PERSONALMANAGEMENT

Karrierekiller Homeoffice?

Kathrin von Hardenberg, Foto: Indigo

Zu Beginn der Corona-Krise hat die Finanzbranche die Herausforderungen des "Social Distancing" rasch gemeistert. Mit der allmählichen Rückkehr zur Normalität stellen sich jedoch neue Herausforderungen, warnt Kathrin von Hardenberg. Als zentralen Faktor macht sie bei stärker hybriden Arbeitsmodellen aus Homeoffice und Präsenz die Sichtbarkeit der Mitarbeiter im Homeoffice aus, die sich negativ auf die Karrierechancen von Frau auswirken könnte. Führungskräfte müssen deshalb nicht zuletzt die eigene Erreichbarkeit für ihre Mitarbeiter steuern. Red.

Die Pandemie macht möglich, woran vorher kaum zu denken war: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schätzen die neu gewonnene Flexibilität im Homeoffice, und die Institute rechnen schon einmal durch, welche Einsparungen sich bei der Bürofläche umsetzen lassen. Doch die technologische Ausstattung und die Fähigkeit, nahtlos in virtuellen Teams zusammenzuarbeiten, sind nur der erste Schritt. Die wahren Herausforderungen kommen erst noch auf Institute und Belegschaft zu, von mangelnder Kreativität über den Karriereknick bis zum Burnout. Ohne ein radikal neues Führungsverständnis wird Remote Work kein Erfolgsmodell werden.

In der Arbeitswelt sind durchaus Verbesserungen zu verzeichnen. Virtuelle Meetings sind häufig straffer organisiert und dauern kürzer als Präsenzbesprechungen, Homeoffice-Tage sparen den Arbeitsweg ein und bieten mehr Flexibilität und Zeit für die Familie, Remote Work erlaubt es, Arbeit und Reisen miteinander zu vereinbaren. Videotelefonie ist heute für die meisten Bankmitarbeiter eine bequeme Selbstverständlichkeit, und auch die Abstimmung im Team über Chatprogramme, Telefonate und andere Wege läuft inzwischen meist reibungslos.

Also Friede, Freude, Eierkuchen? - Leider nein, denn die echten Herausforderungen warten noch auf die Branche. Gewiss ist es ein Erfolg, die operativen Schwierigkeiten im Zuge der Pandemie bewältigt zu haben, und natürlich bleiben die Vorteile des Digitalisierungsschubs auch nach einem möglichen Ende der Pandemie bestehen, doch langfristig tragfähig ist die neue Arbeitswelt deshalb noch lange nicht. Jetzt ist der richtige Moment, um sich die kommenden Herausforderungen genauer anzusehen und die Strukturen aufzusetzen, um sie zu meistern. "Aussitzen" bis zum Ende der Pandemie kann keine Lösung sein, denn zum einen ist nicht klar, wie lange die Pandemie noch dauern wird, zum anderen wird uns die neue Flexibilität in der Arbeitsorganisation auch danach zum Teil erhalten bleiben.

Führungskräfte kaum noch erreichbar

Wo Vorteile sind, sind auch Nachteile. Viele Menschen fühlen sich im Homeoffice einer gesteigerten Arbeitsbelastung ausgesetzt oder finden es schwerer als im Büro, Arbeits- und Privatleben zu trennen. Es fällt nun einmal leichter, abends nach Hause zu gehen und dann nur noch bedingt erreichbar zu sein als nach einem Tag im Homeoffice den Rechner herunterzufahren und ebenfalls nicht mehr auf E-Mails oder Anrufe zu reagieren.

Das Problem ist nicht neu, aber früher traf es nicht fast die gesamte Belegschaft in gleicher Weise. Phasen des Homeschooling und in vielen Fällen das Fehlen eines eigenen Arbeitszimmers belasten in der aktuellen Pandemie zusätzlich.

Die Zahl der Menschen in der Branche, die sich einem Burnout nahe sehen, nimmt zu. Die Gründe sind durchaus unterschiedlich, doch ganz oben auf der Liste stehen bei vielen eine Erreichbarkeit rund um die Uhr, die Sorge, als wenig zuverlässig oder unproduktiv angesehen zu werden, sowie eine gewisse Vereinsamung. Wer seine Kollegen nur noch auf dem Bildschirm sieht und kaum noch Gelegenheit zum informellen Austausch hat oder wahrnimmt, für den kann die Arbeit auf eine fast roboterhafte Leistungserbringung zusammenschrumpfen.

Daneben wird beklagt, dass viele Führungskräfte in der virtuellen Arbeitswelt kaum noch erreichbar sind. Die Chefin mal kurz in der Kaffeeküche auf einen Vorschlag ansprechen, mit dem Chef nach dem Meeting noch ein paar Worte sprechen und ihn an ein Projekt erinnern - die niedrigschwelligen Kommunikationsanlässe sind alle entfallen. In einer Online-Konferenz fällt es schwerer, Smalltalk zu machen, und sie bietet auch kein Äquivalent dazu, jemandem auf dem Flur oder im Aufzug über den Weg zu laufen. Ein Anruf oder eine E-Mail sind natürlich eine Option, wenn auch nicht so beiläufig - doch viele Führungskräfte sind heute praktisch rund um die Uhr in Meetings getaktet. Der Gang über den Flur ist ja entfallen, und er wird dementsprechend zeitlich nicht mehr eingeplant.

Sichtbarkeit wird zur Herausforderung

Damit einher geht eine verminderte Sichtbarkeit von Kollegen im Homeoffice. In einer Phase, in der alle Mitarbeiter zu Hause bleiben, mag das noch hinnehmbar sein, Stichwort Waffengleichheit. Doch wenn die Regeln gelockert werden und manche es vorziehen, ins Büro zu kommen und andere im Homeoffice bleiben, wird die Sichtbarkeit zur Herausforderung. In einer hybriden Konferenz muss es den zugeschalteten Teilnehmern einfach schwerer fallen, mit einem Vorschlag auf sich aufmerksam zu machen oder sich für ein Projekt zu empfehlen als den Kollegen im Raum.

Machen wir uns nichts vor: Diejenigen, die sich für das Homeoffice entscheiden, werden zu einem überproportionalen Anteil Frauen sein. Sie haben in der Pandemie den Löwenanteil der Familienarbeit geschultert, und daran ändert sich nur langsam etwas. Das Homeoffice droht damit nicht nur, zum individuellen Karrierekiller für die einzelne Mitarbeiterin zu werden, sondern auch gesamtgesellschaftlich das Rad der Gleichstellung und Gleichbehandlung von Männern und Frauen zurückzudrehen.

Gefahren für das Unternehmen

Im eigenen Interesse sollten Banken also nach Möglichkeiten suchen, die langfristigen Nachteile des Homeoffice-Modells auszugleichen oder zumindest zurückzudrängen. Sonst werden Werte, die sich viele Institute gerne auf die Fahne oder besser die Homepage schreiben, leicht als Wortblasen erkennbar sein.

  • Beispiel Diversity: Wenn Frauen im Haus schlechtere Karrierechancen haben als Männer, dann bringen auch Diversity-Programme und aufwendige Suchen nach Kandidatinnen für frei werdende Posten nicht viel.
  • Beispiel Work-Life-Balance: Banken, in denen die Kollegen wegen Burnouts ausfallen, werden sich nur schwer als attraktiver Arbeitsplatz positionieren können.
  • Beispiel Employer Branding: Insbesondere im Nachwuchsbereich wird Präsenz ein Wert an sich werden. Die Wahl zwischen virtuellem Onboarding und Einarbeitung im Büro dürfte Absolventen leicht fallen.

Daneben drohen auch Kreativität und Flexibilität auf der Strecke zu bleiben, wenn der persönliche Austausch fehlt und die Arbeit gewissermaßen am Fließband erledigt wird. Das gilt nicht nur für die Teams, sondern auch für Führungskräfte. Schließlich können Gespräche auf dem Gang, in der Kaffeeküche oder in der Kantine für alle Beteiligten neue Ideen oder Sichtweisen bringen - all das ist aber weggefallen und wird bislang nicht adäquat ersetzt.

Auch das Wir-Gefühl, der Eindruck, gemeinsam an einem Strang zu ziehen, kann leiden, wenn es weniger Austausch mit den Kollegen gibt. Hier gegenzusteuern ist ohnehin nicht ganz einfach, aber diese Entwicklung trifft die Branche zudem in einer Phase, in der der Teamgeist ohnehin schon zu leiden droht. In Zeiten, in denen die Regulatorik auf dem Vormarsch ist, begeistern sich in erster Linie Menschen für den Banker-Beruf, die damit zumindest zurechtkommen. Das ist kein Nachteil, denn ein versierter und kompetenter Umgang mit regulatorischen Vorgaben ist viel wert in einer Bank. Falls sich aber im Gengenzug keine Kandidaten mehr bewerben, die eher Kreativität und neue Ideen einbringen würden, kann das für die Branche zum Problem werden. Die Branche, die im Zuge der Finanzkrise bereits deutlich an Strahlkraft verloren hat, droht weiter an Attraktivität für Nachwuchskräfte einzubüßen.

Neue Arbeit - neue Führung

Nicht für jeden ist die Arbeit im virtuellen Team eine neue Anforderung. Wer zum Beispiel im Vertrieb arbeitet, der war auch vor der Pandemie schon viel auf Achse und stimmte sich trotzdem mit Vorgesetzten und Kollegen ab. Manche der Lösungen, die Vertriebskollegen entwickelt haben, können auch andere Abteilungen des Unternehmens nutzen, etwa technologische Tools zur Abstimmung im Team oder regelmäßige Strukturen im Tages-, Wochen- oder Monatsablauf. Auch von Teams, die auf viele Standorte verteilt sind, vielleicht sogar global zusammenarbeiten, können andere Abteilungen sich etwas abschauen.

Doch das Lernen aus dem Unternehmen heraus hat auch seine Grenzen. Vertriebsleute sind typischerweise extrovertiert und laufen seltener Gefahr, übersehen zu werden. Außerdem gibt es in diesen mehr oder weniger virtuellen Teams selten Asymmetrien der Art, dass manche Kollegen oft im Büro präsent sind und andere kaum. Führungskräfte tun deshalb gut daran, sich auf eine neue Aufgabe einzustellen.

Homeoffice-Tage auch für Führungskräfte

Der erste Schritt ist dabei, alle aufgestellten Regeln selbst zu befolgen und umzusetzen. Wenn etwa die Bank eine Regel aufstellt, dass alle Angestellten mindestens zwei Tage in der Woche im Büro und zwei Tage zu Hause arbeiten sollen, dann bleibt diese Regel typischerweise folgenlos, wenn die Führungskraft an fünf Tagen in der Woche im Büro präsent ist. Die Botschaft ist dann eindeutig: Nur wer vor Ort ist, zählt. Im nächsten Schritt kommt es darauf an, die Kollegen wahrzunehmen, die eher als andere von der Homeoffice-Option Gebrauch machen, und aktiv den Austausch zu suchen. Im Zweifelsfall werden das gerade nicht die extrovertierten, lauten Charaktere sein, sodass es leicht fällt, sie etwa in Meetings weniger wahrzunehmen. Dazu gehört insbesondere, die eigene Erreichbarkeit zu steuern. Das kann etwa über definierte Zeitfenster oder über die gezielte Ansprache einzelner Teammitglieder erfolgen. Auch Bürotage können Kontakt und Austausch ermöglichen, wenn sie so geplant werden, dass die Führungskraft mit jeder und jedem ins Gespräch kommen kann.

Zentral für die hybride Arbeitswelt wird ein ergebnisorientierter und stärker empathischer Führungsstil werden. Mit dem Homeoffice geht in jedem Fall ein gewisser Kontrollverlust einher, wenn eben nicht mehr ein Blick ins Großraumbüro ausreicht, um festzustellen, ob die Teammitglieder gerade arbeiten oder nicht. Statt Präsenz müssen dann die vorab definierten Ergebnisse in den Vordergrund rücken und bewertet werden. Statt des Vertrauens darauf, dass der Kollege schon mit der Aufgabe zurechtkommt, muss das Gespräch über die Arbeit und auch über Belastung und Druck gesucht werden. Die Führungskraft der Zukunft ist daher eher Coach statt Boss und muss dabei ein besonderes Augenmerk auf stillere Teammitglieder, Neuzugänge und natürlich Berufsanfänger haben.

Technologische Lösungen wie etwa Chatprogramme oder Videokonferenzen können unterstützen, doch der neue Führungsstil stellt in vielen Fällen persönliche Anforderungen, die Chefs nicht von heute auf morgen lernen. Coachings und Workshops für Führungskräfte können hier unterstützen, den Teamerfolg in die neue Arbeitswelt zu überführen.

Eine Aufgabe für das ganze Unternehmen

Nicht nur Menschen müssen sich ändern, auch Räume. Ist das Büro nicht mehr der zwingende Ort der Arbeitsleistung, so muss der Weg dorthin sich stärker lohnen als bisher. Dazu gehört ein Bürodesign, das Optionen für Meetings in verschiedener Größe und von informell bis förmlich ermöglicht, das technologisch auf der Höhe der Zeit ist und in dem man sich gerne aufhält. Der Zweckbau im Gewerbegebiet wird es zunehmend schwer haben gegen die Immobilien in der Innenstadt mit guter Anbindung und zahlreichen Restaurants und Läden in unmittelbarer Nähe. Doch auch der Einzelne kann einiges tun. Die Arbeit an der eigenen Sichtbarkeit setzt mehr Planung voraus, als bislang üblich. Melde ich mich in Videokonferenzen ausreichend zu Wort, bringe ich meine Sichtweise und meine Vorschläge ein? Informiere ich mich über die aktuellen Aufgaben und Tätigkeiten meiner Kollegen? Reagiere ich auf Vorschläge oder Anfragen, die unverbindlich an alle gestellt werden?

Bürotage werden in Zukunft nicht nur nach Büroorganisation und Arbeitsbelastung geplant werden, sondern auch unter dem Netzwerkaspekt: Wen sollte ich mal wieder treffen? Wer könnte mir bei einem spezifischen Problem weiterhelfen? Mit wem möchte ich vielleicht auch einfach nur mal wieder eine nette Mittagspause verbringen? Nicht zuletzt muss jeder bei der Entscheidung für oder gegen das Homeoffice abwägen, wie leicht oder schwer es fällt, die langfristigen Nachteile des Homeoffice zu kompensieren, und wie viel Bedeutung Flexibilität und Karriere in der persönlichen Zukunftsplanung haben. Diese Entscheidung hat langfristige Auswirkungen, die nicht sofort zutage treten - umso wichtiger ist es, sie bewusst zu treffen.

Kathrin von Hardenberg , Gründerin und Geschäftsführerin , Indigo Headhunters GmbH & Co. KG, Frankfurt am Main

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