WERTPAPIERGESCHÄFT

Neobroker im Fadenkreuz der Aufsichtsbehörden

Alexander Braun, Foto: Capco

Neobroker wie Robinhood oder Trade Republic haben in Sachen Usability und Einfachheit stellenweise neue Maßstäbe am Online-Brokerage-Markt gesetzt, weshalb sich sogar viele Erstanleger für die Dienstleister entscheiden. Da somit mehr Menschen der Zugang zum Kapitalmarkt erleichtert wird und diese eigenständig für ihre private Altersvorsorge Vermögen aufbauen können, ist dieser Umstand dem Autor zufolge positiv zu bewerten. Manipulative Praktiken, die Nutzer dazu bewegen sollen, möglichst viel zu handeln, sieht er hingegen kritisch. Zu Recht hätten SEC und ESMA inzwischen ihr Augenmerk darauf gerichtet. Red.

Wenn ein neuer Broker auf einen Schlag für 50 Prozent aller Depoteröffnungen eines ganzen Landes verantwortlich ist und damit die etablierten Unternehmen deklassiert, hat dies tiefgreifende Konsequenzen für eine ganze Industrie. So konnte der US-Neobroker Robinhood von 2016 bis 2021 ganze 18 Millionen Depots eröffnen und ist auf eine Bewertung von über 35 Milliarden US-Dollar geschnellt. Das Erfolgsgeheimnis: App-basierter Handel von Wertpapieren mit extrem intuitiver Nutzerführung, der noch dazu kommissionsfrei ist. Unter dem Druck dieses Erfolges haben bereits sämtliche US-Broker von Rang und Namen ihr Gebührenmodell ebenfalls auf kostenlos umgestellt.

Diese Branchendisruption beschränkt sich jedoch nicht nur auf die USA. Auch in Deutschland hat mit Trade Republic ein Neobroker mit vergleichbarem Geschäftsmodell und App-Angebot in nur zwei Jahren am Markt über eine Million Neukunden gewonnen und in der jüngsten Finanzierungsrunde 750 Millionen US-Dollar zu einer Bewertung von 5,3 Milliarden US-Dollar eingesammelt.

Payment for Order Flow als Interessenkonflikt

Während beide Player mit dem Wahlspruch der Demokratisierung des Wertpapierhandels angetreten sind und den Zugang zur Börse vereinfacht haben, ist die Kritik insbesondere im Zuge der Wirren um sogenannte Meme-Stocks zuletzt immer lauter ge worden. Auch die US- und EU-Marktaufsicht SEC und ESMA haben Untersuchungen gegen Neobroker angestoßen. Welche Kritikpunkte stehen im Raum und wie sind diese zu beurteilen?

Da die Neobroker kostenlosen Handel anbieten, müssen sie ihr Geld auf anderem Wege verdienen. Dies geschieht insbesondere über Rückvergütungen, die sie von sogenannten Market Makern dafür erhalten, dass sie Kunden order zur Ausführung an sie weiterleiten. Aus dem Spread von An- und Verkaufspreisen erwirtschaften diese Market Maker ihre Rendite und kompensieren die Broker für das zur Verfügung gestellte Handelsvolumen. Aus den Geschäftsbedingungen von Trade Republic lässt sich entnehmen, dass diese Rückvergütung zwischen 3 Euro und 17,60 Euro pro Kundenorder beträgt. Gemäß Börsenprospekt von Robinhood sind diese "Payment for Order Flow" genannten Vergütungen für über 80 Prozent der Einnahmen verantwortlich.

Wenn aus der eigenen Order derartige Gewinne erwirtschaftet werden können, kommt die Frage auf, ob hier wirklich im Interesse der Kunden gehandelt wird und ihnen tatsächlich die besten Preise für die Ausführung der Order geboten werden. Diese "Best Execution" genannte rechtliche Vorgabe gilt sowohl in den USA als auch in der EU. Besteht also ein Konflikt zwischen den Kundengruppen? Also den Interessen der Privatanleger und den Interessen der Market Maker, wobei Letztere für das Geschäftsmodell der Neobroker entscheidend sind?

Die europäische Marktaufsicht ESMA bejaht dies in einer ersten Analyse und schätzt das Geschäftsmodell in den meisten Fällen als unvereinbar mit dem durch MiFID II gesetzten rechtlichen Rahmen ein. Dies könnte schwerwiegende Konsequenzen für die Neobroker haben, die mangels direkter Transaktionsgebühren weit anfälliger für regulatorische Beschränkungen sind als etablierte Broker. Letztere profitieren ebenfalls von Rückvergütungen, bieten ihren Anlegern allerdings Alternativen zum Routing über einen einzigen Market Maker und haben auch diversifiziertere Einnahmen ströme.

Es ist allerdings fraglich, ob der Spread im Rückvergütungsmodell für die Anleger tatsächlich systematisch nachteilig ist. Aus gegen Robinhood geführten Verfahren und verhängten Strafen lassen sich allenfalls partielle Verstöße gegen die Best-Execution-Maßgabe ableiten, wobei die Untersuchungen der SEC hier noch nicht abgeschlossen sind. Zu welchem Ergebnis die europäischen Aufsichtsbehörden finden, werden die kommenden Monate zeigen.

Förderung riskanter Anlagen

Gerade weil Neobroker selbsterklärt den Zugang zu den Kapitalmärkten demokratisieren wollen und einen hohen Anteil an Erstanlegern vorweisen, ist der einfache Zugang zu Anlagen mit hohem Verlustrisiko wie Derivaten und Kryptowährungen durchaus kritisch zu betrachten.

In Kombination mit der erwähnten Rückvergütung erhält dieser Aspekt besondere Brisanz: Auch wenn der prozentuale Anteil des über sie in Derivate fließenden Anlagevermögens (wie von den Anbietern gerne betont) relativ gering ist, ist er maßgeblich für ihre Einnahmen. Bei Robinhood entfallen nur 2,5 Prozent der Assets under Management auf Derivate. Diese sind jedoch für ganze 38 Prozent der erzielten Einnahmen verantwortlich.

Hierfür sind zwei Parameter maßgeblich: die Rückvergütungen für den Handel mit Derivaten sind deutlich höher als bei Aktien oder ETFs und die Haltedauer ist deutlich kürzer. Ein in Deutschland operierender Anbieter warnt auf seiner Website im Kleingedruckten, dass 72 Prozent der Kleinanlegerkonten beim Handel mit Derivaten Geld verlieren.

Der Anteil von Totalverlusten hierbei dürfte ohne große Fantasie als hoch angenommen werden. Die ganz offensichtlich im Geschäftsmodell begründete Incentivierung dieser Instrumente mit hohem Ausfallrisiko kann folglich nicht im Interesse einer nachhaltigen Anlage und Altersvorsorge liegen.

Gamification als Suchtfaktor

Auch wenn für die deutschen Neobroker keine Zahlen hinsichtlich ihrer Abhängigkeit von Erträgen aus dem Handel mit Derivaten vorliegen, ist von einer ähnlichen Verteilung auszugehen. Es überrascht daher nicht, dass die Anlageform weiter ausgebaut und entsprechend beworben wird. Der flankierende PR-Verweis auf die nur geringe Nutzung ist hier fadenscheinig.

Mit Gamification wird die Anwendung von Erkenntnissen aus der Verhaltensforschung mit dem Ziel bezeichnet, die Nutzungsintensität zu steigern. Abgeschlossene Transaktionen wurden bei Robinhood zum Beispiel mit einem App-basierten Konfettiregen belohnt. Wie man dies von populären Social Media-Apps kennt, ruft sich die Robinhood App zudem möglichst häufig mit Benachrichtigungen in Erinnerung, die zum Öffnen der App einladen.

So sorgen die Standardeinstellungen etwa dafür, dass man als Nutzer mit Benachrichtigungen auf Preisbewegungen von Aktien und auf neue Höchst- und Tiefststände hingewiesen wird - ein Anreiz, die App zu öffnen und zu handeln. Dass solche Mikroimpulse sehr effektiv sind, um Gewohnheiten zu etablieren und die durch sie ausgelösten Serotonin-Ausschüttungen im Gehirn dafür sorgen, dass regelrechte Abhängigkeiten entstehen, ist hinlänglich bekannt. Wie gut dies bei Robinhood funktioniert, belegen die Zahlen: 50 Prozent der Nutzer öffnen die App sieben Mal - pro Tag!

Dass dies im Interesse von Robinhood ist, liegt auf der Hand: Je mehr die Anleger handeln, desto mehr Geld verdient der Anbieter über Rückvergütungen. Dass dies - wie auch der Derivatehandel - einer nachhaltigen Anlage diametral entgegenläuft und somit ein Anbieter wie Robinhood, bedingt durch sein Geschäftsmodell, zum Gegenteil dessen incentiviert, was für die Anleger sinnvoll ist, zeigt die Brisanz eines derartigen Designs. Nicht ohne Grund haben sowohl die SEC als auch die ESMA Gamification Aspekte ausdrücklich zum Gegenstand ihrer Untersuchung erklärt. Robinhood hat die Konfettikanone als effektvollste Demonstration dieser Fehlsteuerung bereits in den Ruhestand geschickt und aus der App entfernt.

In Deutschland weniger ausgeprägt

Gamification basierte Auswüchse sind bei deutschen Anbietern weniger ausgeprägt als beim US-Vorbild. Nichtsdestotrotz ist auch hier und bei Design-Aspekten wie "Dark Patterns", die den Abschluss einer Transaktion einfacher machen als den Abbruch, die Frage angebracht, ob sie im Interesse der finanziellen Gesundheit der An leger - oder vornehmlich auf die kurzfristige Optimierung von Wachstumszahlen der Anbieter ausgelegt sind.

Neobroker haben dank ihres nutzerfreundlichen Designs und ihres kostengünstigen Zugangs den Kapitalmarkt einer breiteren Anlegerschicht eröffnet. Dies ist positiv zu bewerten, da die Ergänzung der Altersvorsorge auf diesem Wege für jeden in Deutschland offensichtlich erforderlich ist. Auch wenn die von den Aufsichtsbehörden vorgebrachten Kritikpunkte in keiner Weise nur diese neuen Player betreffen, scheinen sie hier besonders ausgeprägt zu sein.

Es liegt auf der Hand, dass die Anbieter langfristig nur dann erfolgreich sein können, wenn es auch ihre Anleger sind. Lässt eine einseitig und kurzfristig auf die Maximierung des eigenen Geschäftsmodells angelegte Skalierung aufgrund von Anlageverlusten ausgebrannte Anlegerkohorten zurück, ist dies auch nicht im Interesse der nachhaltigen Entwicklung der Anbieter. Das Einschreiten der Aufsichtsbehörden legt nahe, dass ein regulatorischer Ausgleich zwischen den kurzfristigen Wachstums- und langfristigen Nachhaltigkeitszielen erforderlich sein könnte.

Alexander Braun , Executive Director , The Capital Markets Company GmbH (Capco)
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