Regulierung

MiFID II - aus der Not eine Tugend machen

Lars Reese, Partner, Berg Lund & Company Partnerschaftsgesellschaft, Hamburg

Bringt MiFID II die Provisionserlöse aus dem Wertpapiergeschäft der Banken in Gefahr? Das kann passieren, wenn es nicht gelingt, die Beratungsqualität auf ein neues Level zu heben, warnen die Autoren. Nur die neuen Vorgaben zu Kostentransparenz, Geeignetheitsprüfung und Aufzeichnung "abzuarbeiten", wird dazu nicht ausreichen. Richtig genutzt, bietet die Geeignetheitsprüfung jedoch die Chance, das Wertpapiergeschäft wieder "in die Breite" zu bringen. Und Standardisierung und Qualität können durchaus eine ertragreiche Symbiose eingehen. Red.

Banken und Sparkassen befinden sich nach wie vor in einer häufig skizzierten misslichen Lage: Abnehmende Zinsüberschüsse und zunehmender Kostendruck bedrohen ihr Geschäftsmodell. Die spürbar sinkende Kundenloyalität, die merkliche Wettbewerbsintensivierung und das sich verschlechternde Bankenimage stellen weitere "Brandbeschleuniger" dar.

Als wäre dies nicht schon genug, sorgt nun auch die nationale Umsetzung der Revision der Finanzmarktrichtlinie MiFID (Markets in Financial Instruments Directive) für zusätzlichen Handlungsdruck.

Das Zweite Gesetz zur Novellierung von Finanzmarktvorschiften aufgrund europäischer Rechtsakte (2. FiMaNoG) trat in weiten Teilen zum 3. Januar 2018 in Kraft, um die Vorgaben der überarbeiteten Finanzmarktrichtlinie (MiFID II) in deutsches Recht umzusetzen. Mit der Überarbeitung der Richtlinie hat der europäische Gesetzgeber auf neuerliche Missstände in der Finanzbranche, beispielsweise im Zuge der Lehman-Krise, reagiert.

Neben der Harmonisierung des europäischen Finanzmarktes zielt die Revision der Richtlinie dabei klar auf die Erhöhung des Verbraucherschutzes. Durch größere Transparenz und erweiterte Dokumentationsanforderungen soll verlorengegangenes Vertrauen in das Finanzsystem auf lange Sicht wiederhergestellt werden.

Außerdem gilt es, weitere Verwerfungen zu verhindern. Während die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht bereits eine neue Stufe des Anlegerschutzes ausruft, beklagen Sparkassen und Banken die mit der Überarbeitung einhergehenden hohen regulatorischen Kosten, die den Druck auf die Kreditinstitute weiter erhöhen.

Nachhaltige Stärkung des Anlegervertrauens

Mit drei zentralen Elementen will MiFID II das Vertrauen der Anleger in das Finanzsystem nachhaltig stärken:

- schonungslose Kostentransparenz,

- zielgerichtetere Dokumentationsanforderungen sowie

- umfängliche Aufzeichnung der Kundenkommunikation.

Dieser Dreiklang soll vornehmlich dazu dienen, das übergeordnete Ziel der Aufsicht nach erhöhtem Anlegerschutz zu erreichen und so den verbleibenden schwarzen Schafen der Branche zukünftig das "Handwerk zu legen".

Die Informationspflichten der Institute gegenüber den Anlegern im Hinblick auf die mit dem Investment verbundenen Kosten wurden neu geregelt und verschärft. So sind dem Kunden seit dem 3. Januar dieses Jahres sämtliche Kostenkomponenten, die mit dem Produktkauf undverkauf sowie während der Halteperiode verbunden sind, durch das Kreditinstitut detailliert und bereitwillig aufzuzeigen. Die Informationen müssen dem Kunden dabei rechtzeitig vor der Dienstleistungserbringung ("exante") sowie während des gesamten Produktlebenszyklus ("expost"), mindestens jedoch jährlich, offengelegt werden. In Zeiten allgegenwärtiger Preis- und Kostenvergleiche erscheint diese Vorgabe mehr als überfällig und weniger als eruptive Neuerung. Umfassende Transparenz schafft jedoch Vertrauen und ist daher im Sinne des europäischen Gesetzgebers ausdrücklich zu begrüßen.

Geeignetheitsprüfung statt Beratungsprotokoll

Das in Deutschland bereits im Jahre 2010 etablierte Beratungsprotokoll musste mit Umsetzung der überarbeiteten europäischen Finanzmarktrichtlinie zum 3. Januar 2018 der Geeignetheitserklärung weichen. Als Blaupause dafür diente das nationale Beratungsprotokoll.

Der EU-weit verpflichtenden Geeignetheitserklärung würde jedoch Unrecht getan, wenn man sie lediglich als "alten Wein in neuen Schläuchen" abkanzeln würde.

Stand im Beratungsprotokoll noch die Dokumentation des Gesprächs im Vordergrund, so rückt nun die Begründung der Geeignetheit der Empfehlung in den Fokus der Dokumentation. Die individuelle Risikotoleranz und die Verlusttragfähigkeit des Kunden sowie die persönlichen Wertpapierkenntnisse spielen in diesem Zusammenhang bei der Produktempfehlung eine entscheidende Rolle und müssen zwingend ins Beratungskalkül einbezogen werden.

Die weitergehende Standardisierung des Formates erleichtert dem Berater zudem die Gesprächsdokumentation und kann als weiterer Vorteil der Geeignetheitserklärung angesehen werden. Auch wenn die Dokumentationspraxis von Beratungsgesprächen in Deutschland im europäischen Vergleich als weitreichend bezeichnet werden konnte und von den Anlegern einer Studie von Berg Lund & Company zufolge durchaus goutiert wurde, so stellt die stärkere Fokussierung auf das Beratungsergebnis einen evolutionären Schritt auf dem Weg zu einer konsequent anleger- und anlagegerechten Beratung dar.

Unstrittig dabei ist, dass die Beratungsqualität nicht mit der Intensität der Gesprächsdokumentation positiv korreliert. Dennoch zwängt die zielgerichtetere Dokumentation des Beratungsergebnisses den Berater in ein notwendiges Korsett, die individuelle Situation des Kunden zwangsläufig zu berücksichtigen. Die Gefahr einer Falschberatung sinkt tendenziell.

Mehr Vertrauen durch Aufzeichnung der Kundenkommunikation?

Eine weitere Neuerung, die bei dem einen oder anderen Kunden bereits zu Verwunderung und zugleich Verunsicherung geführt hat, stellt die vollständige Aufzeichnung der Kundenkommunikation dar. So ist neben der Aufzeichnung von E-Mails auch die Aufzeichnung von Telefonaten ("Taping"), die zu einer Wertpapierorder führen könnten, seit dem 3. Januar 2018 Pflicht. Dadurch soll es sowohl der Bank als auch dem Anleger zukünftig erleichtert werden, im Falle eines Rechtstreits nachzuweisen, ob bei der Beratung ausreichend über die mit der Anlage verbundenen Risiken und die Geeignetheit des Finanzprodukts gesprochen wurde.

Inwiefern mit der weitgehenden Aufzeichnung Vertrauen in das Finanzsystem geschaffen oder eher Misstrauen geschürt wird, ist dabei nicht eindeutig auszumachen. Allein die Tatsache, dass zukünftig auf umfassendes Aufzeichnungsmaterial als Beweismittel im Falle einer Auseinandersetzung zwischen Institut und Kunde zurückgegriffen werden kann, dürfte etwaige schwarze Schafe der Branche von allzu leichtfertigen Empfehlungen abhalten sowie "streitlustige Anleger" abschrecken.

Auch wenn die Initiative des europäischen Gesetzgebers zur Stärkung des Anlegervertrauens zweifelsohne reputierlich ist, so wird den neuen Regularien vielerorts hingegen bereits die Geeignetheit zum wirksamen Verbraucherschutz abgesprochen. Die Rede ist sogar von überzogenem Protektionismus oder gar von der Entmündigung des Kunden.

Kommt Zeit, kommt Rat

Dabei muss klar sein, dass weitreichende Dokumentationsanforderungen und umfassende Preisinformationen die Beratungsqualität per se ebenso wenig erhöhen wie die Aufzeichnung von Telefongesprächen. Dennoch besteht in Fachkreisen Konsens darüber, dass die Maßnahmen grundsätzlich geeignet sind, den Verwerfungen in der Vergangenheit zukünftig entgegenzuwirken.

Ob sie auch in der Praxis tauglich sind, den Anlegerschutz zu stärken, wird sich schlussendlich erst nach einer hinreichenden Bewährungsphase beurteilen lassen. Zeigen sich gegenläufige Effekte, so wird der europäische Gesetzgeber sicherlich nicht müde werden, mit geeigneten Maßnahmen und Regelungen gegenzusteuern.

Regulatorik als Chance verstehen

Bei Kreditinstituten lösen neue regulatorische Initiativen regelmäßig keine Jubelstürme aus. Bedeuten sie doch an erster Stelle immense innerbetriebliche Anstrengungen und zumeist eine spürbare (einmalige sowie laufende) Kostenbelastung. Die neue Finanzmarktrichtlinie stellt hier keine Ausnahme dar. Sie trifft auch aufgrund fehlender Proportionalität sämtliche Institute in vollem Umfang.

Erschwerend kommt mit der Neufassung der Finanzmarktrichtlinie auch hinzu, dass die zur Substitution der abnehmenden Zinseinkünfte dringend benötigten Provisionserlöse aus dem Wertpapiergeschäft in Gefahr scheinen. Neben der einhergehenden Kostenbelastung könnte somit auch die Erlösseite der Banken und Sparkassen weiter unter Druck geraten. Der Handlungsspielraum der Geldinstitute erscheint vor dieser Drohkulisse zunächst limitiert.

Dabei liegt in der Regulatorik für Banken jedoch auch eine große Chance - auch wenn dies vor dem beschriebenen Hintergrund für viele Entscheider zunächst kontra intuitiv erscheint. Die Revision der Richtlinie sollte in diesem Zusammenhang zum Anlass genommen werden, das eigene Wertpapiergeschäft ganzheitlich "auf Herz und Nieren" zu prüfen, um strategische Leitplanken neu zu ordnen, bestehende Strukturen zu hinterfragen und rechts konforme sowie effiziente Prozesse zu schaffen. Eine umfassende Standortbestimmung bildet hierfür regelmäßig die Ausgangsbasis für eine zielgerichtete Weiterentwicklung.

Telefonische Wertpapierberatung auf den Prüfstand

Ausgangspunkt einer jeden Standortbestimmung sollte die Überprüfung der bestehenden (Wertpapiervertriebs-)Strategie auf Aktualität, Gültigkeit, gelebte Praxis sowie notwendigen Anpassungsbedarf aufgrund der Revision der Richtlinie darstellen. Banken sollten in diesem Zusammenhang grundlegende Punkte, wie etwa den definierten Kundenkreis, den vorgesehenen Beratertypus, die angebotene Produktpalette und die genutzten Vertriebswege, kritisch auf den Prüfstand stellen.

Die Überprüfung des zukünftigen Angebots der Wertpapierberatung über den Vertriebsweg "Telefon" kann hier exemplarisch als notwendiger Prüfpunkt angeführt werden. Soll zukünftig keine telefonische Anlageberatung mehr erfolgen, so kann folgerichtig das kostenintensive Investment für das vorgeschriebene "Taping" entfallen. Eine Entscheidung, die für viele Banken und Sparkassen in Zeiten der "Omnichannel-Beratung" von weitreichender Tragweite sein wird.

Standardisierung und Qualität sind kein Widerspruch

Sind die strategischen Leitplanken für das Wertpapiergeschäft durch die oberste Führungsebene festgelegt, so sind die unmittelbaren Auswirkungen auf Strukturen und Prozesse weiter abzuleiten. Ein beispielhafter struktureller Prüfpunkt stellt die Entscheidung dar, wem zukünftig die Wertpapierberatung anver- und zugetraut werden soll.

War die Unsicherheit im Umgang mit dem Beratungsprotokoll noch Anlass für viele Kreditinstitute, die Wertpapierberatung lediglich ausgewählten Beratern zu übertragen, so bietet die standardisierte Geeignetheitserklärung nun die Möglichkeit, das Wertpapiergeschäft wieder in die "Breite zu bringen". In Zeiten der Niedrigzinsen kommt dies sowohl den Kunden (in Form von höherer Wertpapierorientierung) als auch den Instituten (in Form von zusätzlichen Provisionserlösen) zugute.

Eine weitreichende Standardisierung der Beratungsprozesse schließt sich an die strukturellen Fragen nahtlos an. Wer in diesem Zusammenhang vermutet und befürchtet, dass es als Folge von MiFID II zu einer uniformen Wertpapierberatung innerhalb der Bankenlandschaft kommen wird, der übersieht, dass die implementierten Beratungsprozesse vielerorts bereits weitestgehend standardisiert wurden. Standardisierung und Qualität stehen in diesem Zusammenhang in keinem Widerspruch, sondern bilden vielmehr eine (ertragsreiche) Symbiose.

Nachhaltige Befähigung der Berater

Nicht zuletzt ergeben sich durch die Weiterentwicklung der Finanzmarktrichtlinie auch für die einzelnen Berater neue Anforderungen. Während die formellen Anforderungen (zum Beispiel die regelmäßige Aktualisierung der Sachkunde) keine große Hürde darstellen sollten, liegt in der konkreten Befähigung der Mitarbeiter der Institute zweifelsohne die größere Herausforderung. Schließlich muss die neue strategische Ausrichtung verstanden, die neuen Strukturen gelebt und die Prozesse richtig angewendet werden.

Den Beratern ist in diesem Zusammenhang die notwendige Sicherheit im Umgang mit den Neuerungen zu vermitteln und gerade den jüngeren Mitarbeitern der "Rücken zu stärken". Gelingt dies nachhaltig, so kann eine deutliche Belebung des Wertpapiergeschäfts die folgerichtige und erwünschte Konsequenz sein.

Regulierungsnot zur Tugend machen

Die Verlautbarung der BaFin, bei Prüfungen zunächst mit Augenmaß zu agieren, darf Kreditinstitute nicht dazu verleiten, erst einmal die Hände in den Schoß zu legen. Vielmehr sind diese dazu aktiv aufgefordert, selbst das Heft in die Hand zu nehmen. Denn nur, wenn es den Instituten gelingt, aus der Regulierungsnot eine Tugend zu machen, lassen sich die dringend benötigten Provisionserlöse aus dem Wertpapiergeschäft generieren.

Dabei ist es nicht ausreichend, die neuen Anforderungen rein mechanisch und ohne Weitblick umzusetzen. Mehr noch ist es erforderlich, die neue Richtlinie richtig zu begreifen und das kostenintensive Investment als Chance zu verstehen, die Vertriebsprozesse und die Beratungsqualität nachhaltig auf ein neues Level zu heben.

Diejenigen Institute, denen dies nicht gelingen wird, werden hingegen unter der Last der negativen Rahmenbedingungen weiter zu leiden haben und vor der schwierigen Aufgabe stehen, neue Ertragsquellen erschließen zu müssen.

Zu den Autoren Lars Reese, Partner, Michael Hartmann, Manager, Berg Lund & Company Partnerschaftsgesellschaft, Hamburg
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