KUNDENBETREUUNG

Smart Data in der Kundensegmentierung

Olaf Pulwey, Foto: Bjøern Fehl Photography

Die bewährten Regeln der Kundensegmentierung haben zwar nach wie vor ihre Berechtigung, sie reichen aber nicht mehr aus, sagt Olaf Pulwey. Dabei verfügen Banken und Sparkassen über die erforderlichen Daten, um Beratungskapazitäten treffgenauer einzusetzen. Das Zauberwort dafür heißt "Feinsegmentierung". Mit Smart Data lassen sich in die vorhanden Schubladen der Kundensegmentierung somit gewissermaßen neue Fächer einsetzen, so der Autor. Red.

Seitdem es Kundenbetreuung und -ansprache gibt, existiert auch die Kundensegmentierung. So essenziell sie auch ist, so groß ist oft die Ernüchterung im Anschluss an die Sisyphusarbeit, die diese Aufgabe zweifelsfrei mit sich bringt. Die Grundlagen der Segmentierung bleiben über die Jahre immer dieselben: Je mehr Einkommens- und Vermögensmittel zur Verfügung stehen, umso mehr Beratung und schlussendlich Ertrag tauchen im Forecast auf. Heißt im Umkehrschluss: Wer wenig hat, fällt schnell unter das Betreuungsradar.

Auch Servicekunden bringen Erträge

Zwar haben die altgedienten Regeln der Kundensegmentierung nach wie vor ihre Daseinsberechtigung und für Jahrzehnte hatte ihre Logik durchaus Bestand. Diese klassische Variante, aber tiefer und weiter gedacht, als Basis genutzt und mittels Smart Data gezielt erweitert, ermöglicht neue Qualitäten in der Vertriebs- und Beratungssteuerung. Vermeintliche Servicekunden sollten daher tunlichst nicht vom Ertragspotenzial ausgeschlossen werden.

Nie zuvor waren Menschen so unterschiedlich, so individuell in Lebens-, Stil-, Vermögens- und Karrierefragen. Das Zeitalter des Internets, die damit einhergehende grenzenlose Vernetzung, die maximale Kommunikationsgeschwindigkeit und Informationsverarbeitung und das Überangebot an Möglichkeiten führen jegliches Schubladendenken heute beinahe ad absurdum. Es gibt ihn schlicht nicht mehr, den Kunden A, B oder C. Und es gibt auch nicht mehr den Kunden A, B oder C, den man ohne weitere Unterschiede danebenstellen kann - aus gutem Grund: Die oberflächliche, rein monetäre Bewertung von Menschen reicht nicht mehr aus, wenn es um maßgeschneiderte Strategien zugunsten notwendiger Erträge geht. Mehr denn je geht es heute um individuelle Parameter und Kriterien, die unterhalb grober Segmentierungskriterien zu finden sind.

Daten für Tiefensegmentierung sind vorhanden

Um die möglichst eindeutige Kundeneinteilung nach wie vor als Basis der Vertriebsorganisation heranziehen zu können, ist eine elektronisch gestützte Tiefensegmentierung ratsam. Dazu gehört es auch, Antworten auf folgende Fragen zu finden: Wie veränderte sich das Kaufverhalten? Welche Finanzprodukte sind besonders attraktiv? Liegen Ausschlüsse vor? Wie hoch war der Beratungsaufwand im Zeitraum X? Die gute Nachricht: Die benötigten Informationen liegen in der Regel bereits vor. Und: Die Freilegung, die Hochzeit mit den regulären Segmentierungsdaten und die Rückgabe aufbereiteter Daten zur Entwicklung der Vertriebsorganisation und Beratungsstrategie kann von smarten Systemen wie etwa dem spezialisierten Branchensystem Foconis-ZAK übernommen werden, während der ROI quasi automatisiert generiert wird.

Zauberwort Feinsegmentierung

Angenommen, die Kundin Frau Müller ist Mitte 60. Sie ist früh verwitwet, hat einen Sohn, verfügt über 500 000 Euro liquides Kapital, bewohnt eine geräumige Stadtrand-Villa, ist seit vielen Jahren klassische Private-Banking-Kundin. Ein anderer Kunde, so sagen bisherige Segmentierungskriterien, ist ein direkter Segment-Nachbar von Frau Müller: Herr Prof. Dr. Meyer ist Ende 50, leitet die physikalische Forschungsabteilung der örtlichen Universität, ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder, bewohnt eine üppige Eigentumswohnung im Stadtzentrum, verfügt über 650 000 Euro liquide Mittel und auch er gilt daher gemäß klassischen Segmentierungskriterien ebenfalls als Private-Banking-Kunde.

Was auf den ersten Blick völlig logisch erscheint und das Ertragsherz jedes Vollblut-Vertrieblers höherschlagen lässt, ließe sich mit verhältnismäßig geringem Aufwand um einige interessante Fakten erweitern, die schnell ein sehr viel differenzierteres Bild zeichnen. Das Zauberwort hier heißt "Feinsegmentierung":

Frau Müller nahm allein im vergangenen Jahr fünf und während der letzten fünf Jahre 15 Beratungstermine in Anspruch, verfügt seit mehr als 40 Jahren über tiefgreifende Erfahrungen im Wertpapierhandel, investiert darüber hinaus hin und wieder in vielversprechende Start-ups und lässt sich von ihrem persönlichen Berater regelmäßig über neue oder interessante Finanzprodukte informieren. Außerdem hat sie im Rahmen der letzten Gespräche häufiger über ihren Traum vom Hauskauf auf dem Land als Altersruhesitz gesprochen. Herr Prof. Dr. Meyer hingegen nahm im letzten Jahr keinen Beratungstermin in Anspruch. In den letzten fünf Jahren waren es gerade einmal drei kurze Gesprächstermine mit dem Ergebnis zweier sehr konservativ orientierter Produktkäufe mit geringem Ertragspotenzial. Außerdem sind in seiner Kundendokumentation Ausschlüsse zur Beratung hinsichtlich Wertpapier- und weiteren Anlage-Produkten vermerkt.

Lässt man diese Informationen, die übrigens allesamt nicht erst generiert oder recherchiert werden müssen, sondern im Datenbestand bereits vorliegen, automatisiert kombinieren, entstehen für die Vertriebsorganisation dank wertvoller Erkenntnisse völlig neue Möglichkeiten - und das für jedes Segment.

Sogar das Ertragspotenzial, das hierdurch im Bereich der Servicekunden generiert wird, gießt ein breites Fundament für zukünftige Vertriebsprognosen. Der 19-jährige Studienanfänger beispielsweise: mit kostenlosem Girokonto und verschwindend geringem Nebeneinkommen ist wohl eher kein Ertragsgarant. Erweitert man mittels Smart-Data-Technologie im Sinne der Feinsegmentierung allerdings das Blickfeld, werden unter Umständen auch hier wertvolle Informationen sichtbar. Beispielsweise, dass es sich um den Enkel von Frau Müller handelt, die im Rahmen ihrer Aktivitäten 100 000 Euro Sparguthaben zugunsten ihres Enkels angelegt hat, das zum Abschluss des Studiums ausgezahlt werden soll.

Die Bindung und Auslastung der Beratungskapazitäten ist einer der wichtigsten Faktoren der Vertriebs- und Beratungsorganisation. Daher findet ebenfalls auch der umgekehrte Fall Berücksichtigung: Warum wurde ein junger Student gleichen Segments im vergangenen Jahr fünfmal beraten, obwohl es nie zu Abschlüssen und somit nie zu Erträgen kam? Welche und wie viele Beratungen hätte es stattdessen mit welchen anderen Kunden geben sollen?

Von anderen lernen

Warum sollte sich ein Bankhaus von einem Supermarkt mit Blick auf Kundenanalysen signifikant unterscheiden? Welche Produkte kaufen Familien mit Kindern am häufigsten im Supermarkt? Woher stammen die Kunden mit dem längsten Einkaufszettel? Ist der längste Einkaufszettel auch gleichzeitig der teuerste? Welche Mengen eines Produkts landen in welchem Einkaufswagen? Welche Produkte werden bestmöglich mit dem Fokus auf Kinder platziert? Das sind einige Fragen der Grobsegmentierung im Einzelhandel.

Der Online-Handel hingegen hat sich vor Jahren bereits Smart-Data-Technologien zunutze gemacht und dies mittels Fein- und Tiefensegmentierung perfektioniert. Hier werden mittels intelligenter Algorithmen anhand von Interessen, Kaufverhalten, Produktkategorien und vieler weiterer Feinheiten beispielsweise Wahrscheinlichkeiten dazu errechnet, welche sonstigen Produkte für den Kunden von Interesse sein könnten, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um dem Kunden gezielt Produkt X anzubieten oder welche Produkte wann eine Preisänderung erfahren sollten.

Folglich darf der Online-Handel Banken und Sparkassen durchaus als Vorbild, der Einzelhandel hingegen sollte zwangsläufig als Warnung dienen. Dafür spricht auch die aktuelle Marktentwicklung: Die wie Pilze aus dem Boden schießenden Online-Banken und Finanz-Start-ups nutzen dieselben Mittel und Strategien bei der Kundengewinnung und -bindung wie Online-Händler, die laut Online Monitor 2019 des Handelsverbands Deutschland (HDE) in diversen Branchen den stationären Offline-Handel vor große Herausforderungen stellen.

Beratungsthemen adäquat verteilen

Personen gleichen Segments können sich trotz gleicher Vermögensverhältnisse und gleicher Einkommenssituation als völlig unterschiedlich in Kaufverhalten und Interessen herausstellen - vor allem im Bereich der Finanzprodukte. Die klassische Segmentierung rein nach Finanzsituation und Umsatz deckt nicht alle heute benötigten Informationen ab. Die Kunst besteht darin, das Kauf- und Anlageverhalten im Hinblick auf Finanzprodukte und Interessen der Kunden innerhalb der Segmente zu analysieren.

Die Tiefensegmentierung ist der optimale Weg, um individuelle Prämissen wie die Risikoneigung, die Kanal-Affinität, den Beratungsaufwand der letzten Jahre, persönliche Ziele und Wünsche, Ausschlüsse bestimmter Beratungsthemen und vieles mehr mit Bestandsdaten aus der Segmentierung zu verheiraten. Die Antwort auf die Frage, welche Kunden welchen Segments zu welchem Beratungsthema zusammengefasst werden können, ist dank maximaler Transparenz schnell gegeben. Nur so entsteht nach und nach eine adäquate Verteilung der Beratungsthemen jedes Kunden auf die Expertise der jeweiligen Berater. Zukunftsorientierte Banken und Sparkassen setzen bei der Entwicklung neuer Ansprache- und Vertriebsstrategien darum auf sehr viel tiefer greifende Systeme und Automatismen. Dank Smart-Data-Technologie setzen Finanzhäuser nun weitere Fächer in bestehende Schubladen ein.

Olaf Pulwey, Mitglied des Vorstands, FOCONIS AG, Vilshofen an der Donau
Olaf Pulwey , Mitglied des Vorstands , FOCONIS AG

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