DIGITALISIERUNG

Omnichannel Management kann die Filialen retten

Dr. Dirk Holländer, Foto: zeb

Der durch Corona verstärkte Digitalisierungsschub muss nicht zwangsläufig mit einem Filialsterben einhergehen, meinen Dirk Holländer und Christian Buddendick. Denn für ein erfolgreiches Omnichannel Management gibt es kein Erfolgsrezept. Sondern sowohl "Digital First" mit Einbeziehung der Filialen als auch reine "Digital Only"-Ansätze können gleichermaßen erfolgreich sein. Dass das Omnichannel Management jedoch positive Auswirkungen auf die Kundenzufriedenheit sowie die Ertragskraft von Banken hat, sehen die Autoren als belegt an. Bei der Umsetzung kann die Kreditwirtschaft noch von anderen Branchen lernen. Red.

Bereits vor der Krise war der Boom von digitalen Kanälen und bargeldlosen Lösungen deutlich spürbar. Dies hat sich in den vergangenen Monaten nochmals erheblich verstärkt. Aktuelle Studien zeigen, dass ein Großteil der europäischen Banken von einer pandemieinduzierten beschleunigten Zuwendung ihrer Kunden hin zu digitalen Kanälen ausgeht. Es zeichnet sich ein dramatisches Bild ab, das in Ankündigungen gipfelt, massiv Filialen und Mitarbeiter abzubauen. Viele Banken forcieren die sowieso geplanten Verkleinerungen ihrer Filialnetze, während Direktbanken mit reinem Online-Zugang zulegen. Indes, ist diese Entwicklung tatsächlich zwingend? Oder gibt es realistische Ansätze, wie der Abbau hunderter Bankfilialen und tausender damit verbundener Arbeitsplätze unnötig werden?

Um diese Frage zu beantworten, lohnt ein Blick auf andere Industrien. Dort haben sich Omnichannel Management (OCM)-Strategien erfolgreich bewährt. Ihnen zugrunde liegt die Idee, das Kundenerlebnis und den Unternehmenserfolg über eine Steuerung der eigenen Prozesse, der Vertriebskanäle, der Produkte und der Kundenkontaktpunkte zu optimieren. Unternehmen wie Apple, Nike, Grainger oder Singapore Airlines zeigen, wie Omnichannel Management branchenunabhängig funktionieren kann. Physische Kundenkontaktpunkte (wie Apple-Stores oder Amazon-Shops) bilden dabei einen integralen Bestandteil, denn sie führen über den Fokus auf die Bedürfnisse der Kunden sowie ein Angebot unterschiedlicher Zugangswege zu einer erheblichen Steigerung des unternehmerischen Erfolgs.

Eine Auswertung von neun OCM-Vorreitern zeigt, wie deren Kapitalmarkt- Performance im Vergleich zum Marktdurchschnitt (gemessen am MSCI World) insbesondere ab dem Jahr 2014, dem Zeitpunkt der breiten Dissemination von OCM, deutlich an Tempo aufgenommen hat. So stieg die nach Marktkapitalisierung gewichtete Aktienrendite der Vorreiter im Omnichannel Management von 2014 bis Ende 2020 um 602 Prozent, die des MSCI World im gleichen Zeitraum lediglich um 99 Prozent.

Die Bankbranche hat diese Entwicklung sehr wohl registriert. Seit dem Jahr 2015 experimentieren Finanzinstitute mit der Einführung von OCM- Konzepten. Dennoch weisen die meisten Banken bisher nur einen mittleren Reifegrad bei der Umsetzung auf. Betrachtet man jedoch Banken genauer, die frühzeitig auf die OCM-Karte gesetzt haben, bietet sich ein positiveres Bild.

Positive Auswirkungen auf Kundenzufriedenheit und Ertrag

Eine Analyse der globalen Top-100-Banken nach Marktkapitalisierung im Hinblick auf ihren Net Promoter Score (NPS - ein Maß für die Kundenzufriedenheit), ihr Ertragswachstum und ihren OCM-Reifegrad zeigt, dass OCM- Vorreiter deutlich häufiger NPS-Werte über dem landestypischen Durchschnitt vorweisen als Nachzügler, was auf einen klaren Zusammenhang zwischen erfolgreichem OCM und Kundenzufriedenheit schließen lässt.

Darüber hinaus sind OCM-Vorreiter meist in der Lage, ihre regionalen Mitbewerber in Bezug auf das durchschnittliche BIP-bereinigte Ertragswachstum (2015 bis 2019) zu übertreffen - diese Kennzahl liegt bei europäischen Vorreitern in der Stichprobe bei minus 0,4 Prozent, bei OCM-Nachzüglern bei minus 2,2 Prozent. Unter den Instituten aus den wachstumsstarken BRICS-Ländern ist diese Diskrepanz sogar noch größer: OCM-Vorreiter weisen hier ein durchschnittliches BIP-bereinigtes Ertragswachstum von 5,1 Prozent im Zeitraum von 2015 bis 2019 auf, während die OCM-Nachzügler nur auf 2,1 Prozent kommen.

Net Promoter Scores und durchschnittliche BIP-bereinigte Ertragswachstumsraten der globalen Top-100-Banken Quelle: Bloomberg, Unternehmensberichte, FitchConnect, Global Data, IWF, Thomson Reuters, zeb.research

Auch das Privatkundengeschäft kann profitieren

Besonders im europäischen Privatkundengeschäft stehen Banken unter hohem Ertragsdruck. Sie benötigen dringend Lösungen, um der Abwärtsspirale zu entkommen. Ein Blick auf die Ertragsentwicklung im Retail Business der 19 europäischen Banken unter den globalen Top 100 zeigt, dass OCM- Vorreiter auch hier besser dastehen. Ihre durchschnittlichen, BIP-bereinigten Ertragswachstumsraten blieben hier von 2015 bis 2019 mit knapp minus 0,2 Prozent nahezu stabil, während die OCM-Nachzügler im gleichen Zeitraum einen durchschnittlichen Ertragsrückgang von minus 2,1 Prozent verzeichneten.

Aus unserer Sicht ist damit hinlänglich belegt: Ein gut umgesetztes und praktiziertes OCM kann die finanzielle Outperformance im Bankensektor erheblich antreiben und befördern. Dennoch tun sich viele Banken nach wie vor schwer mit der Implementierung von OCM. Eine allgemeingültige Erfolgsformel gibt es nicht. Stets müssen spezifische Rahmenbedingungen und die DNA einer Bank berücksichtigt werden. Je nach strategischer Positionierung können sich erfolgreiche Implementierungen von Omnnichannel Management erheblich voneinander unterscheiden, wie die DBS Bank (Singapur) und die Lloyds Banking Group (GB) beweisen.

  • Lloyds, als ehemals traditionelle "Brick and Mortar"-Bank, bedient heute ihren vielfältigen Kundenstamm mit einem Multimarken-, Multikanal-Kundenangebot und einem datenzentrierten Kundenerlebnis. Anstatt für "digital only" entschied sich Lloyds frühzeitig für eine "digital first"-trategie: Traditionelle Filialen bleiben eine wichtige strategische Ergänzung zum Angebot an digitalen Kanälen und sind nahtlos in das Kundenerlebnis integriert.
  • Bei der DBS Bank ist die Kundenzentrierung tief in der DNA und Strategie verankert. Sie hat ein offenes Ökosystem mit der größten Anzahl offener APIs unter allen Banken weltweit geschaffen und bietet eine nahtlose Customer Journey für ihre Bankprodukte, bei der sämtliche Kundenbedürfnisse abgedeckt sind. Im Gegensatz zu Lloyds setzte die DBS Bank auf "digital only" und bettet physische Kanäle nur dann in die Prozesse ein, wenn dies zwingend erforderlich ist. Ihre Filialen sind zu zentralen "Pickup-Points" im Rahmen relevanter Customer Journeys erweitert worden. Zu den Leitprinzipien der Transformation gehörten die Postulate "keine Filialen" und gleichzeitig "keine Entlassungen". So wurde sichergestellt, dass alle Mitarbeitenden den Wandel aktiv unterstützen, da glaubhaft gemacht werden konnte, dass sie auch im zukünftigen Setup einen Arbeitsplatz haben werden.

Ob ein "Digital Only"- oder "Digital First"- Grundsatz angewendet wird, hat somit keinen Einfluss auf den Erfolg der kundenzentrierten Transformation. Gleichzeitig zeigen die Beispiele, dass die durch die Pandemie beschleunigten Veränderungen der Kundenanforderungen nicht zwangsweise mit einem "Filialsterben" oder Arbeitsplatzabbau einhergehen müssen. Nicht nur beim Thema Omnichannel Management lohnt es sich daher, die anstehenden Herausforderungen unter dem eigenen Blickwinkel differenziert zu betrachten, wenn man sich zukunftsfähig aufstellt.

Dr. Dirk Holländer , Senior Partner, zeb, Münster
Dr. Christian Buddendick , Senior Manager, zeb, Münster

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