BANK UND MARKT AKTUELL

Systemsprenger Negativzinsen

Frank Kohler, Foto: Max ThrelfallPhoto

Das Urteil der Landgerichts Berlin gegen die Sparda-Bank Berlin in Sachen Verwahrentgelte wird nicht die letzte Entscheidung sein, so die Autoren. Klarheit bringen kann nur ein Urteil des BGH. Sollte dieser sich der Einschätzung der Berliner Richter anschließen, dann ist die Prognose der Autoren düster. Weil Negativzinsen unter solchen Rahmenbedingungen das Finanzsystem ruinieren, käme dann als letzter Ausweg nur noch ein staatliches Bankensystem in Betracht, da es sich privatwirtschaftlich dann nicht mehr betreiben ließe. Red.

Seit sieben Jahren sind Negativzinsen eine finanzpolitische Realität. Willkommen geheißen von EU-Haushaltspolitikern und positiv begleitet von Umverteilungsideologen, die in einer Negativzins-Ökonomie die wahre soziale Gerechtigkeit sehen. Auch eine steigende Inflation kann den Negativzinsen offenkundig nichts mehr anhaben. Und doch treffen Negativzinsen auf ein System, das nicht mit ihnen umgehen kann.

Die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank führt zu einem stetig sinkenden Zinsniveau. Was 2014 als Experiment begann, führt heute dazu, dass die Nettozinsmarge von Banken erodiert und damit ein wesentlicher Bestandteil des Geschäftsmodells deutscher Banken eliminiert wird. Die EZB macht den Markt - obwohl sie eigentlich nur im Rahmen eines Marktes agieren sollte. Gerade hört man von der Präsidentin der EZB, Christine Lagarde, dass trotz der erhöhten Inflation (und weiter zunehmenden Inflationsrisiken) keine Zinswende eingeleitet werde: "Wir nehmen diese Phase der höheren Inflation nicht auf die leichte Schulter", beteuerte Lagarde auf dem Frankfurt European Banking Congress. Die Notenbank dürfe aber "angesichts vorübergehender oder angebotsbedingter Inflationsschocks nicht zu einer vorzeitigen Straffung der Geldpolitik übergehen", erklärte sie.

Aussagen wie diese lassen erkennen, dass sich die EZB von ihrem eigentlichen und einzigen Mandat, nämlich der Geldwertstabilität, weitgehend verabschiedet hat. Solange diese Politik - nicht Geldpolitik - der EZB anhält, werden Banken den Zustand der Negativzinsen bei ihren geschäftspolitischen Entscheidungen langfristig mitdenken müssen.

Ökonomische Grenzen

Bislang haben die Banken die Negativzinsen zu ihren eigenen wirtschaftlichen Lasten genommen - freundlich aufgefordert durch Regierungspolitiker, aber auch, um soziale Unruhen zu vermeiden. Denn Negativzinsen sind gesellschaftspolitisches Gift. Da Verluste nur mathematisch und nicht ökonomisch ins Unendliche gehen können, ist die wirtschaftliche Last aus Negativzinsen für Banken nicht dauerhaft und einseitig tragbar.

Immer mehr Banken (aktuell über 500) gehen nachvollziehbarerweise dazu über, von ihren Kunden ein Entgelt für das Verwahren von Einlagen zu verlangen. Mit dem dynamischen Wachstum der Anzahl der Institute sinken zudem in gleicher Dynamik die Freibeträge, die von Negativzinsen ausgenommen werden.

Negativzinsen systemisch nicht verstanden

Keines der Institute möchte mit dem Verwahrentgelt ein neues Geschäftsmodell etablieren. Vielmehr sehen sich die Banken durch das Vorgehen der EZB gezwungen, den Sparer an den finanziellen Ergebnissen zu beteiligen, um langfristig ihr Überleben in einem Marktumfeld zu sichern, in dem das Geld in unendlicher Menge vorhanden ist und gleichzeitig keinen Wert mehr hat. Zunehmend scheint in Vergessenheit zu geraten, dass Geld an sich ausschließlich ein Tauschmittel ist. Unbegrenzte Verfügbarkeit bei gleichzeitiger Wertlosigkeit (oder gar einem negativen Wert) berühren die Grundlagen der Existenzberechtigung des Geldes an sich. Dies nahezu vollständig ignorierend, trifft der Negativzins nun auf ein unvorbereitetes System.

Die Verbraucherzentralen gehen gegen verschiedene Banken wegen der Einnahme von Verwahrentgelten vor. Die Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) hat jüngst in einem Verfahren gegen die Sparda-Bank Berlin beim Landgericht Berlin obsiegt. Das Urteil hat in der Bankenwelt zu einem Sturm der Entrüstung geführt.

Girokonten sind keine Darlehensverträge

Die Sparda-Bank Berlin hat mit ihren Kunden individuelle Vereinbarungen über die Einnahme von Verwahrentgelten getroffen. Die Verbraucherzentrale hielt diese Vereinbarungen, die im ausdrücklichen Willen der Bank und ihres Kunden stehen, für unzulässig. Das Landgericht Berlin ist den Argumenten der Verbraucherzentrale gefolgt, dass die Vereinbarung von Verwahrentgelten bei Giro- wie Tagesgeldkonten mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren sei.

Das Landgericht argumentiert im Ergebnis mit der Anwendung von § 700 BGB in Verbindung mit § 488 BGB und kommt mit der Begründung des Darlehensrecht zu dem Schluss, dass bei einem Darlehensvertrag der Darlehensnehmer, hier die Bank, dem Darlehensgeber, hier dem Kunden, Zinsen zahlen müsse, nicht umgekehrt. Darüber hinaus argumentiert das Gericht damit, dass die Verwahrung von Einlagen dem Girovertrag immanent sei.

Bereits die Anwendung des Darlehensrechts entspricht nicht dem zwischen den Parteien Vereinbarten. Das Gericht verkennt, dass die §§ 700, 488 BGB nicht ohne Weiteres anwendbar sind, da das gesetzliche Leitbild dieser Paragrafen davon ausgeht, dass die Verwahrung der Einlagen für die Kreditinstitute vorteilhaft ist. Das ist hier gerade nicht mehr der Fall. Die Ausführungen des Gerichts zeigen, dass Negativzinsen systemisch nicht verstanden werden. Um den einschlägigen Vertragstypus zu bestimmen, kommt es ausschließlich auf den von den Parteien des Vertrages zugrunde gelegten Vertragszweck an. Vertragszweck ist hier die Verwahrleistung im Interesse des Kunden, für die Bank und Kunde ein Entgelt als Gegenleistung vereinbart haben.

Kontrollfreie Preishauptabrede

Da im deutschen Recht kein "numerus clausus" der Vertragstypen besteht und dieser Vertrag keine eindeutige gesetzliche Grundlage findet, muss hier von einem atypischen Vertrag ausgegangen werden. Bei dem Entgelt handelt es sich um eine Abrede über den Preis der vertraglichen Hauptleistung und somit um eine zulässige Preishauptabrede.

Auch die Pflichten aus § 675 f Absatz 2 BGB führen, entgegen der Ansicht des Gerichts, nicht zu einer Verwahrpflicht. § 675 f Absatz 2 BGB bestimmt, dass der Girovertrag die Bank verpflichtet, für den Kunden einzelne und aufeinanderfolgende Zahlungsvorgänge auszuführen und dazu für den Kunden ein auf dessen Namen lautendes Zahlungskonto zu führen (§ 675 f Absatz 2 BGB). Von einer Verwahrung von Einlagen, die über den vorgenannten Zweck hinaus geht, ist an keiner Stelle im Gesetz die Rede.

Entscheidung wohl erst durch den BGH

Das Urteil des Landgerichts Berlin ist nicht das erste Urteil, das zu dieser Fragestellung ergangen ist. Es gibt weitere Urteile, die im Ergebnis die Zulässigkeit von Verwahrentgelten bejahen. Das Landgericht Leipzig hat in einem Verfahren der Verbraucherzentrale Sachsen gegen die Sparkasse Vogtland das Verwahrentgelt für zulässig erachtet und die Vereinbarung zum Verwahrentgelt als Preishauptabrede für nicht kontrollfähig erklärt. Sie begründet: "Zwar sind die Sparkassen gemeinwohlorientiert, müssen sich aber auf der anderen Seite an Marktgegebenheiten ausrichten und wirtschaftlich agieren."

Letztlich wird vermutlich auch in diesem Thema erst eine Entscheidung durch den Bundesgerichtshof (BGH) für Rechtsklarheit sorgen. Ob das angesichts der jüngsten BGH-Entscheidung im Kontext der Zustimmungsfiktion eine hoffnungsvolle Aussicht ist, liegt im Auge des Betrachters.

Boomerang für den Verbraucher

Mittlerweile stellt sich die Frage, wem das Vorgehen der Verbraucherzentralen gegen die Banken wirklich dient. Im Interesse des Verbrauchers scheint es jedenfalls fragwürdig, immer größere Hürden nehmen zu müssen, um alltägliche Bankgeschäfte tätigen zu können.

Das Vorgehen der Verbraucherzentralen gegen die Banken wird langfristig betrachtet zum Boomerang für den Verbraucher. Dies zeigt sich bereits jetzt an den Folgen der Entscheidung des BGH zur Unzulässigkeit der Zustimmungsfiktion in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Banken.

  • Einerseits führt ökonomisch ein wachsender Aufwand zu höheren Preisen, bei Banken also steigenden Kontoführungsgebühren.
  • Andererseits haben nicht rechtzeitig erteilte Zustimmungen des Kunden langfristig die Kündigung der Geschäftsbeziehung zur Folge.

Eine über Jahrzehnte geübte und für beide Parteien pragmatische Praxis der Zustimmungsfiktion - im Übrigen nicht nur im Geschäftsverkehr mit der Bank - wurde im vermeintlichen Willen des Verbrauchers ausgehebelt. Jetzt nimmt sich die Verbraucherzentrale also die Verwahrentgeltvereinbarungen vor. Ob dies am Ende tatsächlich im Interesse der Verbraucher ist, darf zumindest bezweifelt werden.

Letzte Ausfahrt: Verstaatlichung

Bankenexperte Hans-Peter Burghof kritisiert: "Das Gericht bewegt sich mit dem Urteil in einem ökonomischen Nirwana. Wenn das flächendeckend so entschieden wird, destabilisieren wir unsere Banken und hebeln die Marktwirtschaft aus." Das Beispiel, das der Professor für Bankwirtschaft an der Universität Hohenheim nutzt, ist leicht verständlich: "Ich kann doch auch einen Bäcker nicht zwingen, sein Brötchen für 10 Cent zu verkaufen, obwohl er sie für 20 Cent produziert." Sofern Geldguthaben zu einem Netto-Aufwand für eine Bank führt, ist es jedenfalls betriebswirtschaftlich notwendig, diesen Aufwand einzupreisen - sei es mittels eines Verwahrentgeltes oder alternativer Preismodelle.

Negative EZB-Einlagenzinsen stellen für die Banken direkte und indirekte Kosten dar, die ihre Zinserträge schmälern. Gleichzeitig sorgen sie dafür, dass die Kreditzinssätze - wie von der EZB gewollt - ebenfalls entlang der allgemeinen Zinsentwicklung sinken. Wenn gleichzeitig die Einlagenzinssätze durch die Null-Linie nach unten begrenzt bleiben, ist der volkswirtschaftliche Geschäftszweck von Banken (und damit auch ihr Geschäftsmodell) - die Steuerung von Geldkreisläufen durch Hereinnahme von Einlagen und die Ausreichung als Darlehen - durch staatliche Eingriffe nicht mehr tragfähig. Damit können Banken ihre gesellschaftspolitische Aufgabe der Losgrößen-, Fristen- und Risikotransformation für die Allgemeinheit nicht mehr erfüllen.

Negativzinsen ruinieren das Finanzsystem. Dies wird langfristig negative Auswirkungen haben und zwingt die Institute dazu, in andere Geschäftsfelder mit höheren Risiken und zunehmender realwirtschaftlicher Entfremdung zu investieren, was nach den Erfahrungen der Finanzkrise langfristig weder im Interesse der Aufsicht noch des Staates und erst recht nicht seiner Bürger sein kann. Als Alternative kommt schließlich nur noch ein staatlich organisiertes Bankensystem in Betracht, da es sich privatwirtschaftlich faktisch nicht mehr betreiben lässt, wenn systemisch elementare Funktionen einer freiheitlichen und sozialen Marktwirtschaft ausgehebelt werden.

Frank Kohler , Vorsitzender des Vorstands , Sparda-Bank Berlin eG, Berlin
Mahsa Eggers , Bereichsleiterin Recht & Compliance , Sparda-Bank Berlin eG, Berlin

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