NEUE GESCHÄFTSFELDER

Die neue Wertschöpfungskette des Kreditgeschäfts

Jan Enno Einfeld, Foto: Raimar von Wienkowski

Im Firmengeschäft ist für Banken noch Zeit, die Fehler, die sie im Privatkundengeschäft gemacht haben, zu vermeiden, sagt Jan Enno Einfeld. Für die Wertschöpfungskette im Kreditgeschäft heißt das: In der Frage "make or buy" führt "make" über kurz oder lang ins Verderben und "buy" ist häufig schwieriger als gedacht. Bonitätsprüfung oder Scoring auf Basis der technologischen Systeme von Fintechs haben den Vorteil der Skalierbarkeit. Und die auf Machine Learning basierenden Algorithmen werden umso besser, je mehr Daten zugeliefert werden. Davon profitieren zwar alle Kooperationspartner gleichermaßen. Doch nur so lässt sich die Kundenzufriedenheit sichern. Red.

Aus der Disruption wird Kooperation. Gingen junge Start-ups einst mit dem Versprechen an den Start, in der Finanzbranche keinen Stein auf dem anderen zu lassen, erlangen viele Gründer inzwischen die Einsicht, dass ihnen dieses Vorhaben nicht im Alleingang gelingt. Andersherum gilt aber auch: Banken aben in den letzten Jahren oft genug in die Röhre geguckt, wenn sie dachten, sie könnten analoge Prozesse in Eigenregie digitalisieren. "Make" or "buy" beantworten sie inzwischen immer öfter ganz salomonisch mit "Partner".

Ein Effekt: Die Wertschöpfungskette im Kreditgeschäft wird zerteilt, zunehmend insbesondere im Geschäft mit Geschäftskunden. Spezialisten übernehmen einzelne Leistungen wie das technologiebasierte Scoring oder die komplette Kreditentscheidung. Ganz wichtig für Banken dabei: Die Kundenbeziehung geben sie nicht zwangsläufig aus der Hand.

Spezialisierung statt Bauchladen

"Vertikale Integration" war so ein bisschen das Modewort im Fundraising junger Start-ups. Übersetzt heißt dies in etwa so viel: Wir können alles, aber nichts richtig. Daher sollte es im Finanzsektor vielmehr heißen: "Spezialisieren statt Bauchladen!".

Blicken wir auf die Wertschöpfungskette im Kreditgeschäft: Die Kundenbetreuer pflegen den Kontakt zu Kunden, stehen ihnen bei Fragen zur Seite. Benötigen diese einen Kredit, stellen sie einen Kreditantrag, den Sachbearbeiter prüfen. Dafür beziehen sie zusätzliche Daten von Auskunfteien, hierzulande oft von der Schufa. Abhängig vom Scoring treffen Sachbearbeiter eine Kreditentscheidung: ja oder nein, hü oder hott. Das braucht eine ganze Weile. Anfragen gehen per Post hin und her. Kunden sitzen unterdessen auf heißen Kohlen: Sie benötigen ganz dringend Liquidität, um einen Zahlungsengpass zu überbrücken. Im Hintergrund prüfen Fachkräfte der Bank betriebswirtschaftliche Auswertungen, Bilanz und andere Unterlagen, viel Papier also.

Was verdeutlicht uns dieses fiktive Szenario? Analoge Prozesse sind langwierig und vielfach nicht im Sinne des Kunden. Anfragen an Sachbearbeiter dauern lange, Kreditantragsprozesse verschlingen wertvolle Ressourcen - nämlich Arbeitszeit - und ziehen sich aufgrund der aufwendigen Verfahren in die Länge. Wie viel Aufwand die analoge Bonitätsprüfung mit sich bringt, zeigt ein Blick zurück auf die vergangenen Monate: Im Rahmen des Corona-Hilfsprogramms erhielt die KfW bis zum 21. Januar nahezu 115 000 Kreditanfragen. Sachbearbeiter sind kaum in der Lage, alle diese Anfragen zu prüfen und Unternehmen fehlt es an Zeit und Mitteln, darauf zu warten, dass der Kredit bewilligt wird.

Algorithmen analysieren umfassender und schneller

Genau hier sehen Gründer Opportunitäten. Die Machine Learning (ML) basierte Bonitätsprüfungen ist zweifelsfrei einer der Quantensprünge der Finanzindustrie in den zurückliegenden Jahren. Algorithmen können das Risiko besser analysieren, weil sie mehr Daten auswerten und permanent neu lernen und sich optimieren. Außerdem bearbeiten sie diese Datenmengen im Handumdrehen. Einmal entwickelt, sind für das Prüfen der Anträge gar keine oder nur noch ganz selten qualifizierte Sachbearbeiter erforderlich.

Kunden von Finiata tilgen auch während Covid-19 ungefähr genauso zuverlässig und pünktlich ihre Raten wie vor Ausbruch der Pandemie. Die Kreditentscheidung basiert dabei auf dem Algorithmus "Copernicus", der für das Scoring nur einen kurzen Moment braucht und sich durch Machine Learning permanent selbst optimiert. Bei einem Gini-Koeffizienten von 70 liegt die Ausfallquote im niedrigen einstelligen Bereich. Algorithmen prognostizieren valider die Bonität von einem breiteren Spektrum möglicher Kreditnehmer und das komplett automatisch, ohne dass ein Sachbearbeiter wertvolle Arbeitszeit investieren muss.

Nur an Kennzahlen orientiert

Jenseits der höheren Qualität und der Zeit- wie auch Ressourcenersparnis bergen sie aber einen weiteren Vorteil: Algorithmen haben keine Vorurteile und agieren komplett "unbiased". Ob wir Menschen es wollen oder nicht, unterbewusst, ganz ohne dass wir es merken, lassen wir unsere Entscheidungen von nicht rationalen Faktoren lenken. Beispielsweise könnte es sein, dass ein Sachbearbeiter sich bei seiner Entscheidung auch davon lenken lässt, ob er gerade den Wettbewerber eines guten Freundes prüft. Verhaltensökonomisch lässt sich sogenanntes "Nudging" einsetzen, um menschliches Verhalten ganz ohne Verbote oder Gebote in gewünschte Bahnen zu lenken. Wir dürfen nur nicht vergessen, dass die ganze Umwelt voller solcher Nudges liegt, die uns permanent in eine bestimmte Richtung stupsen - manchmal auch entgegengesetzt zu der ursprünglich gewünschten. Algorithmen dagegen bleiben komplett unberührt von solchen Anstupsern emotionaler Art oder der einen oder anderen Verlockung. Sie entscheiden und optimieren sich ausschließlich anhand harter Kennzahlen.

Nudging ist eine verhaltensökonomische Methode, bei der versucht wird, das Verhalten von Menschen auf vorhersagbare Weise zu beeinflussen, ohne dabei jedoch auf Verbote, Gebote oder ökonomische Anreize zurückzugreifen. Die unter anderem aus der Politik stammende Methode zeigt Bürgern Entscheidungsoptionen auf, bei denen die Art der Präsentation Hinweise darauf gibt, welche Option einer Handlungsempfehlung entspricht. Hierzu werden die Rahmenbedingungen der Entscheidungsoptionen bewusst so verändert, dass der Entscheidende sich unbewusst in die gewünschte Richtung entscheidet. Die Mechanismen werden von den Entscheidenden dabei nicht als manipulativ wahrgenommen. Algorithmen sind also in vielerlei Hinsicht das bessere Instrument für eine valide, zügige, qualitativ hochwertige und "unbiased" Bonitätsprüfung.

Frühere Fehler im B2B-Bereich nicht wiederholen

Wo ein echter Mehrwert ist, da ist auch ein neues digitales Geschäftsmodell. Diese lösungsorientierte Denkweise ist die DNA eines jeden erfolgreichen Start-ups. Viele Fintechs im B2B-Bereich träumen dabei nicht in erster Linie von der Weltherrschaft. Fast konservativ lautet das neue Motto der innovativen Digitalunternehmer: Schuster bleib bei deinen Leisten - oder in diesem Fall: Fintech fokussiere dich auf die Technologie. Ihre Stärke ist, wie ihr Name schon sagt, das Automatisieren und Digitalisieren von Prozessen und damit verbunden eine Optimierung und Effizienzsteigerung. Andere Assets sind aber technologischer Innovation mindestens ebenbürtig: Vertrauen der Kunden, Loyalität, Bilanzen, die es ermöglichen, hohe Kreditvolumina zu vergeben, erfahrene Kundenbetreuer.

An vielen Stellen profitieren Bankhäuser von ihrer Tradition. Allerdings haben sie in den letzten Jahren auch feststellen müssen, dass ihre Kernkompetenz mit Sicherheit nicht das Entwickeln neuer digitaler Lösungen ist. "Make" floppte in den allermeisten Fällen. Das Mobile Banking haben im Privatbereich nicht die alten Traditionshäuser groß gemacht, obwohl sie mehr Kapital und Durchschlagskraft gehabt hätten als die neuen Player. Im E-Commerce sind ihnen dadurch Wachstumschancen für einfache Bezahlwege verloren gegangen, im Privatkundenbereich haben sie Kunden an die neuen Mobile-First-Konkurrenten verloren. Tempo war noch nie die Stärke der großen Banken.

Das muss auch gar nicht sein, um zukünftig trotzdem erfolgreich zu wirtschaften. Denn: Wer die eigene Schwäche kennt, kann Lösungen finden. Und die ist in diesem Fall erstaunlich einfach: Wer als Bank selbst keine digitalen Lösungen entwickeln kann, schließt sich mit Fintechs zusammen, die genau dies abbilden. Jetzt ist die Zeit, es im B2B-Geschäft besser zu machen als noch im Umgang mit den Privatkunden.

Ressentiments gegenüber den jungen Akteuren schwinden zunehmend. Denn die Fintechs sind längst aus der Frühphase herausgewachsen. Über 9 Milliarden US-Dollar flossen laut dem europäischen Wagniskapitalgeber Atomicos State of European Tech 2019 in europäische Fintechs. Die Höhe der Investments indiziert: Fintechs genügen auch den hohen Compliance-Anforderungen großer Konzerne.

Alle Geschäftspartner profitieren

gleichermaßen Schauen wir uns die neue Wertschöpfungskette 2.0 im Detail an, wird sich die Bank von morgen auf die Kundenbeziehung und die Vergabe der Kredite fokussieren und diese aus der eigenen Bilanz darstellen. Im Hintergrund aber werden intelligente technologische Lösungen über Schnittstellen, die immer populäreren APIs, also Application Programming Interfaces, die Prozesse im Sinne der Bankhäuser und ihrer Geschäftskunden durchführen.

Die technologischen Lösungen selbst sind skalierbar. Einmal entwickelt, kann das Fintech sie verschiedenen Kunden anbieten, die diese wiederum an ihr Kerngeschäft "andocken". Von Lernfortschritten der Machine-Learning-Algorithmen oder Produktupdates profitieren dann alle Geschäftspartner gleichermaßen. Je mehr Daten in die Algorithmen der Künstlichen Intelligenz einfließen, desto besser arbeiten diese. Elemente der Zuliefererindustrie aus dem Hardware-Bereich können nun auch im Finanzsektor durch das Potenzial von APIs ganz neu gedacht werden.

Betriebswirtschaftlich sinnvoll

Um die betriebswirtschaftliche Sinnhaftigkeit noch einmal vor Augen zu führen: Die Alternative würde bedeuten, dass jede Bank für sich hoch spezialisierte digitale Lösungen einzeln entwickelt, wartet und fortlaufend weiter optimiert, statt dass dies durch professionelle Innovatoren für genau diesen Zweck erfolgt. Man stelle sich vor, welche Ressourcen-Verschwendung damit einherginge, wenn weltweit Bankhäuser teure wie gefragte Programmierer mit der Entwicklung von mehr oder minder gleichen Lösungen setzen würden. Das wäre fast so, als ob jede Gemeinde ihr eigenes Google entwickelt hätte.

Genau das ist auch der große Nachteil an der Strategie "buy". Auch dann würden sich viele Banken parallel um Instandhaltung, Optimierung und permanente Weiterentwicklung digitaler Innovationen kümmern, die doch per se als skalierbare Plattform in einem intelligenten Finanzökosystem funktionieren könnten - wenn sie denn von einem unabhängigen Fintech betrieben werden.

"Make" wird über kurz oder lang daher ins Verderben führen und "buy" ist nicht so einfach wie gedacht. Banken müssen deshalb bereit sein, externen, teils jungen Unternehmen sensible Aufgaben anzuvertrauen - etwa die Bonitätsprüfung und das Scoring. Wer als Bankhaus gewillt ist, die Wertschöpfungskette nicht mehr inhouse alleine abzubilden, hat im Gegenzug deutlich bessere Chancen, im aktuellen Innovationstempo mitzuhalten. Denn irgendwann sind auch loyale Kunden müde, seitenlange Anträge auszufüllen und wochenlang auf einen dringend benötigten Kredit zu warten. Über kurz oder lang werden sich Kunden schlichtweg für das bessere Produkt entscheiden, nicht für den größeren Namen.

Jan Enno Einfeld, Geschäftsführer, Finiata GmbH, Berlin
Jan Enno Einfeld , Geschäftsführer, Finiata GmbH, Berlin
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