Digitalisierung

Plattform - Kollaboration statt Abschottung

Martin Häring, Chief Marketing Officer, Finastra, London
Quelle: Finastra

Für Banken kommt das Prinzip der Plattformökonomie zur rechten Zeit, meint Martin Häring. Denn sie hilft nicht nur, den Kunden neue Services zu bieten, sondern löst zugleich IT-Probleme der Branche. Für die Umsetzung macht der Autor drei Ansatzpunkte aus: offene Schnittstellen, Low-Code-Umgebungen und Cloud-Rechenzentren anstelle der eigenen IT. Wichtig ist aber auch die Vermarktung von Innovationen. Hierzu mahnt Häring das Teilen über einen gemeinsamen App-Store an. Red.

Die Plattformökonomie verändert ganze Branchen und treibt die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle im Zeitalter der Digitalisierung voran. Längst stehen nicht mehr nur Trendsetter wie Amazon, Google oder Facebook an der Spitze dieser Transformation. Auch Institutionen wie das Bundeswirtschaftsministerium haben die Bedeutung von Plattformen erkannt und entsprechende Förderprogramme ins Leben gerufen.

Kerngedanke der Plattformökonomie ist Innovation und Erfolg durch Kollaboration: Viele unterschiedliche Anbieter bringen ihre Stärken auf einer gemeinsamen Plattform ein und erreichen darüber Kundengruppen, die vorher nie in diesem Umfang auf sie aufmerksam geworden wären.

Gleichzeitig profitieren die Kunden von schnelleren, besseren und vielfältigeren Innovationen. Ein Beispiel hierfür sind App-Stores der Apple- und Android-Welt, die Entwicklern, Nischenanbietern und großen Playern gleichermaßen Plattformen für neue Anwendungen bieten. Im Umkehrschluss steigt dadurch auch die Beliebtheit der angebundenen Geräte wie Tablets oder Smartphones, die mit wertvollen, attraktiven Angeboten gefüllt werden.

Keine Innovation ohne Kollaboration

Das Prinzip der Plattformökonomie kommt für Banken gerade zur rechten Zeit, stecken sie doch aktuell in einer der größten Transformationsphasen ihrer Geschichte. Mit über Jahrzehnte gewachsener IT-Infrastruktur belastet, fällt es ihnen schwerer als Unternehmen anderer Branchen, die neuen Herausforderungen der Digitalisierung zu bewältigen.

Dazu kommen neue konkrete Anforderungen an die Finanzindustrie: Der Kunde von heute hat sich an innovative Service-Angebote gewöhnt, die er jetzt auch bei seiner Bank erwartet. Insbesondere durch die großen Plattform-Player wie Amazon oder andere agile Nichtbanken kommt er in Kontakt mit jederzeit und überall verfügbaren Leistungen und Produkten wie Onboarding per Videokonferenz oder Echtzeit-Kundenservice durch Live-Chat. Diese Angebote bekommt der Kunde in traditionellen Filialen meist (noch) nicht, insbesondere nicht rund um die Uhr.

Nicht zu vergessen die rechtliche Seite: Die EU-Zahlungsdienste-Richtlinie PSD2 sorgt dafür, dass Open Banking zur verbindlichen Richtschnur für alle Finanzinstitute innerhalb der Europäischen Union wird. Sie sind dadurch in der Pflicht, den Zahlungsverkehr auch für Nichtbanken zu öffnen. Dies verändert die Spielregeln der gesamten Finanzbranche. Denn die "Marke Bank" verliert an Bedeutung, während innovative, kundenzentrierte Angebote von Fintechs und anderen agilen Unternehmen in den Vordergrund treten.

Mit dem richtigen Plattformkonzept zum Erfolg

Die Folge all dieser Anforderungen: Banken sind mehr denn je gezwungen, ihre Geschäftsmodelle zu überdenken, und zwar vom Frontend bis ins Backend. Kaum eine Bank wird diese Transformation allein bewältigen können, auch das haben die vergangenen Jahre gezeigt.

Die meisten Banken haben diese Herausforderung inzwischen erkannt und verstanden, dass ihnen Kollaboration auf lange Sicht besser weiterhilft als Abschottung und Beharren auf dem Althergebrachten: Mehr als 91 Prozent aller von Capgemini befragten Finanzinstitute gehen davon aus, dass sie künftig mit Fintechs zusammenarbeiten werden.1)

Das Plattformkonzept liegt als Basis für diese Kollaboration weit vorn. So hat eine Umfrage der Banking-Organisation Efma in Zusammenarbeit mit Finastra ergeben, dass für 58 Prozent aller Bankverantwortlichen das "Bank-as-a-Platform-Konzept" der beste Ansatz ist, um Open Banking und PSD2 zu adressieren.2)

Doch wie lässt sich das Konzept in der Finanzbranche praktisch umsetzen und welche Kriterien sind essenziell für eine erfolgreiche Zusammenarbeit von Banken, Fintechs, Entwicklern und anderen Akteuren?

Offene Schnittstellen funktionieren in beide Richtungen

Die zentrale Basis für offene Bankenplattformen bilden standardisierte Entwickler-Ökosysteme, über die Nutzer wie Banken, Fintechs, Systemhäuser, Beratungsunternehmen oder Hochschulen nach einer Registrierung zusammenarbeiten können. Diese Ökosysteme lassen sich wie folgt charakterisieren:

Über offene Schnittstellen zur Anwendungsprogrammierung - sogenannte Application Programming Interfaces (APIs) - lassen sich neu entwickelte Anwendungen von Fintechs, unabhängigen Software-Anbietern oder anderen Plattformakteuren schnell und einfach an bestehende Kernbankenlösungen anbinden. Denn die REST APIs ermöglichen die Kommunikation unterschiedlicher Programme, Systeme oder Software-Anwendungen, ohne dass ein externer Entwickler dabei tief ins Kernsystem einer Bank oder eines anderen API-Inhabers eingreifen müsste. Neue Dienste oder Apps lassen sich auf diesem Wege innerhalb weniger Tage sehr effektiv in Bankenanwendungen wie zum Beispiel Online-Banking-Portale einbinden. Selbst über Jahre gewachsene Legacy-Umgebungen können durch diese Herangehensweise modernisiert werden.

Der technische Austausch funktioniert aber auch in der anderen Richtung deutlich effizienter - auch Banking-Anwendungen lassen sich besser in die Lösungen von Fintechs, Online-Zahlungsdienste-Anbietern und anderen Marktakteuren integrieren. So profitieren die Plattformteilnehmer und letztlich die Kunden auf beiden Wegen. Denn der Transfer von Know-how ist keine Einbahnstraße.

Schnellere Entwicklung durch Low-Code-Ansatz

Low-Code-Entwicklungsumgebungen sorgen dafür, dass sich Applikationen deutlich schneller erstellen lassen als mit den traditionell verbreiteten Software-Entwicklungsmethoden. Denn durch die visuelle Verknüpfung von Programmelementen muss weniger Quellcode von Grund auf neu geschrieben werden. So gibt es beispielsweise sogenannte visuelle Editoren, mit denen sich Komponenten der Benutzeroberfläche per Mausklick oder Drag-&-Drop kombinieren lassen. Auch Datenmodelle und Businesslogik lassen sich mit diesen Designtools abbilden. Dies ist unter anderem hilfreich, wenn Bankprozesse entworfen werden müssen.

Selbst die Struktur und der Zugriff auf Datenbanken sowie Basisdienste wie Authentifizierung oder Autorisierung können über modulare Low-Code-Bausteine angelegt und definiert werden - natürlich anpassbar an die individuellen Anforderungen jedes Finanzinstitutes. Bei Bedarf werden sie dafür um handgeschriebenen Code erweitert.

Auch die Implementierung funktioniert in Low-Code-Umgebungen deutlich schneller als in traditionellen IT-Infrastrukturen, in denen das Rad jedes Mal neu erfunden wird. Hierfür lassen sich die Anwendungen auf Knopfdruck einsetzen, sodass auch Kosten und Aufwand für Deployment, Setup und Training sowie Projektlaufzeiten sinken. Denn statt eines aufwändigen Onboardings arbeiten wechselnde Teams nun auch flexibler zusammen.

Innovation aus der Cloud

Für Banken war es bisher immer sehr aufwendig, Rechnerkapazitäten im eigenen Data Center aufzubauen und vorzuhalten. Zusätzliche IT-Lösungen und Services ließen sich nur durch eine erweiterte IT-Infrastruktur abbilden - ein weiterer Hemmschuh für die Innovationskraft von Banken, der im Rahmen des Bank-as-a-Platform-Konzeptes eliminiert werden kann.

Im Sinne der Plattformökonomie sollte Innovation nicht aus eigener neuer IT-Infrastruktur kommen, sondern aus der Cloud. Denn dort stehen Ressourcen bedarfsgerecht flexibel und hoch skalierbar zur Verfügung. Auch in puncto Sicherheit sind Cloud-Rechenzentren in Deutschland heute auf dem neuesten Stand, sodass auch Institutionen wie die BaFin den Einsatz von Cloud-Lösungen maßgeblich unterstützen und durch entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen fördern.

Haben sich Finanzinstitute für den Einsatz der Cloud entschieden, sollten sie einen Dienstleister wählen, der die Anbindung und den Zugriff möglichst nahtlos gestaltet, ohne dabei laufende Geschäftsprozesse zu unterbrechen. Ebenso sollten etablierte Kernbankenanwendungen oder digitale Kundenkanäle nicht von Grund auf ausgetauscht werden müssen.

Compliance und standardisierte Abläufe

Kein Sektor ist so stark von Regulierungen und Vorgaben geprägt wie der Bankensektor. Insbesondere in den vergangenen zehn Jahren wurden die Compliance-Anforderungen noch einmal deutlich verschärft. Deshalb muss die Bankenplattform so konzipiert sein, dass alle auf ihr entwickelten Anwendungen die deutschen und europäischen Sicherheits- und Datenschutzanforderungen erfüllen. Ebenso müssen auch aufsichtsrechtliche Vorgaben abgedeckt sein.

Ein weiterer wichtiger Faktor sind Standards: Damit die Applikationen flexibel in verschiedene Bankenumgebungen integrierbar sind, sollten sie den allgemein geltenden Bankenstandards hinsichtlich der Prozesse, Abwicklung von Kundenaufträgen und Mitarbeitereffizienz entsprechen. Auch bei der Auswahl des entsprechenden Cloud-Modells und -Anbieters sollten diese Rahmenbedingungen berücksichtigt werden. Mit Partnern, die über jahrzehntelange Erfahrung im Bankenumfeld sowie lokale Expertise und Präsenz nach deutschem Recht verfügen, sind Finanzunternehmen und Plattformbetreiber auf der sicheren Seite.

Teilen der Innovationen über einen gemeinsamen App-Store

Die beste Innovation ist nutzlos, wenn kein Anwender davon profitiert. Dieses Prinzip haben auch etablierte Technologie-Plattformanbieter wie Apple oder Google bereits von Beginn an erkannt und ihre Produkte mit einem App-Store kombiniert. Diesen Erfolgsfaktor sollten offene Bankenplattformen ebenfalls verinnerlichen - denn in der Vermarktung der fertigen Applikationen liegt ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg. Dabei sollten die App-Stores im Open Banking ohne großen Installations- und Implementierungsaufwand sofort zugänglich sein und fertige Apps möglichst übersichtlich darstellen. Geschult durch den täglichen Umgang mit Consumer-Apps auf ihrem Smartphone können sich Nutzer aus dem Ökosystem schnell und einfach orientierten und intuitiv die Anwendung finden, die ihrer Anforderung entspricht. Gleichzeitig sehen sie auf einen Blick, welche App ihnen noch fehlt, und können dies als Feedback in das Plattformökosystem zurückgeben. Mehr Dynamik zum Wohle des Kunden ist kaum möglich.

Die Plattform-Revolution hat schon begonnen

Die klassische Bank als Einzelkämpfer gehört heute eindeutig der Vergangenheit an. In einer globalisierten, digitalisierten Welt ist es ganz selbstverständlich, die Expertise vieler Marktakteure durch Kollaboration für den gemeinsamen Erfolg zu nutzen.

Andere Branchen wie der Technologiesektor haben es vorgemacht und mit bahnbrechenden Innovationen ganz neue Kundengruppen erschlossen sowie Geschäftsmodelle entwickelt, die heute vorbildhaft sind. Man denke nur an die Kundenkontakt- und Distributionskonzepte der nächsten Generation wie den Video-on-Demand-Anbieter Netflix, den Community-Marktplatz Airbnb oder Freemium-Anbieter wie Dropbox.

Diese Innovationen haben das Verständnis des Kunden von heute sowie seine Erwartungen an Dienstleistungen entscheidend geprägt. Finanzinstitute sollten sich daher aktiv an dem Wandel beteiligen und ihre Chance nutzen, sich für die Zukunft zu rüsten. Denn wenn sie es nicht tun, dann tut es der Wettbewerb.

Fußnoten

1) Capgemini: World Fintech Report 2018: www.capgemini.com/news

2) Efma: Bank as a Platform - Essential tools for PSD2 and open banking 2018: www.efma.com/study

Zum Autor Martin Häring, Chief Marketing Officer, Finastra, London

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