EUROPA

Fintechs helfen, den Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen zu vollenden

Dr. Tamaz Georgadze, Foto: Raisin

Die Erfahrungen von Fintechs mit grenzüberschreitenden Geschäftsmodellen zeigen, wie weit Europa von einem Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen entfernt ist. Wie viele landesspezifische Unterschiede es gibt, zeigt Tamaz Georgadze an einigen Beispielen auf. Weil aber oft nur der grenzüberschreitende Ansatz ausreichende Skaleneffekte verspricht, legen Fintechs hier den Finger in die Wunde. Mit ihren innovativen Geschäftsideen betreten sie zudem häufig regulatorisches Neuland, so der Autor. Damit haben die Finanz-Start-ups das Zeug dazu, die Entwicklung des europäischen Binnenmarkts für Finanzdienstleistungen voranzutreiben. Red.

Fintechs sind Anbieter, die innovative Dienstleistungen im Finanzbereich durch den Einsatz von neuen Technologien durchsetzen. Dies geschieht auf vielfältige Weise und reicht von Neuerungen im Zahlungsverkehr über Krypto-Währungen, Devisenhandel und Plattformen für Anlagen bis hin zu Neobanken, um nur wenige Beispiele aus kundenorientierten B2C-Geschäftsmodellen zu nennen.

Die Nutzung von Finanztechnologien an sich ist natürlich nicht nur den neuen Anbietern vorbehalten. Etablierte Häuser folgen oftmals den Angreifern mit ganz ähnlichen Ansätzen und versuchen so, ihre Marktanteile zu verteidigen. Insbesondere die Kunden begrüßen die Ideen der Fintechs, da hierdurch der Wettbewerb gefördert und so der Zugang zu oft innovativen, schnelleren und günstigeren Dienstleistungen ermöglicht wird.

Internationale Geschäftsmodelle versprechen Skaleneffekte

Gemessen an der Marktkapitalisierung ist derzeit nur noch eine europäische Bank in den globalen Top 10 vertreten - die HSBC mit einem sehr hohen Anteil am Asien-Geschäft (Statista 2018). Bei den Fintechs ist dieser globale Kampf noch nicht endgültig entschieden. Auf der KPMG-Top-100-Fintech-Liste 2019 finden sich insgesamt 36 Unternehmen aus Großbritannien und Kontinentaleuropa. Dabei handelt es sich um viele hochkarätige europäische Namen, die sich international um Wachstum bemühen: Tink, Onfido, Transferwise, Raisin, Revolut und viele mehr.

Das liegt nicht zuletzt an den Investoren dieser Unternehmen. In den späteren Finanzierungsrunden sind zumeist internationale Venture-Capital-Gesellschaften, Growth Funds und Corporates federführend. Diese Geldgeber investieren am liebsten in hochskalierbare internationale Geschäftsmodelle. Nachhaltige Skaleneffekte entstehen jedoch nur, wenn das Geschäftsmodell sich vernünftig über Landesgrenzen hinweg exportieren lässt. Ein in Deutschland ansässiges Fintech ohne eine globale oder im Minimum europäische Wachstumsstrategie hat es heute entsprechend schwer, überhaupt Geldgeber für spätere Finanzierungsrunden zu finden.

Das wird besonders deutlich sichtbar, wenn man sich die Größe der Finanzierungsrunden anschaut. So sind neben Raisin auch die Fintechs Revolut, N26, Younited, i-Zettle, Monese und Transferwise relativ schnell in mehrere europäische Länder expandiert. Dabei handelt es sich durchgängig um Unternehmen, die in der jüngeren Vergangenheit auch auf der Investorenseite durch Multimillionen-Finanzierungsrunden von sich reden machten.

Anders als in China und in den USA finden europäische Start-ups keinen großen Heimatmarkt im eigentlichen Sinne vor. Traditionell werden Finanzdienstleistungen lokal erbracht, von der Sparkasse nebenan oder dem MLP-Berater in der Innenstadt.

Ein unvollendeter Binnenmarkt

Anders als der Handel mit Gütern ist die Erbringung von Dienstleistungen innerhalb der EU nicht homogen geregelt - obwohl hier bereits viel im Bereich der Grundlagenarbeit getan wurde. So ist das Thema Geldwäsche durch mehrere Richtlinien weitestgehend vereinheitlicht. Die viel beschworene Bankenunion ist zumindest teilweise Realität und auch die für uns relevante Einlagensicherung ist in Europa bereits stark harmonisiert. Diese Harmonisierung lässt zugleich viel Raum für lokale Interpretationen oder das sogenannte Gold-Plating, bei dem weitere spezielle Anforderungen "on top" formuliert werden. Und es gibt weiterhin auch viele Themen, bei denen noch Klärungsbedarf besteht.

Betrachten wir die Chancen der noch ausstehenden Vollendung des Binnenmarktes für die Erbringung von Dienstleistungen, ist dies laut dem Economist (Ausgabe 14. September 2019) einer der größten Hebel zur Wachstumsbeschleunigung in Europa. Den Experten zufolge bietet die Vollendung des Binnenmarktes ein zusätzliches Wachstums potenzial für die Eurozone in Höhe von anderthalb bis zwei Prozent - bei einem Bruttoinlandsprodukt von rund 15,9 Billionen Euro im Jahr 2018. Damit ist es einer der mächtigsten Hebel, die der europäischen Wirtschaftspolitik zur Verfügung stehen.

Zugleich ist es auch der einzige Hebel, um mit den GAFAs mithalten zu können. Wenn wir ehrlich sind, helfen Milliarden-Fördertöpfe und Schnittstellenregulierungen in Geldwäschegesetzen dabei nur mäßig. Um mit den Größten dieser Welt mitzuhalten, brauchen wir als "conditio sine qua non" den geeinten Binnenmarkt mit 500 Millionen Verbrauchern, der - zumindest in der Theorie - so ähnlich ja bereits existiert.

Innovationen bedeuten auch regulatorisches Neuland

Bei Innovationen im Finanzbereich ist immer wieder von unregulierten Geschäftsmodellen und dem Ausnutzen von Gesetzeslücken zu hören. Diese Ansicht teile er nicht und halte sie zumindest für stark übertrieben. Würden Fintechs solche Lücken bewusst und dauerhaft ausnutzen, ist spätestens bei späteren Investitionsrunden die Zeit des Erwachens gekommen. Professionelle Investoren wollen in der Regel keine regulatorischen Risiken tragen.

Die Ursache dieses Vorwurfs liegt woanders. Die stark skalierenden Fintechs zählen oft zu den Pionieren in ihrem Segment. Durch die grenzübergreifende Geschäftsentwicklung - die, wie oben beschrieben, ab einer gewissen Größe quasi zwingend erforderlich ist - gehören diese Unternehmen zu den ersten, die auf spezielle regulatorische Problem- und Fragestellungen stoßen und Lösungen dafür suchen. Dadurch werden diese Unternehmen viel häufiger mit Regulierungsthemen in Verbindung gebracht.

Sparkassen und Volksbanken dagegen sind solche Probleme fremd. Auch für private Geschäftsbanken ist dieses Vorgehen neuartig. Als diese Häuser in den sechziger bis achtziger Jahren expandierten, geschah dies vornehmlich durch eine physische Expansion. Dazu gehörten die Gründung von Tochtergesellschaften, die Eröffnung von Filialen oder der Zukauf bereits existierender Banken im Ausland. Das gesamte Online-Geschäft samt der Ausweitung dieses Online-Angebots auf Nachbarmärkte ist erst seit wenigen Jahren ein Thema. Diese Cross-Border-Services ohne physische Präsenz wurden erst nach der Finanzkrise von 2008 wirklich möglich - zu dieser Zeit waren international agierende Banken schon auf dem Rückzug.

Disruptive grenzüberschreitende Geschäftsmodelle

Obwohl national teilweise sehr unterschiedliche Bedingungen anzutreffen sind, entstehen neue, teilweise disruptiv wirkende Geschäftsmodelle, die auf grenzüberschreitenden Dienstleistungen aufsetzen. Dabei kann das Überwinden nationaler Grenzen den Kern des Geschäftsmodells darstellen.

Raisin etwa bietet seinen Kunden in Zeiten von Null- und Negativzinsen die Möglichkeit, weiterhin Zinserträge auf ihre Bankeinlagen zu erwirtschaften. Dazu arbeitet das Unternehmen grenzübergreifend und europaweit mit inzwischen knapp 100 verschiedenen Banken zusammen. Andere Unternehmen, wie Mintos oder Bondora, bieten ein europaweites Kreditangebot. Neobanken wie N26 oder Monese bieten Konto-Funktionalität an, die mit vergleichsweise überschaubarem Customizing auch in anderen Ländern funktioniert und dort bereits Hunderttausende Kunden begeistern.

Vor diesem Hintergrund werden Raisin und die anderen Fintechs in Brüssel und Berlin öfter gefragt, wie ihre Erfahrungen aussehen und wie diese sich mit Blick auf den europäischen Binnenmarkt auswirken. Dazu können sie sehr konkrete Ansätze vortragen und diese zum Teil mit interessanten Anekdoten belegen. Hier sei nur ein Auszug genannt.

Landesspezifische Unterschiede

Vom Start weg war klar, was der Kern der Aktivitäten von Raisin ist: die Vermittlung von Einlagen; eine Geschäftstätigkeit, die in Deutschland lizenzfrei ist. Im europäischen Ausland verhält sich das nicht zwingend identisch. Ganz im Gegenteil, die Anforderungen sind sehr uneinheitlich. Daraus ergibt sich das Erfordernis lokaler Lizenzen, zum Teil mit erheblichen Substanzanforderungen, denn Passporting oder gegenseitige Anerkennung existieren nicht.

Als wir unsere Website in Frankreich starten wollten, waren wir schon weniger naiv. Es war klar, dass eine Übersetzung allein nicht ausreichen würde. Genauso war es dann auch: Die Vorschriften darüber, ob der nominale oder der effektive Zinssatz oder sogar beide zusammen angezeigt werden müssen, unterscheiden sich von Land zu Land.

Die Fragen danach, ab wann spezielle landestypische Verbraucher- oder Lizenzrechte zu beachten sind, sind nicht immer klar zu beantworten. Das hatte deutliche Auswirkungen auf den Zeitpunkt, zu dem wir beispielsweise unsere Produkte französischen oder irischen Verbrauchern zur Verfügung stellen konnten.

- Kann man ein Sparkonto online abschließen? Das geht nicht überall in Europa.

- Gibt es praktikable Lösungen, um Kunden online zu identifizieren? Auch das geht nicht überall oder gestaltet sich für einen ausländischen Anbieter nicht unbedingt so, wie die Verbraucher es in ihrer Heimat gewohnt sind.

- Können Kunden ihre Steueransässigkeit durch eigene Angaben glaubhaft machen? Oder sind dafür physische Papiere vom Finanzamt notwendig? Geht das Ganze vielleicht auch online? Auch hier gelten in Europa sehr unterschiedliche Vorgaben.

- Dann ist da die Versteuerung der Zinseinkünfte, verbunden mit der Frage, wie viel Steuern auf Zinseinkünfte im EU-Ausland zu bezahlen sind. Werden diese Steuern direkt einbehalten oder muss der Kunde selbst tätig werden? Hier kommt es auf verschiedene Faktoren an, zum einen auf die Steueransässigkeit und zum anderen auf das Land, aus dem die Zinseinkünfte bezogen werden.

- Manche Kunden interessiert es, ob sie ihre Vorsorgeprodukte bei einem Umzug ins europäische Ausland mitnehmen können. Hier ist die Antwort erschreckend einfach: nein

Die Liste dieser landesspezifischen Unterschiede lässt sich nahezu beliebig fortsetzen, auch jenseits des Geschäftsmodells von Raisin - das fühlt sich manchmal so gar nicht nach einem gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum an.

Gründe für Optimismus

Ein Binnenmarkt wird nicht von heute auf morgen verordnet und er wird auch nicht durch eine kleinteilige Abarbeitung impliziter Schranken entstehen. Mehrere Faktoren stimmen dennoch optimistisch.

Aufseiten der Politik sind Willen und Erkenntnis vorhanden. Man gewinnt den Eindruck, dass der Markt für (Finanz-)Dienstleistungen stärker integriert werden soll. Allerdings weiß die Politik im Moment nicht so richtig, wo genau und mit welcher Radikalität sie ansetzen soll.

Pragmatismus und gesunder Menschenverstand helfen oft mehr als Gesetzestexte. Warum muss ein Fintech, das in seinem Heimatland alle Lizenzanforderungen erfüllt, in 26 anderen Ländern ähnliche Prozedere akribisch aufs Neue durchlaufen?

Start-ups lassen nicht locker. Sie werden weiter versuchen, die Hürden für ihre Kunden so bequem wie möglich zu gestalten. Dabei gilt, der stete Tropfen höhlt den Stein. Nur so nehmen die positiven Erfahrungen zu und steigern damit die Kundenakzeptanz. Bereits heute sind eine viertel Million Weltsparer in Europa unterwegs, die ihr Geld bequem online im Ausland angelegt haben - und jeden Tag werden es mehr.

Es ist die natürliche Aufgabe von Fintechs, sich in neue Bereiche vorzuwagen und Neuland zu betreten. Wenn dieses Neuland einen Bezug zum europäischen Binnenmarkt hat, freut mich das jedes Mal aufs Neue. Hier nehmen Fintechs eine Rolle jenseits der Innovationsführerschaft ein - sie helfen dabei, den Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen zu vollenden. Und greifen damit auf das vielleicht größte noch unerschlossene volkswirtschaftliche Potenzial von Europa zu.

Dr. Tamaz Georgadze, Mitbegründer und CEO, Raisin GmbH, Berlin
Dr. Tamaz Georgadze , Mitbegründer und CEO, Raisin GmbH, Berlin
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