NACHHALTIGKEIT

Nachhaltigkeit als Treiber der Transformation im Bankensektor

Christoph Betz, Foto: KPMG

Operativ ist die Umsetzung der Regulatorik in Sachen Nachhaltigkeit für Banken vor allem eine Pflichtübung. Dafür braucht es pragmatische Ansätze, sagt Christoph Betz. Genau hier schlummern indessen auch strategische Potenziale. Bei den Nachhaltigkeitszielen ist Vorsicht geboten: Sind sie zu ehrgeizig, droht Unglaubwürdigkeit, sind sie zu lasch, beschädigt auch dies das Image: Im Risikomanagement müssen Banken ihren Methodenbaukasten nach dem Vorbild der Assekuranz erweitern. Damit das Thema auch im Alltag ankommt, muss es sich auch in Prozessen und Systemen wiederfinden. Red.

Corporate Social Responsibility (CSR) - im Finanzsektor war das jahrzehntelang ein Nischenthema, dem von vielen nur eine geringe Bedeutung für den Unternehmenserfolg beigemessen wurde. Für die Verantwortlichen standen vornehmlich betriebsökologische Fragen und ein angemessener Umgang mit den Mitarbeitern im Vordergrund. Diese Haltung hat sich in den letzten Jahren radikal verändert. Aus CSR ist ESG geworden - Environmental, Social, Governance. Das Thema steht bei allen Banken in Deutschland ganz oben auf der Agenda, ist häufig beim Vorstand angesiedelt. Niemand kann und will sich dem mehr verweigern.

Woran liegt das? Zum einen sind die Folgen des Klimawandels nunmehr deutlich zu spüren, was auch einen Wandel in der Gesellschaft und Initiativen wie Fridays for Future hervorgebracht hat. Zudem sind die Themen Klimawandel und Nachhaltigkeit auch zentral für politische Akteure: So bildeten die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (UN SDGs) sowie das Pariser Klimaabkommen die Grundlage für die bislang umfassendste grüne Reform der EU - mit direkten Folgen für die Finanzbranche.

Mit dem stärkeren öffentlichen Bewusstsein für den Klimawandel geht auch ein verändertes Verhalten von Investoren einher, die vermehrt nachhaltige Produkte nachfragen. Gleichzeitig kommen Risikoabteilungen von Banken nicht mehr daran vorbei, sich mit den Folgen der Erderwärmung zu befassen: Das beweisen Katastrophen wie die im Sommer 2021, als die Menschen im Ahrtal von einer Flutwelle überrascht, Straßen und Häuser binnen kurzer Zeit vom Wasser weggerissen wurden. Immobilien und Grundstücke in den betroffenen Regionen sanken über Nacht rapide im Wert.

Banken von besonderer Bedeutung

Banken stehen beim Thema Nachhaltigkeit besonders im Fokus von Regulatoren und Aufsicht. Denn als Kapitalgeber kommt ihnen, wie auch Asset Managern, eine besondere Bedeutung zu. Dabei begleiten und finanzieren Geldinstitute nicht nur börsennotierte Unternehmen, sondern insbesondere auch kleinere und mittlere Betriebe, deren Innovationen für die grüne Transformation eine zentrale Rolle spielen. Um den Wandel zur Nachhaltigkeit erfolgreich zu gestalten, sind signifikante Investitionen in großen Teilen der Volkswirtschaft erforderlich.

Das erklärte Ziel der EU-Regularien für den Finanzmarkt ist es dabei, Kapitalströme in nachhaltige Aktivitäten umzulenken. Deshalb hat die EU mit der sogenannten EU-Taxonomie ein Klassifizierungssystem ins Leben gerufen, auf dem unter anderem Standards und Labels für grüne Produkte aufbauen. Nach dem Willen der Aufseher sollen Nachhaltigkeitsrisiken außerdem ein fester Bestandteil des Risikomanagements werden, was dazu führt, dass ESG auch in Kreditratings einfließen wird. Ein übergeordnetes Ziel der EU ist es darüber hinaus, Transparenz und Langfristigkeit auf den Finanzmärkten zu fördern, weshalb unter anderem nachhaltige Unternehmensführung gefordert wird.

Nachhaltigkeit operativ und strategisch verfolgen

Für Geldhäuser bedeutet das, dass sie Nachhaltigkeit auf zwei Ebenen betrachten müssen: Einer operativen und einer strategischen. Operativ geht es insbesondere darum, die Regulatorik umzusetzen. Das ist zwar eine Pflichtübung, aber leichter gesagt als getan: Denn um die geforderte Transparenz bei den eigenen Finanzprodukten zu erfüllen, brauchen Banken einen Überblick darüber, welche Investments welche ESG-Risiken und potenziell negative Auswirkungen im Sinne der Nachhaltigkeit mit sich bringen - aber auch, welche positiven Effekte hieraus entstehen können. Hierfür sind mitunter Informationen und Daten vonnöten, die systematisch gesammelt, ausgewertet und aufbereitet werden müssen. Dabei ist mittlerweile eine Reihe von Dienstleistern behilflich, auch wenn die Datenbasis häufig noch unzureichend ist.

Banken haben das Thema Daten daher flächendeckend priorisiert und suchen nach möglichst pragmatischen Ansätzen, die für zukünftige Entwicklungen ausbau- und anschlussfähig sind. Hierbei ergeben sich verschiedene Fragen. Wie wird die IT-Infrastruktur ausgestaltet? Wo lagern die Daten? Werden diese zentral verwaltet oder nicht? Wie kann sichergestellt werden, dass beispielsweise die Asset-Management-Tochter einer Bank auf dieselben Daten zugreifen kann wie die Muttergesellschaft? Besonders für große Banken schlummern hier strategische Potenziale. Einige sehen ESG dabei als Chance, ihre veraltete Architektur unter Nutzung von Cloud Lösungen völlig neu aufsetzen.

Im Risikomanagement an Versicherungen orientieren

Doch auch im Risikomanagement müssen Banken künftig umdenken. Denn sie sind gezwungen, physische ESG-Risiken fortan bei der Kreditprüfung einzukalkulieren - so, wie es Versicherungen längst tun. Dabei geht es vor allem darum zu verstehen, welchen konkreten Risiken ein Kreditnehmer ausgesetzt ist. Dafür brauchen Banken Informationen darüber, wie groß die Risiken im Einzelnen sind und wie sich diese auf die Assets auswirken.

Um erneut das Beispiel Ahrtal aufzugreifen: Banken sind dann angehalten zu prognostizieren, an welcher Adresse eine Flut ein Haus wahrscheinlich zerstören würde und welche Fabrikhallen wie stark gefährdet sind. Mithilfe von Geoinformationen lässt sich so eine Aussage darüber treffen, wie hoch ein möglicher Schaden in Zukunft ausfallen könnte. Auch hier verfügen Versicherungen bereits über fundiertes Wissen und langjährige Erfahrung.

Zudem müssen Geldhäuser künftig darüber urteilen, ob das Geschäftsmodell eines Unternehmens in einer klimaneutralen Zukunft noch tragfähig sein wird. Hier geht es also darum, die sogenannten transitorischen Risiken zu managen. Das ist eine enorme Herausforderung: Denn dafür müssen Geldinstitute beurteilen können, wie an passungsfähig ein Geschäftsmodell ist. Dazu gehört auch, einschätzen zu können, wie sich verschiedene Klimaszenarien sowie politische Vorgaben auswirken werden: Wie tragfähig wird beispielsweise ein Geschäftsmodell bei einer Erderwärmung um zwei Grad sein? Wie wird sich die Erhöhung des CO2-Preises auswirken? Hier gilt es, Vorhersagen zu treffen und zu modellieren, um Aussagen zur Ausfallwahrscheinlichkeit aus diesem neuen Blickwinkel zu treffen. Anders gesagt: Ein Klimaszenario muss in ein volkswirtschaftliches Szenario übersetzt werden, aus dem wiederum Ableitungen für die Kreditausfallwahrscheinlichkeit getroffen werden. Hier sind nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Bewertungen gefragt.

Methodenbaukasten erweitern

Der Umgang mit ESG-Risiken erfordert daher eine Erweiterung des Methodenbaukastens im Risikomanagement. Um neue Wirkungsmechanismen zu verstehen, muss in neuen Kategorien gedacht werden. Das bedeutet, dass Risiken auch qualitativ betrachtet werden müssen. Mathematiker allein reichen dafür nicht mehr aus. Die Institute sind gezwungen, viel langfristiger zu denken und neue Treiber zu berücksichtigen, die bisher nicht im Fokus standen.

Auf der Agenda haben das Thema alle. Mitunter stehen ihre Bemühungen jedoch erst am Anfang. Gleichzeitig ist diese neue Art zu arbeiten für einige Institute relevanter als für andere. Neues Denken ist ad hoc vor allem bei den Banken gefragt, die in CO2-intensiven Sektoren wie Immobilien, Shipping, Automotive oder Energie aktiv sind. Andere können es hingegen etwas langsamer angehen lassen.

ESG ist eine Frage der Strategie

Auch strategisch haben Banken einige entscheidende Weichen zu stellen. Dazu zählt in erster Linie die Frage, wie sich das Institut beim Thema Nachhaltigkeit positioniert - sich dem zu entziehen, ist keine Option, da alle Stakeholder eine Positionierung erwarten. Immer mehr Institute sehen Nachhaltigkeit daher als geschäftsmodellrelevant an und machen ihre Erfolge in puncto ESG publik.

Auch bankintern sind die Ansprüche gestiegen: Mitarbeiter erwarten von ihrem Arbeitgeber, dass er es mit der Umsetzung der ESG-Anforderungen im Unternehmen auch wirklich ernst meint. Entsprechend schwer ist es geworden, die richtige Balance zwischen Ambition und Machbarkeit zu finden: Wie versteht das Institut ESG kommunikativ und strategisch? Gehört Nachhaltigkeit zum Kern des Unternehmens? Oder soll nur das regulatorische Mindestmaß erreicht werden?

Entsprechend lassen sich Banken hinsichtlich ihrer ESG-Strategie verschiedenen Gruppen zuordnen. Für die erste Gruppe stellt die Umsetzung von ESG-Anforderungen eine regulatorische Pflichtübung dar, ohne Auswirkungen auf das Geschäftsmodell. Für diese Banken geht es lediglich darum, wie regulatorisch gefordert Transparenz zu schaffen und mit Risiken umzugehen. Eine zweite Gruppe, der der weit überwiegende Teil der Geldhäuser angehört, sieht Nachhaltigkeit hingegen als Chance, neue Erträge zu erzielen, respektive als entscheidenden Faktor, um Marktanteile zu sichern. Ein Teil dieser Banken ist dabei Trendsetter, versucht also, proaktiv neue, grüne Wege zu gehen. Follower-Banken dagegen setzen vielmehr auf Strategien, die sich bei den Trendsettern schon bewährt haben. Ob das eine oder das andere strategisch sinnvoller ist, lässt sich zumindest derzeit nicht pauschal beurteilen. Eine letzte Gruppe sind diejenigen Institute, die Nachhaltigkeit als ihr Geschäftsmodell definiert haben, deren Zweck es also ist, bei allem, was sie tun, nachhaltig zu sein. Diese sind nun besonders gefordert, sich von der ebenfalls nachhaltiger werdenden Konkurrenz abzuheben.

Um sich mit der gewählten ESG-Strategie langfristig glaubwürdig am Markt zu positionieren, müssen Banken nicht nur ambitionierte Ziele formulieren, sondern diese auch konsequent in ihre Geschäftstätigkeit integrieren. Doch dafür fehlt es den Häusern derzeit noch häufig an einer robusten Berechnungsmethodik und Marktstandards. Entsprechend müssen ambitionierte Institute eigene Methoden entwickeln, die an bestehende und zukünftige Anforderungen angelehnt sind. Das ist zwar mit Aufwand verbunden, doch der lohnt sich: Denn die neu entwickelte Methodik kann nicht nur als Basis für ein differenziertes Reporting dienen, sondern auch ein echtes Change-Instrument werden: Erzielt ein Institut beispielsweise in einem bestimmten Marktsegment Erfolge und berichtet darüber, könnte dies andere motivieren, ebenfalls in diesem Feld aktiv zu werden. Letztendlich kann es Instituten so gelingen, sich mit einem bestimmten Gebiet bei Nachhaltigkeit zu positionieren - und andere zum Mitmachen zu bewegen.

Ambitionierte Ziele oft nur durch Preiskampf erreichbar

Allerdings ist dies häufig leichter gesagt als getan. Die Kunst besteht darin, auf Basis der bestehenden Daten und Expertise eine Methodik zu entwickeln, die die Nachhaltigkeits-Performance angemessen misst, aber gleichzeitig im Tagesgeschäft kurzfristig operationalisierbar ist. Dies stellt allerdings die meisten Banken in Deutschland noch vor Herausforderungen. In der Folge haben bis heute nur wenige Institute Nachhaltigkeitsziele umfassend in ihre Geschäftssteuerung integriert. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Häuser sich ähnliche Ziele vorgenommen haben - beispielsweise den Ausbau und die Finanzierung von regenerativer Energie. Ambitionierte Nachhaltigkeitsziele sind zudem häufig nur durch aggressiven Preiskampf mit der Konkurrenz oder auch mit höheren Risiken erreichbar. Sich beim Thema Nachhaltigkeit aus der Masse der grünen Banken herauszuheben, ist herausfordernd. Darüber hinaus sind viele in der Vergangenheit in die Greenwashing-Falle getappt, indem sie sich Ziele gesetzt haben, die der Öffentlichkeit nicht ambitioniert genug waren. Entsprechend heftig war daraufhin der Gegenwind.

Die Kunden unterstützen

Nachhaltige Produkte wie Green Loans (oder ESG linked Loans) spielen bei der Umsetzung der ESG-Strategie eine entscheidende Rolle. Neben der Berücksichtigung und Integration von ESG-Aspekten in bestehende Bankprodukte bieten einige Institute auch nachhaltigkeitsbezogene Tools und Services wie Lösungen zum Immobilienmanagement an. Hier tun sich also völlig neue Geschäftsfelder auf, in denen Institute aktiv sein können. Bei einigen sind diese im Aufbau, der Großteil hat erst gerade begonnen.

Darüber hinaus sind die Institute auch an weiterer Stelle gefragt: Denn um regulatorische Anforderungen wie aus der EU-Taxonomie zu erfüllen, müssen auch Bankkunden einiges leisten, beispielsweise beim Reporting. Hier können Institute ihre Kunden unterstützen, um diese finanzierungsfähig zu halten - indem sie etwa dabei beraten, welche Daten bei einer Immobilie bereitgestellt werden müssen, um einen bestenfalls günstigeren Green Loan zu erhalten. Das ist kein Selbstläufer, da die Institute die dafür nötige Kompetenz, beispielsweise in so genannten ESG-Advisory- Teams, aufbauen und dies alles mit den übergreifenden ESG-Zielen in Einklang bringen müssen.

Den Tsunami an Themen managen

Welcher Weg führt also zum Erfolg? Wer bei Nachhaltigkeit Ambitionen hat, hat zugleich unterschiedliche Handlungsfelder und Entscheidungsbedarfe. Zuvorderst ist es entscheidend zu definieren, welche Priorität Nachhaltigkeit im Haus hat. Der Umgang mit dem Thema sollte dabei ausreichend ambitioniert sein, um die Organisation zu mobilisieren, und gleichzeitig in einem schwierigen Marktumfeld realisierbar sein. Für den Erfolg ist es wichtig, sich eigene, ambitionierte Ziele zu setzen. Nur mit einer entsprechenden Strategie und eigenen Messgrößen für den Erfolg kann es Kreditinstituten gelingen, in Sachen Nachhaltigkeit ein individuelles Profil zu entwickeln.

Da ESG weiterhin einer großen Dynamik unterliegt, bleibt es entscheidend, den Tsunami an Nachhaltigkeits-Themen sinnvoll zu managen. Dabei gilt es, immer neue regulatorische Anforderungen zu verstehen und im Kontext der Bank zu priorisieren und abzuarbeiten. Dennoch wird Nachhaltigkeit im Finanzsektor in Zukunft mehr als eine Pflichtübung sein. Entsprechend sollten Banken die Balance zwischen regulatorischen und nicht-regulatorischen Themen aktiv managen. Nur so lassen sich die Chancen aufzeigen, die sich durch die notwendige Transformation der Wirtschaft am Markt ergeben.

Bei all dem bleibt nicht zu vergessen, dass die angestrebten Veränderungen auch in den operativen Prozessen des Tagesgeschäfts sowie den Systemen ankommen müssen. Daher ist es entscheidend, sich frühzeitig damit zu befassen, ob im Einzelfall eine schnelle pragmatische oder doch eine allumfassende Lösung angestrebt werden soll.

Unerlässlich ist zudem, das Thema ESG umfassend in der Organisation zu verankern. Bisher wurden vielerorts Task-Forces oder Projekte aufgesetzt und in den zentralen Nachhaltigkeitseinheiten Personal aufgebaut. In Zukunft wird es nun darum gehen, diese temporären Organisationen in den Regelbetrieb zu überführen: Dabei sollte ein zentrales ESG-Team etabliert werden, aber zugleich Personal mit ESG-Expertise und neuen Kompetenzen in Markt- und Steuerungseinheiten aufgebaut und ausgebaut werden.

Und zu guter Letzt: Es ist absehbar, dass die Nachfrage nach nachhaltigen Produkten und Services auch in Zukunft weiter zunehmen wird. Für Banken ergeben sich dadurch neue Marktchancen. Diese müssen sie jetzt erkennen - und ergreifen.

Christoph Betz , Partner , KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Frankfurt am Main
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