EUROPA

Die europäische Vielfalt braucht einen passenden Regulierungsrahmen

Georg J. Huber, Foto: DSGV

Das EU-Bankenpaket war ein Schritt in die richtige Richtung. Nach wie vor aber schwebt Europa in Gefahr, mit der Bankenregulierung einen "Too Small to Survive"-Effekt zu erzielen, warnt Georg J. Huber. Um das zu vermeiden, fordert er, die Basler Vorgaben nicht eins zu eins auf alle Institute anzuwenden, sondern in der CRR verankerte europäische Spezifika beizubehalten. Bei der Bankenunion sieht Huber nicht nur keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Sondern er sieht in European Deposit Insurance (EDIS) sogar neue Gefahren für die Finanzmarktstabilität. Beim von der EU-Kommission angekündigten Neustart der Kapitalmarktunion mahnt er dazu, die Wertpapieranlage weiterhin attraktiv zu lassen und die Nachhaltigkeit nicht zu einem neuen Bürokratiemonster für die Finanzwirtschaft zu machen. Red.

"In Vielfalt geeint" - so lautet seit dem Jahr 2000 das Motto der Europäischen Union. Es bringt zum Ausdruck, dass sich die Europäer in der EU zusammengeschlossen haben, um sich gemeinsam für Frieden und Wohlstand einzusetzen. Gleichzeitig bringt es die Überzeugung zum Ausdruck, dass die vielen verschiedenen europäischen Kulturen, Traditionen und Sprachen den gesamten Kontinent bereichern. Der gemeinsame Rechts- und Wirtschaftsraum mit Binnenmarkt und Währungsunion sind fester Bestandteil dieser Idee und sichern Frieden und Wohlstand in den Mitgliedsländern. Als Mitglied im Herzen Europas profitiert besonders auch die exportorientierte Wirtschaft Deutschlands von den vielfältigen Verflechtungen mit den Nachbarn.

Subsidiarität, Proportionalität und Vielfalt gehören zu den gemeinsamen Prinzipien und Werten in der Europäischen Union. Sie sind als Grundlagen im Lissabon-Vertrag verankert und tragen zur Stabilität und Akzeptanz der Europäischen Union in den Mitgliedstaaten bei. Doch sie müssen immer wieder aufs Neue mit Leben gefüllt werden, um tatsächlich die unter anderem angestrebte politische und wirtschaftliche Eigenverantwortung zu erreichen.

Subsidiaritätsprinzip im Fokus

Nach dem Subsidiaritätsprinzip soll die jeweils größere gesellschaftliche oder staatliche Einheit nur dann aktiv werden und regulierend, kontrollierend oder helfend eingreifen, wenn die kleinere Einheit dazu nicht in der Lage ist. Nur wenn dies nicht möglich ist, mit erheblichen Hürden und Problemen verbunden ist oder der Mehrwert einer Zusammenarbeit offensichtlich ist, sollen sukzessive höhere Ebenen einer Organisationsform subsidiär, das heißt unterstützend, eingreifen.

Das Subsidiaritätsprinzip ist ein wichtiges Konzept und bewährte Praxis in der Europäischen Union. Bei allen gemeinsamen Zielsetzungen, welche die Europäische Union verfolgt, hat sich die Gemeinschaft vorgenommen, Subsidiarität und Proportionalität einzuhalten, also angemessene Maßnahmen auf einer möglichst niedrigen Ebene zu ergreifen.

Auch dezentrale Strukturen respektieren

Für die Kreditwirtschaft hat das sehr konkrete Auswirkungen. Der europäische Bankenmarkt besteht aus einer Vielzahl von Kreditinstituten, die sich nach Größe, nach Geschäftsmodell und nach Risikogehalt voneinander unterscheiden. Dazu zählen auch Institute, die überwiegend im Privatkundengeschäft und im Geschäft mit kleinen und mittelständischen Unternehmen aktiv sind wie die Sparkassen in Deutschland. Diese sind außerdem in einem lokal und regional abgegrenzten Geschäftsgebiet aktiv.

Um seiner Maxime "United in Diversity" gerecht zu werden, muss Europa in der neuen Legislaturperiode sicherstellen, dass Kreditinstitute in unterschiedlichen Rechtsformen und Aufstellungen erfolgreich sein können. Auch dezentral agierende, lokal verankerte Strukturen müssen dabei respektiert werden.

Ein Schritt in die richtige Richtung

Das in der zu Ende gegangenen Legislatur verabschiedete sogenannte "Bankenpaket" (CRR II/CRD V) war ein Schritt in diese Richtung. Erstmals konnte darin ein konkreter Ansatz von Proportionalität in der europäischen Bankenregulierung verankert werden. Banken und Sparkassen, welche die Kriterien für kleine, wenig komplexe Institute erfüllen, profitieren somit von administrativen Entlastungen. Ab Mitte 2021 sind diese Vorschriften anzuwenden.

Die Gesetzgebungsaktivitäten in Bezug auf die Eigenkapitalvorschriften sind damit aber bei Weitem nicht abgeschlossen, denn mit der europäischen Umsetzung der Finalisierung von Basel III folgen weitere regulatorische Initiativen, die ihren Ursprung in der Finanzkrise haben. Mit diesem zweiten großen Paket der internationalen Bankenregulierung werden nunmehr die Standards zur Risikomessung überarbeitet. Wie schon das erste "Bankenpaket" beschäftigten sich die entsprechenden Vorschriften also letztlich mit dem Kern einer Bankbilanz und damit einem zentralen Kostenfaktor für die Institute, denn letztlich wird dadurch determiniert, wieviel Eigenkapital Banken für bestimmte Geschäfte und Bilanzpositionen vorhalten müssen. Das erste "Basel III-Paket" aus dem Jahr 2010 legte seinerzeit den Schwerpunkt unter anderem auf die Verbesserung der Qualität und Quantität des von Banken zur Erfüllung aufsichtsrechtlicher Vorschriften vorzuhaltenden Eigenkapitals.

"Too Small to Survive"-Effekt vermeiden

In der Diskussion über Nutzen und Kosten der europäischen Umsetzung der Beschlüsse des Baseler Ausschusses sind folgende Punkte sehr bedeutsam: Die Baseler Vorgaben haben große, international tätige und in der Regel börsennotierte Banken im Blick. Anders als in den USA werden die für diese Institute entwickelten und kalibrierten Standards in Europa jedoch auf alle Institute ausgerollt - unabhängig von der Größe der Bilanz und dem Risikogehalt der eingegangenen Geschäfte. Zwangsläufig wird das die Regulierungslast auch für kleinere und mittelgroße Banken weiter erhöhen - was es aus Gründen des Erhalts eines diversifizierten europäischen Bankenmarktes zu verhindern gilt.

Die neuen Regeln sind deutlich komplexer und dürfen deshalb nicht undifferenziert für kleinere Institute zur Anwendung kommen. Anderenfalls stellt sich der Effekt des "Too Small to Survive" ein - grundsätzlich wirtschaftlich gesunde Banken können nicht überleben, da sie die immer höheren Regulierungskosten nicht tragen können.

KSA nur bei großen Instituten anwenden

Konkret muss bei der Umsetzung des Kreditrisikostandardansatzes (KSA) darauf geachtet werden, den zusätzlichen Aufwand für kleinere Institute möglichst gering zu halten, der neue KSA sollte nur von großen, international tätigen Instituten anzuwenden sein. Alle übrigen sollen weiterhin im Rahmen der bestehenden Regelungen arbeiten können. In den USA arbeiten beispielsweise die lokal verankerten Community Banks nach wie vor auf der Basis von Basel II.

Die Hauptakteure im angelaufenen gesetzgeberischen Prozess betonen, dass die Baseler Vorgaben in Europa möglichst ohne Abweichungen zu implementieren seien. Wir sind demgegenüber der Auffassung, dass wichtige, bereits in der CRR verankerte europäische Spezifika beizubehalten sind. Hierzu zählen der KMU-Unterstützungsfaktor sowie Ausnahmen bei der CVA-Berechnung.

Der Europäische Gesetzgeber muss außerdem darauf achten, bei der Basel-Umsetzung nicht im Alleingang vorzupreschen und so den in Europa beheimateten Banken Wettbewerbsnachteile einzuhandeln. Gerade im Hinblick auf die jüngsten handelspolitischen Alleingänge der USA in anderen Bereichen sollte so klar wie möglich erkennbar sein, dass andere wichtige Jurisdiktionen in der Welt - einschließlich der USA - die neuen Vorgaben ebenfalls umsetzen.

Bankenunion mit Ausbaupotenzial

Neben der Umsetzung der Baseler Vorgaben hat kaum ein anderes legislatives Großprojekt in den vergangenen zehn Jahren ein derart großes Potenzial für tiefgreifende Veränderungen der europäischen Bankenwirtschaft gehabt wie die Bankenunion. Viel wurde bereits erreicht - mit dem gemeinsamen Aufsichtsregime, dem einheitlichen Abwicklungsmechanismus und -fonds und der einheitlichen europäischen Einlagensicherung, um das übergeordnete Ziel der Finanzmarktstabilität zu fördern und Banken krisenresistenter zu machen.

Ausbaupotenzial gibt es jedoch auch in diesem Bereich. Dazu zählen

- die Etablierung eines Backstops für den Bankenabwicklungsfonds (der glücklicherweise mit den jüngsten Beschlüssen des Rates der Finanzminister im Dezember 2019 ein gutes Stück vorangekommen ist),

- der weitere Abbau von Risiken in Bankbilanzen sowie

- die Befassung mit den Wechselwirkungen zwischen Staatshaushalten und Bankensystem, dem sogenannten "Staaten Banken Nexus".

Kein Handlungsbedarf bei der Einlagensicherung

Die Beschäftigung mit allen Bestandteilen der Bankenunion ist dabei zwingend notwendig und sie sollte dazu genutzt werden, um mit dem Irrtum aufzuräumen, eine europäische Einlagensicherung sei das Allheilmittel gegen bestehende Defizite in der Bankenunion. Es ist hier kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf zu erkennen, da mit der Einlagensicherungsrichtlinie aus dem Jahr 2014 eine weitestgehende Harmonisierung der entsprechenden Vorschriften stattgefunden hat.

Eine Vergemeinschaftung der verschiedenen Sicherungssysteme, insbesondere auch, wie sie unter dem Stichwort EDIS (European Deposit Insurance Scheme) von der EU-Kommission vorgeschlagen wurde, ist abzulehnen.

EDIS kann eine effiziente Aufstellung von internationalen Bankengruppen keinesfalls ersetzen. Im Gegenteil, es sind eher gesetzgeberische Maßnahmen in anderen Bereichen dafür notwendig, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem freien Fluss von Kapital und Liquidität innerhalb großer Bankengruppen. EDIS untergräbt im Gegensatz dazu die Existenz von Institutssicherungssystemen und würde diese de facto abschaffen.

EDIS erhöht die Ansteckungsgefahren

Darüber hinaus würde ein solcherart vergemeinschaftetes und zentralisiertes System die Finanzmarktstabilität gefährden und Anreize für ein risikohaftes Verhalten von Banken schaffen.

Ein einziger europäischer Fonds für die Einlagensicherung - wie bei EDIS vorgesehen - erhöht zudem Ansteckungsgefahren im Falle einer Krise: lediglich lokal relevante Entschädigungsfälle würden Einleger bereits unmittelbar europaweit verunsichern. Das Vertrauen der Sparer in die Sicherheit ihrer Einlagen ist nach unserem Dafürhalten im Rahmen der bereits geltenden Regeln besser gewährleistet.

Zu den Vorhaben der neuen EU-Kommission soll auch der Neustart der Kapitalmarktunion gehören. Bereits dieser Ansatz weist auf die Schwierigkeiten bei der Umsetzung eines solchen Konzepts hin - zwar wurde der von der letzten Kommission vorgelegte Aktionsplan so gut wie abgearbeitet - jedoch führten die Maßnahmen nicht zu signifikanten Effekten und es stellt sich die Frage, ob die richtige Balance zwischen Ressourcenaufwand auf Ebene der europäischen Institutionen und Marktteilnehmern einerseits und tatsächlich effizienterer Kapitalallokation zum Nutzen der Wirtschaft andererseits gefunden wurde.

Mitgliedstaatliche Finanzmarktstrukturen stärken

Gesetzgeberische Vorhaben sollten darauf abzielen, adäquate Finanzierungsstrukturen für die europäische Wirtschaft zu sichern und - sofern notwendig - anzupassen. Neben der Finanzierung über die Kapitalmärkte ist für den weit größeren Teil der europäischen Wirtschaft die Kreditfinanzierung durch Banken und Sparkassen von Bedeutung, dies darf bei der Förderung der kapitalmarktbasierten Finanzierung nicht vergessen werden.

Im Rahmen der Weiterentwicklung der Kapitalmarktunion müssen auch spezifische mitgliedstaatliche Finanzmarktstrukturen gestärkt werden - gerade, weil auch die Wirtschaftssektoren nicht gleichförmig sind, da sie zum Beispiel in manchen Mitgliedstaaten weitaus stärker durch kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs) geprägt sind als in anderen.

Konsistenz in der Gesetzgebung ist gerade im Zusammenhang mit der Kapitalmarktunion gefragt - entlang der gesamten Wertschöpfungskette eines Finanzprodukts von der Generierung der zugrunde liegenden Finanzierung, über die Strukturierung von Finanzprodukten bis hin zum Absatz an private und institutionelle Anleger.

Anlage in Wertpapieren muss attraktiv bleiben

Die nach wie vor in Europa schwach ausgeprägte Wertpapierkultur und der Zugang von Kleinanlegern zu Finanzmitteln des Kapitalmarktes muss gestärkt werden. Die Anlage in Wertpapieren als Element privater Altersvorsorge muss für alle Bevölkerungsschichten attraktiv bleiben - gerade in Zeiten anhaltender Niedrigzinsen.

Zu Recht sichert MiFID II die provisionsfinanzierte Anlageberatung, jedoch schießt sie beispielsweise bei den Anforderungen an Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten sowie im Hinblick auf Kosten- und Risikodarstellungen über das Ziel hinaus und konterkariert die Ziele der Kapitalmarktunion. Wie eine Studie der Ruhruniversität Bochum gezeigt hat, schrecken MiFID II und die PRIIPs-Verordnung Privatkunden eher von einem Engagement in Wertpapieren ab. Genauso befremdet die jüngst wieder verstärkt geführte Diskussion über die Finanztransaktionssteuer und entsprechende Vorstöße auf Ebene der Mitgliedsstaaten, da damit Anlageprodukte letztendlich teurer werden.

Finanzwirtschaft kann nachhaltige Entwicklung nur begleiten

Und schließlich tritt das Thema nachhaltige Finanzierung immer stärker in den Vordergrund der Gesetzgebung - nicht erst seit der Vorstellung des "Green Deals" der Europäischen Kommission Mitte Dezember. Bereits seit Anfang 2019 haben verschiedene Gesetze den Prozess auf der europäischen Ebene durchlaufen mit der Taxonomie Verordnung als deren wichtigstem Vertreter. Die Finanzwirtschaft darf aber nicht mit Aufgaben überfrachtet werden, die sinnvollerweise an anderer Stelle gelöst werden müssen - nämlich in der Realwirtschaft selbst.

Der Wandel hin zu nachhaltigerem Wirtschaften muss unter Beteiligung aller Akteure und zuvorderst dort ansetzen, wo er stattfindet - bei betroffenen Unternehmen, den Verwaltungen und Versorgungssystemen. Die Finanzwirtschaft kann eine begleitende Rolle einnehmen; der ökologische und soziale Wandel hängt aber vor allem von politischen Entscheidungen ab, die starke Effekte auf realwirtschaftliche Bereiche haben.

Nachhaltigkeit darf kein bürokratisches Monster werden

Weitere Regulierung schafft weitere Komplexität - das gilt nicht nur für die Nachhaltigkeit. Kommt es dort aber nicht zu einer praktikablen und schlanken Taxonomie, werden Zielkonflikte die erhofften Wirkungen aufheben, erst recht dann, wenn Finanzmarktstabilität mit gesellschaftlichen Anreizsystemen vermengt wird.

Ein grünes Investment ist nicht per se risikoärmer, daher ist es unabdingbar, dass Chancen und Risiken von Erleichterungen in der Eigenkapitalunterlegung auf ausreichender Datenbasis sorgfältig abgewogen werden. Auch die bis zuletzt hart umkämpften Definitionen für grüne oder weniger grüne Finanzmarktprodukte dürfen sich nicht zu einem bürokratischen Monstrum für die Anwender auswachsen, sondern sind mit Augenmaß anzuwenden.

Eine kontinuierliche Verbesserung bestehender Regeln sowie eine gründliche Prüfung der gesamten Gesetzgebung im Finanzbereich auf Konsistenz sind für die nächsten Jahre vordringlich. Auch das dient letztendlich dem Zusammenhalt und dem Erfolg der Europäischen Union. Deswegen sind an dieser Stelle die Europäischen Prinzipien der Subsidiarität, Proportionalität und Vielfalt nach wie vor eine wichtige Leitlinie.

Georg J. Huber, Leiter EU-Repräsentanz, Deutscher Sparkassen- und Giroverband e.V., Brüssel
Georg J. Huber , Leiter EU-Repräsentanz, Deutscher Sparkassen- und Giroverband e.V., Brüssel
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