NEUE GESCHÄFTSFELDER

Embedded Finance als Zukunftsmodell des Bankings

Vilve Vene, Foto: Modularbank

Durch technische Fortschritte und gewandelte Kundenerwartungen wird die bisherige Positionierung von Banken und Sparkassen verändert. Integrierte Angebote, bei denen Finanzdienstleistungen näher als je zuvor an den Alltag von Bankkunden heranrücken, sind auf dem Vormarsch. Damit Banken von diesem Trend zu "Embedded Finance" profitieren können, müssen sie allerdings ihre internen Strukturen anpassen, sagt Vilve Vene. Dazu müssen Altlasten bei Technologie und Prozessen beseitigt werden. Nicht zuletzt muss jedoch auch der Zielgruppenansatz kleinteiliger werden. Prinzipiell bewertet die Autorin die Ausgangslage der Banken für Embedded Finance jedoch als gut. Red.

Die Art und Weise, wie wir unser Geld ausgeben und darauf zugreifen, verändert sich aktuell dramatisch. Bisher haben sich Banken darauf verlassen, ihre Produkte und Dienstleistungen direkt an ihre Kunden zu verkaufen. Wenn Verbraucher einen Kredit aufnehmen oder eine Überweisung tätigen wollten, dann gingen sie zu ihrer Bank. Durch technische Fortschritte und gestiegene Erwartungen der Verbraucher, wird das "Monopol" der Banken durch neue Embedded-Finance-Modelle jetzt auf die Probe gestellt. Unternehmen außerhalb der traditionellen Bankenbranche beginnen nun, Finanzprodukte und Finanzdienstleistungen direkt oder als Teil ihrer Produkte oder Services anzubieten. Laut Simon Torrance, Mitglied des Weltwirtschaftsforums, wird der Wandel vom traditionellen hin zu modernem und dezentralem Bankwesen in den nächsten zehn Jahren zu einer Verdopplung des Umsatzes von 3,6 auf 7,2 Billionen US-Dollar führen.

Von der Idee zur Realität

Diese Entwicklung wird durch verschiedenste Dinge vorangetrieben: Erstens haben Technologie und Regulierung dazu beigetragen, dass Embedded Finance von einer reinen Idee zur Realität geworden ist. Digitale Lösungen wie Cloud Computing und Programmierschnittstellen (APIs) ermöglichen es Unternehmen, Bankdienstleistungen nahtlos in ihre bestehende Infrastruktur zu integrieren. Dabei helfen die Einführung neuer Regulierungen und das Aufkommen von Open Banking branchenfremder Unternehmen, den Kunden innovative Zahlungs- und Bankdienstleistungen anzubieten. Neben den technologischen Fortschritten wird der Wandel auch durch neue Erwartungen und die somit gestiegene Nachfrage der Verbraucher vorangetrieben. Laut einer aktuellen McKinsey-Studie bevorzugen inzwischen sogar bis zu 85 Prozent der westeuropäischen Verbraucher digitale Transaktionen im Alltag - selbst die über 65-Jährigen. Mit anderen Worten: Finanzdienstleistungen begegnen uns heute häufiger im Alltag, gleichzeitig gehen Verbraucher immer seltener zur Bank.

Niemand wacht auf und denkt: "Was für ein wunderbarer Tag, lass uns ein paar Bankgeschäfte erledigen!" Menschen wachen mit Ideen und Wünschen auf, die das Bankwesen lediglich erfüllen muss. Sie beschließen zum Beispiel, sich ein neues Auto oder ein Haus zu kaufen. In beiden Fällen ist die Bank nur ein Mittel zum Zweck. Ein Werkzeug, mit dem Verbraucher ihre Wünsche auf möglichst einfache Weise erfüllen möchten.

Win-win-Situation für Unternehmen und ihre Kunden

Die Möglichkeiten für Unternehmen außerhalb der Finanzindustrie sind schier endlos: Immobilienmakler, Reisebüros, Baufirmen, Einzelhändler und Energieversorger sind nur einige Beispiele, die von der Integration von Finanzdienstleistungen - wie flexiblen Zahlungsoptionen oder einem Kreditangebot - direkt in ihr Angebot profitieren können. Das Integrieren von Finanzdienstleistungen ermöglicht es ihnen, attraktivere, bequemere und maß geschneiderte Dienstleistungen anzubieten. Außerdem eröffnen sich dadurch völlig neue Einnahmequellen und Möglichkeiten für Up Selling und Cross Selling.

Angenommen ein Verbraucher ist an einer Solaranlage für sein Dach interessiert, aber er kann den Betrag für die Installation nicht komplett auf einmal bezahlen. Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Er kann entweder zu seiner Bank gehen und einen Kredit anfragen oder er kann sich für eine flexible Zahlungsoption entscheiden, die entweder direkt vom Hersteller oder vom Energieversorger als Paket angeboten wird. Das erspart dem Verbraucher den zusätzlichen Aufwand mit seiner Bank und ermöglicht es ihm, die Solarmodule sofort und direkt beim Verkäufer zu finanzieren. Die integrierte Finanzierung bietet eine Win-win-Situation: Der Hersteller beziehungsweise Anbieter profitiert von neuen Einnahmequellen und erhöhter Kundenbindung und der Kunde kann sich seine Wünsche problemlos erfüllen.

Schnittstellen und Cloud machen es möglich

Durch innovative technologische Fortschritte ist die benötigte Technologie zum Anbieten der Finanzdienstleistungen nicht mehr mit großen Investitionen oder einer langen Entwicklungszeit verbunden. Dank offener APIs und cloudbasierter modularer Systeme können Unternehmen auf Technologieanbieter setzen, um die richtige Lösung nahtlos in ihre eigene Infrastruktur zu integrieren und so schnell spezifische Dienste einzuführen, die zu den Bedürfnissen und Wünschen ihrer Kunden passen.

Und nicht nur kundenorientierte Unternehmen können von der Implementierung von Embedded Finance profitieren, sondern auch die interne Verwaltung eines Unternehmens kann damit vereinfacht werden. So hat beispielsweise Era, eine internationale Immobilienagentur aus Singapur, vor kurzem eine integrierte Finanzlösung eingeführt, die den Außendienstmitarbeitern ein Girokonto zur Verfügung stellt, mit dem sie ihre Provisionen abrechnen, Rechnungen ausstellen und die Geschäftsausgaben einfacher verwalten können. Das Unternehmen hat dadurch eine bessere Übersicht über die Ausgaben und kann den Mitarbeitern eine einfachere Finanzverwaltung anbieten.

Banken in guter Ausganslage

Angesichts der Möglichkeiten und der einfachen Implementierung für Anbieter außerhalb der Finanzindustrie könnte man meinen, dass Embedded Finance eine Bedrohung für etablierte Banken darstellt. Das ist jedoch nicht der Fall. Banken sind in einer hervorragenden Lage, um eine führende Rolle in der Entwicklung zu spielen: Nur sie verfügen über das tiefe Branchen-Know-how, die Reichweite, die Glaubwürdigkeit, die kräftigen Bilanzen und den direkten Zugang zu kosteneffizientem Kapital.

Doch wie können etablierte Banken von dieser Entwicklung profitieren? Ein Beispiel aus der Praxis: Eine Unternehmerin wickelt die Rechnungsstellung und Buchhaltung über eine Software ab und stellt dabei fest, dass sie einen vorübergehenden Überbrückungskredit benötigt, um ihre Mitarbeiter zu bezahlen, während sie auf die Begleichung von Rechnungen wartet. Wenn die von ihr genutzte Plattform eine integrierte Möglichkeit bieten würde, eine zusätzliche Finanzierung (abgesichert durch den Wert der fälligen Rechnungen) von einer vertrauenswürdigen Bank auf Knopfdruck zu erhalten, dann könnte diese Bank einer neuen Kundin einen überzeugenden Service anbieten. Vereinfacht gesagt: Embedded Finance ermöglicht es Banken, ihre Finanzdienstleistungen über Plattformen von Drittanbietern anzubieten, wann und wo immer sie benötigt werden. Statt auf neue Kunden in der eigenen Filiale oder Webseite zu warten, können sich Banken nun am Ort des Bedarfs als Partner einbinden, um so neue Kunden zu erreichen und zusätzliche Umsätze zu erzielen.

Angebot an Embedded Finance anpassen

Daraus ergeben sich allerdings auch Herausforderungen für Banken - Altlasten in der Technologie und den Prozessen sind die offensichtlichsten. Allerdings können jene Banken profitieren, die bereit sind, ihr Angebot für Embedded Finance anzupassen. Zwar gibt es viele Dinge zu bedenken und zu beachten, der wichtigste Punkt allerdings ist, loszulegen. Die Veränderungen in den nächsten 5 bis 15 Jahren werden in der Finanzindustrie zwar dramatisch sein, aber sie werden nicht über Nacht geschehen. Banken können die Veränderung als schrittweise Entwicklung sehen und mit Technologieanbietern zusammenarbeiten, um den Wandel auf agile und modulare Weise zu unterstützen. So können sie schnell und nachhaltig erste Ergebnisse erzielen.

Gleichzeitig sollten Banken auch ihre interne Struktur überarbeiten, damit sie in der Lage sind, ihre Kunden mit eben jenen maßgeschneiderten Angeboten zu bedienen, die sie erwarten. Bislang haben sich Kreditinstitute auf ihre eigenen internen Bedürfnisse eingestellt und Abteilungen und Lösungen für breite Kundensegmente wie Verbraucher, kleine Unternehmen und Konzerne geschaffen. Diese Kategorisierungen sind allerdings zu weit gefasst, um jede Kundengruppe effektiv zu bedienen. Banken müssen nun eine viel kleinteiligere Strategie verfolgen und neue Geschäftsbereiche einrichten, die sich auf Teilsegmente konzentrieren. Es gibt keinen "durchschnittlichen Verbraucher" oder ein "durchschnittliches Unternehmen". Durch die Schaffung spezieller Geschäftsbereiche für bestimmte Kundengruppen (zum Beispiel für Studenten, Kinder, Bauarbeiter oder Mitarbeiter im Gesundheitswesen) sind Banken besser in der Lage, die Bedürfnisse einzelner Kundengruppen zu verstehen und können dadurch detailliertere, relevante Daten erfassen.

Zusätzlich haben viele Banken Schwierigkeiten, die nötigen Erkenntnisse zu gewinnen, da die Analyseplattformen auf starren und veralteten Technologiesystemen und Prozessen aufbauen, die in Silos arbeiten. Nur durch das Aufbrechen dieser Strukturen und den Aufbau auf einem modernen Kernbanksystem werden Banken in der Lage sein, den erforderlichen granularen Ansatz zu verfolgen. Banken, die sich nicht auf Embedded Finance einlassen, riskieren ihren Wettbewerbsvorteil zu verlieren - denn Verbraucher erwarten auf ganz natürliche Weise einen nahtlosen Zugang zu Finanzdienstleistungen.

Vilve Vene, Geschäftsführerin, Modularbank GmbH, Berlin
Vilve Vene , Geschäftsführerin, Modularbank GmbH, Berlin
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