BANKEN UND SUBVENTIONEN

Moderne Förderung der Automobilindustrie in schwieriger Zeit

Volker Schmidt, Foto: Niedersachsen Metall

Die Automobilindustrie gilt als Leitbranche der deutschen Volkswirtschaft. Angesichts der Herausforderungen durch Dekarbonisierung, Pandemie und Ukraine-Krise, ist eine breit aufgestellte und zielgerichtete Förderung jedoch unabdingbar, sagt Volker Schmidt. Wie das aussehen kann, skizziert er anhand von Maßnahmen aus Niedersachsen mit Programmen für Innovations- und Investitionsförderung, aber auch eines Private-Public-Partnership-Programms, das Mezzanine-Kapital für Kfz-Zulieferer zur Verfügung stellt. Das alles, so der Autor, muss jedoch durch Maßnahmen auf der Steuer- und Abgabenseite flankiert werden. Nur so lässt sich Planungssicherheit, Liquiditäts- und damit auch Beschäftigungssicherung für die Unternehmen gewährleisten. Red.

Deutschland ist Automobilland. In zwölf von sechzehn Bundesländern spielt die Automobilindustrie hinsichtlich Wertschöpfung und Schaffung von Arbeitsplätzen eine tragende Rolle. Mehrere Millionen Jobs sind direkt durch Hersteller und Zulieferer sowie indirekt durch Werkstätten, Tankstellen, industrienahe Dienstleistungen und Handel mit dem Automobil verbunden und davon abhängig. Nach aktuellen Zahlen des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) arbeiten rund 3,3 Millionen Menschen in Deutschland in automobilnahen Branchen. Davon sind 1,2 Millionen Menschen direkt in produktionsnahen Bereichen angestellt. Sie sind in den rund 44 000 Betrieben, die mit der Herstellung des Autos oder einzelner Komponenten befasst sind, tätig. In den Regionen, in denen viele dieser Betriebe angesiedelt sind, ist im Schnitt sogar jeder fünfte Berufstätige in der Automobilbranche beschäftigt.

Leitbranche der deutschen Volkswirtschaft

Alle Regionen, in denen die Automobilproduktion eine herausragende Rolle spielt, haben in den vergangenen Jahrzehnten von innovativen Unternehmen profitiert und verzeichnen eine unter dem Bundesdurchschnitt liegende Arbeitslosenquote. Keine andere Branche ist so vorleistungsintensiv, keine andere ist auch nur ansatzweise so innovativ. Dies wird durch die Patentstatistiken und den Modernitätsgrad von Produkten und Prozesstechnologien der Automobilindustrie eindrucksvoll belegt.

Spitzenreiter bei der direkten Beschäftigung ist die Region Wolfsburg in Niedersachsen, hier ist jeder zweite Berufstätige in der Autoindustrie beschäftigt. Denn rund um das Stammwerk von Volkswagen hat sich eine Vielzahl von Zulieferfirmen angesiedelt. Dazu kommen weitere Werke sowie Niederlassungen großer Zulieferfirmen wie Continental in Hannover. Die hohe Dichte von Ansiedlungen aus der Automobilbranche macht Niedersachsen zum Autoland Nummer 1. Über 60 Prozent der Arbeitsplätze im Land hängen direkt und indirekt am Auto: 350 000 der 540 000 Jobs des ver arbeitenden Gewerbes. Auch bei den Innovationsausgaben nimmt die Branche in Niedersachsen die Spitzenposition ein: Mit gut 4,3 Milliarden Euro internen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung (F&E) und fast 15 800 F & E-Beschäftigten im Jahr 2019 investieren die Automobilhersteller mit großem Abstand zu den übrigen Industriebranchen überdurchschnittlich in die Zukunftsfähigkeit und tragen damit in hohem Maß zum Wachstum des Wirtschaftsstandorts Niedersachsen bei.

Die Autoindustrie kann ohne Zweifel als eine Leitbranche der deutschen Volkswirtschaft bezeichnet werden. 275 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung hat sie 2019 erzielt. Während die preisbereinigte Bruttowertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes ohne Autoindustrie nach einem Einbruch in 2009 auf 90 Prozentpunkte (Referenzwert 2005 = 100 Prozentpunkte) bis 2019 nur 30 Prozentpunkte auf rund 120 Prozentpunkte zugewinnen konnte, gelang der Automobilindustrie im gleichen Zeitraum ein Sprung von 80 Prozentpunkten (2009) auf 175 Prozentpunkte (2019). Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den Bruttoanlageinvestitionen. Während das Verarbeitende Gewerbe ohne Automobilindustrie nach einem Einbruch von zehn Prozentpunkten seit 2017 knapp unter 120 Prozentpunkten und damit annähernd auf dem Niveau der Zeit vor der Finanzkrise pendelt, hat die Autoindustrie aus annähernd der gleichen Ausgangslage ihr Investitionsniveau bis 2019 nahezu verdoppelt.

Die erheblichen Wachstums- und Ertragserfolge, die in der Vergangenheit erzielt wurden, haben ursächlich auch mit der Export-Performance zu tun. So betrug der Anteil des Auslandsumsatzes der deutschen Automobilindustrie 2019 nach Daten des Verbands der Automobilwirtschaft (VDA) mit rund 282 Milliarden Euro mehr als die Hälfte des Gesamtumsatzes.

Branche vor der Zäsur

Gleichwohl steht die Automobilindustrie aktuell vor einer Zäsur. Die Corona-Pandemie hat die deutsche Automobilindustrie schwer geschädigt. Von 2017 bis 2021 hat sich das Volumen der am Standort Deutschland produzierten Pkw mehr als halbiert, von 5,6 Millionen Fahrzeugen auf nur noch 2,6 Millionen (minus 54 Prozent). Dies ist ein nie zuvor gemessener Einbruch der Produktionszahlen, den man auch von anderen Branchenmärkten so nicht kennt. Besonders davon betroffen sind mittelständische Zulieferer, die weit überwiegend für die Inlandswerke produzieren. Der Fahrzeugbau bewegt sich neuesten Zahlen zufolge noch immer 36 Prozentpunkte unter dem Produktionsniveau des Vorkrisenjahres 2019.

So geschwächt, sieht sich die Branche jetzt der nächsten Herausforderung gegenüber: Der Krieg in der Ukraine hat Energiekosten und Rohstoffpreise regelrecht explodieren lassen, zu den bereits bestehenden Lieferengpässen bei Chips und Halbleitern kommt nun auch noch die Knappheit bei immens wichtigen Vorprodukten hinzu.

Es braucht einen ganzheitlichen und fundamentalen Förderansatz

Das Wort "Krise" würde als Beschreibung der Lage zu kurz greifen, vielmehr sehen wir uns mit sozioökonomischen Folgen eines Krieges in Europa konfrontiert, der immense ökonomische Auswirkungen mit sich bringen wird. Viele Unternehmen stehen nach zwei Jahren Corona-Pandemie bereits mit dem Rücken zur Wand. Es geht daher mehr denn je um Unternehmenssicherung in disruptiven Zeiten. Die Frage bei alledem lautet: Wie soll eingedenk der geschrumpften Erträge und roten Zahlen der Unternehmen noch massiv in Dekarbonisierung und neue Werkstoffe, neue Antriebe, autonomes Fahren und Digitalisierung investiert werden? Berlin und Brüssel verlangen dennoch von der Automobilindustrie, sich auf einen fundamentalen Wandel vorzubereiten, und flankieren diese mit immer strikteren Regulierungsrahmen. Exemplarisch hierfür steht das "Fit for 55"- Klimapaket der Europäischen Union, wonach die durchschnittlichen jährlichen CO2-Emissionen von Neuwagen ab 2030 um 55 Prozent und ab 2035 um 100 Prozent geringer ausfallen müssen als 1990. Dies bedeutet faktisch das Aus des Verbrennungsmotors. Die Automobilindustrie muss also auf klimaneutrale Antriebe umrüsten.

Eine breite Unterstützung von Politik und Gesellschaft ist in der aktuellen Situation umso wichtiger, da die Unternehmen durch wegbrechende Umsätze und exorbitante Kostensteigerungen kaum noch die Möglichkeit haben, in die Transformation zu investieren. Es reicht also nicht aus, die Automobilindustrie wie in der Vergangenheit politisch vor allem mit Kaufanreizen und Prämien wie der Abwrack-Prämie zu unterstützen. Es braucht einen ganzheitlichen und fundamentalen Förderansatz, der in dieser besonderen Situation genau dort wirkt, wo sich die größten Hürden auftun. Wie solche Fördermöglichkeiten ausgestaltet sein können, möchte ich im Folgenden skizzieren.

"Neustart Niedersachsen"

Mit Blick auf Niedersachsen war der Ausgangspunkt für diese Modelle der Strategiedialog Automobilwirtschaft, in dem sich von 2018 bis 2021 Vertreter des Landes Niedersachsen, des Arbeitgeberverbandes Niedersachsen Metall, der IG Metall sowie namhafter Unternehmen aus der Automobilbranche regelmäßig ausgetauscht und gemeinsam zielgenaue Mechanismen erarbeitet haben, wie die Autoindustrie hochwirksam unterstützt werden kann.

Aufgrund der Anregungen aus dem Strategiedialog wurde bei den Programmen der Innovations- und Investitionsförderung aus dem Corona- Nachtragshaushalt 2020 die Automobilwirtschaft besonders in den Blick genommen. Über die Förderprogramme "Neustart Niedersachsen Innovation", "Neustart Niedersachsen Investition" und die Richtlinie "Innovationsgutscheine" hatten Unternehmen die Möglichkeit, Unterstützung für Forschungs-, Entwicklungs- und Investitionsvorhaben zu erhalten.

Das Programm "Neustart Niedersachsen Innovation", das zwischen September und November 2020 angeboten wurde, unterstützte Betriebe, die umfangreichere Innovationsvorhaben umsetzen wollen. Insgesamt 44 Unternehmen der Automobilwirtschaft haben dadurch Förderungen von insgesamt 17,4 Millionen Euro erhalten. Die durchschnittliche Förderhöhe betrug 395 000 Euro. Niedersachsen Metall hatte damals erfolgreich dafür plädiert, keine KMU-Obergrenze in die Förderrichtlinie aufzunehmen, sodass neben kleineren und mittleren Betrieben auch große mittelständische Firmen die Möglichkeit hatten, Unterstützung zu beantragen.

Das Förderprogramm "Neustart Niedersachsen Investition" wurde niedersächsischen Unternehmen ebenfalls zwischen September und November 2020 angeboten. Damit sollten Investitionen in Niedersachsen ausgelöst werden, zudem sollte die Nachfrage für Investitionsgüter erhöht werden. Für die meisten Wirtschaftsbereiche waren Fördersummen (in Form von nicht rückzahlbaren Zuschüssen) von bis zu 250 000 Euro möglich, was insbesondere für mittelständische Unternehmen interessant gewesen sein dürfte. Für Unternehmen aus der Automobilwirtschaft waren sogar Fördersummen von bis zu 800 000 Euro möglich. Hiervon haben in Niedersachsen 533 Unternehmen der Automobilbranche mit Förderungen von insgesamt 101,6 Millionen Euro profitiert. Die durchschnittliche Förderhöhe betrug 191 000 Euro. Auch hier haben wir uns seinerzeit mit Erfolg dafür eingesetzt, dass die KMU-Obergrenze von 250 Mitarbeitern entfällt.

"NTransformation" - Mezzanine- Kapital für Kfz-Zulieferer

Mit "NTransformation Kfz-Zulieferer" haben das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung und die N-Bank Capital einen Beteiligungsfonds mit einem Volumen von 30 Millionen Euro aufgelegt. Niedersachsen Metall beteiligt sich über die Norddeutsche Wirtschaftsholding GmbH mit weiteren 10 Millionen Euro. Dieser Fonds soll Automobilzulieferern mit positiven Zukunftsaussichten und Sitz in Niedersachsen Mezzanine-Kapital zur Verfügung stellen, sodass deren Eigenkapitalquote gestärkt werden kann, wenn sie Corona-bedingte finanzielle Verluste verzeichnen mussten.

Zur Zielgruppe gehören neben Automobilzulieferern auch Dienstleistungsunternehmen für Automobilhersteller und Zulieferer wie beispielsweise Ingenieurbüros und Softwareentwickler. Das Angebot richtet sich gleichermaßen an kleinere und mittlere sowie größere Unternehmen. Durch den Beteiligungsfonds kann der Kreditrahmen der Unternehmen bei Banken erhöht werden, sodass im Endeffekt die Investitionskraft erheblich gesteigert werden kann. Auf diese Weise soll die Transformation von Automobilzulieferern zu Anbietern alternativer Antriebe und neuer Fahrzeugkomponenten unterstützt werden.

Der Transformationsfonds "NTransformation Kfz-Zulieferer" steht für Public-Private-Partnership par excellence. Nicht der Staat allein entscheidet über Beteiligungskapital, sondern die Wirtschaft sitzt mit im Boot und bringt hohe Expertise bei der Auswahl von Zielunternehmen ein. Erste konkrete Erfolge von "NTransformation" sind bereits zu verzeichnen.

Förderprogramme mit Steuer- und Abgabensenkung flankieren

Die Automobilindustrie ist der Wirtschaftsmotor Deutschlands. Um den Wohlstand in unserem Land auch künftig maßgeblich festigen zu können, muss die Branche im internationalen Wettbewerb bestehen. Nie zuvor in ihrer Geschichte sah sich die Branche einem derart kumulativen, sich zudem eher selbst verstärkenden Innovationsdruck gegenüber, aus der Notwendigkeit, in Digitalisierung, autonomes Fahren und vor allem alternative Antriebe mehr oder weniger gleichzeitig investieren zu müssen.

Insbesondere in der aktuellen Situation, in der die immensen Herausforderungen deutlich sichtbar werden und der Krieg in Europa in der Wirkung auf die Ertragslage der Unternehmen problemverschärfend wirkt, ist es allerdings auch erforderlich, Investitions- und Innovationsförderprogramme wie "NTransformation" oder "Neustart Niedersachsen" mit durchgreifenden Senkungen von Steuern und Abgaben zu flankieren.

Deutschland zählt zu den Ländern mit den höchsten Energiepreisen in Europa. Um die Unternehmen in dieser Situation zu entlasten, sind die Senkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe, wie kürzlich von der Bundesregierung beschlossen, und ein Industriestrompreis von 4 Cent/KWh als Zielgröße mehr denn je erforderlich.

Die Unternehmen beschäftigt derzeit vor allem ein Begriff: Sicherheit! Es geht um Versorgungssicherheit, um Planungssicherheit, um Liquiditätssicherung und um Beschäftigungssicherung. Diese vier Sicherheiten zu garantieren, wird zum Lackmustest für die deutsche und europäische Wirtschaftspolitik. Denn sie entscheiden darüber, ob die Automobilwirtschaft auch in Zukunft ein Grundpfeiler der deutschen Wirtschaft bleibt.

Dr. Volker Schmidt , Hauptgeschäftsführer , NiedersachsenMetall - Verband der Metallindustriellen Niedersachsens e.V., Hannover
Noch keine Bewertungen vorhanden


X