Wertpapiergeschäft

Verbraucherschutz im Finanzwesen - unnötig bürokratisch

Dr. Jürgen Gros, Präsident, Genossenschaftsverband Bayern e.V., München

Die zum besseren Verbraucherschutz getroffenen regulatorischen Maßnahmen im Finanzwesen haben unerwünschte Nebenwirkungen. Das zeigt Jürgen Gros am Beispiel der Wertpapierberatung, die aus Sicht der Kunden durch MiFID II und weitere Pläne der EU-Kommission zunehmend zum "Verhör" zu werden droht. Deshalb sollte die Bundesregierung die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Evaluation der Regulierungsmaßnahmen in Angriff nehmen und in der Folge überflüssige Regelungen abschaffen, fordert Jürgen Gros. An manchen Stellen wie beim Produktinformationsblatt oder den Regelungen für digitale Kommunikation wäre schon mit einer Vereinheitlichung viel gewonnen. Red.

Seit der Finanzkrise haben die Gesetzgeber zahlreiche neue Vorgaben zum Verbraucherschutz im Finanzwesen erlassen. Beispielhaft steht dafür die zweite europäische Finanzmarktrichtlinie (MiFID II), die seit Januar 2018 in Kraft ist. Sie soll den Verbraucherschutz in der Anlageberatung stärken.

Im Versicherungsvertrieb (IDD) oder Zahlungsverkehr (PSD2) wurden Vorschriften ebenso massiv verschärft. Dieses Vorgehen war eine Reaktion auf die Erfahrungen der Finanzkrise. Verbraucher sind damit heute besser vor Missbrauch und Betrug durch schwarze Schafe geschützt.

Ungewollte Nebenwirkungen

Mit der Anwendung der neuen Regeln wird jedoch immer deutlicher, dass die Vorschriften ungewollte Nebenwirkungen haben: In der Anlageberatung sorgen die Informations- und Aufklärungspflichten der MiFID II beispielsweise für eine regelrechte Informationsflut. Bankkunden erhalten stapelweise zusätzliche Dokumente. In einem Beratungsgespräch können so schnell mehr als 100 Seiten zusammenkommen.

Das trägt nicht automatisch zu mehr Transparenz bei, sondern stößt auf Desinteresse oder verunsichert Verbraucher sogar. Banken berichten immer häufiger, dass sich Kunden über die Papiermassen beschweren und deren Sinnhaftigkeit infrage stellen.

Beratungsgespräch droht zum "Verhör" zu werden

Die neuen Vorschriften belasten zunehmend das Vertrauensverhältnis zwischen Kunden und ihren Beratern. Das gilt beispielsweise für die verpflichtende Aufzeichnung von telefonischen Beratungsgesprächen nach MiFID II. Selbst gegen den expliziten Wunsch des Kunden sind Bankberater verpflichtet, telefonische Beratungsgespräche aufzuzeichnen und aufzubewahren. Viele Kunden erleben das als Eingriff in ihre Privatsphäre.

Geht es nach der EU-Kommission, müssten Banken zukünftig sogar die sozialen und ökologischen Vorlieben ihrer Kunden abfragen. Es besteht die Gefahr, dass Kunden Beratungsgespräche als Verhör wahrnehmen und abgeschreckt werden. In Anbetracht der hohen Komplexität von Finanzprodukten ist eine vertrauensvolle und kompetente Finanzberatung für Verbraucher aber unerlässlich.

Beratungsangebot in Gefahr

Bürokratie kann die flächendeckende Finanzberatung zudem aus einem anderen Grund einschränken - sie wird nämlich immer kostenintensiver. Allein bei den Volks- und Raiffeisenbanken verursachen die zusätzlichen Dokumentations- und Informationspflichten einen jährlichen Mehraufwand von zwischenzeitlich mehr als 100 Millionen Euro.

Es besteht die Gefahr, dass Kreditinstitute ihr Beratungsangebot beschränken oder sogar ganz aufgeben. Das bestätigt auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Nach deren Angaben gibt es bereits Institute, die das Wertpapierdienstleistungsgeschäft aufgrund der erhöhten regulatorischen Anforderungen zurückfahren oder gar nicht mehr anbieten.1) Leidtragende dieser Entwicklung sind die Bankkunden. Vor allem in ländlichen Gebieten könnte es in Zukunft schwieriger werden, sich in Geldfragen beraten zu lassen. Das behindert den Vermögensaufbau, gefährdet die Altersvorsorge und erschwert die Absicherung gegen Risiken.

Finanziellen Verbraucherschutz rasch evaluieren

Der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) setzt sich daher für eine rasche Evaluation des finanziellen Verbraucherschutzes ein. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag richtigerweise angekündigt, die bestehenden Maßnahmen überprüfen zu wollen.2) Dieses Versprechen muss zügig eingelöst werden.

In einem ersten Schritt sollte die Bundesregierung eine wissenschaftlich fundierte Auswirkungsstudie in Auftrag geben, die aus Kundensicht analysiert, inwieweit die regulatorischen Maßnahmen der letzten Jahre den Verbrauchern wirklich nutzen und welchen Aufwand die neuen Vorschriften verursachen.

In einem zweiten Schritt sollte die Bundesregierung nachjustieren und überflüssige nationale Regelungen abschaffen. Die regelmäßige Überprüfung der EU-Gesetzgebung im Rahmen der Agenda für eine bessere Rechtssetzung sollte außerdem dazu genutzt werden, auf EU-Ebene Anpassungen durchzusetzen.

Schon kleine Eingriffe erhöhen die Praxistauglichkeit

Die bayerischen Volks- und Raiffeisenbanken haben bereits eine Reihe von Verbraucherschutzvorschriften identifiziert, die ungewollte Nebenwirkungen für Bankkunden entfalten. Diese Regeln zeigen beispielhaft, wie dringend eine umfassende Bestandsaufnahme zur Praxiswirkung erforderlich ist.

Zudem wird deutlich, dass oftmals schon kleine gesetzgeberische Eingriffe die Praxistauglichkeit der Vorschriften spürbar erhöhen könnten.

Produktinformationsblätter: nicht nachvollziehbar und intransparent

Durch Informationsblätter sollen Privatanleger die wichtigsten Vor- und Nachteile verschiedener Anlagen besser verstehen und vergleichen können. Das Ziel der Vergleichbarkeit wird allerdings weit verfehlt, wenn diese Informationsblätter unterschiedliche gesetzliche Mindestinhalte aufweisen. Derzeit existiert ein halbes Dutzend unterschiedlicher Formate - je nach Art des Finanzinstruments.

Dazu gehören unter anderem die wAl (wesentliche Anlegerinformationen für Investmentfonds), das BIB (Basisinformationsblatt für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte) und das PIB ("deutsches" Produktinformationsblatt für Aktien). Während das deutsche PIB beispielsweise Performance-Szenarien auf Grundlage realisierter Ergebnisse enthält, müssen für das europäische BIB aufwendige Simulationen durchgeführt werden. Deren Ergebnisse sind teilweise derart realitätsfern, dass sie mehr Verwirrung als Klarheit beim Verbraucher stiften.

Das hat auch die Bundesregierung erkannt und will sich auf europäischer Ebene für Verbesserungen beim BIB einsetzen.3) Darüber hinaus bedarf es aber einer Überarbeitung aller Informationsblätter mit dem Ziel größtmöglicher Konsistenz. Anzustreben ist eine Reduzierung auf eine einheitliche Vorgabe. Das erhöht die Transparenz für Verbraucher und erleichtert den Vergleich von Angeboten.

Dazu sollte der deutsche Gesetzgeber die Mindestinhalte des "deutschen" Produktinformationsblattes anpassen. Auf europäischer Ebene muss in den zugrunde liegenden Rechtsakten (zum Beispiel PRIIPS-VO oder OGAW-VO 4) ) und deren Umsetzungsbestimmungen eine Harmonisierung der Anforderungen erzielt werden.

Verwirrende Informationen zur Einlagensicherung

Einmal pro Jahr müssen Banken ihre Kunden über die Zugehörigkeit zur gesetzlichen Einlagensicherung informieren. So will es die europäische Einlagensicherungsrichtlinie (DGSD). Die Finanzaufsicht BaFin verlangt zudem, dass Einleger schriftlich oder über ein elektronisches Postfach informiert werden. Das Schreiben muss unter anderem Angaben zur Sicherungseinrichtung, zur gesetzlichen Sicherungsobergrenze und zur Erstattungsfrist enthalten.

Das Erstellen und Verschicken der Briefe verursacht einen erheblichen finanziellen und operativen Aufwand bei den Instituten. Gleichzeitig bringt eine jährliche Übermittlung dem Kunden keinen Mehrwert, da sich im Regelfall über lange Zeit keine Änderung bei den gesetzlichen Grundlagen zur Einlagensicherung ergibt. Vielmehr fühlen sich Kunden von der regelmäßigen Post verunsichert, wie Bankberater berichten.

Es wäre ausreichend, wenn die entsprechende Information permanent auf der Webseite der Bank oder im Aushang in der Filiale veröffentlich wird. Das ist in vielen Banken ohnehin Praxis. Dazu sollten die Vorgaben des deutschen DSGD-Umsetzungsgesetzes angepasst werden.

Einschränkungen der telefonischen Anlageberatung

Mit der überarbeiteten Wertpapierrichtlinie MiFID II müssen Banken Telefongespräche zur Wertpapierberatung oder zum Wertpapierkauf aufzeichnen. Dasselbe gilt für sonstige elektronische Kommunikation. Stimmt der Kunde der Aufzeichnung nicht zu, darf dieser Kanal für die Anlageberatung beziehungsweise Ordererteilung nicht genutzt werden.

Vor einer telefonischen Ordererteilung muss der Kunde zudem eine Vorabkosteninformation erhalten. Hat der Kunde kein E-Postfach oder keinen E-Mail-Account, kann er kein Wertpapier kaufen. Ein Verzicht des Kunden auf derartige Informationen ist nicht möglich. Die Folge: Eine beliebte Form der Anlageberatung wird unnötig erschwert.

Zudem ist die Aufzeichnung mit einem erheblichen Eingriff in die Privatsphäre verbunden. Viele Kunden äußern ihr Unbehagen, weil sie in der Finanzberatung teils sehr persönliche Angelegenheiten besprechen.5)

Es wäre im Interesse des Verbrauchers, dass auf dessen ausdrücklichen Wunsch auf die Telefonaufzeichnung verzichtet werden darf. In diesem Fall sollte lediglich eine Notiz zum Gespräch erfolgen, wie es bei einem persönlichen Gespräch zwischen Berater und Kunde in der Bank bereits Vorschrift ist. Außerdem sollte die Kosteninformation erst nachträglich übermittelt werden dürfen. In der nächsten Überprüfung der MiFID-II-Vorgaben sollte sich die Bundesregierung für eine Anpassung dieser Vorschriften einsetzen.

Anforderungen an die digitale Kommunikation vereinheitlichen

Zunehmend mehr Bankkunden bevorzugen für die Kommunikation mit ihrer Bank digitale Kanäle. Banken haben dazu oftmals ein elektronisches Postfach eingerichtet. Die Möglichkeiten der Kunden zur Nutzung solcher digitalen Kanäle sind allerdings eingeschränkt. Denn es bestehen widersprüchliche Regelungen.

In manchen Fällen sind Informationen grundsätzlich nur in Papierform zulässig, es sei denn, der Kunde entscheidet sich ausdrücklich und nachweislich für einen anderen Weg. Das gilt beispielsweise für Kosteninformationen, die vor einer Anlageberatung bereitgestellt werden.

In wieder anderen Fällen kann hingegen grundsätzlich ein elektronisches Dokument an den Kunden versandt werden. Das ist zum Beispiel beim deutschen Produktinformationsblatt für Aktien (PIB) der Fall.

Die unterschiedlichen Regelungen verunsichern den Kunden und erschweren den Informationsaustausch mit der Bank. Die elektronische Kommunikation sollte deshalb einheitlich geregelt werden: Die Übermittlung von Informationen in das elektronische Postfach sollte gleichwertig mit der papierhaften Information sein. Nur auf expliziten Wunsch des Kunden sollten die Banken dazu verpflichtet sein, alle relevanten Informationen nachträglich auf einem anderen dauerhaften Datenträger zur Verfügung zu stellen.

Das bedeutet auch, dass mit der Zustellung im elektronischen Postfach alle Informationspflichten erfüllt werden und der Zugang von Willenserklärungen erfolgt. Dabei darf kein Verbraucher gezwungen sein, ein elektronisches Postfach zu nutzen. Sein Einverständnis für ein elektronisches Postfach sollte der Verbraucher aber entsprechend einfach und schnell erklären können, indem er die Allgemeinen Geschäftsbedingungen annimmt.

Der Verbraucher muss weiter die Möglichkeit haben, sich durch eine Benachrichtigungsfunktion, wie etwa per E-Mail oder SMS, über den Eingang von Nachrichten informieren zu können. Eine Zwangsbenachrichtigung darf es nicht geben.

Um einheitliche Standards für die digitale Kommunikation zu schaffen, müssen die europäischen Vorgaben zu den Informationsblättern (zum Beispiel PRIPS, OAWG) und zum Zahlungsverkehr (PSD) angepasst werden.

Fußnoten

1) Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der FDP Fraktion im Bundestag "Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente", Drucksache 19/1543 vom 4. April 2018

2) Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD zur 19. Legislaturperiode: Ein neuer Aufbruch für Europa, Eine neue Dynamik für Deutschland, Ein neuer Zusammenhalt für unser Land.

3) Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der FDP Fraktion im Bundestag "Bürokratie durch die Verordnung über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (PRIlP-Verordnung)", Drucksache 19/2087 vom 11. Mai 2018.

4) Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW)

5) BaFin Journal Mai 2018 "MiFID II: Marktuntersuchung zur Umsetzung der Verhaltenspflichten"

Zum Autor Dr. Jürgen Gros, Präsident, Genossenschaftsverband Bayern e.V., München
Dr. Jürgen Gros , ehemaliger Präsident , Genossenschaftsverband Bayern e. V. (GVB), München
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