MOBILITÄT

Digitale Mobilität verändert die Transformationsfunktion

Moritz Kaestner, Foto: ReiseBank AG

Was macht ein auf Fremdwährungen und Edelmetalle spezialisierter Finanzdienstleister, dem infolge der Corona-Krise innerhalb kürzester Zeit die Geschäftsgrundlage zu großen Teilen eingebrochen ist? Diese Frage hat die Reisebank Anfang des Jahres mit einer Neuausrichtung beantwortet, die zwar bereits vor der Covid-19-Pandemie angedacht war, durch diese aber wesentlich früher und mit höherer Geschwindigkeit zum Tragen kam. Dazu gehört die Verschiebung zum Sorten- zu mehr Edelmetallgeschäft und vom Schaltergeschäft zum Mail-Order-Service. Red.

Die Reisebank hat 2019 ihr Geschäftsmodell evaluiert und auf der Basis der beobachteten Trends und Entwicklungsprognosen die Neuausrichtung begonnen. Sie wurde somit nicht völlig durch die Folgen der Pandemie überrascht. Die sich abzeichnenden Negativtrends waren bereits Denkanstoß der strategischen Neuausrichtung, wenn auch deren Geschwindigkeit nicht absehbar war.

Foto: ReiseBank AG

Zum Jahreswechsel 2019/2020 gab es eine klare strategische Agenda für die Neuausrichtung des Unternehmens. Die initialen Treiber dieses Wandels sind gesamtgesellschaftliche Trends und damit gleichermaßen Spiegel der gesellschaftlichen Veränderungsprozesse. Ein Beispiel: Die Digitalisierung, die zunehmende Bedeutung des E-Commerce und die damit einhergehende Bargeldsubstitution.

Auf den ohnehin existierenden Veränderungsdruck wirkte die Corona-Pandemie im Frühjahr wie ein Katalysator. Zwei Folgen, die beobachtet werden konnten: Hygienische Bedenken beschleunigen den Rückgang der Bargeldnutzung in einem Tempo, das unter Normalbedingungen Jahre benötigt hätte, gleichzeitig gibt es ein Sicherungsbedürfnis, das sich in einem Trend zu alternativen, physischen Anlagen und hier in erster Linie Gold ausdrückt.

Am Tropf des weltweiten Reiseverkehrs

Erst einmal aber musste die Reisebank - genauso wie andere - in den Krisenmodus schalten. Die Deutschen sind zwar nicht mehr Reiseweltmeister (seit 2012 belegen wir Rang 3 hinter China und den USA), aber unverändert verlassen zwei Drittel der Deutschen das Land im Urlaub und viele ausländische Touristen (sechs Millionen waren es 2018) kommen ins Land. Aus beiden Gruppen kommen die Kunden der Reisebank - sofern sie aus der Nicht- Euro-Zone stammen oder in den Nicht-Euro-Raum reisen. Insofern hängt die Reisebank wie die Touristikunternehmen nicht unwesentlich am Tropf des weltweiten Reiseverkehrs.

Auf die Reiseverkehrsindustrie wirkte Corona wie ein Schock. Während das Sortengeschäft zu mehr als 90 Prozent einbrach, stieg gleichzeitig die institutionelle Edelmetallnachfrage aufgrund von Sicherungsgeschäften rapide an. Bargeldservices in dem bundesweiten Geschäftsstellennetz waren aufrechtzuerhalten, während Flughäfen, an denen die Reisebank stark vertreten ist, größtenteils verwaist waren.

Krisenmanagement wirkt auf eine Strategie-Agenda wie ein Stresstest und dieser bestätigte letztlich die Annahmen über anstehende Veränderungen. Während auf der einen Seite klassische Produktfelder von eben auf jetzt nahezu vollständig einbrachen, wurden an anderer Stelle die Prozesse bis zur maximalen Auslastung strapaziert, um die Kundennachfrage bedienen zu können. Keiner wollte mehr chinesische Renminbi oder südafrikanische Rand, stattdessen waren die Panda-Goldmünze, der Krügerrand und der 100 Gramm-Barren die Topseller. Anstelle von (Reise-)Mobilität war urplötzlich Handfestes zum Einlagern gefragt - dabei wurden US-Dollar, Kronen-Währungen oder Schweizer Franken en gros gekauft. Aber nicht, um sie im Zielland auszugeben, sondern um sie als potenzielle Krisenalternative zum Euro zu Hause zu horten.

Edelmetall statt Sorten

Das ist eine der Erkenntnisse der Corona-Krise: Der mobile Mensch hat einen Gegentrend, das Homing und den Wunsch nach Absicherung. Er hortete dabei nicht nur Lebensmittel und Toilettenpapier. Der unbegrenzten Agilität, der wachsenden Dynamik steht der Wunsch nach Absicherung gegenüber, der im Finanzbereich in der Krise klassischerweise durch Gold verkörpert wird. Gold kann aufgrund seiner Wertdichte leicht mitgeführt und transportiert werden, ist leicht übertragbar, wird weltweit akzeptiert und ist insofern hochgradig krisentauglich. Somit vereinigt das Edelmetall moderne Erwartungshaltung mit tradierten Tugenden und empfiehlt sich perfekt als notwendige Portfolioergänzung.

Während des Ausbruchs der Corona-Krise wurde dieses Prinzip in einer signifikant gestiegenen Marktnachfrage und phasenweisen Lieferengpässen deutlich und ist bis heute am gestiegenen Goldpreis erkennbar. Der weitere Ausbau der Kompetenzfelder der Reisebank als Edelmetallhändler ist daher eines der wichtigsten Handlungsfelder auf der strategischen Agenda. Dass die Bank Kompetenzcenter für Edelmetalle ist, wissen ihre Partnerbanken längst - beim Endkunden ist dieses Wissen bislang weniger vorhanden. Hier besteht Handlungsbedarf.

Trend zu Mail-Order verstärkt sich

Bei all den Veränderungen, welche die Krisensituation mit sich bringt, ist von einer Prämisse auszugehen: Der Kunde von morgen wird nach Ende der Corona-Krise wieder mobil sein und gleichzeitig stärker denn je digitale Wege einschlagen. Seine physische und digitale Mobilität wirft somit die Frage auf: Wo muss die Reisebank sein, um für ihre Kunden jederzeit und vielerorts gut erreichbar zu sein? Der Leitsatz bei der Suche nach Antworten auf diese Frage ist folgender: Mobilität ist nicht nur ein Megatrend, Mobilität ist seit jeher das Geschäftsfeld der Reisebank.

Mit ihren Geschäftsstellen ist sie vornehmlich an Hochfrequenzstandorten präsent, an denen Reisende und Pendler in großer Zahl vorbeikommen, also vornehmlich an Flughäfen und an Bahnhöfen. Sie ist folglich am "Point of travel" (PoT), dort, wo der potenzielle Kunde ohnehin vorbeikommt und ihm spätestens beim Reiseantritt einfällt, dass die umfangreichste Kreditkartensammlung in manchen Zieldestinationen zwar elementar ist, aber nicht das alleinige Zahlungsmittel darstellt. Deshalb ist die Bank am PoT, weil trotz aller digitalen Angebote die Masse der Kunden dieses Geschäft immer noch am liebsten im Vorübergehen abwickelt, und das sehr stark personalgestützt. Das schmerzt in Zeiten von Corona. Wer heute bereits stark automatisierte und auch digitalisierte Prozesse anbietet, kommt derzeit besser durch die Krise.

Das bedeutet nicht, dass Automatisierung und Digitalisierung in allen Bereichen den Königsweg abbilden, um den (digital-)mobilen Kunden von morgen zu erreichen. Es geht um die Unterscheidung: Wo ist Convenience gefragt, wo ist persönliche Beratung verlangt? Ein Edelmetallinvestment schließt man besser mit einem menschlichen Gegenüber ab, eine Bargeldabhebung kann (innerhalb definierter Betragsgrößen) voll automatisiert ablaufen. Letztlich geht es um die Frage, an welcher Stelle ein Mitarbeiter, der berät, einen echten Mehrwert liefert. Überall dort, wo die virtuelle Mobilität in physische Produkte oder Dienstleistungen übergeht, bietet die Reisebank derzeit mit Mensch und Maschine den größten Mehrwert.

Der Bankkunde von morgen will wegen einer (geringfügigen) Bargeldabhebung aber nicht mehr zwangsläufig eine Bankfiliale aufsuchen müssen. Viele erledigen das bereits, in dem sie im Supermarkt an der Kasse unbar bezahlen und sich Bargeld aushändigen lassen. Auf der Basis dieser Logik hat die Reisebank schon seit Jahren den Mail-Order-Service im Angebot. Der Kunde bestellt online seine benötigten Sorten oder Edelmetalle und bekommt sie im Auftrag der vermittelnden Bank an eine gewünschte Adresse geliefert. Das ist der mobile Essenslieferservice für Sorten und Edelmetalle. Und der Kunde lernt in Corona-Zeiten verstärkt, dieses Prinzip unbesorgt auch auf Finanzprodukte auszuweiten. Mit Mail-Order hat die Reisebank schon vor Jahren den Mobilitätsgedanken für physische Finanzprodukte in den Markt getragen und in den Prozessen der IT-Landschaft der Banken angepasst. Ein Vorteil, der sich jetzt auszahlt, denn es ist zu erwarten, dass dieser Trend sich jetzt verstärken wird.

Plattformlösungen und Kooperationsmodelle

Filialgestützte, teilautomatisierte Angebote einerseits, digitalisierte Prozesse mit physischer Auslieferung bis zur Haustür andererseits - das ist der Lösungsansatz der Reisebank. Bei aller Mobilität und digitaler Einkaufsstrecke wollen die Menschen im Geschäft mit Sorten und Edelmetallen am Ende ein physisches Produkt in den Händen halten. Dabei substituiert die Reisebank seit jeher wegfallende Dienstleistungen der Geschäftsbanken oder bietet Lösungen für Direktbanken an den Stellen an, an denen diese zum Beispiel über kein flächendeckendes Filialnetz verfügen. So etwa, wenn die Reisebank für Direktbanken als Ein- und Auszahlungsstelle für deren Kunden agiert.

Ein Kunde kann von seinem Direktbankkonto größere Summen auf einmal und kurzfristig eben nur über eine Auszahlungsstelle erhalten. Am Ende des Tages braucht es immer noch eine gut erreichbare Geschäftsstellen-Infrastruktur - je nach Geschäftsfeld idealerweise bundesweit. In der Folge dieser Logik arbeitet die Reisebank derzeit an Lösungen und Ideen, an welchen Stellen sie für andere Finanzinstitute und Finanzdienstleister in Kooperationsmodellen Plattformlösungen anbieten kann.

Die Reisebank hat über ihr Dienstleistungsangebot an Reisezahlungsmitteln und den Betrieb eines Geschäftsstellen- und Automatennetzwerks viel über ihre Kunden gelernt. Sie ist Spezialist, wenn es um die Mobilität von Menschen geht. Sie misst und analysiert deren Bewegungsströme. Sie weiß, wann und wo sie Geld ausgeben und an welchen Stellen des Bargeldkreislaufes somit Geldausgabe und Geldentsorgung notwendig ist. Deshalb hat die Reisebank zum Beispiel 26 mobile Geldautomaten und ist damit einer der größten Geldautomatenbetreiber auf Volksfesten, Jahrmärkten oder bei Festivals - von Wacken über die Wasen bis hin zur Wiesn. Sie weiß aber auch, wo die Menschen in Innenstädten oder in Einkaufscentern Bargeld benötigen.

Dieses Wissen und die damit verbundene Rundum-Sorglos-Kompetenz für den Betrieb von Geldautomaten stellt sie inzwischen anderen Finanzinstituten zur Verfügung. Dabei wird das genossenschaftliche Regionalitätsprinzip berücksichtigt, aber sie betreibt vermehrt auch Geldautomaten für kooperierende Geldinstitute, die in der Fläche deutliche Wettbewerber sind - sich aber auf eine kosteneffiziente Lösung für die Bargeldversorgung ihrer Kunden geeinigt haben. Noch sind von den deutlich mehr als 600 Automaten der Reisebank rund die Hälfte eigene Automaten und der Rest wird im Auftrag anderer Institute von ihr betrieben - aber diese Gewichtung wird sich ändern. Denn natürlich sind auch hier der Plattformgedanke und das Kooperationsmodell Zukunftslösungen, die einerseits Kosteneffizienz und andererseits Markenpräsenz und Kundenanspruch vereinen.

Symbiose von Mensch und Automatisierung

Wichtig bleibt: Die Automatisierung alleine ist kein Allheilmittel. Ein Automat kann nicht lächeln. Freundlichkeit, Lösungskompetenz und Effizienz müssen vereint werden. Dabei muss man sich vor Augen halten, dass das eine nicht mit dem anderen ersetzt werden kann. Das bedeutet konkret, dass das Geschäftsstellennetz der Reisebank dahingehend weiterentwickeln wird, automatisierte Prozesse und den versierten Schaltermitarbeiter im symbiotischen Nebeneinander zu haben. Den Automaten, um ihn im prozessualen Doing zu entlasten, den Mensch, um dem ratsuchenden Menschen einen kompetenten Ansprechpartner für beratungsintensive Produkte wie zum Beispiel eine Edelmetallanlage zu bieten.

Dabei sind hier standortbezogene Differenzierungen unverändert nötig. Eine klassische Flughafen-Geschäftsstelle braucht unverändert den mehrsprachigen Tax-Refund-Experten, eine Innenstadtlage soll und wird Anlaufstelle für Menschen sein, die per Western Union Bargeld in alle Teile der Welt transferieren. Wo sind mobile Menschen mit welcher Erwartung? Welche finanzielle Konverterfunktion wird nachgefragt? Diese Prämissen definieren ortsbezogen die Ausgestaltung der Geschäftsstelle.

Die Reisebank wird sich als Institut flexibler aufstellen, stärker einzelne Kunden- und Produktgruppen in den Fokus stellen. Das soll auch im Erscheinungsbild erkennbar sein. So wird die Reisebank zukünftig mit einem geschärften Markenprofil ihre verschiedenen Kompetenzen stärker betonen und ihren Partnerbanken als Spezialdienstleister in dem jeweiligen Produktsegment zur Seite stehen.

Anpassungsfähigkeit und Weiterentwicklung als Prinzip

Die Bank wird 2021 ihr 25-jähriges Jubiläum feiern können. Schaut man auf das Vorgängerinstitut, hat der Marktführer Reisebank im Geschäft mit Reisezahlungsmitteln eine 95-jährige Geschichte hinter sich. Die Ausgründung im Jahr 1996 unter dem Namen Reisebank geschah vor allem unter einer Annahme: Ein Geschäftsfeld auszugliedern, dem man angesichts der fünf Jahre später anstehenden Euro-Einführung wenig Überlebenschancen gab.

Die Geschichte der Bank begann somit mit dem erwarteten, massiven Wegfall von Nachfrage. 20 Jahre nach der Euro-Einführung gibt es sie immer noch und das stärker als je zuvor. Dank ihrer Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit und der Tatsache, Spezialist für den mobilen Menschen im Nebeneinander von analog und digital zu sein. Für Endkunden und Partnerbanken.

Moritz Kaestner, Bereichsleiter Geschäftssteuerung, ReiseBank AG, Frankfurt am Main
Moritz Kaestner , Bereichsleiter Geschäftssteuerung, ReiseBank AG, Frankfurt am Main
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