PERSONALMANAGEMENT

Personalarbeit nach Corona: hybrides Arbeiten auch in Zukunft

Swantje Benkelberg, Foto: Fritz Knapp Verlag

Durch die Einschränkungen und Vorsichtsmaßnahmen aufgrund der Pandemie hat sich die Arbeitswelt fundamental verändert. Die Finanzbranche hat dabei von der bereits fortgeschrittenen Digitalisierung profitiert. Auch sie muss sich jetzt die Frage stellen, inwieweit sie in Zukunft wieder zum Status quo zurückkehren kann und will. Bei den Möglichkeiten, auch künftig von zuhause aus zu arbeiten, sind Filialbanken gegenüber Online-Banken und Fintechs vermutlich ein Stück weit im Nachteil. Die ING Deutschland etwa hat bereits eine Gesamtbetriebsvereinbarung verabschiedet, wonach Mitarbeiter auch künftig hybrid arbeiten können. Red.

Nach dem ersten Lockdown hat die Finanzbranche in Deutschland sehr schnell reagiert: Filialen von Banken oder Sparkassen wurden großenteils geschlossen, ein Großteil der Mitarbeiter von Unternehmen der Finanzbranche wurde quasi von heute auf morgen ins Homeoffice geschickt, wie es beispielsweise die beiden Versicherer Zurich und R+V berichteten. Dabei kam es der Branche zustatten, schon frühzeitig die dafür notwendige Technik auf den Weg gebracht zu haben - von der Ausstattung der Mitarbeiter mit Laptops für die Arbeit daheim bis hin zur Einführung von Tools für die Videoberatung.

Nun scheinen sich die Verhältnisse mit dem Fortschreiten der Impfkampagne wieder zu normalisieren. Und damit stellt sich die Frage, wie es nach der Pandemie weitergehen soll. Noch während in der Politik über eine Lockerung der Verpflichtung, Homeoffice zu ermöglichen, diskutiert wird und andererseits die Forderung erhoben wird, für Arbeitnehmer ein Recht auf mobiles Arbeiten einzuführen, hat sich die Finanzbranche offenbar auf den Weg in diese Richtung gemacht.

Starkes kulturelles Umdenken

Der Studie "Potenzialanalyse Resilienz" von Sopra Steria in Zusammenarbeit mit dem FAZ-Institut zufolge, für die im Februar 2021 294 Führungskräfte aus den Branchen Finanzdienstleistungen, verarbeitendes Gewerbe und öffentliche Verwaltung/Versorgungsunternehmen befragt wurden, hinterfragen 90 Prozent der Banken und Versicherer etablierte Arbeitszeitmodelle und bieten häufiger Teilzeit an. 62 Prozent setzen auf mehr Eigenverantwortung bei den Mitarbeitern, um Stress zu vermeiden.

Das kulturelle Umdenken fällt in der Finanzbranche sogar besonders stark aus. Während beispielsweise in der verarbeitenden Industrie nur 37 Prozent der Unternehmen angeben, dass die Pandemie bei ihnen eine Veränderung der Unternehmenskultur bewirkt habe, kommen die Finanzdienstleister mit 62 Prozent auf einen deutlich höheren Wert. Damit liegen Banken und Versicherer klar über dem Durchschnitt aller befragten Branchen (48 Prozent). Vielleicht auch deshalb gaben 41 Prozent der Befragten aus der Finanzbranche an, ihr Unternehmen werde die Corona-Krise voraussichtlich sehr gut bewältigen. In der öffentlichen Verwaltung und bei Versorgungsunternehmen meinten das nur 28 Prozent, im verarbeitenden Gewerbe nur 17 Prozent.

Auch der Interim Management Provider Aurum Interim prognostiziert: Der Trend zu mehr Flexibilität wird anhalten. Einmal jährlich untersucht das Unternehmen diese Thematik in Zusammenarbeit mit der CBS International Business School und dem Marktforschungsinstitut Innofact in einem "Flexibilitätsmonitor". Die Erkenntnisse aus dem Corona-Jahr werden als Blaupause für die Zukunft bewertet. Die Pandemie hat demnach zu einem Flexibilitätsboost bei der Arbeitsplatzwahl gesorgt. Mit einem Index von 4,55 von insgesamt sechs Punkten bescheinigen die 536 Befragten ihren Unternehmen eine hohe Flexibilität. Neben dem klassischen Arbeitsplatz, der nach wie vor eine führende Rolle einnimmt, hat sich - getrieben durch Covid-19 - vor allem das Homeoffice-Angebot mit 90 Prozent in Deutschlands Unternehmen durchgesetzt.

Mehr als Homeoffice

Die neue Flexibilität in der Arbeitswelt geht jedoch über das Arbeiten von zu Hause aus hinaus.

Auch Desk-Sharing-Angebote befinden sich nach Einschätzung der Probanden der Aurum-Studie mit 70 Prozent 2020 und einem Plus von 45 Prozent gegenüber 2019 auf Zukunftskurs.

Knapp 70 Prozent der befragten Unternehmensvertreter gaben an, Co-Working-Angebote zu machen, ein Zuwachs um ganze 40 Prozent im Vergleich zu 2019.

Etabliert haben sich in den vergangenen Jahren darüber hinaus ebenfalls On-Site-Arbeitsplatz-Angebote beim Kunden mit rund 65 Prozent (Vorjahr: etwa 30 Prozent), auch wenn die Corona-Pandemie die breite Nutzung nicht in vollem Ausmaß möglich macht.

Mehr Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung

Gute Noten erteilt die Studie Deutschlands Unternehmen übrigens auch in puncto Flexibilität der Arbeitszeiten. Lediglich 13 Prozent der Befragten sehen eine fehlende Flexibilität im Bereich der Arbeitszeitgestaltung, die Mehrheit stellt den Unternehmen diesbezüglich ein gutes Zeugnis aus.

Teilzeit- und Job-Sharing-Angebote für Führungskräfte unterbreiten 66 Prozent der befragten Unternehmen, für Mitarbeiter sind es 77 Prozent. Dieses Modell wird allerdings nur von einem kleinen Teil der Führungskräfte und weniger als der Hälfte der Mitarbeiter tatsächlich genutzt. Diese Lücke zwischen Angebot und Nachfrage werde sich jedoch perspektivisch verkleinern, meint Axel Oesterling, Geschäftsführer von Aurum Interim Management.

Im Bereich der Arbeitszeitregelungen rangiert aktuell die Gleitzeit an erster Stelle. Mehr als 90 Prozent der befragten Unternehmen nutzen sie, das entspricht einem leichten Anstieg um 5 Prozent gegenüber dem Vorjahr 2019. Aber auch Arbeitszeitkonten und Vertrauensarbeitszeit sind mit je etwa 80 Prozent weit verbreitet und etabliert. Der Einsatz von Vertrauensarbeitszeit wuchs dabei um fast 15 Prozent.

Führungskräfte lernen dazu

Die Flexibilität von Arbeitsplatz- und Arbeitszeitmodellen zieht zwangsläufig eine verstärkte Nutzung von digitalen Kommunikationstools nach sich. Auch hier hat das Corona-Jahr einen Veränderungsprozess eingeleitet, von dem manches sicher auch in Zukunft erhalten bleiben wird. Die am häufigsten genutzten Kommunikationstools sind laut Flexibilitätsmonitor Teams (80 Prozent), Zoom (78 Prozent), Skype (75 Prozent) und Cisco (71 Prozent). Die Feedback-Kultur hat dabei unter dem digitalen Austausch nicht gelitten, sondern im Gegenteil einen Schub bekommen. So stieg der Index von 3,88 Punkten 2019 auf 4,48 von 6 Punkten im Jahr 2020.

Auch in der Weiterbildung hat die Digitalisierung sich etabliert. Mehr als 50 Prozent der befragten Unternehmen haben ihr Angebot an Webinaren stark bis sehr stark erhöht. Gleichzeitig hat die Pandemie auch zu Lerneffekten an der Unternehmensspitze geführt, so der Digitalverband Bitkom. So haben acht von zehn Managern durch Corona neue Technologien ausprobiert (82 Prozent) und dabei nach eigener Aussage viel über Digitalisierung gelernt (80 Prozent). Ebenso viele (82 Prozent) räumen ein, dass die Corona-Pandemie ihre persönlichen Vorbehalte gegenüber der Digitalisierung abgebaut habe, so das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage unter 502 Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern, Vor ständen und Digitalisierungsverantwortlichen von Unternehmen mit 20 oder mehr Beschäftigten in Deutschland. "In der Corona-Pandemie wurden Unternehmen gezwungen, Homeoffice einzuführen und Prozesse zu digitalisieren - und sehr viele haben dabei bemerkt, dass dies nicht nur eine Notoperation ist, sondern grundsätzliche Vorteile bringt", sagt Bitkom-Präsident Achim Berg.

ING mit neuer Gesamtbetriebsvereinbarung

Ein Beispiel für das neue Denken ist die ING Deutschland. Sie gab am 29. April dieses Jahres bekannt, das mobile Arbeiten in einer Gesamtbetriebsvereinbarung verankert zu haben. Mit dieser mit dem Gesamtbetriebsrat geschlossenen Vereinbarung haben künftig alle Mitarbeiter der Bank die Möglichkeit, zu wählen, wann sie im Büro oder von zuhause arbeiten.

Welche allgemeinen Spielregeln hierfür benötigt werden, legt die Bank gemeinsam mit dem Gesamtbetriebsrat fest. Denn natürlich sind solche Regeln erforderlich, damit das flexible Arbeiten praktikabel bleibt. Bei der konkreten Ausgestaltung der Arbeitsplatzregelung innerhalb dieser Rahmenvorgaben sollen die Beschäftigten im Rahmen ihrer Tätigkeiten, der betrieblichen und gesetzlichen sowie regulatorischen Anforderungen selbstständig festlegen können, wie sie die Kollaboration im hybriden Arbeitsmodell in ihren Teams gestalten.

Nick Jue, CEO der ING Deutschland, begründet die Entscheidung damit, dass das vergangene Jahr gezeigt habe, wie flexibel man sei und wie gut mobiles Arbeiten funktioniert. Und der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Martin Bärwolf sieht einen steigenden Bedarf für individuelle Arbeitsmodelle. Hier könne die Möglichkeit zum mobilen Arbeiten einen wesentlichen Beitrag zur Vereinbarung von Familie und Beruf leisten.

Die Vereinbarung bei der ING sieht zudem ein einmaliges steuer- und sozialabgabenfreies Ausstattungsbudget in Höhe von 1 500 Euro netto vor, um sich für das mobile Arbeiten adäquat einrichten zu können. Zusätzlich zu der vom Arbeitgeber gestellten technischen Grundausstattung kann dieses Ausstattungsbudget in einem internen Online-Store der ING Deutschland zum Kauf von Mobiliar oder technischem Equipment wie höhenverstellbaren Tischen, ergonomischen Bürostühlen oder für einen Monitor eingelöst werden. Und damit die Ausstattung immer auf dem neuesten Stand bleibt, sollen die Mitarbeiter künftig alle fünf Jahre ein neues Budget in Höhe von 1 000 Euro erhalten. Dass die ING damit offenbar auf einem guten Weg ist, lässt sich aus den Ergebnissen einer vom 10. bis 21. Mai 2021 durchgeführten repräsentativen Umfrage von Bitkom Research ableiten: Demnach möchten 51 Prozent der Berufstätigen auch nach der Pandemie ganz oder teilweise im Homeoffice arbeiten.

Das mag auch daran liegen, dass viele Menschen während der Pandemie erstmals Erfahrungen mit dem Arbeiten von zuhause aus gemacht haben. Der Anteil der Menschen, die während der Pandemie ganz oder teilweise im Homeoffice arbeiten, hat sich laut Bitkom von 45 Prozent der Berufstätigen Ende 2020 auf 58 Prozent Ende Mai 2021 erhöht.

Dabei haben die Mitarbeiter ihre Arbeitgeber überwiegend offen für Homeoffice-Lösungen erlebt. 62 Prozent sagen, ihr Unternehmen fördere das Homeoffice. Bei 55 Prozent wird Mitarbeitern auch die nötige Technik zur Verfügung gestellt. Jedes dritte Unternehmen (33 Prozent) übt jedoch auch Druck auf Angestellte aus, damit diese nicht ins Homeoffice gehen. 27 Prozent wurde das mobile Arbeiten verwehrt, obwohl die Tätigkeit aus Sicht der Beschäftigten auch von zu Hause aus hätte erledigt werden können.

Herausforderung für Filialbanken?

Klar ist aber auch: Nicht überall wird der Wunsch nach Homeoffice sich nach der Pandemie in jedem Fall erfüllen lassen. Das dürfte insbesondere für Filialbanken gelten, die schließlich mit persönlichem Service vor Ort und Beratung von Angesicht zu Angesicht punkten wollen und müssen. Schließlich sind genau das die Aspekte, die für viele Kunden für eine Kundenbeziehung zu einer Filialbank ausschlaggebend sind. Natürlich haben sich telefonische und Videoberatung während der Pandemie als tragfähige Alternative zur Beratung in der Filiale erwiesen und ein Teil der Kunden dürfte auch in Zukunft von dieser Möglichkeit weiter Gebrauch machen, die er vielleicht erst durch die Corona-Krise für sich entdeckt hat. Zahlen zum Beratungsaufkommen im Sommer 2020, die von einzelnen Instituten veröffentlicht wurden, zeigen jedoch, dass diese digitalen Lösungen von anderen Kunden - wenn überhaupt - nur als Notlösung verstanden werden und sie verstärkt in die Filialen zurückkehrten, als dies wieder möglich war.

Das wiederum heißt: Zwar ist es gut möglich, dass das Straffen der Filialnetze durch die Pandemie noch einmal einen Schub erfährt. Das aber hat Grenzen - und die wiederum bedeuten, dass nicht jeder Mitarbeiter dauerhaft von zuhause aus wird arbeiten können. Damit wiederum könnte die Filiale sich im Wettbewerb mit den Online-Banken (und Fintechs) einmal mehr als schwierig erweisen, diesmal jedoch weniger mit Blick auf die Kunden, sondern im Werben um Mitarbeiter, die Wert darauf legen, wenigstens teilweise auch im Homeoffice arbeiten zu können. Diese könnten sich künftig stärker als bisher zu den rein digitalen Wettbewerbern von Filialbanken hingezogen fühlen.

Gerade bei den technikaffinen Digital Natives könnte das für die Filialbanken zu einer echten Herausforderung werden. Im Sinne des Employer Branding werden dann andere Aspekte wie Flexibilität bei den Arbeitszeiten oder auch die Verlässlichkeit als Arbeitgeber im Sinne von Arbeitsplatzsicherheit an Bedeutung zunehmen. Vor allem aber wird ein hohes Maß an Kreativität gefragt sein. Wenn es beispielsweise gelingt, Beratungstermine per Videokonferenz an bestimmten Tagen zu bündeln oder die Mitarbeiter Vorbereitungen und Nacharbeiten von daheim aus erledigen können, dann kann es sicher gelingen, auch Beratern in den Filialen den einen oder anderen Homeofficetag in der Woche zu ermöglichen.

Beispiel Volksbank Mittelhessen

Dass das Filialbankkonzept und ein Angebot zum mobilen Arbeiten sich nicht zwingend ausschließen, macht die Volksbank Mittelhessen als eine der ersten Genossenschaftsbanken in Deutschland vor. Dort haben Gesamtvorstand und Betriebsrat Anfang Juni - ähnlich wie zuvor die ING - eine Betriebsvereinbarung unterzeichnet, die Mitarbeitern dauerhaft nicht nur die Option, sondern sogar das Recht auf einen mobilen Arbeitsplatz einräumt.

Dem Umstand, dass Beratungstermine und Service in den Geschäftsterminen auch weiterhin zum Angebot einer Filialbank gehören müssen, trägt der von der Betriebsvereinbarung gesetzte Rahmen Rechnung: So beträgt der Mindestanspruch auf mobiles Arbeiten lediglich einen Tag pro Woche, maximal sind vier Tage möglich, bei einem Pflicht-Präsenztag pro Woche. Wie oft Mitarbeiter in die Bank kommen müssen, wird also vermutlich vom Arbeitsbereich abhängen. Der Mindestanspruch auf einen Tag pro Woche für jeden dürfte indessen bereits ein attraktives Angebot sein, beispielsweise um Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren.

Im Grunde schreibt die Betriebsvereinbarung jedoch - auf Basis der Erfahrungen während der Pandemie - nur Dinge fest, die ähnlich schon zuvor praktiziert worden waren. Vorstandssprecher Peter Hanker verweist darauf, dass "Hausbesuche" beim Kunden oder auch Termine am Arbeitsplatz bereits seit Jahren üblich und mittlerweile auch unterstützende Technologien wie die Videoberatung hinzukommen, die spätestens seit Corona im Alltag der meisten Kunden angekommen sind.

"New Work ist für uns keine neue Erfindung, gelebter Alltag", so Hanker. Eigenverantwortung, Freiheit, Sinn - das alles sind Werte, die wir im genossenschaftlichen Umfeld teilen. Daher gehört auch mobiles Arbeiten selbstverständlich für uns dazu. Gleichzeitig verweist die Bank auch darauf, dass mit der Möglichkeit zum Homeoffice auch Wege und damit CO2 eingespart werden.

Swantje Benkelberg , Chefredaktion, bank und markt, Cards Karten Cartes , Fritz Knapp Verlag
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