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Unternehmertum im deutschen Bankwesen

Prof. Dr. Diane Robers, Foto: Diane Robers

Banken haben die Chancen der Digitalisierung inzwischen erkannt, so die Autoren. Nachholbedarf haben sie aber, wenn es um den "Gründergeist" im eigenen Haus geht. Der Bereich Group Organisation & Security der Commerzbank arbeitet daran, unternehmerisches Denken, wie es die Start-ups haben, auch unter den eigenen Mitarbeitern zu wecken. Ziel ist eine Quote von zehn Prozent der Mitarbeiter im Bereich. Disruptive Veränderungen, so die Erkenntnis, lassen sich durch das neue Unternehmertum nicht erreichen. Die Erfolge sind jedoch durchaus messbar. Red.

Aktuelle Diskussionen um Veränderungen im Finanzdienstleistungsbereich beschäftigen sich zumeist mit Start-ups. Die unter "Fintech" firmierenden neuen Firmen haben in Deutschland im letzten Jahr eine stattliche Zahl von 793 und 1 Milliarde Euro Venture-Capital-Investmentvolumen erreicht (Comdirect 2019). Fintechs sind digitale Anbieter, die neue Lösungen für Finanzierung, Versicherungen oder Immobilien(-bewirtschaftung) online beziehungsweise mobil anbieten. Die Szene hat sich mittlerweile professionalisiert, statt einfacher Bezahlmöglichkeiten für den Endkunden (B2C) sind nun auch attraktive Finanzierungslösungen für Firmenkunden (B2B) auf dem Markt und entwickeln sich zu profitablen Geschäftsmodellen weiter. Dazu gehören nicht nur Anbieter von Speziallösungen wie Working Capital Optimization, Supply Chain Financing und Lending, sondern auch die sogenannten Neo-Challenger-Banken, die Near-Banking-Leistungen wie Finanzierung und Factoring, Versicherungen oder Beyond-Banking integrieren.

Der tradierte Bankensektor ist durch die neuen, agilen Technologieunternehmen nicht zuletzt aufgrund seiner Größe, Hierarchiestrukturen und regulatorischen Anforderungen unter Druck geraten. Dies gilt auch für etablierte Konzerne anderer Branchen: Sie müssen innovative Wege zum Kunden finden und gleichzeitig dem volatilen Umfeld mit Niedrigzins und Preisdruck begegnen.

Chancen der Digitalisierung erkannt

Während Großunternehmen sich besonders durch eine starke exekutierende Prozesskompetenz auszeichnen, fokussieren Start-ups auf Wachstum, das heißt es geht darum, viele Kunden mit ähnlichen Problemen beziehungsweise Bedürfnissen zu erreichen und diese Aufgaben ("jobs-to-be-done") so wertstiftend zu erledigen, dass der Anbieter entsprechend Geld verdient. Mit zunächst wenig Mitarbeitern und einfachen Führungsstrukturen wird eine größtmögliche Konzentration der Ressourcen auf den Markt hin angestrebt. Der Kunde stellt den Mittelpunkt aller Aktivitäten dar.

Bemühen um eigenen Gründergeist

Die Chancen der Digitalisierung haben die traditionellen Finanz- und Versicherungsunternehmen mittlerweile erkannt, sie stehen bei den Digitalisierungsinitiativen nach IT- und wissensintensiven Dienstleistern nun an dritter Stelle (Monitoring-Bericht der Wirtschaft Digital 2018). Erwartet wird, dass die Interaktion mit den Kunden in den nächsten fünf Jahren mehrheitlich digital über alle Phasen der Wertschöpfungskette stattfindet (Bühler, P. et al. 2017).

Neben der technologischen Adaption suchen die Unternehmen aber auch nach Antworten und Konzepten, um den eigenen "Gründergeist" neu zu entfachen und lehnen sich dabei an Vorgehens- und Verhaltensweisen von erfolgreichen Entrepreneuren und Start-ups an. Diese Entwicklung ist auch beobachtbar in der wissenschaftlichen Literatur zum Corporate Entrepreneurship, - als "sum of a company's innovation, renewal, and venturing efforts" (unter anderem Zahra, S. A./Covin, J. G. 1995) oder als "entrepreneurial orientation, which permeates an organization's outlook and operations leading to a variety of outcome" (Heidemann Lassen, A. et al. 2006, p. 360) bezeichnet.

Dabei geht es zumeist um die Ansiedlung der Innovationsaktivitäten oder neuer Geschäftstätigkeiten innerhalb des bestehenden Unternehmens, in einer eigenen neuen Geschäftseinheit oder Kooperationen mit Start-ups. Im Fokus steht dabei die primäre Wertschöpfungskette.

Transformationsansatz der Commerzbank

Lassen sich unternehmerische Konzepte auch auf eine Bankenorganisation übertragen? Eher selten sind unternehmerische Ansätze bei den unterstützenden Prozessen der Wertschöpfung, wie Verwaltung, Unternehmensinfrastruktur, Beschaffung oder Personalwirtschaft (sekundäre Aktivitäten). Hier setzt der Transformationsansatz des Konzernbereichs Group Organisation & Security (GS-OS) innerhalb der Commerzbank AG an. Er ist verantwortlich für die Unterstützung bei strategischen Projekten über infrastrukturelle und organisatorische Dienstleistungen bis hin zu allen Themen rund um die Sicherheit. Der Bereich beschäftigt rund 1 000 Mitarbeiter, die entsprechend Services für den Konzern wie Governance & Business Management, Business Services, Information Security, Physical Security & Data Protection, Corporate Procurement und Corporate Real Estate Management erbringen.

GS-OS hat sich zum Ziel gesetzt, die ab 2016 beschlossene Neuausrichtung der Bank ("Commerzbank 4.0") mit den drei Stoßrichtungen fokussiertes Wachstum, digitale Transformation und Effizienzsteigerung zu unterstützen. Damit dieses nachhaltig im eigenen Konzernbereich implementiert werden kann, wurde ein separates Programm mit Fokus "Transformation" eingeführt.

Abbildung 1 zeigt die Transformationsmap des internen Bereichs mit den wesentlichen Zielfeldern. "Unternehmerisches Denken durch alle Hierarchien und Bereiche, wird als essenzielles Ziel im Kontext von zwölf Topthemen betrachtet.

"Handeln, als wäre es meins"

Kann ein tradiertes Konzept wie "Unternehmertum" auch intern Wirkung entfalten?

Unter der Maxime "Handeln als wäre es meins" sollen die Mitarbeiter dabei (Mit)Verantwortung für den ökonomischen Erfolg übernehmen. Neben der dafür entscheidenden inneren Haltung manifestiert sich dies in zehn Leitgedanken wie beispielsweise Verantwortungsbewusstsein, Neugierde, Mitdenken und Mut zur aktiven Gestaltung zu haben.

Ziel ist es, dass Mitarbeiter gleichermaßen wie Führungskräfte das eigene Leistungsangebot aktiv und eigenverantwortlich mit- und weiterentwickeln, um passgenaue Kundenlösungen, schnellere Reaktionsgeschwindigkeiten und Durchlaufzeiten und eine bessere Beratungs- und Servicequalität zu erlangen.

Es geht stets darum, für den in- oder externen Kunden einen Wertbeitrag zu schaffen. Zu verstehen, an welcher Position der Prozesskette man sich befindet und welche vor und nachgelagerten Zulieferer beziehungsweise interne Kunden dabei zu berücksichtigen sind, ist aber nur hinreichende Bedingung.

Ausschlaggebend für die Umsetzung der Maxime und die Verankerung ihrer Wirkung bei den Mitarbeitern ist das Vorleben durch den Bereichsvorstand und die Führungskräfte.

"Unternehmerisches Verhalten" muss aktiv gefördert werden und gewünscht sein. Enabler können Impulse von außen sein, aber auch interne Trainings oder Workshops, in denen die Mitarbeiter das unternehmerische Handwerkszeug wie "Chancen erkennen" oder "wirtschaftliche Abwägungen treffen" erlernen und auf den eigenen Bereich transferieren.

Der Bereich GS-OS hat in einem Zeitraum von zwei Jahren verschiedene ineinander greifende Initiativen für die Förderung des internen Unternehmertums umgesetzt. Ein Viertel der Mannschaft war hierbei aktiv beteiligt. Für das Vorgehen wurden Elemente mit Breiten- und Tiefenwirkung kombiniert, dabei fungierte die Stabsabteilung "Business Development & Lean OS" gemeinsam mit dem Bereichsvorstand und weiteren internen Sponsoren als Treiber des Prozesses.

In einem ersten Schritt wurden Mitarbeiter identifiziert, die das "Unternehmer-Gen" in sich haben (Ziel: 10 Prozent der Mitarbeiter aus dem Segment). Diese Mitarbeiter wurden in zweitägigen hierarchieübergreifenden und cross-funktionalen Workshops in Methodiken geschult, eigene Ideen zu entwickeln, aber auch Relevanz und Wirtschaftlichkeit zu hinterfragen. Im Ergebnis konnten etwa 30 bis 40 Prozent der Teilnehmer als "Unternehmer" gewonnen werden.

Internes "Unternehmernetzwerk"

In einem zweiten Schritt wurde hausintern ein Rahmen für ein "Unternehmer-Netzwerk" gebildet, das sich after work im sechs Wochentakt in ungezwungener Atmosphäre trifft. Die Mitglieder der Community im Unternehmen bleiben zwar Angestellte, aber sie folgen dem Ruf der Organisatoren, da ein interessanter gestalterischer Rahmen geboten wird. Aktuelle Themen bekommen (kritisches) Feedback, aber auch Transparenz und Verbündete. Es nehmen regelmäßig etwa 20 bis 30 Teilnehmer am internen Unternehmer-Netzwerk-Treffen teil.

Der Schlüssel für eine erfolgreiche Umsetzung liegt darin, "interne Überzeugungstäter" (wie ausgewählte Führungskräfte und Mitarbeiter als Multiplikatoren) und externe Impulse (wie Vorträge und Diskussionen mit Akademia und Unternehmern aus unterschiedlichen Kontexten wie Start-up, Mittelstand, etablierte Unternehmen und Old-Economy) zusammenzubringen. So können die eigenen, internen und unternehmensspezifischen Hürden erkannt und Widerstände durch positive und belegte Beispiele ausgeräumt werden. Das Ausprobieren agiler Methoden wie zum Beispiel Design Thinking, Lean-Start-up und unternehmensinterne Ideen-Pitches unter Bootcamp-Bedingungen ermöglichen eine bessere Integration in den Arbeitsalltag und damit die unternehmensinterne Umsetzung.

Erfolge sind messbar

Ist damit "echtes Unternehmertum" mit völlig neuen, disruptiven Ansätzen auch intern erreichbar? Die Praxis zeigt, dass im eigenen Bereich häufig nur evolutorische Verbesserungen bestehender Prozesse oder Produkte erzielt werden. Nichtsdestotrotz lassen sich die bisher erzielten Erfolge messen.

- So treiben Führungskräfte und Mitarbeiter eigenverantwortlich neue Ideen und optimieren Prozesse. Seit eineinhalb Jahren werden monatlich sogenannte Digital Proofs (zum Beispiel elektronische Schlüsselkartei, digitale Auftragsbearbeitung) erstellt.

- In den Feldern Digitalisierung und Standardisierung wurden Effizienzen geschaffen und ein 20 Prozent höherer Output erreicht.

- Darüber hinaus ist es gelungen, die Mitarbeiter einer 150 Jahre alten Bank für den Unternehmergedanken zu begeistern.

Innovationen können dann entstehen, wenn es um neu zu denkende Sachverhalte oder Themen geht, wo Etabliertes "nicht mehr funktioniert". Sich selber über ein neues Vorgehen zu disruptieren, bevor es ein anderer tut, um sich auf dem Weg dann neu zu erfinden, stößt allerdings auf harte Denkbarrieren.

Aus Transformationsgesichtspunkten eine sehr spannende Erkenntnis: Die benötigte Fachexpertise liegt dann darin, andere, nicht betroffene Menschen zu gewinnen, die das Produkt oder den Prozess neu und frei denken. Schließlich geht es darum, den "Gründergeist" neu zu entfachen und Lösungen zu finden, die konsequent und nachhaltig für die Kunden Mehrwert stiften.

Quellen

Comdirect (2019): comdirect FinTech Studie 2018 - Präsentation zur BaFin-Tech 2019, [online] https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Veranstaltung/dl_190911_BaFin-Tech_Vortragsunterlagen_10.html [20.10.19]

BMWI (2018): Monitoring-Report Wirtschaft DI-GITAL 2018, Berlin

Bühler, P. et al. (2017): Digitale Transformation in Märkten mit Versicherung: Von der Verteidigung des Geschäftsmodells bis zur Auflösung der Branche, in: versicherungsrundschau, 1-2/17, S. 64

Heidemann Lassen, A. et al. (2006): The Nexus of Corporate Entrepreneurship and Radical Innovation, in: Creativity and Innovation Management (15/4) 2006, pp. 359-372

Zahra, S. A./Covin, J. G. (1995): Contextual influences on the corporate entrepreneurship-performance relationship: A longitudinal analysis, in: Journal of Business Venturing, 1995, vol. 10, issue 1, pp. 43-58

Prof. Dr. Diane Robers, Head of Entrepreneurship, EBS Universität für Wirtschaft und Recht gGmbH, Oestrich-Winkel
Albert Reicherzer, Bereichsvorstand GS-OS, Commerzbank AG, Frankfurt am Main
Ssonja Peter, Direktorin GS-OS, Transformationsprogrammleiterin, Commerzbank AG, Frankfurt am Main
Prof. Dr. Diane Robers , Professorin für Management Practice , EBS Universität für Wirtschaft und Recht gGmbH, Oestrich-Winkel
Albert Reicherzer , Albert Reicherzer, Bereichsvorstand GS-OS, Commerzbank AG, Frankfurt am Main
Ssonja Peter , Direktorin GS-OS, Transformationsprogrammleiterin, Commerzbank AG, Frankfurt am Main

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