art Brainstorming in den Dimensionen des Internets versteht. Mitte Dezember wurde ein solcher Crowdstorm zum Thema Premium Advice durchgeführt, an dem sich mehr als 7 000 Teilnehmer aus 30 Ländern beteiligten. Ein weiterer Crowdstorm ist am 19. April gestartet.

Mitte dieses Jahres soll in Frankfurt die "Digitalfabrik" der Bank starten, zuerst in Eschborn, ab Ende 2017 ist ein Standort in der Frankfurter Innenstatt geplant. Mehr als 400 Softwareentwickler, IT-Spezialisten sowie Bankexperten aus dem Unternehmensbereich Private, Wealth & Commercial Clients sollen dort gemeinsam an neuen digitalen Produkten und Dienstleistungen für die Kunden arbeiten. Zudem gibt es 50 Arbeitsplätze für externe Kooperationspartner aus der Fintech-Branche. Finanziert wird sie aus den genannten 750 Millionen Euro - sie wird insofern nicht als zusätzlicher Kostenblock, sondern vielmehr als Ertragshebel verstanden.

Denn die Digitalfabrik, die den Kern der bankeigenen "Forschung und Entwicklung" bildet, soll von der Grundlagenarbeit der Innovationslabore profitieren und die von ihnen ausgemachten Technologietrends in neue Produkte und Services sowie verbesserte Prozesse umsetzen. Ihre Aufgabe ist es somit, praktische Anwendungen zu schaffen, mit denen sich die Effizienz steigern und das Kundenerlebnis verbessern lässt.

Was ist das Konto?

Was dabei herauskommt, bezeichnet die Deutsche Bank als das "Digitale Ökosystem", in dem Bankprodukte und bankfremde Services, unterschiedliche Industrien und Zugangswege wie Filiale, online und mobile zusammenkommen - ganz im Sinne des griechischen Oikos, der für eine Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft steht.

In diesem Ökosystem ist das Konto der Nukleus, dessen Funktionen zunehmend individuell konfiguriert und an das eine immer größere Fülle von Funktionen angedockt werden kann. Diese neue Vielfalt und Flexibilität wirft indessen eine neue Kernfrage auf, so Markus Pertlwieser, nämlich: "Was ist das Konto?" Die Beantwortung dieser Frage wird letztlich auch Implikationen für die künftige Preisgestaltung haben. Eine Antwort auf diese Frage gibt die Deutsche Bank jedoch bislang nicht.

Swantje Benkelberg , Chefredaktion, bank und markt, Cards Karten Cartes , Fritz Knapp Verlag

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