PLATTFORMEN

Der Fall Gamestop und die Rolle der Plattformen

Jörg Baumgartner, Foto: CMS Deutschland

Der Fall Gamestop hat die potenzielle Macht der Kleinanleger demonstriert. Auch in Europa könnte Vergleichbares möglicherweise vorkommen und hätte dann rechtliche Implikationen für die Plattformbetreiber. Die rechtliche Gemengelage ist allerdings schwierig, so die Autoren. Beispielsweise gibt es zwar kapitalmarktrechtlich kein Ausführungsverbot für verdächtige Transaktionen. Strafrechtlich könnte das allerdings anders aussehen. Auch stellt sich die Frage nach Interessenkonflikten und Marktmanipulationen seitens der Broker. Red.

Das viel zitierte Duell zwischen "David und Goliath" am US-Kapitalmarkt hat auch in Deutschland für Furore gesorgt. Dabei hatten einige Hedgefonds als Leerverkäufer (englisch Short Seller) auf den Kursverfall von Gamestop gesetzt. Das Unternehmen war von der Covid-19-Pandemie schwer gebeutelt worden. Gamestop ist eine US-amerikanische Einzelhandelskette für Computerspiele und Unterhaltungssoftware. Aufgrund der Pandemie wollte man hier nun vermehrt auf Internethandel setzen. Da die Aktienanalysten aber nicht glaubten, dass sich das Unternehmen nachhaltig erholen würde, erschienen die Leerverkaufspositionen der Hedgefonds erfolgsversprechend. So sollen zeitweise sogar 140 Prozent der Gamestop-Aktien leerverkauft worden sein.

Dann allerdings setzte eine unerwartete Kaufwelle bei Gamestop-Aktien ein. Über Reddit, eine US-amerikanische Social-Media-Plattform, hatten sich viele (Klein-)Anleger über das Reddit-Forum Wallstreetbets zum Kauf von Gamestop-Aktien verabredet. Der Aufruf zum Kauf der Aktien erfolgte auch mit dem Hinweis, dass damit die auf fallende Kurse setzenden Hedgefonds geschädigt werden. Da Wallstreetbets mittlerweile über sieben Millionen Mitglieder hat, konnte tatsächlich auf den Kurs der Aktie eingewirkt werden.

Dieser Kursaufschwung brachte die leerverkaufenden Hedgefonds in Bedrängnis. Leerverkäufer verkaufen Aktien, die sich im Zeitpunkt der Verkaufsvereinbarung nicht in ihrem wirtschaftlichen Eigentum befinden. In Europa wie auch in den USA sind aber ungedeckte Leerverkäufe (sogenannte Naked Short Sales oder Uncovered Short Sales) rechtlichen Beschränkungen durch die EU-Leerverkaufsverordnung beziehungsweise die US-amerikanische Regulation SHO unterworfen, die im Ergebnis ein Verbot ungedeckter Leerverkäufe bedeuten. Daher müssen Short Seller vor dem Leerverkauf durch eine sogenannte Deckung Vorsorge dafür treffen, dass sie die Aktien tatsächlich an den Käufer liefern können. Üblich sind hier Wertpapierleihen, mit denen sich die Short Seller die Aktien zum Beispiel von Banken, Fondsgesellschaften oder Vermögensverwaltern "leihen".

Rechtlich betrachtet, handelt es sich dabei um ein Sachdarlehen. In Anlehnung an den Begriff "Securities Lending" hat sich aber der Begriff der Wertpapierleihe eingebürgert. Nach der Wertpapierleihe verkauft der Short Seller die "geliehenen" Aktien sofort. Dabei hofft er, dass die Aktien sinken bis er sie seinem "Verleiher" zurückgeben muss. Die Differenz zwischen dem Verkaufspreis beim Leerverkauf und dem Preis des "Rückkaufes" ist der (erhoffte) Gewinn des Short Sellers. Davon sind allerdings noch die Transaktionskosten (unter anderem die Leihgebühr.) abzuziehen.

Leerverkäufe sind riskant. Während beim Aktienkauf die Grenze der Totalausfall ist, kann beim Leerverkauf der Kurs der Aktie theoretisch unendlich steigen. Das kann dann zu einem horrenden, theoretisch unendlichen, Verlust führen. Neben der Deckungspflicht treffen die Short Seller sowohl in der EU als auch in den USA kapitalmarktrechtliche Transparenzpflichten, wiederum nach der EU-Leerverkaufsverordnung beziehungsweise nach der US-amerikanischen Regulation SHO.

Derzeit müssen in der EU wegen der Covid-19-Pandemie bereits Netto-Leerverkaufspositionen ab 0,1 Prozent (statt der üblichen Grenze von 0,2 Prozent) des jeweils ausgegebenen Aktienkapitals der jeweiligen Aufsichtsbehörde gemeldet werden. Ab 0,5 Prozent muss die Netto-Leerverkaufsposition nach der Schwellenberührung veröffentlicht werden, in Deutschland im Bundesanzeiger.

Short Squeeze

Der Kurs der Gamestop-Aktie lag im Sommer 2020 bei etwa 4 US-Dollar. Ende Januar 2021 lag er zeitweise über 347 US-Dollar. Hintergrund des Kursanstieges waren die Käufe der (Klein-) Anleger und die Eindeckungskäufe der Leerverkäufer. Die wiederum waren notwendig, um ihre Verluste zu begrenzen. Eine solche Situation wird Short Squeeze genannt. In Deutschland werden in diesem Zusammenhang Erinnerungen an die geplante VW-Übernahme durch Porsche wach. Damals wurde VW kurzzeitig zum wertvollsten Unternehmen der Welt und Short Seller, die auf fallende VW-Aktien gewettet hatten, mussten ihre Leerverkaufspositionen zu sehr hohen Kursen schließen.

Auch bei Gamestop, wo ja 140 Prozent der Aktien leerverkauft waren, versuchten Leerverkäufer ihre Positionen zu schließen. Das Resultat war ein Kursfeuerwerk. In beiden Fällen haben einige Hedgefonds viel Geld verloren. Da der Gamestop-Kurs inzwischen wieder deutlich eingebrochen ist und derzeit bei 40 US-Dollar notiert, konnten in diesem Fall die Verluste teilweise wieder kompensiert werden. Diese Kompensation wird aber auf der anderen Seite vielen (Klein-)Anlegern, die auf einen steigenden Kurs setzten, erhebliche Verluste beschert haben.

Mehr als 4 000 Beschwerden bei der BaFin

Auch wenn sich die meisten Rechtsfragen in diesem Zusammenhang nach US-Recht beurteilen, ergeben sich Anknüpfungspunkte zum deutschen Recht. Es stellt sich die Frage, welche (aufsichts-)rechtlichen Pflichten Handelsplattformen in diesem Zusammenhang treffen.

Auch in Deutschland sorgten nämlich ungewöhnlich starke Handelsaktivitäten auf den Handelsplattformen deutscher Broker wie etwa Trade Republic mit Aktien von Gamestop, AMC Entertainment, Blackberry, Nokia, Express und Bed Bath & Beyond in jüngster Zeit für eine Überlastung von Handelssystemen. So hat etwa auch die deutsche Handelsplattform Trade Republic einseitig den Kauf von Gamestop-Aktien ausgesetzt. Die Maßnahme begründete das Unternehmen damit, dass es durch die besonders hohe Volatilität, die Gefahr rascher Kurseinbrüche und die technischen Verzögerungen zu starken Verlusten bei den Anlegern hätte kommen können. Dadurch habe man keinen reibungslosen Handel sicherstellen können.

Nachdem sich bereits in den USA viele Kleinanleger bei der dortigen Börsenaufsicht SEC gemeldet haben, sind insbesondere nach den Kursschwankungen bei der Gamestop-Aktie und der nachfolgenden zeitweisen Aussetzung der Kauforders auch bei der deutschen Finanzaufsicht BaFin mehr als 4 000 Beschwerden von Privatanlegern über Neobroker eingegangen, die der Aufsicht der BaFin unterliegen.

Schwierige rechtliche Gemengelage

Die BaFin nimmt die Beschwerden der Anleger sehr ernst und prüft nun diese Vorgänge. Sie hat die betroffenen Neobroker aufgefordert, kurzfristig zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Außerdem hat die BaFin gegenüber den Brokern darauf hingewiesen, dass sie auch in den Phasen erhöhten Handelsaufkommens und großer Volatilität ihren

aufsichtsrechtlichen Pflichten als Anbieter von Wertpapierdienstleistungen nachkommen müssen. Dies bedeutet, dass sie allen Kunden die angebotenen Dienstleistungen störungsfrei und im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen zur Verfügung stellen müssen.

Die rechtliche Gemengelage für die Broker ist dabei aber schwierig.

  • Zum einen bestehen die vertraglichen Pflichten gegenüber den Kunden, die Aufträge ordnungsgemäß auszuführen.
  • Zusätzlich gibt es die aufsichtsrechtlichen Vorgaben, die insbesondere beinhalten, dass die die von den Brokern angebotenen Dienstleistungen zuverlässig zur Verfügung stellen müssen.
  • Möglicherweise konkurrierende Pflichten beziehungsweise Gebote ergeben sich aber aus dem Marktmissbrauchs- und Strafrecht, wenn der Verdacht besteht, dass mit den zugrunde liegenden Aufträgen Marktmanipulationen begangen werden. Dann könnten sich

strafrechtliche Risiken für die Handelsplattformen ergeben, wenn sich die Broker durch die Ausführung der Aufträge an solchen Marktmanipulationen, zum Beispiel der konzertiert agierenden Kleinanleger beteiligen.

Die Prüfungskompetenz der BaFin erstreckt sich bei der Prüfung vor allem auf das Aufsichtsrecht, also insbesondere auf die Einhaltung der Bestimmungen des Kreditwesengesetzes (KWG), der europäischen Marktmissbrauchsverordnung (MAR) und des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG). Ob der Broker seine vertraglichen Pflichten gegenüber seinen Kunden erfüllt, kann die BaFin aber weder entscheiden noch durchsetzen, da die zivilrechtliche Wirksamkeit der vertraglichen Beziehung zwischen Broker und Kunde nicht der Aufsicht der BaFin unterliegt. Dies betrifft zum Beispiel die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, in denen sich ein Broker vorbehält, unter gewissen Voraussetzungen Orders nicht auszuführen oder ohne eine entsprechende Kundenorder Positionen zu schließen.

Pflichten der Broker bei der Orderausführung

Die erfolgten Handelsbeschränkungen müssen sich in Deutschland zum einen an den Bestimmungen des WpHG messen lassen. Darin ist vorgesehen, dass die Broker ihre Dienstleistungen im besten Interesse ihrer Kunden erbringen. Über mögliche Interessenkonflikte müssen sie ihre Kunden über informieren. Unterstellt man, deutsches Recht wäre anwendbar, könnte genau das im Gamestop-Fall ein Thema sein, da jedenfalls in den USA der Verdacht im Raum steht, dass die Broker die Aufträge an Market Maker weiterverkauft haben. Hinter denen stehen die durch den Short Squeeze geschädigten Hedgefonds.

Damit könnte zwischen den Brokern und den Hedgefonds eine Nahebeziehung bestanden haben. Die Aussetzung der Kauforders ist möglicherweise aus sachfremden Erwägungen erfolgt. Sollte dies zutreffen, könnte dies Schadenersatzansprüche der Anleger auslösen. Zur Aufklärung des Sachverhalts mussten unter anderem der Chef der Handelsplattform Robinhood, und die CEOs zweier Hedgefonds am 18. Februar 2021 vor dem US-Kongress aussagen

Darüber hinaus gilt, dass die Broker ihre Dienstleistungen auch dann stabil anbieten müssen, wenn die Märkte sehr volatil sind. Für solche Fälle müssen die Anbieter die erforderliche und ausreichend dimensionierte Infrastruktur vorhalten. Stellt die BaFin fest, dass die technischen Störungen auf einer mangelhaften Geschäftsorganisation beruhen, kann sie aufsichtsrechtlich einschreiten und das Unternehmen zur Beseitigung des Mangels auffordern. Bei schwerwiegenden Verstößen oder wenn ein Unternehmen die Mängel nicht abstellen kann oder will, kann die BaFin weitere Maßnahmen treffen, etwa gegen die Geschäftsleiter.

Marktmanipulation seitens der Broker?

Neben den Anlegern, die sich möglicherweise unzulässig abgesprochen haben, wird auch den Brokern Marktmanipulation vorgeworfen, weil sie den Kauf weiterer Aktien durch die Anleger über Stunden hinweg gesperrt hatten und dadurch den freien Markt eingeschränkt haben sollen. Im Gegensatz zu Handelsaussetzungen, die für den Kauf und Verkauf gelten, wurde allerdings nur der Kauf gestoppt. Dies ist ungewöhnlich.

Grundsätzlich sind Volatilitätsunterbrechungen (sogenannte Ciruit Breaker) den Börsen und multilateralen Handelssystemen in ihrer Rolle als Markt infrastrukturanbieter und nicht privatrechtlichen Handelsplattformen vorbehalten. Allerdings könnten Broker dann zu einem Transaktionsstopp berechtigt sein, wenn der Broker durch die Ausführung der Order offensichtlich selbst einen Verstoß gegen das Marktmissbrauchsverbot begehen würde. Er würde damit möglicherweise Beihilfe zu Marktmanipulation leisten.

Ausführungsverbote bei verdächtigen Geschäften?

Nach Art. 16 Abs. 2 S. 2 MAR muss ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen, worunter auch Broker fallen, der zuständigen Aufsichtsbehörde unverzüglich melden, wenn es den begründeten Verdacht hat, dass ein Auftrag, zum Beispiel ein Kauf von Aktien, eine Marktmanipulation oder einen Versuch hierzu darstellen könnte. Kapitalmarktrechtlich besteht allerdings kein ausdrückliches Aus- beziehungsweise Durchführungsverbot, solange ein verdächtiger Auftrag im normalen Geschäftsgang durchgeführt wird und unmittelbar danach eine allen Anforderungen entsprechende Verdachtsmeldung abgegeben wird. Die Ausführung verdächtiger Geschäfte ist aus kapitalmarktrechtlicher Sicht grundsätzlich zulässig.

Ein Ausführungsverbot allerdings kann sich für die Broker auch aus dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht ergeben, soweit die Ausführung des marktmissbrauchsverdächtigen Geschäfts selbst als straf- beziehungsweise ahnbare Beteiligung an einer Marktmanipulation anzusehen wäre. Hier stellt sich die schwierige Frage, ob professionsadäquates Verhalten überhaupt strafrechtlich relevant sein kann.

Die Grenze zur Beihilfe zu einem strafbaren Marktmissbrauchsdelikt wird erst dann überschritten, wenn der die Order ausführende Broker sicher davon ausgeht, dass mit dem jeweiligen Geschäft eine strafbare Marktmanipulation verwirklicht werden soll. Bestehen hieran noch Zweifel und hält sich der Broker an die Regeln seiner Berufsausübung, so ist ein Beihilfevorsatz grundsätzlich zu verneinen, insbesondere, wenn sofort danach eine Verdachtsmeldung nach Art. 16 MAR an die zuständige Aufsicht durchgeführt wird.

"Wiederholungsgefahr" aufgrund geänderten Nutzerverhaltens

In Deutschland sind viele Anleger im Jahr 2020 erstmals am Kapitalmarkt aktiv geworden, viele von ihnen über Neobroker im Internet. So sollen zwischen 4 und 7,5 Millionen Deutsche 2020, befeuert durch Corona und Niedrigzinsen, erstmals in Finanzinstrumente investiert haben. Daher hat die europäische Wertpapieraufsicht ESMA kürzlich darauf verwiesen, dass sich derartige Szenarien vermehrt auch in der EU ereignen können. Sie hat dabei die Anleger vor der hohen Volatilität gewarnt und sie auf das Risiko der Marktmanipulation durch ihr Handeln hingewiesen.

Die Handelsplattformen müssen also darauf achten, dass sie über geeignete Systeme und Vorkehrungen verfügen, die den Handel in den angebotenen Finanzinstrumenten zu jeder Zeit sicherstellen. Zeitweilige Aussetzungen des Handels müssen die absolute Ausnahme sein und die Voraussetzungen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen klar benannt und gegenüber den Anlegern kommuniziert werden.

Jörg Baumgartner , Rechtsanwalt, Kanzlei CMS Hasche Sigle, Frankfurt am Main
Dr. Sebastian Sieder , Rechtsanwaltsanwärter, Müller Partner Rechtsanwälte, Wien

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