NACHHALTIGKEIT

Nachhaltigkeit als Wert

Markus Groß-Engelmann; Foto: Concern GmbH

Nachhaltigkeit kann den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen positiv beeinflussen. Ob das gelingt, so die Autoren, hängt in starkem Maße davon ab, mit welcher Haltung sich ein Unternehmen diesem Wert nähert. Wichtig sind dabei Wirkungsketten von der Definition dessen, was bewirkt werden soll, bis hin zu den Maßnahmen mit denen diese Wirkung belohnt werden kann. Das Zauberwort lautet dabei Verstetigung. Bloße "Aktivierungsworkshops" reichen nicht, sondern können sich sogar als kontraproduktiv erweisen. Gelingt die Umsetzung, dann wird das vermeintliche Gutmensch-Image zum Management-Tool. Red.

Folgt man dem Brundtland-Report, dann bezeichnet der Begriff Nachhaltigkeit eine Entwicklung "that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs" (World Commission on Environment and Development 1987). John Elkington hat auf dieser Grundlage die Drei-Säulen-Theorie (Triple Bottom Line) entwickelt, die auf den Säulen Ökonomie, Ökologie und Soziales basiert (Elkington 1997). Es geht im Kern um eine Abwägung beziehungsweise integrative Betrachtungsweise unterschiedlicher legitimer Ansprüche von Anspruchsgruppen (Freeman 2002). Jedem Anspruch liegt eine bestimmte Haltung zugrunde, die die jeweiligen Einstellungen, Überzeugungen und Routinen wiederspiegelt.

Zwei Verkürzungen sind in diesem Zusammenhang vorzubeugen. Der ersten Verkürzung liegt die Annahme zugrunde, dass Nachhaltigkeit lediglich Umweltaspekte, also die ökologische Dimension, beinhalte. Richtig ist zwar, dass die Nachhaltigkeitsbewegung ursprünglich ökologisch motiviert war. Dennoch umfasst Nachhaltigkeit heute mehr als allein die Bekämpfung des Klimawandels (zum Beispiel gerade medienwirksam durch die "Fridays-for-Future-Bewegung" initiiert) oder unternehmensinterne Umweltprojekte (zum Beispiel das Papier- oder Energiesparen).

Die zweite Verkürzung betrachtet Nachhaltigkeit lediglich als den nachhaltigen Unternehmenserfolg. Richtig ist zwar, dass die Orientierung an dem Unternehmenswert eine Ex-ante-Betrachtungsweise darstellt, die einen zukünftigen Zustand (den Erwartungswert) aus einer Gegenwartsperspektive heraus betrachtet. So errechnet sich der Shareholder-Value unter anderem als Diskontierung zukünftiger freier Cashflows. Allerdings betrachtet der nachhaltige Unternehmenserfolg eben nur die ökonomische Dimension.

Der Grundgedanke von Nachhaltigkeit liegt also in der ausgewogenen Balance der drei Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales.

Vier Wertepositionierungen von Nachhaltigkeit

Betrachtet man Nachhaltigkeit als Wert, so lassen sich vier unterschiedliche Haltungen identifizieren.*

- Basale Haltung von Nachhaltigkeit als Wert: Ohne Nachhaltigkeit wird die Welt zerstört!

- Funktionale Haltung von Nachhaltigkeit als Wert: Kennzahlen und Wirkungsketten bewirken Nachhaltigkeit!

- Emotionale Haltung von Nachhaltigkeit als Wert: Wir haben Spaß bei der Umsetzung von Nachhaltigkeit und nachhaltig ausgerichtete Unternehmen sind attraktiv für Kunden und Mitarbeiter!

- Transformationale Haltung von Nachhaltigkeit als Wert: Nachhaltigkeit ist Kult - wir teilen eine gemeinsame Vision, spüren unsere Selbstwirksamkeit und wollen die Welt verbessern!

Der Erfolg eines Unternehmens - zum Beispiel im Bereich Führung und Zusammenarbeit - hängt stark davon ab, wie Nachhaltigkeit als Wert verstanden wird. Betrachtet ein Unternehmen Nachhaltigkeit mit einer basalen Haltung, also als eine Art Selbstverständnis, dann taucht es in der Regel kaum explizit in der Strategie, der Struktur und der Kultur einer Organisation auf: Man tut die Dinge eben - was sollte man auch sonst tun?

Betrachtet ein Unternehmen Nachhaltigkeit mit einer funktionalen Haltung, also als technischen Wirkzusammenhang, dann wird man das Unternehmen vermutlich sehr eng über Kennzahlen steuern. Für die Strategie heißt das, ein klares Portfoliomanagement voranzutreiben mit Exit-Optionen für nicht-nachhaltige Geschäftseinheiten und Entwicklungsoptionen der nachhaltigen Geschäftseinheiten. Die Struktur ist eher klar gegliedert, anreizsensitiv, meist hierarchisch.

Betrachtet ein Unternehmen etwa Nachhaltigkeit mit einer emotionalen Haltung, dann wirkt sich das vor allem. im Bereich der Kultur aus - Wertschätzung, wechselseitige Motivation, Auszeichnungen, Kampagnen oder Agilität könnten Ausprägungen sein.

Betrachtet ein Unternehmen Nachhaltigkeit aus einer transformationalen Haltung heraus, so geht es tief in die kulturelle Prägung einer Organisation und wirkt stark auf den einzelnen Akteur: Mitarbeiter sind stolz auf das Unternehmen, sie brennen für ihre Arbeit, ziehen eine Sinn aus ihrer Tätigkeit, gehen gerne zur Arbeit, sind seltener krank, fühlen sich als wirksamer Treiber für ein gesellschaftlich relevantes Thema. Auch Kunden lassen sich dann begeistern, tragen das Unternehmen stolz nach außen, reden gut über die Produkte und Dienstleistungen und identifizieren sich mit dem Unternehmen.

Nachhaltigkeit ist ein Erfolgsfaktor

Damit ist klar: Unternehmen, die Nachhaltigkeit als Wert verstehen und sich entsprechend konsequent positionieren beziehungsweise danach ausrichten, sind ökonomisch erfolgreich. Aber nicht jedes ökonomisch erfolgreiche Unternehmen ist auch nachhaltig. Die meisten Unternehmen haben ihre Haus aufgaben in Handlungsfeldern wie Compliance, Menschenrechten oder Arbeitssicherheit mittlerweile erledigt. Darüber hinaus sehen die Unternehmen das Thema aber auch zunehmend auf der "Chancen"-Seite. Je weiter sich das Unternehmen von den basalen Werten in Richtung transformationaler Werte entwickelt, umso mehr werden die Chancendimensionen entfaltet.

Die Erwartungen von Regulatoren (zum Beispiel über die Sustainable-Finance-Initiativen) und Investoren (zum Beispiel Larry Finks Letter for CEO 2018, 2019 und 2020, blackrock.com) beschleunigen die Entwicklung dabei, insbesondere auch in den Finanzdienstleistungsbereichen.

Neues Wertefundament

Mitarbeiterbefragungen legen häufig offen, dass Werte in den Unternehmen zum Teil gar nicht bekannt oder im Arbeitsalltag zumindest nicht erlebbar sind. War das lange Zeit auch nicht weiter relevant, so hat sich die Situation durch die aktuellen Transformationsprozesse wie Digitalisierung, New Work, Fachkräftemangel oder Klimawandel grundlegend geändert: Man benötigt ein neues Wertefundament. Auftrag und Zweck des Unternehmens und Sinn der Tätigkeit werden von der jungen Generation hinterfragt wie nie zuvor und überflügeln bei der Arbeitsplatzwahl Entscheidungskriterien wie Verdienstmöglichkeiten und Unternehmensgröße. Unternehmen geraten unter Rechtfertigungsdruck. Viele Unternehmen machen daher Projekte zur (Weiter-)Entwicklung ihres Purposes, wobei Nachhaltigkeit immer einen zentralen Stellenwert hat.

Ein Beispiel ist die Deutsche Bank ("#PositiverBeitrag"). Die Deutsche Bank war im Zusammenhang der Finanzmarktkrise besonders unter Druck geraten und korrigiert bis heute die Folgen einer extremen Shareholder-Value-Steuerung. Sinn und Zweck des Unternehmens werden grundlegend überdacht. Die Bank hatte ein rein ökonomisches Nachhaltigkeitsverständnis auf einer basalen und funktionalen Ebene.

Re-Definition von Sinn

Andere Banken und Versicherungen müssen sicherstellen, dass eine Sinnlosigkeit der Arbeit vermieden wird. Dies ist eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. Denn die genannten Transformationsumstände führen zu einem Perspektivwechsel und damit zu einer Re-Definition von Sinn. So ist es inzwischen Mitarbeitern, Kunden und zunehmend auch Investoren schwer vermittelbar, warum in klimaschädliche Bereiche wie Braunkohle investiert wird. Es gibt gute Beispiele, die diese Transformationsumstände nutzen, um sich explizit nachhaltig auszurichten.

Die GLS Bank und die Bank Tomorrow verfolgen eine konsequente Nachhaltigkeitsorientierung (im Sinne der triple bottom line) auf einer basalen bis transformationalen Ebene. Die GLS Bank ist vorbildlich in der Wirkungskette "Haltung-Handlung-Wirkung", im Strategie-Struktur-Kultur-Mix, in der Öffnung von Bank-Kunde-Region/Gesellschaft. Beide Banken brauchten allerdings keinen Transformationsprozess, weil die Mitarbeiter entweder von Anfang an dieser Vision folgten (GLS Bank) oder aber es fast gar keine Mitarbeiter gibt, weil das Unternehmen als Digital-Unternehmen neu gegründet wurde (Tomorrow).

Die Sparkassen und Genossenschaftsbanken haben das Potenzial, diese Entwicklung in den kommenden Jahren erfolgreich anzugehen.

Voraussetzung für die positive Wirksamkeit von Werten ist, dass Unternehmen in einer Wirkungskette denken und arbeiten. In der Regel geht es um die Frage, welche Werte man leben möchte und wie man diese Haltung in der täglichen Praxis lebt. Entscheidend ist der adäquate tone-from-the-top, die Aktivierung von Purpose im Rahmen von Mitarbeiter-Workshops oder Stakeholder-Dialogen.

Haltung, Handlung, Wirkung

Die zentrale Frage ist, was bewirkt werden soll und wie diese Wirkung belohnend beziehungsweise verstärkend wird und zwar auf organisationaler und individueller Ebene. Denn nur die positive Verstärkung führt zu einer Verstetigung von Verhalten (zum Beispiel die Führungskraft gibt positives Feedback, weil ein Mitarbeiter zu Kunden nur noch mit der Bahn reist oder die Marktkapitalisierung erhöht sich aufgrund der Integration von Nachhaltigkeit in die Unternehmensstrategie). Es ist nicht damit getan, dass Werte nur in Führungs- und Verhaltensgrundsätze überführt werden und praktisch wegdelegiert werden.

Es hat sich bewährt, zunächst eine einfache Wirkungskette "Haltung, Handlung und Wirkung" zu beschreiben und zum Beispiel auf die Triple-Bottom-Line-Dimension Ökologie und Ökonomie anzuwenden. In diesem einfachen Modell kann man die Aufstellung des Unternehmens beschreiben und Lücken feststellen (siehe Abbildung 1).

Werteobjekte und Wertemotive

Die Darstellung zeigt, dass nicht nur Werte und Nachhaltigkeit miteinander verknüpft sind, sondern auch Kultur (im Sinne gelebter Werte) und Strategie untrennbar damit verbunden sind. Der Schritt zur Struktur folgt zwangsläufig, sodass wir von einer werteorientierten Strategie, Struktur und Kultur sprechen. Es ist sinnvoll, die Wirkungsketten für alle wesentlichen Werte eines Unternehmens durchzuspielen und Konsistenz sowie Kohärenz sicherzustellen. Gibt es Lücken oder Konflikte, so erkennt man auch schon ohne Mitarbeiterbefragungen, was funktioniert und gelebt werden kann. Die Wirkungsketten sollten also nicht alleine auf der horizontalen Ebene in sich schlüssig sein. Die Unternehmensführung muss auch sicherstellen, dass es zwischen Werten und Wirkungszielen eine konsistente Steuerungslogik gibt.

Für Unternehmen geht es um die Frage, welche Werte ein Unternehmen besonders ausmachen oder auszeichnen sollen. Man spricht hierbei auch von Kernwerten. Aber wie kommt man erfolgreich zu diesen Kernwerten? Zwei Faktoren sind von besonderer Bedeutung: Werteobjekte und Wertemotive.

Der erste Faktor Werteobjekt ist einfach erklärt. Werte eines Unternehmens adressieren eine oder mehrere Stakeholdergruppen (Freeman, 2002). Der Schwerpunkt der Unternehmenswerte liegt heute eindeutig in der unmittelbaren Sphäre des Unternehmens. Die Werte beschreiben zum Beispiel, dass man sich mit Respekt und Wertschätzung begegnet, Teams divers aufgestellt sein sollen oder sich Bereiche offen und konstruktiv unterstützen. Werte können aber auch auf den Markt und dabei insbesondere auf Kunden bezogen sein. Im Rahmen der Kundenorientierung geht es zum Beispiel aktuell vor allem um die Individualität und Transparenz in der Beratung (zum Beispiel die Initiative faireberatung.com). Die Werte können aber auch auf übergeordnete Gruppen bezogen sein, wie Mitglieder und deren Angehörige von eingetragenen Genossenschaften und Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit oder auf ganze Regionen, wie dies satzungsgemäß im Verständnis der Sparkassen verankert ist.

Der zweite Faktor Wertemotiv bedarf hingegen einer konzeptionellen Einordnung. Werte können verständlicherweise nur dann wirken, wenn sie Motive und Bedürfnisse der Stakeholder ansprechen. Dazu greifen wir unsere vier Motivgruppen basal, funktional, emotional und transformational auf.

Nun kommt ein entscheidender Aspekt. Aus einer Vielzahl von Projekten zum Thema Nachhaltigkeit und Werte wissen wir, dass Werte nicht strukturell einer Klasse von Werteobjekt und Wertemotiv zugeordnet werden können, sondern dies abhängig ist von der Definition und Interpretation des Wertes im Unternehmenskontext. Nehmen wir den Wert Einfachheit, der sicherlich nicht von Apple erfunden wurde, aber gänzlich für Apple interpretiert wurde.

Im Rahmen einer Benchmarking-Studie haben wir dies anhand der Wertepositionierung der Dax-30-Unternehmen und einer Vielzahl von Banken und Versicherungen überprüft und bestätigt. Am Beispiel des Wertes Nachhaltigkeit verdeutlichen wir diesen Zusammenhang (siehe. Abbildung 2).

Differenzierungsmöglichkeiten mit emotionalen Werten

Mit basalen und funktionalen Werten ist eine Differenzierung im Markt kaum möglich. Die basalen Werte zeigen keine Wirkung auf Stakeholder. Die funktionalen Werte sind in der Regel von Spezialisten besetzt. Am Beispiel der Digitalisierung lässt sich das eindrucksvoll zeigen. Die GAFA-Unternehmen haben funktionale Bedarfsfelder wie Information (Google), Einfachheit (Apple), Vernetzung (Facebook) oder Zeitersparnis (Amazon) besetzt. Wir sprechen in diesem Zusammenhang vom Red Ocean der Funktionalitäten.

Im Bereich emotionaler und transformativer Werte hingegen gibt es vielfältige Gestaltungs- und Differenzierungsmöglichkeiten. Hier bewegen sich Unternehmen im Blue Ocean der Werte.

Drei Garanten für den Umsetzungserfolg

Drei Aspekte haben sich dabei als Garanten für den Umsetzungserfolg herausgestellt:

- das Prinzip der verlängerten Wertschöpfungskette,

- das Prinzip der Durchgängigkeit von Handlungsfeldern und

- das Prinzip des Interessenausgleichs.

Das Prinzip der verlängerten Wertschöpfungskette bedeutet, dass ein Wert wie Nachhaltigkeit nicht nur auf die Verantwortung im direkten Unternehmensumfeld, sondern auch darüber hinaus gedacht wird. Gerade Banken und Versicherungen haben lange beim Thema Nachhaltigkeit auf den eigenen ökologischen Fußabdruck geschaut, der im Verhältnis zu Unternehmen im Bereich Industrie, Energie oder Transport denkbar klein ist.

Die Sustainable-Finance-Initiativen forcieren nun auch den Hebel der großen Kapitalanleger auf den Kapitalmarkt. Aber es gibt noch viele weitere Chancen auf der Marktbeziehungsweise Kundenseite, Nachhaltigkeitslösungen anzubieten. Ein sehr operatives Beispiel soll das verdeutlichen. Im Rahmen der betrieblichen Krankenversicherung haben Versicherungen die Möglichkeit, einen Beitrag zur sozialen Nachhaltigkeit ihrer Firmenkunden zu erzielen. Versicherungen können also über Nachhaltigkeit einen Bedarf ansprechen und decken. In Abgrenzung zum Fußabdruck spricht man auch vom sogenannten Handprint.

Bei vielen Finanzdienstleistern werden in der Organisation andere Handlungsfelder verfolgt als auf der Marktseite. Im Hinblick auf den Aufbau von Kompetenz und Effizienz ist es hingegen sinnvoll, soweit möglich Handlungsfelder zu definieren, die in die verlängerte Wertschöpfungskette hinein gehen oder sogar von dort gedacht sind. Am Beispiel des Krankenversicherers kann zum Beispiel Gesundheit beziehungsweise Gesundheitsprävention ein Handlungsfeld sein, das sowohl in der Organisation als auch mit Lösungen für den Markt durchgängig mit Kompetenz und Umsetzungserfahrung verfolgt wird.

Werte müssen erlebbar sein und Wirkung erzeugen

Die Wertematrix verdeutlicht, dass Nachhaltigkeit in Unternehmen in Abhängigkeit von der formulierten korporativen Haltung sehr unterschiedlich umgesetzt und erlebbar werden sollte. Wir setzen voraus, dass Unternehmen ihre korporative Haltung auch tatsächlich umsetzen. Das ist ein hoher Anspruch, der in der Praxis oftmals nicht eingelöst wird. Lippenbekenntnisse und Greenwashing sind häufige Phänomene - bei denen also eine Haltung nur vorgetäuscht, kodifiziert oder geäußert wird, nicht aber in eine adäquate Handlung überführt wird. Wir gehen im Fortgang davon aus, dass rational und ehrlich handelnde Unternehmenslenker Kurzfristigkeit und Bumerang-Effekte eines solchen Handelns antizipieren und vermeiden.

Damit Werte in Maßnahmen, Arbeitsroutinen oder in der Verankerung in der Kultur erlebbar werden (also das Verhalten prägen, das Mitarbeiter zeigen, wenn keiner hinschaut), braucht es konsequente Umsetzung und kontinuierliche Verbesserung. Wahrnehmung und Einstellungen werden nicht durch Leitbilder beeinflusst, sondern durch Erlebnisse und Lernerfahrungen.

Aktivierungsworkshops reichen nicht

Es bedarf der Wiederholung und Bestätigung, bis sich die Einstellungen verfestigen und zum Selbstverständnis von Menschen werden. Es geht also um weit mehr als eine Verhaltenssteuerung etwa durch reine Compliance (Regelbefolgung) oder Identifikation von Rollen (zum Beispiel die eines Marketing-Chefs), sondern um die wirkliche Internalisierung von Werten. Deshalb reichen auch nicht Aktivierungs-Workshops um Veränderungsprozesse zu initiieren. Sie lösen sogar eher Skepsis aus (nach dem Motto, "da haben wir wieder eine Sau durch das Dorf getrieben"), wenn sie sich nicht auch in der Strategie und Struktur des Unternehmens wiederfinden.

So wie Haltung die Grundlage für Handlung sein sollte, ist sich auch die Voraussetzung für Wirkung. Verhaltensänderungen führen zum Delta der Wirkung. Überzeuge ich zum Beispiel Kunden von einem nachhaltigeren Produkt, dann ist dies der Auslöser für öko logische, soziale und ökonomische Wirkung.

Dass dies eine hochkomplexe und ambivalente Aufgabe sein kann, beweisen aktuell vor allem Energie- und Automobilkonzerne. Dass es funktioniert, zeigen aber auch insbesondere die Chemieunternehmen, die diesen Transformationsprozess vor vielen Jahren schon vollzogen haben.

Die Werte-Positionierung

Um genau zu verstehen, wo Unternehmen bei der Positionierung ihrer Werte und ihre Umsetzung und Erzeugung von Wirkung stehen, haben wir ein umfassendes Bewertungssystem entwickelt. Dies haben wir auf Dax-30-Unternehmen und viele Finanzdienstleistungsunternehmen in einem Benchmarking angewendet. Auf zwei Dimensionen lässt sich die Position der Unternehmen dabei einordnen.

Werte: Diese Dimension zeigt die Ambition und Ausrichtung der Unternehmenswerte. Dabei spielen die beschriebenen Faktoren Wertemotiv und Werteobjekt eine wesentliche Rolle. Denn je höher die Unternehmen im Koordinatensystem (Abbildung 3) ihre Werte verortet haben, desto bedeutsamer und damit aktiver sind sie im Geschäftsalltag.

Wirkung: Diese zweite Dimension zeigt auf, wieweit hinter den Unternehmenswerten konkrete Wirkungen verfolgt werden. Die Unternehmen unterscheiden sich signifikant auf dieser Dimension. Während es einige Unternehmen gibt, die konsequent an der Erzielung von Wirkung im Zusammenhang ihrer Werte arbeiten, gibt es viele andere, bei denen kein roter Faden erkennbar ist.

Traditionell spielt der Wirkungsaspekt bei der werteorientierten Führung keine Rolle. Das Thema Nachhaltigkeit ist in diesem Kontext aber ein "Game Changer". Für Nachhaltigkeit ist die Messung und die Erzielung von Wirkung die neue Herausforderung (zum Beispiel Impact-Measurement und -Management). Diese Logik sollte ein Unternehmen für alle Kernwerte übernehmen. Es geht dabei um alle Aspekte der Triple Bottom Line und damit auch um die damit verbundenen ökonomischen Wirkungen.

Vom Gutmensch-Image zum Management-Tool

An dieser Stelle schließt sich der Kreis. Sinn ergibt etwas für Stakeholder, wenn eine Haltung zur Entfaltung gebracht und damit wirksam wird. Dies ist die Grundlage für verstärkende Lernerfahrungen, sei es auf der individuellen Ebene (im Sinne von Selbstwirksamkeit) oder auf korporativer Ebene (im Sinne von Absatzzahlen, Preistoleranz und so weiter). Nur im oberen rechten Quadranten wird Sinn erlebt. Dort sind die Unternehmen verortet, die ihre Werte zur Entfaltung bringen: die Purpose Leader.

Warum sollten Unternehmen sich die Mühe machen, ihre Werte im Allgemeinen und den Wert Nachhaltigkeit im Besonderen präzise zu definieren und wirkungsvoll umzusetzen? Was "Gutmenschtum" anbelangt, ist Larry Fink als CEO von Blackrock sicherlich völlig unverdächtig. Er schreibt in seinem Letter to CEO 2019: "Purpose is not a mere tagline or marketing campaign; it is a company's fundamental reason for being - what it does every day to create value for its stakeholders. Purpose is not the sole pursuit of profits but the animating force for achieving them." Wir können uns dieser Bewertung nur uneingeschränkt anschließen. Denn Werte und Nachhaltigkeit als Wert können einen enormen Nutzen für Unternehmen bringen, da sie an vielen Stellen eines Unternehmens einen signifikanten Beitrag zum Erfolg leisten.

Das mandatorische Dreieck als Grundlage einer fairen Beratung

Von Alexander Brink - Das magische Dreieck der Vermögensanlage hilft dem Berater, seinem Kunden einen wichtigen finanzwirtschaftlichen Zusammenhang zu erläutern. Um es kurz aufzufrischen - es geht um das Zusammenspiel unterschiedlicher, zum Teil konkurrierender Ziele der Geldbeziehungsweise Vermögensanlage: Rentabilität,, Liquidität und Sicherheit.

Der Zusammenhang ist einfach erklärt: Grundsätzlich können immer nur zwei der drei Ziele gleichzeitig für den Kunden erreicht werden. Es geht also um einen Abwägungsprozess. Alles gleichzeitig funktioniert also nicht. Selbst die beste Beratung kommt hier an ihre Grenzen. Gute Kundenberatung identifiziert die Präferenzen des Kunden aus diesem Spannungsfeld und bietet dann ein geeignetes Produkt an.

Die Digitalisierung führt nun dazu, dass diese "Beratungsqualität" in Zukunft mindestens genauso gut, vermutlich sogar deutlich besser von einem digitalen Assistenten wie zum Beispiel von einem Chatbot erledigt werden kann - und auch schon erledigt wird. Die vormalige Zauberkunst löst sich damit in einen banalen Algorithmus auf, der - ist er gut angelernt - in unendlicher Reaktionsgeschwindigkeit eine passende Empfehlung für den Kunden ausspricht.

In Zukunft wird ein neues Konzept für Kundenberater bedeutsam: Das mandatorische Dreieck. Die Mandatorik setzt an einer für Banken wesentlichen Dienstleistung an - der Beratung. Gute Beratung ist nicht nur eine auf präferenzbasierte Allokation von Produkten. Natürlich ist sie das auch. Gute Beratung ist aber auch die bedürfnisbasierte Konsultation auf der Basis von Fairness. Das ist neu!

Individualität, Transparenz und Verständlichkeit

Eine faire Beratung ist auf die drei Werte Individualität, Transparenz und Verständlichkeit aufgebaut. Das Phänomen des mandatorischen Dreiecks liegt nun in der Wechsel- oder Gegenseitigkeit der drei Werte Individualität, Transparenz und Verständlichkeit.

- Individualität bedeutet: Der Kundenbedarf wird korrekt ermittelt und es werden nur passende Produktlösungen angeboten.- Transparenz bedeutet: Alle wesentlichen Informationen werden erläutert, selbst wenn es dazu führen könnte, dass sich Kunden gegen ein Angebot entscheiden.

- Verständlichkeit bedeutet: Der Abschluss wird nur empfohlen, wenn die Kunden die wesentlichen Produktmerkmale verstanden haben.

Ausgehend von einer gestärkten Individualität und Bedarfsevaluation des Kunden werden Produkte transparent und verständlich angeboten. Transparenz und Verständlichkeit richten sich in diesem Sinne an der Individualität aus.

Wettbewerb der Werte

Es geht also darum, das Know-what (das Produkt) und das Know-how (die Beratung) mit dem Know-why (den Werten) zu verbinden. Die Bank hat - berät sie nach den Werten des mandatorischen Dreiecks - ein Differenzierungsmerkmal nicht nur gegenüber der Technik, sondern auch gegenüber der Konkurrenz.

Es wird aller Voraussicht nach zu einem neuen Fairness-Wettbewerb kommen - welche Bank, welcher Bankberater erfüllt das Mandat des Kunden bestmöglich - nicht nur in der Produktauswahl, sondern eben auch in der Art und Weise der Beratung selbst und den dieser zugrunde liegenden Werten? Das ist der Kern des S-Finanzkonzepts der Sparkassen, das ist der Kern der genossenschaftlichen Beratung der Volks- und Raiffeisenbanken und das ist der Kern einiger anderer Banken. Faire Beratung liefert also richtige Produkte, in der richtigen Art und Weise aus den richtigen Gründen.

Literaturhinweise:

Almquist E., Senior J. und Bloch N. (2016) The Elements of Value, in: Harvard Business Review 94(9): 47-53

Brink, A. und Esselmann, F. (2020): Value Positioning and Business Ethics. Keeping Promises as Business Legitimation, in: Rendtorff, J. D. (Ed.): Handbook of Business Legitimation, Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo: Springer (im Erscheinen)

Brink, A. und Groß-Engelmann, M. (2019): Der Blue Ocean der Werte: Werte als neue Währung, in: REthinking: Finance, 1(2), 68-72

Elkington, J. (1997): Cannibals with Forks: The Triple Bottom Line of 21st Century Business, Capstone Publishing Ltd, Oxford.

Groß-Engelmann, M. (1999): Kundenzufriedenheit als psychologisches Konstrukt. Josef Eul Verlag, Köln.

Herzberg, F. , Mausner, B. und Bloch Snyderman, B. (1959): The Motivation to Work, 2. Auflage. Wiley, New York.

Kim, W. C. und Mauborgne, R. (2014), Blue Ocean Strategy, in: Harvard Business Review, 10, 76-84.

Maslow, A. (1954): Motivation and Personality. Harper, New York.

World Commission on Environment and Development (1987): Our Common Future. Oxford: Oxford University Press.

Fußnote

* Diese Einteilung geht auf verschiedene Inhaltstheorien der Motivationsforschung zurück wie zum Beispiel die Zwei-Faktoren-Theorie von Herzberg (1959) oder die Bedürfnispyramide von Maslow (1954). Letzterer Ansatz wurde von Bain aufgegriffen, im Bereich der Wachstumsbedürfnisse differenziert und für die Positionierung von Produkten neu interpretiert (Almquist/Senior/Bloch 2016). Dieser Ansatz unterscheidet funktionale (zum Beispiel Reduzierung von Risiken oder Information), emotionale (zum Beispiel Wohlbefinden und Unterhaltung) und lebensverändernde (zum Beispiel Motivation und Zugehörigkeit) und transzendentale Bedürfnisse. Die beiden Letzteren haben wir zum Bereich transformationale Bedürfnisse zusammengeführt.

Markus Groß-Engelmann, Geschäftsführender Partner, concern GmbH, Köln
Prof. Dr. Dr. Alexander Brink, Professor für Wirtschafts- und Unternehmensethik, Universität Bayreuth
 
Dr. Markus Groß-Engelmann , Geschäftsführender Partner, concern GmbH, Köln
Prof. Dr. Dr. Alexander Brink , Professor für Wirtschafts- und Unternehmensethik, Universität Bayreuth

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