REGULIERUNG

Proportionalität in der Bankenregulierung - eine Daueraufgabe

Gerhard Hofmann, Foto: BVR

Eigentlich sollte die für Kreditinstitute aller Größenklassen gleiche Regulierung in der EU Wettbewerbsgleichheit schaffen. Das Gegenteil wurde jedoch erreicht, so Gerhard Hofmann. Zunehmend werden kleine und mittlere Banken von der detaillierten Regulierung überfordert - und das gefährdet die Vielfalt im Bankensektor. Deshalb sieht der Autor Politik, Aufsicht und Bundesbank ge fordert, die Forderung nach mehr Proportionalität in der Bankenregulierung zu unterstützen - zum Beispiel mit der Durchsetzung eines Wahlrechts für kleinere Banken beim Kreditrisikostandardansatz gemäß Basel IV. Leicht wird das angesichts der heterogenen Strukturen in Europa nicht. Red.

Aktuell befinden sich die Banken in der EU in einer anspruchsvollen Situation: Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und die damit einhergehenden niedrigen Margen im Kreditgeschäft drücken die Erträge im klassischen Bankgeschäft bei kleinen und großen Banken. Die digitale Transformation der Wirtschaft erfordert hohe Investitionen und die Regulierung erzeugt kontinuierlich steigende administrative Belastungen. Der Weg zu einer stärker differenzierenden Bankenregulierung, die der Vielfalt der Kreditwirtschaft besser gerecht wird, ist inzwischen geebnet, aber es bleibt noch viel zu tun.

Bis in die achtziger Jahre hinein stellte jeder Staat eigene bankaufsichtsrechtliche Regelungen auf. Mit der beginnenden Globalisierung im Finanzsektor setzte jedoch ein "Wettbewerb der Regulierung" zur Förderung der eigenen Banken ein ("race to the bottom"). Zusammenbrüche einzelner Institute wie zum Beispiel der Herstatt Bank veranlassten die Notenbanken und Aufsichtsbehörden der wichtigsten Industrienationen im Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht, sich auf einheitliche Mindestanforderungen an die Qualität und Höhe des Eigenkapitals sowie auf eine Risikogewichtung der Forderungen (Basel I) zu verständigen.

Regulatorik für große Häuser mit komplexen Geschäften

Diese Regelungen richteten sich wie auch alle nachfolgenden Baseler Vorgaben ausschließlich an große, international tätige Banken. Entsprechend wurden diese Regelungen beispielsweise in den USA auch nur für (einige wenige) Großbanken umgesetzt.

In der Europäischen Union hingegen wurden unter dem Stichwort "Level Playing Field" die Baseler Vorgaben für alle Institute verbindlich gemacht. Diese unterschiedliche Vorgehensweise in den einzelnen Staaten galt auch bei der Umsetzung von Basel II und Basel III. Dabei wurden die Vorgaben des Baseler Ausschusses - nicht zuletzt als Folge komplexerer Bankgeschäfte zum Beispiel in Verbindung mit Derivaten oder Fremdwährungstransaktionen - immer umfangreicher und detaillierter. Die gestiegenen Anforderungen wurden auf andere Bankgeschäfte wie zum Beispiel das Kreditgeschäft oder das Einlagengeschäft ausgedehnt. In der Konsequenz mussten in Europa auch kleine und mittlere Banken im Wesentlichen Anforderungen erfüllen, die für große, international tätige Banken geschaffen wurden.

Regulatorik muss angemessen bleiben

Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass kleine und mittlere Banken mit einer solch detaillierten Regulierung mehr und mehr überfordert werden - und eine Reihe von Detailregeln sind in Bezug auf diese Institute überzogen. Die für die Regulatorik aufzubringenden Sach- und Personalkosten stehen in keinem Verhältnis mehr zu den betriebenen Geschäften und damit einhergehenden Risiken.

Das Ziel der Wettbewerbsgleichheit wird mit einheitlichen Regelungen für alle Kreditinstitute nicht mehr erreicht. Vielmehr führen diese zu erheblichen Wettbewerbsnachteilen bei kleineren Instituten, da Regulierungskosten Fixkosten sind, mit der Konsequenz, dass diese aus dem Markt gedrängt werden oder fusionieren müssen. Es war daher dringend erforderlich, dass ein Umdenken in den gesetzlichen Vorgaben, in der Aufsicht und in Abwicklungsfragen stattfindet. Sowohl die Regelungen als auch deren Anwendung im Aufsichtsprozess müssen nach Größe, Geschäftstätigkeit und insbesondere Risikoprofil der Institute differenzieren. Erste wesentliche Schritte konnten, auch durch die konsequente Interessenvertretung der Deutschen Kreditwirtschaft erreicht werden.

CRR II - ein wichtiger Meilenstein für kleine Institute

So wurden in der Gesetzgebung im vergangenen Jahr im Rahmen der Anpassung der Kapitaladäquanzverordnung CRR (CRR II) erstmals in der Europäischen Union konkrete Erleichterungen für kleine und nicht komplexe Institute verankert. Instituten mit einer Bilanz summe bis fünf Milliarden Euro, die nur eingeschränkt Handelsgeschäfte und Geschäfte mit Derivaten betreiben und deren Risikoprofil nicht erhöht ist, werden ab dem Jahr 2021 Erleichterungen im Bereich der Offenlegung, dem Meldewesen und bei der Ermittlung der langfristigen Liquiditätskennziffer (NSFR) eingeräumt.

Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung; das Ziel einer umfassenden proportionalen Vorgehensweise in der Bankenregulierung ist damit aber noch nicht erreicht. Die Verankerung einer Definition von kleinen und mittleren Instituten im europäischen Aufsichtsrecht (CRR II) war ein wesentlicher Schritt, auf den nun aufgebaut werden muss, um dem in den europäischen Verträgen verankerten Prinzip der Proportionalität (hier der Bankenregulierung und Aufsicht) Rechnung zu tragen.

Flexibles System der Regulierung nötig

Bei jeder künftig anstehenden Regulierung sollte die Frage geprüft werden, ob die vorgesehene Änderung für alle Institute unter dem Aspekt der Kosten und Nutzen für die Finanzstabilität und das Funktionieren des Bankensystems erforderlich ist. Und falls dies bejaht wird, wäre zu definieren, wie sie proportional ausgestaltet werden kann, sodass sie sowohl den Gegebenheiten bei Großbanken als auch denen von kleinen und mittleren Instituten Rechnung trägt.

Es kann nicht politisch erwünscht oder hingenommen werden, dass der wirtschaftliche und regulatorische Druck kleinere und mittlere Institute mit funktionierendem Geschäftsmodell zur Aufgabe zwingt. Diversität im Bankensystem ist ein starker Beitrag zur Diversifikation von Risiken und zum Wettbewerb mit viel Wahlfreiheit für Kunden. Während und nach der Finanzkrise 2008 ff. haben gerade kleine und mittlere Banken ihre Resilienz bewiesen und wesentlich zur Stabilität des Bankensystems insgesamt sowie zur weiteren Kreditversorgung der Wirtschaft beigetragen.

Zwar zeigen sowohl das bereits angesprochene System in den USA als auch das erst kürzlich eingeführte Schweizer Kleinbankenregime, dass das Nebeneinander unterschiedlicher Regelwerke für Banken auf einem Markt funktionieren kann. Allerdings ist dabei zu beachten, dass sowohl in den USA als auch in der Schweiz die Marktgegebenheiten anders sind als in der Europäischen Union. Denn hier ist der Wettbewerb zwischen großen und kleinen Instituten deutlich ausgeprägter.

Zur Sicherung eines "Level Playing Field" erscheint es nachvollziehbar, ein gemeinsames Regelwerk vorzuhalten, in dem aber in den administrativen Vorgaben (nicht bei den Eigenkapital und Liquiditätsanforderungen) gezielt Erleichterungen für bestimmte Institutsgrößen und Geschäftsmodelle geschaffen werden. Bei konsequenter Fortentwicklung dieses Ansatzes dürfte am Ende ein Rahmenwerk stehen, das in differenzierender Weise die Aufsichtsanforderungen für Banken unterschiedlicher Komplexität besser als heute regelt und den Wettbewerb fördert.

Basel IV: Umsetzungsprobleme kleinerer Institute nicht im Blick

Die anstehende Umsetzung der Finalisierung von Basel III in der EU, vielfach auch Basel IV genannt, wird das Thema Proportionalität zwangsläufig aufwerfen. Im Baseler Ausschuss wurde der Kreditrisikostandardansatz, der die Eigenmittelunterlegung von Kreditrisiken im Bankbuch regelt, überarbeitet. Hintergrund war nicht etwa die Erkenntnis, dass der bisherige Ansatz für kleine und mittlere Banken nicht mehr risikoadäquat sei. Vielmehr wurden die Änderungen vorgenommen, um diesen Ansatz auch für große international tätige Banken, die die Berechnung der Eigenmittelanforderungen mit internen Modellen vornehmen, bei der Ermittlung der Eigenmitteluntergrenze (so genannter Output Floor) anwendbar zu machen.

Für kleine und mittlere Banken, die keine internen Modelle anwenden, führen die Änderungen jedoch zu hohen administrativen Belastungen und Kosten, ohne dass diese Institute dadurch resilienter gegen Krisen würden. Ein Großteil der ausgereichten Kredite müsste dann zum Beispiel anderen Forderungsklassen zugeordnet werden, was mit erheblichem personellen Aufwand verbunden wäre. Diese Institute und deren mögliche Umsetzungsprobleme hatte der Baseler Ausschuss offenbar nicht im Blick.

Kreditrisikostandardansatz: Wahlrecht für kleine Institute

Deshalb ist nun der europäische Gesetzgeber gefordert, entsprechende Anpassungen vorzunehmen. So erscheint es sachgerecht, kleinen Instituten das Wahlrecht einzuräumen, anstelle des geänderten Kreditrisikostandardansatzes den bisherigen Kreditrisikostandardansatz weiter zu verwenden.

Sollte, wie dies erste, aber inzwischen selbst von Aufsehern angezweifelte Studien der EU Kommission und der European Banking Authority (EBA) gezeigt haben, die Anwendung des neuen Kreditrisikostandardansatzes zu höheren Eigenmittelanforderungen führen, so könnte ein entsprechender Skalierungsfaktor definiert werden, der sicherstellt, dass die Beibehaltung des bisherigen Kreditrisikostandardansatzes nicht zu Kapitalvorteilen führt. Es geht also nicht, wie mancher Kritiker des Vorschlages vermuten mag, um niedrigere Eigenkapitalanforderungen für kleine und mittlere Banken, sondern allein um administrative Entlastungen für besonders betroffene Institute.

Schwierige Überzeugungsarbeit in der EU

Die Forderung nach einer deutlich stärkeren proportionalen Regulierung wird in Europa vor allem von denjenigen Mitgliedsstaaten vorgebracht, die über eine wesentliche Zahl kleiner Institute verfügen. Das sind in erster Linie Deutschland, Österreich und Polen. Entsprechend sind auch die Regierungen und die Aufsicht in diesen Ländern Forderungen nach mehr Proportionalität gegenüber aufgeschlossen. Aufgrund der sehr heterogenen Strukturen auf den einzelnen Finanzmärkten in Europa ist es jedoch oft nicht selbstverständlich, auch andere Staaten hinter diesen Forderungen zu versammeln.

- Denn zum einen sind in zahlreichen Ländern nahezu ausschließlich Großbanken aktiv, die von mehr Proportionalität oft wenig oder gar nicht profitieren.

- Aber auch kleinere Volkswirtschaften sind gegenüber Vereinfachungen des Aufsichtsrechts für kleinere Institute nicht immer aufgeschlossen, denn das Bilanzvolumen als Bezugsgröße lässt eine etwa für Deutschland eher kleine Bank im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) möglicherweise als systemrelevant in einem kleinen Land erscheinen, insbesondere wenn das Institut dann auch in nennenswertem Umfang den unternehmerischen Mittelstand bedient.

- Zudem machen die EBA und EZB regelmäßig deutlich, dass es in der Eurozone kein unterreguliertes oder unzureichend beaufsichtigtes Segment kleiner Banken geben darf.

Die Überzeugungsarbeit hinsichtlich der Forderungen nach mehr Proportionalität gegenüber europäischen Behörden und Verbänden kann deshalb nur gelingen, wenn die Petiten von Banken zu mehr Proportionalität von Bundesfinanzministerium, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und Bundesbank unterstützt werden. Dies ist - so unser Eindruck - erneut der Fall.

Neben der Gesetzgebung muss auch im Bereich der Bankenaufsicht das Proportionalitätsprinzip stärker ver ankert werden. Zwar differenzieren heute schon einzelne Regelwerke der Bankenaufsicht, beispielsweise die Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) oder die Institutsvergütungsverordnung, zwischen kleinen und großen Instituten. Ebenso sehen die in Deutschland bisher noch nicht umgesetzten neuen EBA Richtlinien über interne Führungsstrukturen (Internal Governance) und über die fachliche Eignung und berufliche Zuverlässigkeit von Bankleitern (Fit & Proper Guidelines) an vielen Stellen Differenzierungen nach Größe und Komplexität der Unternehmen vor.

Dies ist aber nicht ausreichend. Die Aufsicht sollte den ihr eingeräumten Ermessensspielraum in allen Bereichen effektiver nutzen können und die gestellten Anforderungen an die Banken von deren Risikoprofil, ihrer Größe und ihrer Geschäftstätigkeit abhängig machen. Das verlangt vor allem, dass Proportionalität in den spezifischen Regeln konkret integriert wird, etwa durch Abstufungen oder Alternativen, um damit zu verdeutlichen, wie, wann und welche Anpassungen sachgerecht wären. Nur wenn Ermessenspielräume in den gesetzlichen Grundlagen konkret benannt werden, kann Proportionalität funktionieren. Lösungen, die lediglich eine allgemeine Proportionalitätsklausel einem Regelwerk voranstellen, haben sich nicht bewährt.

Nicht immer haben nur kleine und mittlere Institute mit detaillierten und starren Vorgaben umzugehen. Die im September letzten Jahres von der EBA im Entwurf vorgelegten Leitlinien für die Kreditvergabe sahen grundsätzlich überaus detaillierte und vielfältige Anforderungen an die Prüfung und Prozesse bei der Kreditvorgabe vor. Allein über eine allgemeine Proportionalitätsklausel sollten Aufseher die vorgeschriebenen (umfangreichen) Anforderungen dann im Einzelfall anpassen können. Hier bedarf es vor allem einer oder mehrerer "Wesentlichkeitsschwellen", die Prüfungsverfahren in ein angemessenes Verhältnis zur Bedeutung der jeweiligen Ausleihungen stellen.

Künftig sollten darüber hinaus deutlich stärker als bislang risikoreduzierende Aspekte wie durch bestehende und funktionierende Institutssicherungssysteme berücksichtigt werden. Die Institutssicherung der deutschen Volks und Raiffeisenbanken ist dabei aufgrund ihrer Erfolgsgeschichte und effizienten Strukturen sicher eine hilfreiche Referenz.

Nur durch eine konsequente Fortentwicklung der Proportionalität in der Bankenregulierung kann auch zu künftig das Bestehen regionaler eigenständiger Institute gesichert werden, also eine Struktur des Kreditgewerbes beibehalten werden, die in Deutschland in der Vergangenheit stets die Interessen von Privatkunden, Handwerkern und kleinen Unternehmen bedient hat, und die nicht zuletzt auch in Krisenzeiten die Stabilität des Finanzmarktes befördert hat.

Deutschland gilt als wettbewerbsintensiver Markt. In einem Markt mit nur wenigen Anbietern wäre vieles anders: weniger Wahlfreiheit, höhere Bankzinsen und letztlich auch höhere Risiken für den Steuerzahler. Es lohnt sich, im Rahmen der Regulierung über sinnvolle Alternativen nachzudenken, welche die Vielfalt im Bankensektor erhalten. Für den BVR und die deutsche Kreditwirtschaft insgesamt bleibt daher Proportionalität von Regulierung und Aufsicht eine Priorität in der Interessenvertretung.

Gerhard Hofmann, Mitglied des Vorstands, Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V. (BVR) , Berlin
Gerhard Hofmann , Mitglied des Vorstands , Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V. (BVR), Berlin

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X