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Greenwashing-Risiken in der Finanzwirtschaft

Dr. Yvonne Zimmermann, Foto: ADG e.V.

Das wachsende Umweltbewusstsein hat Nachhaltigkeit auch in der Finanzwirtschaft zu einem wichtigen Thema gemacht. Damit wächst allerdings auch die Gefahr, dass Unternehmen durch PR-Tricks Greenwashing betreiben, um sich als "grüner" darzustellen, als sie tatsächlich sind. Das gilt es in der Beratung zu thematisieren, so die Autorinnen. Gegen den "Etikettenschwindel" bei Finanzprodukten könne die EU-Taxonomie Abhilfe schaffen. Es wächst aber zugleich die Gefahr, dass sich eine "grüne Blase" bildet, die zu einer Verzerrung weniger umweltfreundlicher Branchen wie der Zementindustrie führt. Dem kann indessen mit einem "Best-in-Class-Ansatz" begegnet werden. Red.

Nachhaltigkeitskonzepte nehmen in der modernen Wirtschaft, aber ebenso in den Wissenschaften, eine wichtige Rolle ein und werden in Politik und Öffentlichkeit rege diskutiert. Nachhaltigkeit zeichnet sich dadurch aus, dass nicht nur für die Bedürfnisse der gegenwärtigen Gesellschaft beziehungsweise Generation, sondern ebenso zukünftiger Generationen Verantwortung übernommen werden soll. Bezieht man dieses Verantwortungsprinzip auf das Handeln von Unternehmen, so zeigen sich deutliche Überschneidungen mit der sogenannten Corporate Social Responsibility (über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehende unternehmerische Gesellschafts-/Sozialverantwortung).

Die zunehmende Bedeutung von Nachhaltigkeit im Wirtschaftsleben findet einen Niederschlag darin, dass heutzutage eine einseitige Fixierung auf Gewinnmaximierung sehr kritisch betrachtet wird. Auch in der Managementlehre setzt sich die Erkenntnis durch, dass Unternehmen ihre Gestaltungsfreiheiten nutzen, zugleich aber ihrer gesellschaftlichen, sozialen und ökologischen Verantwortung gerecht werden sollten. Die Operationalisierung von Nachhaltigkeit beschränkt sich keineswegs nur auf den Umweltschutz E (Environmental/Umwelt), sondern bezieht ebenfalls die beiden folgenden Kriterien mit ein: S (Social/Soziales) und G (Governance/verantwortungsbewusste Unternehmensführung).

Für Genossenschaften stellt die Ausrichtung auf Nachhaltigkeitsprinzipien ein integrales Wesensmerkmal dar. Dies ergibt sich aus den genossenschaftlichen Werten und Leitbildern, die insbesondere demokratische Partizipation, solidarische Selbsthilfe, Gerechtigkeit, Subsidiarität, Identität und Mitgliederförderung betonen und auf diese Weise gelebte Sozialverantwortung implizieren (wenngleich - was kritisch einzuräumen ist - zwischen genossenschaftlichem "Ideal" und der tatsächlichen Unternehmenspraxis in manchen Genossenschaften durchaus Diskrepanzen bestehen können).

Auch bei den von Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch begründeten und mit einem eindeutigen Werteauftrag ausgestatteten Genossenschaftsbanken ist Nachhaltigkeit gleichsam ein Teil ihrer "DNA": ihre "Governance" zeichnet sich durch den Teilhabegedanken aus; sie weisen eine starke regionale Ausrichtung auf, für die ein langfristiges Handeln wesentlich ist. Darüber hinaus setzen sich Genossenschaftsbanken ausdrücklich für gesellschaftliche und soziale Ziele ein. Das entsprechende Engagement durch Spenden, Förderungen und Stiftungserträge belief sich hierzulande für das Erhebungsjahr 2019 auf rund 158 Millionen Euro und hat damit einen neuen Höchstwert erreicht, wobei diese Mittel insbesondere Projekten im Kinder- und Jugendbereich zugutekommen.

Die Union Investment wiederum hatte bereits vor über 30 Jahren - als Nachhaltigkeit noch weit weniger öffentliches Interesse auf sich zog - ihren ersten Nachhaltigkeitsfonds aufgelegt und nimmt als Fondsanbieter eine der führenden Positionen für nachhaltige Anlagen in Deutschland ein. ESG-Kriterien werden bei Union Investment systematisch in Portfolio- und Investmententscheidungen integriert.

Greenwashing in der PR nutzt "Sympathiehebel"

Unabhängig von der Größenordnung eines Unternehmens kann der öffentlich vertretene Anspruch nachhaltiger Orientierung beziehungsweise einer Erfüllung von ESG-Kriterien in manchen Fällen in Richtung eines sogenannten Greenwashings "hingebogen" werden. Das Greenwashing-Phänomen umfasst PR-Strategien und werbliche Aktivitäten von Unternehmen, die sich beziehungsweise ihre Produkte und Dienstleistungen gleichsam in ein "grünes Licht" rücken wollen. Es soll hierbei, ohne dass dies den unternehmerischen Tatsachen wirklich entsprechen würde, insbesondere der Eindruck vermittelt werden, ökologisch und sozial besonders verantwortungsvoll zu handeln (Gewährleistung der Komponenten "E" und "S" der ESG-Kriterien). Ebenso kann im Rahmen von Greenwashing tatsachenwidrig die Berücksichtigung unternehmensethischer Maßgaben und verantwortungsvoller Governance (ESG-Komponente "G") ins Feld geführt werden.

In der Regel wird Greenwashing aus ökonomischen Interessen betrieben: "grüne" Produkte und Dienstleistungen appellieren an das Gewissen von Kaufinteressenten, die dann eher geneigt sein werden, auch höhere Preise zu entrichten. Unternehmen, die problematische und sich nicht mit Nachhaltigkeitsprinzipien deckende Aspekte ihrer Geschäftspolitik verschleiern, zielen also darauf ab, durch geschickte Nutzung eines ökologisch ungerechtfertigten "Sympathiehebels" Umsätze und Profitabilität zu erhöhen.

Im gleichen Kontext versuchen diese Unternehmen Pluspunkte bei ihrem Image zu sammeln. Solch eine unredliche Strategie mag verfangen, da ja immer mehr Menschen gewillt sind, Belange des Umweltschutzes aktiv oder passiv zu unterstützen und darauf Wert legen, dass Produzenten ihrer sozialen und ethischen Verantwortung gerecht werden.

Verzerrungsrisiken bei Finanzprodukten

Längst sind Nachhaltigkeitskriterien bei Finanzprodukten, namentlich börsengehandelten Aktien und Investmentfonds, aber beispielsweise auch Unternehmensanleihen, kein randständiges Thema mehr. Sowohl Privatanleger als auch institutionelle Investoren achten darauf, dass ihr Geld in Finanzprodukte fließt, bei denen Umwelt- und Sozialstandards angemessen berücksichtigt werden. Leider kann vor solch einem Hintergrund auch bei manchen Anbietern von Finanzprodukten nicht ausgeschlossen werden, dass Greenwashing zum Zuge kommt.

Durch geschicktes Einstreuen bestimmter Attribute ("ökologisch", "umweltbewusst", "ressourcenschonend") in die Charakterisierung eines Produkts, etwa eines Fonds, wird dann lediglich eine "grüne Anmutung" erzeugt, ohne dass der betreffende Fonds bei der Auswahl der Effekten eine klare ESG-Strategie fahren würde.

Ein solcher "Etikettenschwindel" ist für unerfahrene Anleger nur schwer zu erkennen. Aber selbst manche Anlageinteressierte mit einem breiteren Erfahrungshorizont könnten sich bei einem raffinierten Produkt-Greenwashing davon abhalten lassen, die tatsächliche ESG-Ausrichtung zum Beispiel eines Fonds durch einen detaillierten Blick in dessen ausgewiesene Portfoliopositionen nachzuvollziehen.

EU-Taxonomie schafft feste Kriterien

Ein Lösungsansatz sind Nachhaltigkeits-Ratings. Allerdings stellt sich hier wiederum das Problem, dass es eine ganze Reihe von Bewertungsschemata für die Nachhaltigkeit von (börsennotierten) Unternehmen, Fonds und anderen Finanzprodukten gibt, die teils deutlich voneinander abweichen (wobei mit übergeordneten Systematiken wie den 17 globalen Nachhaltigkeitszielen der UNO sicherlich bereits eine nutzbare Basis geschaffen werden konnte).

Klare und wirklich verbindliche Kriterien für die Bestimmung von Nachhaltigkeit wären daher ganz im Sinne von Anlageinteressierten. In diesem Kontext ist die im letzten Jahr auf EU-Ebene verabschiedete "Taxonomie" zu begrüßen. Sie umfasst sechs Kriterien: 1. Klimaschutz, 2. Anpassung an den Klimawandel, 3. nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser-/Meeresressourcen, 4. Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, 5. Vermeidung beziehungsweise Minderung von Umweltverschmutzung sowie schließlich 6. Schutz und Wiederherstellung von Ökosystemen und Biodiversität.

Als nachhaltig entsprechend der EU-Taxonomie gelten nur Wirtschaftstätigkeiten, die einen wesentlichen Beitrag zu einem der sechs genannten Kriterien leisten und die zugleich keinen der fünf anderen Nachhaltigkeitsaspekte beeinträchtigen. Darüber hinaus müssen die OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen, die Leitlinien der UNO für Wirtschaft und Menschenrechte sowie die Internationale Menschenrechtscharta als (sozialer) Mindestschutz beachtet werden. Die konkrete Ausgestaltung der EU-Taxonomie wurde weitestgehend erarbeitet (Stand Juni 2021); die entsprechenden Maßgaben treten sukzessive in Kraft (quantitative und qualitative "Technical Screening Criteria" wie zum Beispiel Schwellenwerte, mit denen sich die Nachhaltigkeit von Aktivitäten nachvollziehbar präzisieren lässt).

Die EU-Taxonomie ist mit bestimmten Berichtspflichten verbunden. So sind größere kapitalmarktorientierte Unternehmen in Abhängigkeit von der Anzahl der Arbeitnehmer gehalten, im Rahmen ihrer sogenannten nichtfinanziellen Erklärungen ab der Berichterstattung für das Geschäftsjahr 2021 die prozentualen Anteile ihrer nachhaltigen Aktivitäten an den Umsatzerlösen, Investitionsaufwendungen und Betriebskosten anzugeben.

Für die Akteure der Finanzwirtschaft, namentlich Banken, Versicherer, Fondsgesellschaften und Asset Manager wiederum ist es wichtig, dass im Rahmen der EU-Taxonomie Transparenzanforderungen insbesondere für als ökologisch ausgewiesene beziehungsweise beworbene/ vermarktete Finanzprodukte gelten. Konkret bedeutet dies, dass Finanzmarktteilnehmer und Investmentfonds, deren Produkte das Attribut "ökologisch" tragen, über den entsprechenden Taxonomie-konformen Anteil informieren müssen (Nutzung von Labels, mit denen die Produkte als überwiegend oder teilweise "grün" kennzeichnet werden). Die EU-Taxonomie bietet zweifellos einheitliche Hinweise, anhand derer Anleger und professionelle Investoren nachvollziehen können, inwieweit Finanzprodukte, Fonds und weitere Investitionsdestinationen tatsächlich nachhaltig sind beziehungsweise welche Wirkung diese auf definierte Nachhaltigkeitsziele ausüben. Dies ist positiv zu werten.

Neue Verzerrungen durch "grüne Blase"

Paradoxerweise könnte aber eine dem Nachhaltigkeitsgedanken zuwiderlaufende Verzerrung ausgerechnet durch die starke und prinzipiell ja wünschenswerte Fokussierung auf Umweltaspekte von Finanzprodukten resultieren. Als ein Beispiel wurde in der Fachliteratur die Zementindustrie beschrieben: Auf der einen Seite geht die Herstellung von Zement unter den gegebenen technischen Bedingungen mit einem hohen CO2-Ausstoß einher. Andererseits ist es unzweifelhaft, dass Zement gegenwärtig unabdingbar ist (man denke etwa an notwendige Infrastrukturprojekte mit Sanierungen von Brücken, Verkehrswegen und so weiter) und auch in zwei oder drei Jahrzehnten noch gebraucht werden wird. Aufgrund ihres nachteiligen E-Faktors könnte diese Branche nun bei vielen nachhaltigkeitsorientierten Individualanlegern beziehungsweise institutionellen Investoren (Publikumsfonds, Spezialfonds, Private Equity) komplett unberücksichtigt bleiben. Nur wäre ein solches "Gruppenverdikt" im Sinne der Nachhaltigkeit wirklich zielführend?

In Fachkreisen wird diese Frage durchaus nicht positiv beantwortet. Vielmehr könnte sich demnach durch eine forcierte Einseitigkeit bei Anlageentscheidungen möglicherweise sogar am Kapitalmarkt eine "grüne Blase" mit struktureller Benachteiligung von Branchen (wie zum Beispiel etwa der Zementindustrie), die wichtig und per se nicht unethisch geprägt sind, entwickeln.

Ausweg Best-in-Class-Ansatz

Eine mögliche Bewältigung derartiger Konstellationen liegt im sogenannten Best-in-Class-Ansatz. Bezogen auf die Zementbranche würde dieser Ansatz bedeuten, innerhalb der Branche die Aufmerksamkeit auf jene innovativen Unternehmen zu richten, die in der Lage sind, bei ihren Herstellungsprozessen ein technisch mögliches Minimum an CO2-Ausstoß zu erreichen.

Best-in-Class meint also, innerhalb einer bestimmten Branche Investitionsdestinationen mit niedrigem "CO2-Footprint" herauszufiltern (im Bereich der Finanzprodukte etwa in Form der entsprechenden Unternehmensaktien oder -anleihen für Fondslösungen). Selbstverständlich wären bei dieser Auswahl neben dem CO2-Footprint (E) auch die beiden anderen ESG-Komponenten (S, G) zu berücksichtigen.

Greenwashing als Beratungsthema

Unter einem normativen Blickwinkel ist es zu begrüßen, dass nachhaltiges Wirtschaften und nachhaltige Finanzprodukte, die eine Berücksichtigung von ESG-Faktoren kommunizieren, mittlerweile zunehmende Akzeptanz in der Bevölkerung finden. Selbstverständlich sollten auch nachhaltige Investments im Hinblick auf Risiko, Renditepotenziale, Anlagehorizont und Verfügbarkeit/Liquidität zu den Bedürfnissen und Erfahrungen der Anlageinteressierten passen. Im Rahmen einer qualifizierten Beratung lassen sich Fragen der Passung klären. Zudem können hierbei unerfahrene Anlageinteressierte auf die Risiken eines möglichen Greenwashings bei zur Diskussion stehenden Finanzprodukten aufmerksam gemacht werden.

Öffentlichkeitswirksame PR-"Tricks", um einem Unternehmen oder Produkt ein umweltfreundliches, verantwortungsvolles und insgesamt nachhaltiges Image zu verleihen, ohne dass dies faktisch begründet wäre, waren in der Vergangenheit leider häufiger anzutreffen. Generell und im Besonderen auch bei Finanzprodukten sind solche fragwürdigen Maßnahmen aufseiten von Konsumenten beziehungsweise Anlageinteressierten nicht immer durchschaubar. Dies dürfte auch der Tatsache geschuldet sein, dass es mittlerweile ein ganzes Bündel von teils uneinheitlichen Bewertungsschemata, Dokumentationen, Einstufungen et cetera für Nachhaltigkeit gibt. Die aktuelle EU-Taxonomie ist sicherlich ein geeigneter Ansatz, um diesem "Wildwuchs" eine geordnete und nachvollziehbare Strukturierung entgegen zu setzen, was - im Bereich von Finanzprodukten - im Sinne privater und institutioneller Anleger sein wird.

Ein Best-in-Class-Konzept wirkt innerhalb der jeweiligen Branche als wichtiger Impulsgeber für das Nachhaltigkeitsmanagement der Firmen. Trotz potenzieller Kritik an diesem Konzept (keine Branche wird per se ausgeschlossen) bietet es also durchaus Vorteile und kann zum Beispiel kompatibel mit der aktuellen EU-Taxonomie bei finanziellen Entscheidungen angewendet werden, um ein Portfolio wirtschaftlich sinnvoll und nachhaltig zu diversifizieren. Mithin wäre es, worauf im Übrigen auch die BaFin hinweist, ein fragwürdiges Unterfangen, einen regelrechten Zwang zur Investition in Nachhaltigkeitsprojekte oder Kapitalerleichterungen für "grüne" Investitionen durchsetzen zu wollen. Unabhängig von solch einem eher kontraproduktiven Unterfangen werden Unternehmen, die auch zukünftig bestehen wollen, in die ESG-Komponenten investieren und entsprechende Optimierungsprozesse anstoßen.

Auf den Punkt gebracht: Unternehmen, die Akzeptanz erfahren und ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten wollen, sollten Nachhaltigkeit als zentralen Bestandteil ihres Selbstverständnisses begreifen und umsetzen.

Dr. Viktoria Schäfer , Vorsitzende des Vorstands und Wissenschaftliche Leiterin , ADG Scientific - Center for Research and Cooperation (ARC)
Dr. Yvonne Zimmermann , Mitglied des Vorstands , VR Bank Südliche Weinstraße-Wasgau eG, Bad Bergzabern

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