KUNDENBETREUUNG

Der Mythos der ganzheitlichen Beratung

Prof. Dr. Jessica Hastenteufel, Foto: Maik Hastenteufel

Die ganzheitliche Beratung gilt Banken und Sparkassen als Ideal. In der Praxis ist dieser Betreuungsansatz jedoch gescheitert, so die Autorinnen - ablesbar an der unzureichenden Grundausstattung der Kunden mit Finanzprodukten. Um eine wirklich am Kundenbedarf orientierte Beratung zu erreichen, müssen vor allem die Zielsysteme der Banken und Sparkassen verändert werden. Doch auch eine turnusmäßige Beratung und eine ausufernde Dauer der Beratungsgespräche gehen am Kundenbedarf vorbei. Red.

Die Bankenlandschaft befindet sich in einer Zeit fundamentalen Wandels. Heutzutage sind es vor allem drei Problemfelder, die das Marktumfeld der Banken bestimmen: die Digitalisierung, die zunehmende Regulierung sowie die Niedrigzinspolitik der EZB. Die Erosion der Erträge aufgrund der Abhängigkeit von Zinserträgen spüren die europäischen Banken in den vergangenen Jahren infolge der abflachenden Zinskurve schmerzhaft. Hinzu treten ein stagnierendes Provisionsgeschäft und anhaltende Belastungen durch die steigenden regulatorischen Anforderungen. Derweil ebnet die Digitalisierung nicht nur den Weg für neue Wettbewerber, sondern berührt mit dem sich wandelnden Zugang zum Kunden auch den Kern des Bankgeschäfts.

Das Zinsniveau ist nach einer kontinuierlichen Abnahme an einem geschichtsträchtigen Tiefstand angelangt. Dies wirkt sich gleich dreifach auf den Zinsüberschuss von Banken aus: ein Rückgang der Passivmarge, ein rückläufiger Ertrag aus der Anlage des Eigenkapitals und eingeschränkte Möglichkeiten der Fristentransformation. Diese Effekte konnten zunächst durch längerfristige, höher verzinste Positionen der Vergangenheit ausgeglichen werden, jedoch verschärft sich mit Auslaufen dieser Positionen die Malaise der Banken zunehmend.

Ertragskraft-Ampel auf dunkelgelb

Die Kombination aus anhaltender Niedrigzinsphase und zunehmender Regulierung führt in den Banken zu einem enormen Kostendruck. Die deutschen Banken weisen im europäischen Vergleich, neben Frankreich, die höchste Cost Income Ratio auf. Hierbei ist anzumerken, dass die deutsche Bankenlandschaft durch eine starke Zersplitterung gekennzeichnet ist, die zu einer vergleichsweise hohen Wettbewerbsintensität führt.

Angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen ist es umso beunruhigender, dass laut einer aktuellen Studie 72 Prozent der Banken keinen Überblick darüber haben, welche Kosten aus den einzelnen Produkten und Prozessen resultieren. Zudem existieren in weniger als der Hälfte der Institute Schemata zur Produktprofitabilitätsbewertung. Ein Hauptproblem der deutschen Bankenbranche ist demzufolge ein schlechtes und intransparentes Kostenmanagement.

Auch eine künftige Besserung der angespannten Lage ist nicht in Sicht, sodass die ohnehin schwache Profitabilität der Banken durch den steigenden Druck auf das Zinsergebnis weiter sinken wird. Bei einem Anhalten des niedrigen Zinsumfeldes ist ein weiterer deutlicher Rückgang der Rentabilität des deutschen Bankensektors in Zukunft sehr wahrscheinlich. Dabei ist anzumerken, dass die deutschen Banken innerhalb ihrer Planungen fälschlicherweise mit steigenden Zinssätzen sowie einem steigenden Jahresüberschuss gerechnet haben. Man kann aktuell sagen, dass die Ampel hinsichtlich der Ertragskraft der Banken schon auf Dunkelgelb steht und die Gefahr besteht, auf Rot umzuschalten.

Aufgrund des digitalen Wandels durchläuft das Kundenverhalten bereits seit einigen Jahren einen grundlegenden Wandel. Die Digitalisierung hat dazu geführt, dass für einzelne Transaktionen (zum Beispiel den Zahlungsverkehr, Abschluss einfacherer Produkte) nicht mehr der Weg in die Filiale notwendig ist, sondern diese zunehmend direkt online abgewickelt werden können. Die Nutzung medialer Kanäle nimmt zu, wobei sich der Kunde flexibel für denjenigen Kanal entscheidet, der für seine Situation gerade der einfachste und bequemste ist.

Persönliche Komponente tritt in den Hintergrund

Heutzutage werden über 70 Prozent aller Bankgeschäfte digital abgewickelt, daher ist es nicht verwunderlich, dass der Kunde einen hohen digitalen und mobilen Komfort erwartet. Viele Kunden wollen den Zugang zu allen Dienstleistungen ihrer Bank jederzeit, überall und über jedes Endgerät. Vor allem für die jüngere Generation sind digitale Kanäle die wichtigste Anlaufstelle in Finanzfragen. Doch gerade in dieser Kundengruppe nimmt die Zufriedenheit von Jahr zu Jahr ab.

Durch die gestiegene Nutzung des Online- und Mobile Banking tritt zudem die persönliche Komponente des Bankgeschäfts in den Hintergrund. Den Banken geht häufig der Kontakt mit den Kunden verloren, die nur einfache Produkte bei ihrer Hausbank in Anspruch nehmen und ansonsten nur schwer für neue Angebote zu begeistern sind. Vergleichsweise lukrative Bank- und Finanzdienstleistungen werden bei anderen Anbietern abgeschlossen, sodass jene inaktiven Kunden bei den Banken aktuell mehr Kosten als Erträge produzieren. Wenngleich die Filialen vornehmlich für Beratungsdienstleistungen genutzt werden, so ist zu beobachten, dass die Bedeutung der Beratung tendenziell abnimmt. Vor allem bei komplexen und erklärungsbedürftigen Produkten wie der Altersvorsorge und der Baufinanzierung suchen Kunden jedoch weiterhin den persönlichen Kontakt zur Bank (siehe Abbildung 1). Die menschliche Interaktion wird daher vor allem bei Meilensteinentscheidungen für den Kunden wichtig bleiben.

Kunden fordern Individualisierung

Darüber hinaus sind die Erwartungen an die Kundenkommunikation und die Beratung enorm gestiegen. Die Bankkunden sind von Google & Co. ein Höchstmaß an Individualisierung gewohnt, das sie bei Banken ebenfalls verlangen. Das Internet verhilft ihnen indes zu einer größeren Marktmacht, da die Preistransparenz gefördert, Informationsasymmetrien reduziert und Wechselkosten gesenkt werden.

Der Kunde erwartet von seiner Bank eine umfassende Kompetenz in Finanzthemen. Dabei ist die Bankberatung für die Kunden nach wie vor wichtig, jedoch möchten sie selbst über die Art und Weise der Beratung entscheiden. Der Qualität der Beratung wird dabei ein sehr hoher Stellenwert beigemessen. Hierbei ist zu beobachten, dass die wahrgenommene Qualität der Produkte selbst nicht nur an Rendite und Performance festgemacht wird, sondern vor allem Faktoren wie Transparenz und Einfachheit als nutzenstiftend angesehen werden. Dabei ist die verständliche Darstellung der Produkte entscheidend.

Ganzheitliche Beratung als Ideal

In der gesamten Branche gilt die ganzheitliche Beratung als Ideal. Sie verfolgt das Ziel, den Kunden in seiner persönlichen Lebenssituation zu betrachten, seine aktuellen sowie zukünftigen finanziellen Potenziale zu ermitteln und hieraus seine individuellen Bedürfnisse abzuleiten und ihm auf dieser Basis zielgerichtet Produkte anzubieten.

Dieser Ansatz scheint also ein angemessenes Instrument zu sein, um die gestiegenen Erwartungen der Kunden an eine individuelle und personalisierte Beratung zu erfüllen. Er ist aber vor allem eine gute Möglichkeit für Banken Up- und Cross-Selling-Potenziale zu forcieren. Durch den Betreuungsansatz verspricht man sich neben einer langfristigen Kundenbindung, insbesondere eine Hebung der Ertragspotenziale.

Ausbau des Telefon-Bankings kritisch hinterfragen

Die im Rahmen einer Eigenstudie* befragten Kunden pflegen im Schnitt eine Geschäftsbeziehung mit zwei unterschiedlichen Banken. Dabei nutzen 83,44 Prozent der Befragten die Filiale nicht oder nur noch selten. Eine Ausnahme stellt die Gruppe der Senioren ab 66 Jahren dar, die mit Abstand die höchste Besuchsfrequenz aufweist (43,28 Prozent; sonst durchschnittlich 9,50 Prozent). Die Mehrheit der Kunden nutzt die Möglichkeit des Online-Bankings, wobei hier die Nutzung in der Kundengruppe bis einschließlich 45 Jahren am höchsten ist (67,39 Prozent). Dennoch weisen alle Altersgruppen noch Steigerungspotenzial bei der Online-Nutzung auf. Um dieses Potenzial zu heben, gilt es etwaige Sicherheitsbedenken der Kunden auszuräumen, da aus einer Studie des Bankenverbands hervorgeht, dass 52 Prozent der Kunden Online-Banking nicht als vollständig sicher empfinden. Trotz der aktuellen Entwicklung muss allerdings gewährleistet werden, dass Kunden bei einem etwaigen Filialbesuch gleichwertige Serviceleistungen erhalten.

Ein weiterer Kanal - das Telefon-Banking - wird hingegen nicht angenommen. Die deutliche Mehrheit (77,66 Prozent) nutzt den telefonischen Weg nie. Dies zeigt sich auch in einer Studie von Bain & Company, wonach kein anderer Kanal so schlecht bewertet wird wie das Callcenter und seine Akzeptanz in den vergangenen Jahren sogar weiter abgenommen hat. Doch genau diese Kontaktmöglichkeit wird in vielen Banken aktuell ausgebaut.

So sind die eigentlichen Berater oftmals nicht mehr direkt telefonisch erreichbar und die Kunden werden an ein internes oder externes Callcenter weitergeleitet. Aus Sicht der Bank mag dies zwar einige Vorteile mit sich bringen, jedoch werden die Kunden nicht immer angemessen miteinbezogen. So haben es einzelne Banken beispielweise gänzlich versäumt, die Kunden darüber zu informieren, dass sie anstelle ihres Beraters nur noch das Callcenter erreichen, was bei diesen zu großem Unmut geführt hat. Daher muss der Ausbau des Telefon-Bankings in der derzeitigen Situation kritisch hinterfragt werden.

Ganzheitlicher Beratung gelingt keine Deckung des Grundbedarfs

Hinsichtlich der für den Kunden wichtigen Aspekte bei der Erledigung von Bankgeschäften zeigt sich, dass einer guten Beratung die größte Relevanz beigemessen wird (vergleiche Abbildung 2). So gaben 79,76 Prozent der Befragten an, dass ihnen eine qualitativ hochwertige Beratung wichtig ist.

Um zu betrachten, inwiefern die ganzheitliche Beratung den Bedarf an Basisprodukten abdeckt, wurden die Kunden gefragt, welche Produkte sie aktuell nutzen. In Bezug auf das Girokonto sind sie gut versorgt (99 Prozent). Bei Sparmöglichkeiten sieht das Bild jedoch anders aus, denn 33,90 Prozent der befragten Kunden besitzen kein Sparkonto/buch und 57,56 Prozent kein Tagesgeldkonto. Hier wird bereits ersichtlich, dass die Ganzheitlichkeit der Beratung oftmals bereits an der (kostenlosen) Grundausstattung scheitert.

Das geringe Interesse an Tagesgeldkonten kann auf die zurzeit niedrige Verzinsung zurückzuführen sein. Jedoch besitzen beispielweise 38,61 Prozent der 26- bis 45-Jährigen kein Sparkonto, obwohl gerade in diesem Alter finanzielle Polster in Form von Sparguthaben aufgebaut werden sollten. Das Fehlen von Sparprodukten könnte zwar durch Fondssparpläne ausgeglichen werden, jedoch nutzt nur ein Drittel der Befragten Wertpapiere. Der Anteil der Kunden, der weder ein Sparkonto besitzt noch Wertpapiere hält und somit nicht außerhalb des Giro- oder Tagesgeldkontos Geldreserven aufbauen kann, liegt bei 24,84 Prozent. Rund um das Thema "Wertpapiere", insbesondere bei den Fondsparplänen, verschenken die Banken daher in der aktuellen Situation ein erhebliches Ertragspotenzial.

Die Kreditkarte wird derweil von 37,98 Prozent der Kunden nicht genutzt. Abgesehen von einem nicht vorhandenen Bedarf des Kunden, ist dies darauf zurückzuführen, dass viele Banken Kreditkarten nicht aktiv anbieten. Sollten Bonitätsbedenken die Vergabe behindern, sollte die Möglichkeit eines kleinen Limits oder einer Prepaid-Karte angeboten werden. Doch auch hier zeigen sich Banken oft zögerlich. Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass der ganzheitlichen Beratung eine Deckung des Grundbedarfs der Kunden nicht gelingt und Banken umfassende Chancen und Potenziale ungenutzt lassen.

Kunden fühlen sich nicht individuell beraten

Die Frage, ob sich die Kunden individuell beziehungsweise bedarfsorientiert beraten fühlen, verneinte jeweils rund ein Drittel der Kunden (33,64 Prozent beziehungsweise 32,19 Prozent) - nur 32,85Prozent beziehungsweise 42,49 Prozent bejahten diese Aussagen. Die Beratungskompetenz wird den Banken demnach nicht mehr automatisch zugesprochen. Auch testkundenbasierte Untersuchungen zeigen, dass die Beratungen vielfach ungenügend sind.

Wesentliche Defizite liegen in der Beratungsmethodik, da die Mitarbeiter nicht ganzheitlich vorgehen, sondern darauf abzielen, bestimmte Produkte zu verkaufen, für die konkrete Zielvorgaben bestehen. Dies zeigt sich auch in der durchgeführten Studie. 37,89 Prozent der befragten Kunden sind der Meinung, dass Banken nur diejenigen Produkte verkaufen, an denen sie besonders gut verdienen. Daher ist es auch nicht verwunderlich, wenn die Mehrheit (56,90 Prozent) glaubt, dass Banken sich nicht dafür interessieren, was ihre Kunden sich wünschen. Doch nur eine Bank, die ihre Kunden und deren Bedürfnisse kennt und darauf eingeht, wird auch in Zukunft erfolgreich sein.

Omnikanalansatz ausbauen

Die Kunden erwarten einen Bankenservice, der sich zu jeder Zeit in ihren vernetzten Alltag integrieren lässt. So müssen Banken mehr bieten als die einfache Digitalisierung des bisher bestehenden Angebots. Fast die Hälfte der Kunden bemängelt, dass die deutschen Banken bei ihren Digitalangeboten im internationalen Vergleich weit zurückliegen. Der heutige Bankkunde unterscheidet nicht mehr zwischen den Kanälen und wählt intuitiv denjenigen Kanal, der ihm in seiner aktuellen Situation am geeignetsten erscheint - in der Erwartung, dass seine Daten zeitgleich auch in den anderen Kanälen verfügbar sind. Deswegen müssen alle Kanäle in einem Omnikanalansatz ineinandergreifen.

Nur Bankdienstleistungen, die über alle Kanäle hinweg zu einer vollständig geschlossenen Kundenerfahrung werden, erzeugen Begeisterung. Dabei gilt es, Barrieren, Medienbrüche und Wartezeiten abzubauen, da diese kaum noch toleriert werden. Weiterhin muss den Kunden die Möglichkeit gegeben werden, den Produktabschluss für die Mehrheit der Produkte einfach, schnell und ohne Hürden vollständig digital durchzuführen. Dies senkt nicht nur die Vertriebs- und Abwicklungskosten der Banken, sondern führt auch zu einer hohen Kundenzufriedenheit.

Die notwendige Standardisierung und Automatisierung der Prozesse, die zur vollständigen Integration in ein Omnikanalmanagement notwendig wären, lässt aufgrund der erforderlichen manuellen Bearbeitungsschritte, veralteten Strukturen und fehlenden Schnittstellen bei vielen Banken allerdings zu wünschen übrig. Dabei übersehen Banken, dass die Vereinfachung von Produkten, Prozessen und Strukturen mittel- und langfristig auch mit Effizienzsteigerungen einhergeht.

Traditionelle Bankfilialen haben kaum eine Überlebenschance

Von dieser Entwicklung werden kleine Abwicklungsfilialen, die keine Beratung ermöglichen, stärker betroffen sein als große Beratungsfilialen an zentralen Standorten. Somit werden zukünftig nur noch Filialen mit einem großen Leistungsspektrum sinnvoll sein. Die Existenzberechtigung von servicefreien Kleinstfilialen, deren angebotene Dienste heute vornehmlich digital erledigt werden können, wird daher infrage gestellt, da aus Sicht der Kunden hierin oft kein Mehrwert besteht.

Zudem wünscht sich die Mehrheit der Kunden innovative Filialkonzepte mit einer ansprechenden Atmosphäre. Eine Möglichkeit, die ein Drittel der Kunden dazu bringen würde, die Filiale häufiger aufzusuchen, ist zum Beispiel eine entspannte, Caféähnliche Ausgestaltung. Traditionelle Bankfilialen haben daher kaum eine Überlebenschance. Auch lieblos renovierte Filialen ohne grundsätzlich neuen Charakter werden von den Kunden nicht dauerhaft angenommen. Bei der Neustrukturierung ist der Kunde daher aktiv einzubinden, denn schließlich entscheidet er, ob die Filiale als Konzept stirbt oder weiterlebt.

Zielsystem als Schlüssel zu Beratungsqualität

Aktuell hat fast die Hälfte der Bankkunden seltener als alle zwei Jahre ein ausführliches Beratungsgespräch, wobei die Initiative hierfür meist vom Kunden selbst ausgeht. Daher fühlen sich viele Kunden nicht gut von ihrer Bank betreut. Soll eine wahrhaftig bedarfsorientierte Beratung erfolgen, muss sie konsequent an den Kundenwünschen und -bedürfnissen ausgerichtet werden, statt einen reinen Produktverkauf gemäß den Zielvorgaben zu verfolgen.

Daher liegt eines der Schlüsselelemente der Umsetzung des Konzeptes innerhalb des Zielsystems einer Bank begründet. Ein Institut darf, wenn es an einer hochwertigen, bedarfsorientierten Beratung interessiert ist, seine Ziele nicht vorrangig an bestimmten Produkten und den damit erzielbaren Erträgen ausrichten. Eine Steuerung auf Basis von Einzelzielen und Kampagnen ist ungeeignet, da der Berater aufgrund des Vertriebsdrucks und nicht des Kundenwohls handelt.

Deshalb sind die Zielsysteme grundlegend zu überdenken. So wäre beispielweise eine potenzialorientierte Zielplanung denkbar. Weiterhin macht die Entwicklung hin zu einer vernetzten und durchlässigen Omnikanalwelt klassische Steuerungsmechanismen wegen der schwierigen Ergebniszurechnung zunehmend unbrauchbar. Es entsteht dabei beim Kunden der Eindruck, dass nur Produkte verkauft werden, an denen die Banken möglichst viel verdienen. Daher misstrauen Bankkunden ihren Beratern zunehmend. Es gilt also, die Beratung an den tatsächlichen Bedürfnissen der Kunden auszurichten.

Datenauswertung mit KI steigert Vertriebseffizienz

Das Kundenverständnis stellt eine zentrale Größe des Erfolgs dar. Dabei besitzen Banken und Finanzdienstleister einen umfassenden, meist ungenutzten, Datenschatz, der es ihnen ermöglicht, detaillierte Kundenprofile mit Einschätzung zu Persönlichkeit und Lebensstil abzuleiten. Die Datenauswertung mithilfe Künstlicher Intelligenz kann maßgeblich zur Steigerung der Vertriebseffizienz beitragen, da auf den Kunden zugeschnittene Angebote abgeleitet werden, die im stationären Vertrieb manuell oft nicht erkannt werden, denn die Kundenkenntnis aufseiten der Bankmitarbeiter nimmt aufgrund der erhöhten Mitarbeiterfluktuation zunehmend ab.

Den Daten kommt deshalb ein hoher ökonomischer Wert zu. Der Bankkunde ist derweil bereit, Daten im größeren Maße mit der Bank zu teilen, erwartet im Gegenzug jedoch hochwertige Dienstleistungen, da er sich zunehmend des Werts seiner Daten bewusst ist. So kann die Interaktion durch die gewünschte individualisierte Ansprache zu einem positiven Erlebnis. Eine weitere Möglichkeit sind Chatbots, die das Kundenverhalten verfolgen und dadurch die Kundenbedürfnisse antizipieren können. So kann beispielweise das Kundenvertrauen nachweislich gestärkt werden, wenn kompetente digitale Ratschläge erfolgen. Mit diesen Maßnahmen kann das Potenzial der bisher inaktiven Kunden aktiviert werden. Gelingt dies den Banken nicht, werden sie im Verhältnis zu ihrer digitalen Konkurrenz zunehmend an Relevanz verlieren.

Die Nähe zum Kunden war bislang ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal von Filialbanken. Angesichts der Digitalisierung muss die Definition des Begriffes "Kundenähe" allerdings modifiziert werden: Nähe bedeutet künftig Erreichbarkeit und hohe Kompetenz. Persönliche Beratungsgespräche erfordern nicht mehr notwendigerweise die Anwesenheit des Beraters im selben Raum, sondern sind auch mittels Videokommunikation möglich, sodass der Wettbewerbsvorteil "persönliche Beratung" letztendlich auf allen Kanälen gestärkt werden kann. Dabei ist bereits über ein Drittel der Kunden bereit, Videotelefonie als Beratungslösung zu nutzen, da sie bequem, flexibel und schnell möglich ist. Zudem kann durch das einfache Zuschalten von Experten die Beratungsqualität noch gesteigert werden. Und eine ganzheitliche Beratung schließt letztendlich auch die Berücksichtigung der vom Kunden präferierten Art und Weise der Kommunikation ein.

Turnusmäßige Gespräche nicht gewünscht

Die innerhalb der Zielsysteme von Vertriebsmitarbeitern verankerte Vorgabe eines turnusmäßigen Gesprächs mit dem Kunden wird von der Hälfte der Bankkunden nicht gewünscht, da dies nicht den tatsächlichen Beratungsbedarf des Kunden widerspiegelt. Dem Kunden kommt es darauf an, zu den für ihn passenden Anlässen von seiner Bank betreut zu werden. Dies unterstreicht die Bedeutsamkeit der Auswertung von vorhandenen Kundendaten. Weiterhin ist der Zeitrahmen, den die Kunden der Beratung zugestehen, nur sehr begrenzt. Die Mehrheit der Kunden akzeptiert ein Zeitfenster von maximal 30 bis 45 Minuten, was jedoch keinesfalls der aktuell gelebten Praxis entspricht. Die veränderten Kundenanforderungen haben somit bedeutende Auswirkungen auf die Vertriebsstrukturen von Banken.

Bankwechsel ist das Ergebnis ungenutzter Gelegenheiten

Eine qualitativ hochwertige Beratung ist zwar mit Investitionen verbunden, doch kostet eine mangelnde Qualität letztlich das Vertrauen der Kunden und schlimmstenfalls die Kundenbeziehung, da die Wechselbereitschaft, wenn die Erwartungen, die an das Kundenerlebnis gestellt werden, nicht erfüllt werden, zunehmend steigen. Hierbei ist zu beachten, dass die Mehrheit der Kunden ihren Unmut nicht kundtut, sodass mögliche Abwanderungstendenzen in der Regel erst erkannt werden, wenn es zu spät ist.

Generell ist ein Bankwechsel meist nichts, was vom Kunden von langer Hand geplant wird, sondern vielmehr das Ergebnis von ungenutzten Gelegenheiten. So würden 50 Prozent der Kunden für eine bessere Beratung die Bank wechseln. Aufgrund des bestehenden Kostendrucks ist eine effiziente und wertschöpfende Beratung zum Überleben der Banken zwingend erforderlich.

Jetziger Betreuungsansatz scheitert

Die Banken verharren seit über zehn Jahren in der Defensive, sodass sich der notwendige Umbruch gerade in Deutschland zäh gestaltet. Beim Wehklagen über das Niedrigzinsniveau und die gestiegenen regulatorischen Anforderungen vergeuden sie wertvolle Zeit, sich auf ein profitableres Geschäftsmodell zu konzentrieren. Banken sollten aufhören, nur auf externe Einflüsse zu reagieren, und stattdessen aktiv handeln. Gerade Fintechs machen vor, wie innovativ Dienstleistungen, die die gestiegenen Kundenanforderungen erfüllen, sein können.

In Anbetracht der Tatsache, dass bei den meisten Kunden nicht einmal der Grundbedarf abgedeckt ist und der Kundeneinschätzung, dass Banken sich nicht für ihre Wünsche interessieren, kann ein Scheitern der jetzigen Ausgestaltung des Betreuungsansatzes testiert werden. Es ist höchste Zeit für Banken, ihr Betreuungskonzept an den tatsächlichen Kundenbedürfnissen auszurichten. Sie müssen hierzu aufgrund der derzeit kontraproduktiv wirkenden Zielausgestaltung ihre Vertriebssteuerung neu ausrichten.

Der Wunsch nach bedarfsorientierter Beratung kann nicht erfüllt werden, wenn den Mitarbeitern Produkteinzelziele gesetzt werden. Die Banken müssen daher auch vom klassischen Kampagnendenken mit breit gestreuten Mailings abrücken. Für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit wird es entscheidend sein, die Belange der Kunden zu verstehen. Nur wer den Kunden konsequent ins Zentrum rückt und ihm ein herausragendes, ganzheitliches Erlebnis über alle Kanäle hinweg ermöglicht, schafft es auch, seine Kunden dauerhaft zu binden.

Eine aktive Ansprache ist nur gerechtfertigt, wenn sie mit den Bedürfnissen der Kunden in Einklang steht. Mit dieser Strategie kann letztlich auch die Filiale wieder eine Aufwertung erfahren, wobei diese sich verändern muss, um in Zukunft bestehen zu können. Sie muss kundennah, kompetent, kontaktstark sowie interaktiv ausgestaltet sein, einen emotionalen Mehrwert darstellen und Services anbieten, die es auf den digitalen Kanälen in dieser Form nicht gibt. Ein qualitativ hochwertiger Kundenservice und der Ausbau des Omnikanalmanagements sind dabei die Schlüssel zur Kundenloyalität.

Fintechs als Inspirationsquelle betrachten

Fintechs sollten derweil nicht als Gegenspieler, sondern als Inspirationsquelle betrachtet werden. Beide Seiten können von strategischen Allianzen und Kooperationen profitieren, die dabei helfen können, die eingefahrenen Denk- und Verhaltensweisen der Banken aufzubrechen. Zudem kann es wertschöpfend wirken, sich für Finanzplattformen zu öffnen.

Aufgrund der aktuellen Herausforderungen bleibt den Banken, die eher für das Festhalten an Bewährtem bekannt sind, keine andere Möglichkeit, als ihre Innovationskraft zu stärken. Die digitale Transformation ist - trotz jeglichen Kostendrucks - keine Option, sondern überlebensnotwendig, um den künftigen Anforderungen der Kunden gerecht zu werden. Abschließend fasst das folgende Sprichwort die Lage der Banken gut zusammen: "Gehe mit der Zeit, sonst gehst du mit der Zeit".

* Im Rahmen der Kundenbefragung wurden 1 200 papierhafte Fragebögen an Privatpersonen verteilt. Bei der Ansprache wurde darauf geachtet, dass die Daten hinsichtlich der Altersstruktur in etwa gleichverteilt sind. Von den ausgereichten Fragebögen kamen 761 Fragebögen zurück, was einer Rücklaufquote von 63,42 Prozent entspricht.

Der Beitrag wurde von der Redaktion gekürzt. Die Langfassung inklusive der Literaturhinweise finden Sie hier.

Prof. Dr. Jessica Hastenteufel, IUBH Fernstudium, Bad Reichenhall und Privatdozentin, Universität des Saarlandes, Saarbrücken
Sabrina Kiszka, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Lehrstuhl für Bankbetriebslehre, Universität des Saarlandes, Saarbrücken
Prof. Dr. Jessica Hastenteufel , Professorin für Betriebswirtschaftslehre , IU Internationale Hochschule, Erfurt
Dr. Sabrina Kiszka , Wissenschaftliche Mitarbeiterin , Lehrstuhl für Bankbetriebslehre, Universität des Saarlandes, Saarbrücken

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