Digitalisierung

Mehr Zufriedenheit bei geringeren Kosten

Martin Häring, Chief Marketing Officer (CMO) Finastra GmbH, Frankfurt am Main

Eine digitale Strategie muss zum Kern der DNA von Banken werden, wenn sie nicht im Wettbewerb zu Verlierern werden wollen, meint Martin Häring. An der Kundenschnittstelle müssen dabei einfache und rund um die Uhr verfügbare Lösungen im Vordergrund stehen. Websites müssen mobiltauglich sein und durch intuitive Apps ergänzt werden. Die Verbesserung des Kundenerlebnisses an zahlreichen Touchpoints mag vielen Banken als Herkulesaufgabe erscheinen, so der Autor. Richtig gemacht, lassen sich damit aber zugleich Kosten senken. Und bei der Kosteneffizienz im Retailbanking sind deutsche Banken im internationalen Vergleich noch das Schlusslicht. Red.

Lange waren deutsche Banken damit beschäftigt, die Branche wieder auf Kurs zu bringen. Aufsicht und Berichterstattung standen im Fokus, es galt zunächst, alle Systeme konform und auf dem aktuellen Stand zu halten. Jetzt hat sich der Sektor stabilisiert - und es wird Zeit, den Kunden in den Mittelpunkt zu rücken. Denn während Geldinstitute in den letzten Jahren viel aufzuarbeiten hatten, sind die Anforderungen der Kunden rasant gestiegen. Im Alltag sowie in der Arbeitswelt werden digitale Technologien wie selbstverständlich genutzt. Google, Amazon, Apple - Multinationale Großkonzerne zeigen, wie Kundenorientierung im digitalen Zeitalter aussieht, und schrauben die Erwartungshaltung der Verbraucher nach oben.

Onboarding im Science-Fiction-Stil

Auch deutsche Banken müssen ihren Service anpassen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Aber nur mit modernen Technologien können sie das Kundenerlebnis optimieren und ihre Serviceversprechen einlösen.

Schon bei der Kontoeröffnung darf man Kunden nicht mit bürokratischen Vorgängen frustrieren, sondern muss stattdessen mit überraschend einfachen Lösungen überzeugen. Was viele noch als Science-Fiction verorten, ist heute tatsächlich schon Realität und für Banken nutzbar geworden. Beispielsweise kann das Onboarding ganz einfach per Iris-Scan vorgenommen werden. Vollautomatische, digitalisierte Prozesse lösen gleichzeitig den lästigen Papierkram ab und speisen Daten zur Kontoeröffnung direkt ins Bankensystem ein.

Die zukunftsweisenden Technologien rücken den Service in den Mittelpunkt und befreien vom Image der schwerfälligen Institution. Somit haben Servicemitarbeiter die Zeit, sich auf den persönlichen Kontakt mit dem Kunden zu konzentrieren und die Basis für Vertrauen und Kundenbindung zu legen.

24/7 an der Seite des Kunden

Im täglichen Geschäft ist schneller und einfacher Service mindestens genauso wichtig. In der Mittagspause schnell den Kontostand checken, eine dringende Überweisung mit einem Foto in Auftrag geben oder von unterwegs das Aktiendepot optimieren? Heutzutage sind Verbraucher ständig unterwegs, immer online und erwarten nahtlose Verfügbarkeit im Banking genauso selbstverständlich wie beim Shopping.

Omni-Channel lautet das Stichwort. Dazu gehört nicht nur die Betreuung in der Filiale, über das Callcenter sowie Online-Services, sondern auch das Thema Mobility. "Pure Player" wie die N26 Bank machen es vor und zeigen: Hier wartet vor allem die jüngere Generation darauf, abgeholt zu werden. Laut Bitkom setzen bereits 41 Prozent der Smartphone-Besitzer auf mobile Banking-Lösungen. 1)

Damit ist es längst zum Standard geworden, Online-Services anzubieten. Aber man muss es auch richtig machen und den Kunden mit überraschend einfachen und intuitiven Lösungen begeistern. Wer nur rudimentäre Online-Angebote vorzuweisen hat, fällt unangenehm auf und riskiert, Kunden zu verprellen.

Online-Services - aber richtig!

Immer noch lassen die digitalen Kanäle bei deutschen Banken zu wünschen übrig, wie eine Banking-Benchmark-Studie von Unic 2) ergeben hat: Design, Navigation, Brüche beim Wechsel zwischen verschiedenen Kommunikationskanälen und Endgeräten sowie unzureichende Self-Service-Informationen sorgen für Unmut bei Verbrauchern. Dabei wären 80 Prozent der Bankkunden sogar bereit, für ein besseres Kundenerlebnis mehr zu bezahlen, wie eine aktuelle Studie von Capgemini 3) belegt.

Viele Geldinstitute bemühen sich redlich, aber der Optimierungsbedarf ist noch groß, um Kunden rund um die Uhr besten Service zu bieten. Gerade im Retail Banking stehen Banken wachsendem Druck gegenüber und müssen Kunden an sämtlichen Kontaktpunkten mit optimalen Angeboten und hilfreichen Informationen zur Seite stehen.

Mobiltaugliche Webseiten und intuitive Smartphone-Apps sind Voraussetzung, um digitale Services zu etablieren. Dann können Geldinstitute die sprichwörtliche Extrameile gehen, neue Standards etablieren und Kunden mit exzellenten Services begeistern: beispielsweise mit unmittelbaren Push-Benachrichtigungen oder E-Mails bei automatisch erkannten Auffälligkeiten, die auf einen Missbrauch hindeuten könnten.

Solche Services sind mithilfe von klugen Algorithmen und passenden Workflows relativ simpel und schnell eingerichtet, bedeuten für Kunden aber unter Umständen die Welt, wenn dadurch ihr Eigentum geschützt ist. So können Banken glänzen und sich das Vertrauen und die Loyalität von Kunden sichern.

Vom Finanzverwalter zum Alltagsbegleiter

Das Verhältnis von Verbrauchern und Banken könnte man getrost als "unterkühlt" bezeichnen. Von der Begeisterung und Treue, mit der beispielsweise Apple-Anhänger die Marke verehren, sind Banken meilenweit entfernt. Dabei könnten sie mit der konsequenten Ausrichtung auf den Verbraucher die Distanz abbauen. Wer nah am Kunden ist und proaktiv seine Bedürfnisse erkennt, kann hilfreiche Angebote sowie innovative Lösungen entwickeln und sich als Vorreiter mit einem Herz für Kunden positionieren.

Mit Personal-Finance-Management-Software oder Gamification-Lösungen, bei denen spielerisch Sparziele erreicht werden, können Banken demonstrieren, dass sie für verschiedene Kundenanliegen und unterschiedliche Kundentypen die richtigen Lösungen parat haben - individuell und flexibel. Die Abwicklung von Bankgeschäften wird so zu einem echten Kundenerlebnis und die Bank zum ständigen Begleiter und Unterstützer im Alltag.

Erkenntnisse proaktiv nutzen

Der Fokus auf den Kunden schließt auch das vorausschauende Erkennen von neuen Kundenbedürfnissen ein. Wird das Kind volljährig, macht bald den Führerschein und braucht ein Auto? Läuft ein Konsumkredit bald ab und schafft Raum für neue Investitionen? Oder kann die eigene Bank attraktivere Konditionen bieten als ein Darlehen, welches der Kunde bei einem Konkurrenten bedient?

Geldinstitute besitzen einen bisher ungehobenen Schatz: Daten, mit denen sie pro- und reaktiv Kunden maßgeschneiderte Angebote unterbreiten können. Entscheidend ist, dass Banken den Wert dieser Informationen erkennen und ausschöpfen. Die Kundenbankstudie zeigt, dass mehr als zwölf Prozent der Verbraucher gerne in Wertpapiere oder Fonds investieren würden, aber bisher von ihrer Bank noch nicht darauf angesprochen wurden - das Potenzial für Neugeschäfte, Cross- und Upselling ist groß, aber viele Geldinstitute haben den Datenschatz noch nicht gehoben, gehen zu wenig ihre Kunden zu und lassen so viele Chancen ungenutzt verstreichen.

Digital verführen, persönlich pflegen

Gleichzeitig zeigt eine Befragung zur digitalen Trendwende von Verint 4), dass 79 Prozent der Verbraucher die persönliche Note im Umgang mit Unternehmen schätzen. Dabei lässt sich ein Teil der Interaktion mit den Kunden sogar durch intelligente Lösungen personalisieren und automatisieren - und damit einerseits das Kunden erlebnis deutlich optimieren und andererseits auch den Absatz erhöhen.

Kognitive Technologien, künstliche Intelligenz oder Robo-Advisors können hilfreiche Instrumente sein, um vollautomatisiert den "Human touch" im Alltag zu gewährleisten. Beispielsweise können Empfehlungen, die auf bereits getätigten Geschäftsabschlüssen beruhen, geeignete Folgeprodukte anpreisen. Amazon, Netflix oder Spotify belegen, dass perfekt zugeschnittene Angebote von Kunden als hilfreiche und relevante Vorschläge sehr gut angenommen werden. Rund um den Globus steigt die Bereitschaft für robotergestützte Beratung zusehends 5), vor allem in den aufstrebenden Volkswirtschaften Asiens (Indonesien: 92 Prozent, Thailand: 90 Prozent) und Südamerikas (Brasilien: 86 Prozent, Chile: 84 Prozent), aber selbst im noch zurückhaltenden Deutschland liegt die Akzeptanz mit 59 Prozent bereits deutlich über der Hälfte.

Rundumpaket zur Ergänzung der persönlichen Betreuung

Die automatisierte, digitale Kundenansprache entlastet Berater im Alltag und schafft zugleich Freiraum für mehr qualitativen persönlichen Kontakt, der laut Hub-Spot-Umfrage 6) Verbrauchern vor allem bei komplexen Anliegen besonders wichtig ist. Virtuelle Beratung per Chat, Video-Konferenz oder Social Media ist dabei eine flexible Alternative zur Betreuung in der Filiale vor Ort.

Digitale Services sind letztlich Teil eines Rundumpakets, in dem die persönliche Betreuung nicht ersetzt, sondern ergänzt wird. Wer in der Lage ist, individuelle Angebote zu unterbreiten und eine personalisierte Ansprache zu formulieren, sichert sich entscheidende Wettbewerbsvorteile und kann die Kundenbindung stärken. Eine Studie in den USA 7) beobachtete, dass 47 Prozent der Kunden loyaler gegenüber Geldinstituten waren, bei denen sie das Gefühl hatten, das diese wüssten, wen sie vor sich hätten, und mit ihnen entsprechend interagierten.

Basis für mehr Effizienz

Es gilt letztlich, an zahlreichen Touch Points das Kundenerlebnis zu optimieren. Das gelingt nur, wenn Banken die Daten an den verschiedenen Kontaktpunkten digitalisieren, synchronisieren und zentral bündeln, damit jederzeit und über jeden Kanal konsistente Informationen bereitstehen und die Konversation nahtlos aufgegriffen werden kann.

Wer diesen entscheidenden Schritt getan hat, hat auch gleich die Basis für mehr Effizienz im Retail Banking gelegt. Im europäischen Vergleich müssen gerade deutsche und österreichische Banken bei der Kosteneffizienz im Retail Banking noch deutlichen aufholen, denn sie bilden aktuell das Schlusslicht. 8)

Auf einer einheitlichen und übergreifenden Plattform können die Informationen zu einem klaren Bild des Kunden verdichtet und sämtliche Interaktionen zentral gesteuert werden. So gewinnen Banken wieder mehr Übersicht über die vielen Kommunikationskanäle, nach denen ihre Kunden verlangen, und können effektiver mit ihnen in Kontakt treten. Dann verstehen sie die Bedürfnisse ihrer Kunden und können zielgerichtete Marketing- und Vertriebsmaßnahmen in Gang bringen. Gleichzeitig vermeiden sie unnötige Mehrfacheingaben, die nicht nur Kunden, sondern auch Kundenberatern Zeit rauben, Geld kosten und Redundanzen verursachen.

Under construction: Digitale Baustelle

Geldinstitute haben das Gefühl, vor einer wahren Herkulesaufgabe zu stehen, wenn sie von jetzt auf gleich sämtliche Kontaktpunkte transformieren müssen. Viel zu komplex sind Prozesse, Workflows, Schnittstellen sowie Projektmanagement und extrem schnelllebig sind die technologischen Entwicklungen - wie gelähmt von der Mammutaufgabe üben sich manchen in der Vogel-Strauß-Taktik.

Um Schritt zu halten, ist es jedoch entscheidend, technische Lösungen agil und schnell in die Bankeninfrastruktur zu integrieren. Das gelingt am einfachsten und flexibelsten mit einer offenen Plattform, auf der verschiedene Lösungen betrieben werden. Sie stellt Schnittstellen bereit, vereinfacht die Implementierung und liefert die Solutions als Baukastensystem, sodass die Integration schrittweise und dementsprechend zügiger vollzogen werden kann. Das senkt die Kosten und den Aufwand im Projektmanagement und liefert schnelle Ergebnisse, mit denen Banken sofort die gewünschten Erfolge erzielen und Erträge wertschöpfen können. Außerdem erlaubt eine offene Plattform auch internen und externen Developern, einfach neue, kompatible Applikationen zu entwickeln. So können Banken einerseits selbst mit geringerem Aufwand neue Entwicklungen anstoßen und andererseits von der Innovationskraft vieler profitieren. Denn letztlich kann nur der, der technologisch Schritt hält, das volle Potenzial der digitalen Transformation heben.

Diejenigen Banken, die sich den Veränderungen durch die Digitalisierung versperren und es versäumen, den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen, werden ins Stolpern geraten, Marktanteile verlieren und letztlich ganz von der Bildfläche verschwinden. Nur weil die Kasse heute noch klingelt, muss sie morgen nicht mehr ertönen. Man denke nur an gescheiterte Konzerne wie Kodak oder Quelle. Eine digitale Strategie kann nicht mehr nebenherlaufen und nur ein Teilbereich sein - sie muss vielmehr die Essenz der Banken-DNA werden und kann nur überlebensfähig sein, wenn sie radikal auf den Kunden ausgerichtet ist.

Fußnoten

1) Bitkom, August 2017: www.bitkom.org/Presse/Presseinformation

2) Unic, Dezember 2016: www.unic.com/de/kompetenzen

3) Capgemini Consulting, September 2017: www.der-bankblog.de

4) Verint, Oktober 2016: www.verint.com/digital-tipping-point/

5) Accenture, Mai 2017: www.der-bank-blog.de

6) HubSpot, Februar 2017: www.absatzwirtschaft.de

7) Collinson Group: www.thefinancialbrand.com

8) ATKearney, Juli 2017: www.atkearney.de

Zum Autor Martin Häring, Chief Marketing Officer (CMO) Finastra GmbH, Frankfurt am Main
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