Regulierung

Es geht um die richtige Regulierung

Georg Schürmann, Geschäftsleiter, Triodos Bank N. V. Deutschland, Frankfurt am Main
Quelle: Triodos Bank

Georg Schürmann schließt sich der häufig geäußerten Kritik an der Bankenregulierung der letzten Jahre an: Die Verhältnismäßigkeit wurde zu wenig beachtet, was zu weniger Diversität im Bankenmarkt führte. Und bei manchen Regelungen ist der praktische Nutzen nicht zu erkennen. Schürmann sieht aber noch ein anderes Defizit: Bei der Berücksichtigung sozial-ökologischer Aspekte habe der Regulator komplett versagt. Dabei können auch die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft weg von fossilen Brennstoffen, aber auch Naturkatastrophen die Stabilität des Finanzsystems massiv beeinflussen. Mit den Vorschlägen der EU-Kommission, ökologische Aspekte mit einzubeziehen, sieht der Autor einen ersten Schritt zwar gemacht. Sehr viel mehr müsse aber noch folgen. Red.

Gut zehn Jahre ist es her, dass im Spätsommer 2008 die US-Investmentbank Lehman Brothers Insolvenz anmelden musste und damit die Finanzkrise auf ihren Höhepunkt zusteuerte. Zehn Jahre danach ringt die Finanzwelt - und nicht nur die - weiter mit den Folgen der Krise.

Die Finanzaufsicht versucht, mit einer Flut von Regulierungen der Folgen Herr zu werden und eine neuerliche Krise zu verhindern. Dutzende Gesetze wurden seit 2008 erlassen, mit zehntausenden Seiten Umfang (laut Professor Hermann Schulte-Mattler aus Dortmund waren es 2015 bereits über 34 000 Seiten). Einiges, was die Regulierung angegangen hat, ist notwendig und richtig, anderes ist undifferenziert und produziert enorme Bürokratie zum Leidwesen der Banken. Wiederum anderes wurde überhaupt nicht angegangen.

Richtig sind die Änderungen der Eigenkapitalrichtlinien, die mit Basel III in Kraft traten. Sinnvoll ist beispielsweise, dass der Baseler Ausschuss die Leverage Ratio mit in das Regelwerk aufgenommen hat - wenngleich sie mit drei Prozent sehr niedrig angesetzt wurde. Ebenso positiv zu bewerten sind die mit Basel III eingeführten Liquiditätsanforderungen, die Liquidity Coverage Ratio (LCR) und die Net Stable Funding Ratio (NSFR).

Nichtbeachtung der Verhältnismäßigkeit führt zu weniger Diversität

Während strengere Eigenkapitalregelungen und Liquiditätsanforderungen durch die Bank für alle Institute - egal ob groß oder klein - stabilisierend wirken, sieht es bei den unzähligen Regelungen für Organisation und Verwaltung anders aus: Hier ist eine enorme Bürokratie entstanden, die vor allem kleinen Häusern Probleme bereitet. Die Verhältnismäßigkeit ist nicht genügend berücksichtigt. Dieses Problem spiegelt sich in der Diskussion um die sogenannte Small Banking Box wider, die auch von der Bundesbank unterstützt wird.

Diese Nichtbeachtung der Verhältnismäßigkeit führt zu weniger Diversität im Bankenmarkt. Gerade diverse Systeme sind aber stabile Systeme. Somit führt die überzogene Regulierung eben nicht zu mehr, sondern zu weniger Stabilität im Finanzsektor.

Nicht jede Regulierung hat einen Nutzen

In der jüngeren Vergangenheit wurden Banken darüber hinaus durch Regulierung belastet, deren Nutzen für die Gesellschaft nur bedingt zu erkennen ist.

- MiFID II beispielsweise hat unter anderem dazu geführt, dass einige Institute ihre Anlageberatung einstellen und neue Anbieter erst gar nicht in den Markt eintreten. Was sicherlich nicht im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher ist.

- Auch bei der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) stellt sich die Frage, welchen Mehrwert Verbraucher dadurch haben. Noch ist er nicht wirklich abzusehen. Sehr deutlich zu sehen ist dagegen die Mehrbelastung für die Kreditinstitute. Regulierung ist am Ende nur dann richtig, wenn sie sich positiv auf die Gesellschaft auswirkt.

Bei sozialökologischen Risiken versagt

Einen Bereich hat die Regulierung nach der Krise allerdings vollkommen außer Acht gelassen und dem freien Spiel der Märkte überlassen, obwohl Vorgaben dringend geboten gewesen wären und weiterhin geboten sind: die ökologisch und sozialen Risiken. Wer sie nicht berücksichtigt, riskiert viel mehr als die nächste Finanzkrise. Erst seit kurzer Zeit setzt in Bezug auf ökologische Risiken bei einigen Aufsichtsbehörden - etwa der Bank of England und der niederländischen Nationalbank (DNB) - ein Umdenken ein. Auch die Bundesbank hat das Thema zwischenzeitlich aufgegriffen.

Der Klimawandel ist eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit und ist nicht erst seit der Klimakonferenz in Rio 1992 ein öffentliches Thema. Mit der Verabschiedung globaler Ziele bei der Pariser Klimakonferenz und den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals - SDGs) ist das Thema mittlerweile ganz oben auf der Tagesordnung angekommen. Um die Klimaziele noch erreichen zu können, bedarf es breiter Anstrengungen und auch die Finanzwirtschaft hat hierbei eine bedeutende Rolle, denn sie entscheidet maßgeblich über die Allokation von Kapital und steht damit in einer engen Wechselwirkung mit der Realwirtschaft.

"Stranded Assets" beeinflussen auch die Finanzwirtschaft

Fälschlicherweise wird oft verstanden, dass die Risiken aus dem Klimawandel erst langfristig Wirkung zeigen und daher bei heutigen Entscheidungen keine Berücksichtigung finden müssen. Dabei wird das Pariser Klimaabkommen von nahezu allen Ländern des Globus mitgetragen und aktiv in der Politik umgesetzt. Es geht um die massive Reduktion von CO2 -Emissionen.

Wenn die Pariser Ziele eingehalten werden sollen, sind zum Beispiel 60 bis 80 Prozent der Kohle-, Öl- und Gasreserven der gelisteten Unternehmen "unburnable" und werden zu "stranded assets". Aber die Transformation in eine "low carbon" Wirtschaft betrifft eben nicht nur die Kohle- und Ölindustrie, sondern die gesamte Wirtschaft. Diese immensen Auswirkungen auf die Realwirtschaft werden nicht nur über "Stranded Assets" auch die Finanzwirtschaft und deren Stabilität massiv beeinflussen.

Hurrikan Katrina legte Mängel des Subprime-Hypothekenmarkts offen

Vergessen wir außerdem nicht, dass es eine Umweltkatastrophe war, die zuerst die tiefen Risse im Bankensektor offenbarte. Im Jahr 2005 verwüstete der Hurrikan Katrina die Golfküste mit verheerenden Folgen. Mit einem Sachschaden von mehr als 100 Milliarden Dollar hat Katrina die Mängel des Subprime-Hypothekenmarkts offengelegt. Etwa ein Drittel der betroffenen Häuser war über Subprime-Hypotheken finanziert. Die Schwierigkeiten bei diesen Finanzierungen brachten die Subprime-Krise ins Rollen. Deren Folgen sind uns allen bewusst.

Die Dürren und Verwüstungen, die in diesem Sommer durch rekordverdächtige Hitzewellen verursacht wurden, nehmen die Auswirkungen vorweg, die der Klimawandel auf unsere Weltwirtschaft haben könnte.

Ein erster Schritt ist gemacht

EU-Kommission und EU-Parlament haben im Laufe dieses Jahres Vorschläge für eine nachhaltigere Finanzwirtschaft erarbeitet, die zunächst ökologische Risiken miteinpreist.

- Unter anderem schlägt die EU-Kommission vor, dass institutionelle Investoren Nachhaltigkeitsaspekte künftig besser berücksichtigen und offenlegen müssen.

- Außerdem soll ein Klassifizierungssystem in Zukunft darüber entscheiden, welche Investments und Vermögenswerte als nachhaltig gelten.

Was davon umgesetzt wird, ist derzeit zwar noch unklar, ein erster Schritt ist gemacht - wenn auch mit großer Verspätung.

Konzentration auf ökologische Aspekte greift zu kurz

Die nachhaltigen Regulierungen in der EU werden, wenn sie kommen, zunächst also ökologische Aspekte berücksichtigen. Das ist mit Blick auf den Klimawandel zwar richtig, greift dennoch zu kurz. Wichtig wäre es, auch die soziale Nachhaltigkeit von Anfang an mitzudenken.

Kurz formuliert: Die Missachtung von sozialen Aspekten bei Investments hat nicht minder schlimme Folgen für die Gesellschaft als Investitionen in klimaschädliche Industrien. Schlagworte sind hier zum Beispiel die wachsende Wohlstandsungleichheit oder die wachsenden Probleme auf dem Wohnungsmarkt und im Sozialwesen.

Transparenz braucht einen neuen Stellenwert

Eine Nachhaltigkeitsbank steht in der Pflicht, dazu beizutragen, die Finanzbranche insgesamt nachhaltiger zu gestalten. In unseren Augen müssten folgende regulatorische Weichen gestellt werden, damit Banken und andere Investoren der Gesellschaft dienen und nicht nur Wachstum und finanzieller Rendite verpflichtet sind:

Transparenz braucht in der Finanzwirtschaft einen neuen Stellenwert, sodass Stakeholder von Anfang an erkennen, wie ihre Investition wirkt, und ermutigt werden, dort zu investieren, wo es am wichtigsten ist. Hier ist ein Anfang mit der CSR-Richtlinie gemacht. Zumindest die großen Geldhäuser müssen seit diesem Jahr in der EU die nichtfinanzielle Berichterstattung ausbauen und über ihre positive wie negative Wirkung auf Umwelt und Gesellschaft berichten.

Auch die Vorschläge der Task Force on Climate related Financial Disclosure (TCFD) gehen in die richtige Richtung. Trotzdem braucht es noch mehr Transparenz, auch um das verlorene Vertrauen in die ganze Bankenbranche wieder aufzubauen. Banken, die einen transparenteren Umgang mit dem von ihnen gehaltenen Geld pflegen, wären ein großer Schritt in die richtige Richtung. Nachhaltigkeitsbanken zeigen bereits seit Jahren, wie es geht.

Eigenkapitalanforderungen auf Nachhaltigkeit ausrichten

Die Eigenkapitalanforderungen an die Banken sollten neu ausgerichtet werden - und zwar so, dass nicht nachhaltige Assets mit höheren Anforderungen belegt werden. Dies wäre ein sogenannter "Brown ad-on Factor". Mit Blick auf ökologische Risiken sind hier beispielsweise Investments in CO2 -intensive Industrien zu nennen.

Studien der Global Alliance for Banking on Values (GABV) weisen eindeutig nach, dass die Geschäftsmodelle der Nachhaltigkeitsbanken im Vergleich zu systemrelevanten Banken weniger risikoreich sind. Es ist jedoch falsch, daraus zu schließen, dass "grüne" Finanzierungen generell per Definition risikoärmer sind, wie beispielsweise der Fall Prokon zeigt.

Aus diesem Grund sehen wir einen "Green Supporting Factor", der derzeit von unterschiedlichen Akteuren forciert wird, kritisch. Im Gegensatz zu einem "Brown add-on Factor" berücksichtigt er tatsächliche Risiken nicht.

Sozialökologische Aspekte zur Pflicht im Beratungsgespräch machen

Nachhaltigkeit sollte durch Förderung von nachhaltiger Unternehmensführung das zentrale Element der Wertschöpfung in Zukunft sein. Um das zu erreichen, müssen alle Ebenen des Finanzsektors durch Ausbildung und Kompetenzentwicklung unterstützt und gefördert werden.

- Ein erster Schritt in diese Richtung könnte sein, dass sozial-ökologische Aspekte ein Thema in jedem Beratungsgespräch für Privatanleger werden (die EU-Kommission hat dazu bereits Vorschläge unterbreitet).

- Sozial-ökologische Nachhaltigkeit müsste auch in der Ausbildung im Bankgewerbe eine wichtige Rolle spielen, was bislang leider nicht der Fall ist.

Eine Taxonomie entwickeln

Eine der zentralen Aufgaben der Regulierung mit Blick auf sozial-ökologische Risiken ist es, eine Taxonomie zu entwickeln, die festlegt, welche Investments als nachhaltig gelten und welche nicht. Bislang gibt es beispielsweise im Bereich der nachhaltigen Fonds wenige Siegel, die Orientierung bieten. Hier kann auf entwickelte Standards wie dem FNG-Siegel als Basis zurückgegriffen werden. Dieses Siegel basiert auf dem UN Global Compact und damit auf einem international anerkannten System. Wichtig ist, dass aufbauend auf einem Mindeststandard unterschiedliche Ambitionsniveaus deutlich werden.

Die Einhaltung von ESG-Kriterien (Enviroment, Social, Governance) ist richtig und gut, führt aber nicht weit genug, um die großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen. Was es vor allem braucht, sind Investitionen in Unternehmen, die zukunftsorientiert und nachhaltig wirtschaften. Unternehmen, die aktiv zu einem gesunden Planeten und einer sozial nachhaltigen Gesellschaft beitragen und die bestehende Probleme lösen.

Es geht also nicht um mehr oder weniger Regulierung, sondern um die richtige Regulierung, die die Finanzwirtschaft zukunftsfähig macht. Nur eine gesunde Finanzwirtschaft kann die Transformation der konventionellen Wirtschaft in eine nachhaltige Wirtschaft begleiten.

Zum Autor Georg Schürmann, Geschäftsleiter, Triodos Bank N. V. Deutschland, Frankfurt am Main
Georg Schürmann , Geschäftsführer, Triodos Bank N.V. Deutschland (Zweigniederlassung der Triodos Bank N.V.), Frankfurt am Main
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