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Eine Norm für neues Vertrauen

Dr. Klaus Möller, Geschäftsführer, Defino Institut für Finanznorm GmbH, Heidelberg
Quelle: Defino Institut für Finanznorm

Der Entwurf der ersten in Deutschland entwickelten DIN Norm im Bereich der Finanzberatung steht. Sie soll mehr Professionalität und Effizienz in der Finanzberatung schaffen und damit gleichzeitig Vertrauen zurückgewinnen und neue Rechtssicherheit für Kreditinstitute schaffen. Der Sorge, die neue Norm könne zur "Einheitsberatung" in Deutschland führen, tritt Klaus Möller mit einem Beispiel aus der Medizin entgegen: Standardisiert werden soll - wie in der Medizin die Laboranalyse des Blutes - lediglich die "Diagnose". Die Therapie, sprich die aus der standardisierten Bestandsabnahme abgeleiteten Empfehlungen, sollten dann noch genügend Spielraum für eine Differenzierung lassen. Red.

Geschafft! Als die Mitglieder des hochkarätig besetzten Ausschusses beim Deutschen Institut für Normung (DIN) am 12. April dieses Jahres ihre Arbeitsunterlagen einpackten, war die Erleichterung allseits deutlich zu spüren. Gerade hatten sie nach knapp dreieinhalbjähriger, intensiver Arbeit den Inhalt des Entwurfs für die zukünftige DIN Norm 77230 "Basis-Finanzanalyse Für Privathaushalte" verabschiedet. Die Veröffentlichung des Normentwurfs erwarten sie Ende Mai, die der fertigen Norm Ende dieses Jahres.

Das DIN hat in seiner 101-jährigen Geschichte in Deutschland mehr als 30 000 Normen hervorgebracht. Die DIN Norm 77230 allerdings ist die erste in Deutschland für den Gesamtkontext der Finanzberatung entwickelte DIN-Norm.

Prozessuale Hürden

Der gemeinsame Weg von DIN und Finanzbranche begann vor gut fünf Jahren, als man sich auf Initiative des Defino Instituts für Finanznorm daran machte, den Vorläufer der Norm zu erarbeiten, die DIN SPEC 77222 "Standardisierte Finanzanalyse für Privathaushalte".

Deren Veröffentlichung im April 2014 nach neun Monaten Gremienarbeit weckte Interesse auch bei denjenigen, die das Projekt zuvor nur aus der Distanz beobachtet hatten. Deshalb entschieden DIN und Defino gemeinsam, den Weg weiterzugehen und aus der DIN SPEC eine veritable Norm zu machen.

Drei wesentliche Kriterien unterscheiden die Entstehung einer DIN-Norm von einer DIN SPEC. Zum einen gibt es bei der Erarbeitung einer Norm höhere prozessuale Hürden.

- Zum Beispiel muss zunächst für eine DIN Norm das Gremium, welches sich nach öffentlicher Ausschreibung zusammenfindet, die gesamte betroffene Branche widerspiegeln. Das führte dazu, dass dem Ausschuss für die DIN Norm 77 230 Vertreter von Banken, Versicherungen und Vertrieben, aus Verbänden und Initiativen sowie Verbraucherschützer und Wissenschaftler angehören.

- Zum zweiten hat ein Normausschuss seinen Beschluss im Konsens zu fassen, bei einer so inhomogenen Zusammensetzung keine Selbstverständlichkeit.

- Und schließlich folgt eine mehrmonatige Konsultationsphase, in der die interessierte Fachöffentlichkeit die Möglichkeit bekommt, den Normentwurf zu kommentieren.

Die DIN Norm 77230 regelt "nur" die Finanzanalyse für Privathaushalte

Eine weitere, die wahrscheinlich größte Herausforderung bei der Erarbeitung der DIN Norm 77230, ist die Komplexität des Themas, das deutlich mehr Dimensionen aufweist als die Festlegung von Schraubengewinden. Dabei ist die Aufgabenstellung ganz ausdrücklich nicht die Normung der Beratung, sondern "nur" die der Finanzanalyse privater Haushalte. Aber selbst die hat es in sich: Denn darunter zu verstehen ist die Priorisierung der für jeden einzelnen Privathaushalt individuell relevanten Finanzthemen und die standardisierte Errechnung der quantitativen Orientierungsgrößen zur Deckung der anstehenden Risiken und Erfüllung der Notwendigkeiten. Qualitative Anforderungen an mögliche Bank- oder Versicherungsprodukte zur Lösung der identifizierten Aufgaben sind nicht Gegenstand des Normungsprozesses.

Vergleichbar der Medizin soll jeder Bank- oder Versicherungskunde zukünftig am Ende eines sorgfältigen Analyseprozesses eine verlässliche Diagnose erhalten - egal von welcher Bank oder welchem Finanzberater diese erstellt wird. Die Vision ist: Ein Kunde erhält von zehn unterschiedlichen Beratern ein und immer das gleiche, eben sein persönliches, kundenindividuelles Analyseergebnis - und nicht zehn verschiedene. Letzteres ist in Deutschland nach wie vor gelebte Realität. Und diese Realität ist nicht geeignet, Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Sicherheit zu stiften.

Der jüngst veröffentlichte GfK-Vertrauensindex hat bestätigt, was alle wissen und im Beratungsalltag immer wieder schmerzlich zu spüren ist, was aber vor allem die Rekrutierung von Nachwuchskräften in die Finanzbranche hinein seit Langem erschwert: Das Vertrauen in die deutschen Finanzberater ist schlecht. Nur 43 Prozent der Menschen in Deutschland sagen in Bezug auf ihre Bank: "Ich vertraue voll oder ganz überwiegend." Für ihre Versicherungsvertreter treffen nur 22 Prozent diese Aussage. Dahinter rangieren in der Statistik nur noch die Politiker mit 14 Prozent.

Piloten als Vorbild

Berufsgruppen wie Lehrer, Handwerker, Taxifahrer oder selbst Händler und Verkäufer rangieren weit vor den Finanzberatern. Die Spitzenplätze nehmen wie immer Berufsgruppen wie Feuerwehrleute, Apotheker und Ärzte sowie Piloten (87 Prozent) ein.

Dabei sind zwei Dinge bemerkenswert: International liegen Banker bei 67 Prozent und Versicherungsvertreter bei 51Prozent gefühlter Vertrauenswürdigkeit. Das Problem scheint also hausgemacht und lösbar zu sein. Und: Piloten genießen eine hohe Vertrauenswürdigkeit, obwohl kaum jemand einen Piloten kennt, geschweige denn denjenigen, zu dem man gerade in die Maschine steigt.

Bekannt ist, dass Piloten systematisch und hochgradig standardisiert arbeiten. Selbst bei seinem 10 000sten Start wird ein Pilot penibel seine Checkliste abarbeiten. Hier liegt ein großer Unterschied zur Arbeit von Finanzberatern, die durchaus als sehr Beraterindividuell und bisweilen willkürlich wahrgenommen werden können. Willkür, also mangelnde Nachvollziehbarkeit und Verlässlichkeit, ist keine gute Grundlage für den Aufbau von Vertrauen. Vertrauen aber ist eine unabdingbare Voraussetzung für jede nachhaltig erfolgreiche Finanzberatung.

Nur verbindliche Standards stiften Vertrauen

Vertrauen stiftende Wirkung entfalten Standards freilich nur dann, wenn sie verbindlich sind, und das heißt vor allem: Unternehmens- oder verbandsübergreifend wirken. Unternehmensstandards vereinfachen zwar die internen Arbeitsabläufe und Prozesse und sorgen, soweit sie von den Mitarbeitern anerkannt werden, für eine gewisse Einheitlichkeit. Sie bleiben aber stets mit dem Makel behaftet, dass sie Unternehmensvorgaben bedienen, also gut sind für deren Erlöse und Erträge.

DIN Normen sind frei von diesem Makel, weil sie von allen "interessierten Kreisen", wie es im DIN-Jargon heißt, gemeinsam und im Konsens erarbeitet werden. Und die schließen Verbraucherschützer stets mit ein. Dass sie gerade deshalb durch die geliehene Autorität, die ihnen innewohnt, auch gut sind für die Vertriebseinheiten und ihre Mitarbeiter, belegen die Zahlen der Unternehmen, die seit Jahren nach der DIN SPEC arbeiten.

Zu den Erfolgsgeschichten zählt die der Volksbank Emmerich-Rees, einer mittelgroßen genossenschaftlichen Bank im ländlichen Raum am Niederrhein, also einer klassischen Retailbank. Sie hat als erste Bank im Jahre 2014 die vollständige und korrekte Umsetzung der DIN SPEC 77222 durch sämtliche Privatkundenberater implementiert und damit seitdem nicht nur die Provisionserlöse deutlich gesteigert. Ohne Produkt- und Umsatzvorgaben behauptet die Volksbank Emmerich-Rees die Bastion der DIN-standardisierten Analyse und der darauf basierenden Beratung mit wachsendem Erfolg.

Freilich ließe sich der Zusammenhang zwischen steigender Qualität und steigender Quantität auch ohne Belege glaubwürdig vermitteln. Es erklärt sich nämlich ganz von selbst, dass dauerhaft dem Beratungsgeschäft nur guttun kann, was vor allem und zuerst den Verbrauchern guttut.

Ungerechtfertigte Referenz auf die DIN SPEC untergräbt Vertrauen

Gut tut niemandem die ungerechtfertigte, reinen Marketinginteressen unterworfene Referenz auf die DIN SPEC, wo die angewandte Analyselogik diese nicht wirklich vollumfänglich abbildet. Auch das ist ein leider schon heute auftretendes, vermutlich mit der Veröffentlichung der Norm noch weiter um sich greifendes Phänomen.

Wer so agiert, hilft nicht bei der Vertrauensbildung, sondern untergräbt Vertrauen, gießt Wasser auf die Mühlen der notorischen Kritiker und verhöhnt schließlich diejenigen, die sich zusammen in den letzten dreieinhalb Jahren im und außerhalb des DIN-Ausschusses Abertausende von Arbeitsstunden für eine Stärkung des Vertrauens in die Finanzbranche eingesetzt haben.

Nur standardisierte Prozesse können digital abgebildet werden

Vertrauensbildung ist ein wichtiges, allerdings eben nur ein Argument für die Einführung von Standards rund um den Gesamtkontext der Finanzberatung. Ein weiterer liegt begründet in dem am meisten beschworenen Thema dieser Tage: der Digitalisierung. Es ist evident, dass nur standardisierte Prozesse auch digital abgebildet werden können.

Für den Einsatz im Netz gedachte Analyseprozesse müssen folglich gewissen Standards und Regeln folgen. Und da die wenigsten Verbraucher nur im Netz agieren wollen und der hybride Kunde die Welt des Netzes in der persönlichen Beratung wiedererkennen will - und umgekehrt, muss die persönliche Beratung den Trend mitgehen. Die Deutsche Bank darf diesbezüglich mit ihrem vom Defino Institut zertifizierten Finanzcheck in Anlehnung an die DIN SPEC 77222 als richtungweisend gelten.

Schließlich sei erwähnt, was ebenfalls unmittelbar einleuchtet, nämlich dass standardisiertes Vorgehen die Effizienz und damit auch unmittelbar die Profitabilität erhöht. Es macht Vertrauensaufbau durch künstliche und von den meisten Verbrauchern als unangenehm empfundene Warm-up-Phasen mit mindestens zweifacher namentlicher Ansprache des Gegenüber pro Satz obsolet, weil das Vertrauen aus der Sache an sich und dem sachgerechten Verfahren heraus entsteht. Es beschleunigt - den Checklisten der Piloten gleich - die Abläufe durch professionelle Routine und durch Fehlervermeidung.

Die Wirtschaft durch Effizienz und Vereinfachung zu unterstützen, ist übrigens auch der Anspruch des Deutschen Instituts für Normung. Mit Regulatorik hat das gar nichts zu tun. Weil die Branche gerade so viel Regulatorik erfahren hat, werfen viele gerne auch die DIN SPEC und die kommende Norm damit in einen Topf. Aber empfinden Verbraucher ebenso wie Handwerker oder Händler wirklich genormte Steckdosen als regulatorische Einengung? Sind Normen für Papiergrößen, USB-Anschlüsse oder Wasserhähne für Verbraucher wie Berufstätige Einschränkung oder Vorteil?

Mehr Effizienz und Professionalität für mehr Haftungssicherheit

Für Finanzberater wird die "Konfliktfreiheit" der neuen Norm, also der Umstand, dass es nur eine verbindliche Norm für die Finanzanalyse geben wird, den Vorteil größerer Rechts- und Haftungssicherheit mit sich bringen. Denn Normen sind zwar keine Gesetze und niemand ist verpflichtet, sie einzusetzen. Aber sie haben gesetzesergänzenden Charakter und gelten vor Gericht als "vorweggenommene Gutachten".

Bei Vorwürfen der Fehlberatung werden Richter zukünftig die Finanzberater fragen: "Haben Sie der Beratung eine Analyse nach der DIN Norm zugrunde gelegt?" Wer dann "ja" sagen kann, hat es demnächst leichter im Leben.

Normen machen Individualität erst möglich

So weit so gut. Aber ein Unbehagen bleibt: Wie steht es um die Individualität? Finanzberatung muss doch individuell sein. Rückfrage: Von welcher Individualität ist die Rede? Ist die Beraterindividualität gemeint, also das Recht des Finanzberaters, sich in der Beratung selbst zu verwirklichen, so geht diese durch die Norm bezogen auf die Finanzanalyse verloren. Aber genau dadurch gewinnt die Kundenindividualität, über deren höhere Bedeutung kaum Dissens herrschen kann.

Dazu mag ein weiterer Vergleich mit der Medizin herhalten: Das Blutbild eines jeden Menschen ist individuell. Seine Ermittlung findet in einem hochgradig standardisierten Prozess statt. Der standardisierte Prozess garantiert das individuelle Ergebnis, macht es erst möglich. Was bisher und ohne Norm in der Finanzberatung tagtäglich vieltausendfach passiert, ist übertragen auf die Blutanalyse dieses: Nun möchte sich der Laborant in dem medizinischen Labor irgendwie auch noch in seinem Arbeitsergebnis wiederfinden und piekst sich mal über dem Reagenzglas mit dem Blut des Patienten in den Finger. Anders ausgedrückt: Die neu vorgeschriebene Geeignetheitsprüfung während der Finanzberatung lässt immer noch Spielraum zur Gesprächssteuerung. Mit der Gefahr, doch wieder Vertrauen zu verspielen. Eine vorgeschaltete Analyse nach DIN 77230 hingegen verhindert ein solches Aufweichen der individuellen Kundenbetrachtung.

Auf dem Weg in die Einheitsberatung?

Bleibt noch eine letzte Frage: Steuert die Finanzberatung in Deutschland mit der Norm auf die Einheitsberatung zu? Wo bleiben die Alleinstellungsmerkmale und die Markenidentität der Unternehmen und Berater?

Zunächst sei wiederholt: Standardisiert wird die Analyse, die Diagnose, und nicht die Beratung, also nicht die Therapie. Seine individuelle Expertise und Erfahrung dort erfolgreich und im wohlverstandenen Kundeninteresse einzusetzen, sollte für jeden redlich kundenorientierten Berater Spielraum genug lassen. Im Porsche Cayenne, im Audi Q7 und im VW Touareg sind nicht nur die gleichen Motoren, sondern - geschätzt - überhaupt zu 80 Prozent die gleichen Teile verbaut. Kein Cayenne-Fahrer der Welt setzt sich freiwillig in einen Touareg. Markenidentität und Standards gehen wunderbar zusammen. Die Branche sollte sich an der DIN Norm 77230 versuchen. Im Interesse der Kunden und damit im eigenen Interesse. Auch damit sie weiteren unausgegorenen oder überzogenen Regulierungen seitens der Politik zuvorkommt.

Zum Autor Dr. Klaus Möller, Geschäftsführer, Defino Institut für Finanznorm GmbH, Heidelberg
Dr. Klaus Möller , Vorstand , DEFINO Institut für Finanznorm AG, Heidelberg
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